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Karsten Steinmetz

Das Wort Langeweile gibt es für Karsten Steinmetz nicht. Wenn er nicht in der Welt unterwegs ist, organisiert der Schriftsteller Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten, unterrichtet an der Otto-von-Guericke Universität oder gestaltet mit seinem Verein Kulturanker e.V. die Magdeburger Kulturszene maßgeblich mit. Inter.Vista erzählt er, weshalb es ihm nicht reicht, Künstler zu sein, warum der Humanismus die schönste Religion ist und Freundschaften in der Literatur so selten sind. 

Interview und Fotos: Alena Kammer und Judith Wegener  

   

Karsten, was ist momentan der hippste Ort in Magdeburg?
Die Weinwirtschaft Grün ist ein schickes Weinrestaurant, in dem man abends richtig cool tanzen gehen kann. Schön ist auch, dass sie wunderschöne kulinarische Sachen machen. Zum Beispiel einen schönen Sushi-Abend oder Lesungen. Das ist ein Ort, der verzaubert, nicht weit weg liegt und auf jeden Fall etwas Besonderes ist. 

Du widmest Dich viel der Kunstszene, obwohl du Politik studiert hast. Wolltest Du Politiker werden?
Das war nicht mein Ziel. Ich wollte schon früh Schriftsteller werden. Deshalb studierte ich in Amerika Kreatives Schreiben. Auch danach habe ich in jeder Stadt, in der ich wohnte, bei einem Literaturzirkel mitgewirkt. Es ist immer gut, jede Woche einen Text zu schreiben. 

Inter.Vista, Karsten Steinmetz, Foto: Alena Kammer, Judith Wegener

Inter.Vista, Karsten Steinmetz, Foto: Alena Kammer, Judith Wegener

Wenn man Dich nach Deiner Berufsbezeichnung fragen würde, welche wäre das?
Wahrscheinlich würde ich mich als Freiberufler bezeichnen, weil ich einerseits Dozent bin, aber auch für die Landeszentrale für politische Bildung tätig bin. Außerdem arbeite ich für die Stadt Magdeburg. Ich manage zum Beispiel den Magdeburger Stand auf der Buchmesse in Leipzig und übernehme die Organisation der Kreativsalons in der Stadt. In diesen Salons versucht man, die Kreativwirtschaft mit der normalen Wirtschaft zusammen zu bringen. Außerdem habe ich mein erstes Buch publiziert. 

Das sind viele Aufgabenfelder. Bist Du etwa schnell gelangweilt? 
Nein, eigentlich nicht. Ich mache tatsächlich viel. Deshalb würde ich nicht in die Situation kommen, mich zu langweilen. Ich habe immer mehrere Ideen im Kopf und es ergibt sich sehr viel. Deshalb denke ich eher darüber nach, wie man diese Ideen ausgestalten könnte. 

»Ich habe das Gefühl, dass es schade ist, wenn Dinge schon fertig sind.«

Du bist in Deinem Leben viel herum gekommen, kehrst aber immer nach Magdeburg zurück. Was ist hier Dein Lieblingsort?
Zurzeit ist es der Rosengarten am Schleinufer, zwischen den Kirchen. Er wurde ganz neu gestaltet. Dort gibt es Bänke, Rosen und man kann über die Elbe schauen. Der Rosengarten wird jedes Mal schöner und entwickelt sich weiter.

Du sagtest, Magdeburg gebe Dir etwas, das Dir andere Städte nicht geben. Kannst Du das in Worte fassen?
Ich habe hier ein Gefühl von Nicht-Fremdheit. Als ich aufgewachsen bin, war es eine Stadt, die ein sehr schlechtes Image hatte. Aber Magdeburg hat sich unheimlich verändert. Vielleicht ist es das, was mich zurückzieht. Man sieht, dass Veränderung möglich ist. 

Kann Dich Magdeburg noch überraschen?
Zurzeit habe ich viel in der Politik zu tun und treffe deshalb neue Leute. Besonders die älteren Menschen erzählen ganz andere Geschichten über die Stadt. Letztes Jahr hatte ich mich sehr für das Gelände hinter dem Bahnhof engagiert. Dort gibt es alte Festungsanlagen aus dem 19. Jahrhundert. Es war wunderschön zu sehen, was es da hinten noch gibt.  

Viele Städte sind bekannt für ihr multi-kulturelles Leben. Wie international ist Magdeburg?
Das hängt immer von den Ecken ab, wo du bist und in welchen Gruppen du dich bewegst. Wenn du viel mit ausländischen Studenten abhängst, dann ist es super international. Wenn du dich aber von diesen Bereichen fernhältst, dann ist es so piefig und miefig wie jedes Dorf. Aber ich finde, du kannst in Magdeburg auch international leben. Da wo ich wohne, ist auch gleich so ein Internetshop, wo den ganzen Tag Menschen mit Migrationshintergrund herumhängen und Spaß haben. Auch der Besitzer vom Spätverkauf ist ein Russe, der seit Neustem einen »Putin« bei sich zu hängen hat. 

»Wir sind nur 80 Jahre auf dieser Welt und dann ist es vorbei. Deshalb sollte man versuchen, so schön und so sinnvoll wie möglich zu nutzen.«

Du bist in der ganzen Welt zu Hause. Gab es auf Deinen Reisen gefährliche Situationen?
Ich lebte in Mumbai, als 2008 die Anschläge passiert sind und es wirkte kurzzeitig so, als würden sie jeden erschießen, der weiß ist. Die Anschläge dauerten sechs Tage an. Wir haben sofort unser Klingelschild abgerissen, damit man nicht erkennen konnte, wer da wohnt. Das waren verrückte Bilder: Menschen, die wahllos am Bahnhof entlang liefen und Leute erschossen. Damals ging es darum, den Tourismus kaputt zu machen und wir wohnten in einem Stadtteil, der multikulturell gemischt war. Durch meine morgendlichen Spaziergänge war ich in dem Viertel auch recht bekannt. Wir sind sechs Tage nicht aus dem Haus gegangen und haben versucht, über Freunde Lebensmittel zu bekommen. Wir hatten richtig Angst. 

Gab es Momente, in denen Du nicht zurück nach Deutschland wolltest?
Eigentlich nicht. Es gibt aber auch nicht dieses bewusste »Ich will zurück«. Das Gefühl der Sesshaftigkeit hatte ich noch nie. Es war einfach immer schön, so wie es war. Danach kam ich hierher zurück und machte etwas anderes.  

Du hast viele mutige und unkonventionelle Entscheidungen getroffen. Wie wichtig ist Mut für Erfolg?
Ich glaube nicht, dass ich mutig bin, ich habe einfach keine Angst. Man kann die ganze Zeit darüber nachdenken, warum etwas nicht klappt und wer gegen einen ist. Manchmal hat etwas nichts mit Mut zu tun, sondern mit dem Willen, immer durchzuhalten. Ich mache nie etwas, wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich es nicht bis zum Ende durchziehe. Darüber sollte man immer zuerst nachdenken. 

Dein Vorbild ist William Faulkner. Ist er auch Deine Inspirationsquelle?
Nicht mehr, weil ich alle Bücher gelesen habe, die er geschrieben hat. Deshalb kann ich auch nicht mehr allzu viel Inspiration herausholen. Er hat mir damals geholfen, als ich nach Amerika gegangen bin. Ich hatte dort eine äußerste Fremdheitserfahrung. Aber nicht nur, weil die Kultur fremd war: Ich wurde ständig unter Druck gesetzt, das zu sagen, was ich glaube. Die Südstaaten sind religionssentimental. Das war äußerst nervig. Aber dann traf ich eine Frau, deren Religion auch William Faulkner war und sie hat mich an die fiktive Welt, die er beschreibt, herangeführt. Ich erkannte eine unheimlich Tiefe in den sozialen Bindungen zwischen den Leuten. Diese Tiefe zeigt, dass wahrscheinlich die schönste und tollste Religion, die es auf der Welt gibt, der Humanismus ist, auch wenn er schon viel Böses erschaffen hat.  

Wie wichtig ist Dir der Austausch mit anderen Künstlern bei Deiner Arbeit?
Sehr wichtig. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ist es so, dass es einem Literaten schwer fällt, mit anderen Literaten zu reden und einen künstlerischen Austausch zu haben. Warum in der Literatur Freundschaften äußerst selten sind, weiß ich nicht. Vielleicht ist es die härteste und böseste Kunstform. Aber deshalb macht es mir auch Spaß, mit jemandem zu reden, der Theater macht oder Bildende Kunst. Bei meinem letzten Projekt hat der Künstler Hans Wulf Kunze mitgewirkt. Zu DDR-Zeiten gab es nur vier Leute, die Fotografie studieren durften, und er war einer davon. Ich lernte ihn durch meine Schreibkräfte-Zeitschrift kennen. Da muss immer ein bildender Künstler mitmachen, und wir hatten ihn gewählt. Ich fuhr mit einem Freund zu ihm nach Hause und er fing an, uns die Geschichte der Fotografie zu erklären. Er hat das auf eine starke Art gemacht und schaffte es, in einem ganz normalen Bild etwas Cooles zu sehen. Dieses Gespräch mit ihm war etwas ganz Besonderes und es hat mir wiederum viel geholfen, bestimmte Sachen für mich zu entdecken.  

»Viele unserer Vorfahren sind dafür gestorben, dass wir die Freiheit haben, die wir haben.«

Was ist der Reiz an alten, verlassenen Gebäuden, schließlich könntest Du auch in neuen Kunstgalerien ausstellen?
Ich habe das Gefühl, dass es schade ist, wenn Dinge schon fertig sind. Weiße Räume haben etwas Steriles und Aseptisches. Ich war letztens im Bauhaus-Museum. Jetzt wird in Dessau ein neues Museumsgebäude gebaut und zwei Entwürfe haben gewonnen. Einer der Entwürfe ist nur ein Kubus. Auf der einen Seite geht die ganze Ausstellung rein und auf der anderen Seite geht die Ausstellung wieder raus. Das Ausstellen ist sozusagen wie eine Maschinerie. Deswegen hat es mich interessiert, alte und verrückte Räume aufzumachen und in diesen Kunst zu präsentieren, weil es eine ganz andere Symbiose ergibt. Einfach Künstler zu sein fand ich nicht besonders spannend. Ich finde es immer gut, wenn der Ort mit dem Künstler in einem Konzept funktioniert. Es ist schon toll, wenn man auf 25.000 Quadratmetern herumlaufen kann, wie man will und einfach über die Welt nachdenkt. In unserer Ausstellung im ehemaligen JVA-Gefängnis im Sommer 2015 war es wunderschön, auf das Dach zu gehen und die beeindruckende Silhouette der Stadt zu betrachten.

Inter.Vista, Karsten Steinmetz, Foto: Alena Kammer, Judith Wegener

Inter.Vista, Karsten Steinmetz, Foto: Alena Kammer, Judith Wegener

Was ist das größte Lob, das man Dir machen kann?
Wenn mir jemand sagt, dass ihn meine Projekte inspirieren und glücklich machen. Glücklicherweise habe ich aber auch die Tendenz, dass ich negative Kritik sehr schnell vergesse und nicht nachtragend bin. In Magdeburg werde ich häufig angesprochen, ob ich bestimmte Projekte machen möchte. Das kann manchmal nervig sein, wenn es darum geht, einen Haufen Plattenbauten zu retten, es macht aber trotzdem sehr viel Spaß. Man merkt, dass unsere Projekte die Entwicklung in Magdeburg vorantreiben und dass sie das Klima der Stadt verändern. Das ist die größte Bestätigung für mich.

Ist das Träumen wichtig für Dich, auch als Schriftsteller?
Ja, aber Träumen als einen bewussten Vorgang. Ich meine nicht, dass ich morgens aufwache und schnell alles aufschreibe, was ich gesehen habe. Manchmal sehe ich, wie sich Dinge entwickeln und das ist wie Träumen, weil es eine Zukunft ist, die es noch nicht gibt. Das nutze ich viel in der Literatur. Ich mache es oft so, dass ich weiß, was die Grundgeschichte und die Struktur ist. Aber dann setzte ich mich trotzdem hin, höre gute Musik und überlege mir, wohin das gerade führt, was ich aufgebaut habe.

Faulkner sagte einmal: »Was man als Blindheit des Schicksals bezeichnet, ist in Wirklichkeit nur die eigene Kurzsichtigkeit Ist es auch das, was Du mit Deinem Roman zum Ausdruck bringen willst?
Es gibt eine Stelle, wo der Protagonist die ganze Zeit denkt, dass seine Freundin schuld ist und sie dafür bestraft, deshalb stimmt das schon. Das Problem ist eigentlich, dass wir ganz viele Chancen haben im Leben. Viele unserer Vorfahren sind dafür gestorben, dass wir die Freiheit haben, die wir haben. Wenn du das glaubst und weißt, dann musst du zwar manchmal durch ein bisschen Schilf, das dir die Beine aufkratzt. Aber wenn du gut bist, dann erlangst du Glück und Freiheit. Dafür haben wir gekämpft und deshalb sollte man nicht gleich aufgeben und sich auf eine kleine Insel setzten. Wir sind nur 80 Jahre auf dieser Welt und dann ist es vorbei. Deshalb sollte man versuchen, diese Zeit so schön und so sinnvoll wie möglich zu nutzen. 

Interview aus INTER.VISTA 1

Vista.schon?
Karsten Steinmetz wurde 1976 in Magdeburg geboren. Nach seinem Politikwissenschaften- und Anglistikstudium an der Otto-von-Guericke-Universität sowie einem Auslandssemester in den USA eröffnete er das Café Central. 2005 promovierte er nach einem längeren Aufenthalt in Indien und gründete danach den Kulturanker e.V. Mittlerweile ist er Initiator erfolgreicher Ausstellungen und Kulturprojekte in Magdeburg. Außerdem ist Steinmetz Mitglied der Magdeburger Schreibkräfte und publizierte Anfang 2015 seinen ersten Roman Doppelspiel zu dritt.

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