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Herbert Beesten

Aus der Kulturszene Magdeburgs ist Herbert Beesten nicht mehr wegzudenken. Als Literat, Poetry-Slammer, Vorsitzender des Fördervereins für Schriftsteller und Gründer von kreALTiv ist er seit vielen Jahren außerordentlich umtriebig. Aber auch als Unternehmer ist er hier eine feste Größe. INTER.VISTA erzählt er, wie das mit seinem Studium lief, warum Umwege gut sind, welche Prägungen aus seiner Münsteraner Heimat auch in Sachsen-Anhalt gut funktionieren und was Magdeburg anderen Städten voraus hat.

Interview und Fotos: Florina Ademi und Kyra Bartel

  

Von jedem gibt’s ein typisches Kinderfoto. Wie sieht Deins aus?
Ich sehe mich mit drei oder vier meiner Geschwister, stark arrangiert, in Eintracht auf einem typischen Schafwollkissen sitzen. Ende der fünfziger Jahre fotografierte man nicht einfach drauf los, sondern ging zum Fotografen, um zu Weihnachten dem Vater oder Opa ein schönes Geschenk zu machen. Auf einem zweiten Bild war ich dann etwas älter, auch wieder im gleichen Setting. Das war Mitte oder Ende der sechziger Jahre. Damals wollte ich längere Haare haben, aber meine Mutter war darauf bedacht, dass alles ganz streng aussieht. Ich war aber so stolz, dass man den Scheitel nicht erkennt. Damals war das mein erster kleiner Protest gegen die Bürgerlichkeit. Mittlerweile werden die Haare auch wieder länger. (lacht)

»Auch wenn man belächelt wurde, wir hatten viele Freiheiten.«

Du bist 1953 geboren und warst zur aufregenden Zeit 1968 gerade 15 Jahre alt. Was kam bei Dir an, was bist Du gewesen: Hippie, Draufgänger?
Zu der Zeit lebte ich in Rheine: tiefstes Münsterland, katholisch, Provinz. Von den Bewegungen 1968 habe ich selber nicht viel mitbekommen. Als die Bewegung dort ankam, war es schon 1970, ich erinnere mich noch daran. Was ich aber überhaupt nicht verstanden habe, ist, dass meine Mutter nach der Springer-Geschichte in Hamburg oder der BILD-Blockade überhaupt noch eine BILD-Zeitung gekauft hat. Ich habe mir nie eine BILD gekauft.

Inter.Vista, Herbert Beesten, Foto: Florina Ademi, Kyra Bartel

Inter.Vista, Herbert Beesten, Foto: Florina Ademi, Kyra Bartel

Gab es deswegen Probleme bei Dir zu Hause?
Bei uns gab es nicht viele Konflikte. Im katholischen Münsterland war alles bis in die Sechziger sehr konservativ. Da musste man zur Kirche gehen: zweimal in der Woche Schulmesse vor der Schule, am Wochenende Beichte und sonntags nochmal in die Kirche. Viele Leute, gerade auch hier im Osten, denken ja: Mensch, bei euch war alles so locker und frei. Aber wenn ich dann mal erzähle, wie es bei uns noch Anfang der siebziger Jahre so war, dann wundern die sich.

Es gab ja immer diese alte Rivalität: Stones oder Beatles.
Wie war es bei Dir? Ist doch klar, oder? Obwohl die Stones damals auch schon ein bisschen Mainstream waren. Ich habe damals auch experimentellere Musik gehört, zum Beispiel die Band Embryo. Es war wichtig, dass andere wenig Verständnis für meinen Musikgeschmack hatten, da fühlte ich mich ein bisschen als Avantgarde. (lacht)

Du bist ja über Umwege zum Studium gekommen.
Ich bin jetzt noch Student und bei Studieren ab 50 dabei. Philosophie. Ich habe ja den zweiten Bildungsweg absolviert. Über die Lehre bekam man damals noch die Möglichkeit, auf eine Ingenieurschule zu gehen. Manchmal kokettiere ich ein bisschen damit, dass mein höchster allgemeinbildender Abschluss die Hauptschule ist. Also ich sehe mich da schon als Kind dieser Bundesrepublik, dieser WillyBrandt-Geschichte: Bildung auch für untere Schichten. Mein Vater war Lokomotivführer, Beamter, sehr einfach und kam aus einem bäuerlichen Umfeld. Kein Intellektueller, aber trotzdem aufgeschlossen und interessiert für Literatur und Kunst, manchmal auch für Museen.

War es rückblickend für Dich richtig, auch mal Umwege zu gehen?
Ja, zuerst hatte ich ein Stipendium der Deutschen Bahn und lernte Starkstromelektriker. Irgendwann sagten sie, entweder ich arbeite danach weiter bei der Bahn und könne die Inspektorenlaufbahn im mittleren Dienst machen oder ich müsse weg. Kein Geld mehr von der Bahn. Ich bekam dann BaföG. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, einen Job zu suchen und dann musst du gleich ein Kraftwerk oder einen Kran konstruieren. Das kannst du gar nicht, dachte ich. Und ob man als Ingenieur überhaupt einen Job findet? Aber rückblickend war das damals eine Zeit, wo das doch relativ einfach war.

Was macht denn den typischen Studenten Deiner Generation aus und hast Du Dich selbst dazu gezählt?
Heute ist das Studium so verschult. In unserem Studium war alles relativ frei. Wir konnten Scheine machen, kommen und gehen, wann wir wollen, Praktika waren nicht erforderlich, Credit Points kannten wir nicht. Diese Freiheit nutzten wir auch, um politisch was zu machen. Damals war Johannes Rau, unser späterer Bundespräsident, Kultusminister. 1974 wurde unsere Schule eingeweiht, da haben wir uns alle mit einem Brett vor die Schule gesetzt, auf dem »Sackgassenjonny« stand. Jedes Semester wurde gestreikt, manchmal wusste man gar nicht genau warum. Wir waren Studenten der technischen Bereiche, die anderen waren die Designer, Sozialpädagogen, das war so ein bisschen getrennt. Ich war in unserem Bereich kein normaler typischer Student. Die sind heute immer noch sehr technisch geprägt und Kunst, Politik oder Literatur sind nicht so wichtig, aber für mich war es schon wichtig, den Blick zu öffnen. Wir gründeten damals eine Sonnenenergie AG. Die Professoren haben uns verlacht und meinten, dass das nie etwas würde, wir müssten Atomkraftwerke bauen. Aber, auch wenn man belächelt wurde, wir hatten viele Freiheiten. Das finde ich gut, aber das ist heute leider nicht mehr so.

»Er ist das Brain, ich bin die Voice.«

Auf Deiner Website ist das Zitat »… und Anfang glänzt an allen Bruchstellen unseres Misslingens« von Rainer Maria Rilke zu finden. Warum hast Du gerade das verwendet?
Weil Scheitern zum Leben gehört. Es geht darum, was man schafft und was nicht. Ich hatte nie einen Plan, was genau ich machen will oder welchen Karriereweg ich vor mir habe, sondern bei mir hat sich alles einfach ergeben und ich griff zu. Dadurch bin ich auch manchmal gescheitert.

Fallen Dir Abschiede schwer?
Es ist leichter für mich, neue Dinge anzufangen, als Dinge loszulassen.

Inter.Vista, Herbert Beesten, Foto: Florina Ademi, Kyra Bartel

Inter.Vista, Herbert Beesten, Foto: Florina Ademi, Kyra Bartel

Was gibt Dir Rilke?
Es gab von Schönherz & Fleer diese CD´s, auf denen Rilke-Texte vertont wurden, wodurch ich den Zugang dazu fand. Dadurch ist Rilke auch relativ bekannt. Wenn die Stones spielen, dann muss natürlich »Satisfaction« kommen und so ist das auch bei Literaturveranstaltungen. Um Rilkes »Panther« oder »Karussell« kommt man nicht herum. Aber ich weiß auch, das Rilke als Mensch nie wirklich glücklich wurde. Andererseits, als Mann weiß ich, dass man das andere Geschlecht auch durch Poesie beeindrucken kann.

Deine Tochter hat Dir Poetry Slam nahegebracht. Würdest Du sagen, dass sie Deine Muse ist?
Nein. Von meinen drei Kindern ist sie sicherlich das Kind, welches mir am ähnlichsten ist. Beeinflusst hat sie mich nicht, das waren dann eher andere Frauen.

Wo findest Du Inspirationen?
Überall. Ich lese und höre viel Radio. Meine Inspiration ist tatsächlich das tägliche Leben. Ich habe mal einen Text aufgrund eines Rückgabezettels von der Stadtbücherei geschrieben. Ich sah, da sind Titel von CDs und Büchern, wenn ich die abschleife, dann ergeben die schon eine kleine Geschichte. Ganz begeistert bin ich von dem Buch Uncreative writing von Kenneth Goldsmith, weil er beschreibt, dass man etwas aufnimmt und verändert aufschreibt, um daraus etwas Schönes zu machen. Träume sind auch schöne Inspirationen.

Du hast Dich mal als »Bühnenferkel« beschrieben. Bist Du das immer noch?
Ich bin eine Rampensau. Ich kann schon Gas geben und das gehört auch dazu.

Nach Deinem Studium hast Du Dich selbstständig gemacht, was ja immer mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Warst Du Dir dessen bewusst?
Es war nie mein Ziel, mich selbstständig zu machen, das hat sich einfach ergeben. Das Risiko war mir nicht so bewusst. Ich kann es eigentlich empfehlen, da man wenig Grundkosten hat. Am Anfang musste ich auch nicht viel verdienen, denn ich war BaföG-Niveau vom Studium gewohnt, aber mit Familie und Haus war es dann schon schwieriger.

»Als Mann weiß ich, dass man das andere Geschlecht auch durch Poesie beeindrucken kann.«

Welche Vorteile bringt die Selbstständigkeit?
Man hat viel Gestaltungsfreiraum. Ich sehe das bei vielen Leuten meiner Generation. Die machen ihren Job schon viele Jahre und sind davon gefrustet. In meiner Position habe ich mehr Freiraum, auch wenn ich als Chef natürlich viel Verantwortung trage.

Du bist Vorsitzender vom Förderverein für Schriftsteller e.V. in Magdeburg. Was gibt Dir die Arbeit mit jungen Künstlern?
Ich war erstmal ein Fremdkörper. Es gibt bestimmte Bereiche, da ist es wie in einem kleinen Aquarium, wo verschiedene Mentalitäten zusammenkommen. Aber ich fand das ganz gut. Wir haben eine Schreibwerkstatt, wo man mitmachen und dazulernen kann. Man bekommt Rückkopplung. Ich bin aber jemand, der ab irgendeinem Punkt mitgestalten möchte. Und das hat sich dann ergeben.

Lernst Du auch was dazu, wenn Du mit jungen Leuten zusammenarbeitest?
Klar. Manchmal muss ich bei Begriffen nachhaken, ich bin ja nicht so medienaffin. Aber das ist ok, jede Zeit hat ihre Sprachen und Geschichten.

Worüber hast Du das letzte Mal herzlich gelacht?
Gestern hatte ich ein Gespräch mit einem Autoren für Theaterstücke und da gab es ein paar Situationen über die wir sprachen. Beim Improvisieren passieren manchmal lustige Sachen.

Fällt man da nicht leicht aus der Rolle?
Wenn man so improvisiert, gibt es trotzdem ein paar Rahmenvorgaben. Passende Kleidung hilft aus seiner normalen Welt rauszukommen. Beim Theater gibt es Momente, in denen es ganz ernst ist, aber wenn man sie so reflektiert, kann man über bestimmte Situationen auch lachen.

»Es ist leichter für mich, neue Dinge anzufangen, als Dinge loszulassen.«

Nebenbei bist Du noch Gründer von kreALTiv – Agentur für verrücktes Alte®(n). Wie wird dieses Projekt aufgenommen?
Am Anfang ist es nur eine Idee gewesen, das war auch dem Alter geschuldet. Ich kenne viele Leute in meinem Alter, die kreativ sind und sehe, dass sie das nutzen möchten. Es ist nur eine kleine Gruppe, aber genug, damit man etwas tun kann. Ich möchte das mit Leuten machen, die auch Spaß daran haben.

Was war die größte Panne, die Dir beim Poetry Slam passiert ist?
Da gibt es so einige. In Münster hatte ich mal meine Lesebrille vergessen und musste die Zuschauer nach einer fragen. Zum Glück sind neben dem jungen Publikum auch Ältere da gewesen, von denen ich mir eine ausleihen konnte. (lacht)

Hat Magdeburg Slammer-Potenzial?
Ein bisschen schon. Ich selbst bin zu wenig in der jungen Szene unterwegs, um das richtig beurteilen zu können.

Inter.Vista, Herbert Beesten, Foto: Florina Ademi, Kyra Bartel

Inter.Vista, Herbert Beesten, Foto: Florina Ademi, Kyra Bartel

In welcher Hinsicht können sich andere Städte in Sachen Kultur etwas von Magdeburg abgucken?
Ganz besonders ist die Aerosol-Arena. Was mich auch sehr überrascht hat, war, wie viele Leute von außerhalb die Oper als Highlight sahen. Ich bin kein Musical- oder Opernspezialist, aber das hat mich schon gewundert, wie toll es einige von außen fanden.

Wie war Dein erster Eindruck von Magdeburg und den Menschen hier?
Ich war direkt nach der Wende hier, da war die Stadt noch in einem katastrophalen Zustand. Die Leute waren aber aufgeschlossen. Die Sachsen-Anhaltiner haben eine ähnliche Mentalität wie die aus Westfalen, die gehen zum Lachen in den Keller. Ich bin ja auch einer. Im Großen und Ganzen sind sie nicht die Entertainer, sondern eher bodenständig, und hier in Magdeburg ganz besonders.

Magdeburg in drei Worten?
Herzlich. Spröde. Nicht selbstbewusst genug.

Was hat Magdeburg, was dem Münsterland noch fehlt?
Offene Entwicklungsräume. Dort ist alles sehr dicht und zusammen. Da hat alles mehr Struktur und die Kirche hat einen großen Einfluss. Ich finde, hier ist mehr Freiraum und es gibt mehr Möglichkeiten. So etwas wie der Kulturanker wäre in anderen Städten wie Münster gar nicht denkbar. Günstiger ist es hier auch.

In Deiner alten Heimat wirst Du liebevoll als »Seewolf in der Herzhöhle« bezeichnet. Hast Du so einen Namen auch in Magdeburg?
Ich denke nicht. Einige Leute meinen, ich wäre hyperaktiv und mache zu viel, was vielleicht auch stimmt. Wenn ich zusammen mit Karsten Steinmetz auftrete [als Duo Die KiloGraphen, Anm.d.Red.], dann ist das manchmal so. Er ist das Brain, ich bin die Voice, weil ich die lautere Stimme habe und der Berserker bin.

Im MDR wurde über Dich gesagt, Du bist ein Macher, kein Meckerer. In welcher Situation meckerst Du doch mal?
Manchmal gibt es Situationen, wo etwas nicht funktioniert und das ärgert mich dann. Ich bin aber nicht so ein offener Meckerer und Lästerer. Wenn man harmoniebedürftiger ist, dann macht man das versteckt.

Du denkst an einen Abschied von Tarakos GmbH. Weißt Du schon, wie Du Deinen Terminkalender danach füllen wirst?
Ich mache so weiter wie bisher. Neben dem Unternehmen habe ich ja noch den Kulturanker, den Förderverein und das kreALTiv. Konkrete Pläne habe ich nicht. Das wird sich ergeben.

Mai 2018
Interview aus INTER.VISTA 6

 

Vista.Schon?

Der Unternehmer, Künstler, Kulturmanager und Literat Herbert Beesten wurde 1953 in Rheine/Münsterland geboren. Er absolvierte eine Lehre als Starkstromelektriker. Nach seinem Ingenieurstudium machte er sich vor mehr als 30 Jahren selbstständig. Seine Software-Firma Tarakos GmbH, deren Geschäftsführer er ist, hat ihren Sitz in Magdeburg und ist international aufgestellt. Er kam in den nuller Jahren hierher und sagt von sich selbst, dass er »ein multilokales Leben zwischen Münster, Magdeburg und sich selbst« führe. Er verfasst Geschichten, Lyrik, Lit-Mixe, Poetry-Slam-Texte und ist unter anderem Vorsitzender des Fördervereins für Schriftsteller e.V. mit Sitz im Literaturhaus Magdeburg, Mitglied der Schreibkräfte, seit 2015 Mitorganisator des Buchmesseauftritts der Landeshauptstadt Magdeburg und Initiator diverser Kunst- und Kulturveranstaltungen.

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