Posted by on

Mathias Fangohr

Dass Magdeburg eine bunte und vielfältige Stadt ist, hat sie auch Mathias Fangohr zu verdanken. Der Magdeburger setzt sich mit seinem Verein CSD Magdeburg e.V. (Christopher Street Day) für die Rechte von Homosexuellen ein und stand für sein Engagement 2014 sogar schon auf der Liste der »Magdeburger des Jahres« (jährlich von der Zeitung Volksstimme gekürt). Der 37-Jährige kämpft für ein tolerantes Miteinander und hat vor kurzem eine Entscheidung getroffen, die auch sein Privatleben verändert hat.

Interview: Corinne Plaga | Fotos: Corinne Plaga und Miriam Bade

Herr Fangohr, Sie haben einen Flüchtling bei sich Zuhause aufgenommen. Wie kam es dazu?
Ich bin seit vielen Jahren aktiv im CSD Magdeburg e.V. und habe den Verein mitgegründet. Im November letzten Jahres erhielten wir vom Berliner Quarteera e.V. einen Hilferuf. Der Verein kümmert sich um russischsprachige Flüchtlinge, die wegen ihrer Sexualität aus ihrem Heimatland fliehen mussten. Ein junger, schwuler Mann aus Russland suchte dringend eine Bleibe in Magdeburg. Wir haben sofort Kontakt mit Jewgenij aufgenommen und uns getroffen. Schnell war klar: Er will nicht mehr zurück in seine Gemeinschaftsunterkunft. Dort wurde er mit dem Messer bedroht, geschlagen und bestohlen wegen seiner Homosexualität. Er hatte sich seinem Mitbewohner anvertraut, doch der hatte ihn verraten.

Das klingt furchtbar. Wie ging es dann weiter?
Mein Mann und ich hatten uns kurz zuvor ein Haus gekauft, dort hatten wir eine freie Gästewohnung. Wir haben Jewgenij angeboten, bei uns zu wohnen. Dort hat er seinen eigenen Raum, seinen Eingang, er kann sich endlich zurückziehen und vor allem wieder zu sich selbst finden, nach all den schrecklichen Dingen, die er erlebt hat. Viele homosexuelle Flüchtlinge verstecken sich und sagen lieber gar nichts, besonders nicht den Behörden, weil sie sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben. Auch in ihren Heimatländern. Es ist reiner Selbstschutz.

Inter.Vista, Mathias Fangohr, Foto: Corinne Plaga, Miriam Bade

Inter.Vista, Mathias Fangohr, Foto: Corinne Plaga, Miriam Bade

Lief der Umzug reibungslos ab? Wie haben die Behörden reagiert?
Zunächst einmal haben wir seine Sachen aus der Flüchtlingsunterkunft geholt. Wir haben einen Antrag für ihn beim zuständigen Amt gestellt, seine missliche Situation erklärt, doch dort hieß es zuerst, es sei ja noch nichts passiert. Da waren wir erschrocken. Muss denn erst etwas passieren? Es ging darum, jemandem Schutz zu gewähren, der schutzbedürftig ist. Nach drei Wochen hat es dann endlich geklappt, bis dahin hatten wir ihn quasi illegal bei uns untergebracht. Geholfen hat am Ende das psychologische Gutachten, in dem steht, welche traumatischen Erlebnisse er hatte: von Entführung bis Prügel. In Russland hatte er sogar eine Anzeige am Hals wegen Verstoßes gegen das sogenannte Homosexuellen-Propagandagesetz. Mittlerweile sind die deutschen Behörden dankbar, wenn Privatleute Zimmer anbieten, weil die Kapazitäten knapp werden. Vor einem Jahr war es noch anders. Da mussten erstmal alle in eine Gemeinschaftsunterkunft. Da ging kein Weg dran vorbei.

Wurden Sie selbst nach Ihrem Outing damals mit Anfeindungen konfrontiert?
Ich bin in einem Dorf nahe Gardelegen aufgewachsen und mir war eigentlich schon mit 15 klar, was los ist. Ich habe aber nie darüber geredet. Während meiner Ausbildung zum Restaurantfachmann in Gifhorn wurde ich eigenständig und selbstbewusster. Dort lernte ich auch meinen ersten Freund kennen. Ich habe ihn dann meinen Eltern vorgestellt und die erste Reaktion war: »Ach, das haben wir uns schon gedacht!« Das fand ich toll, wie locker sie es aufgenommen haben, selbst meine Oma hat super reagiert. Ich hätte das nie erwartet. Ich bin immer sehr selbstbewusst mit meiner Homosexualität umgegangen und habe den Leuten damit den Wind aus den Segeln genommen. Glücklicherweise wurde ich persönlich nie angefeindet. Wenn mich jemand fragt: »Bist du schwul?«, dann antworte ich: »Ja, hast du ein Problem damit?« Wenn man offensiv damit umgeht, macht man sich weniger angreifbar.

»Viele homosexuelle Flüchtlinge verstecken sich und sagen lieber gar nichts.«

Wie kam es zum Engagement in der Schwulen- und Lesbencommunity?
Ich habe mich schon früh politisch engagiert, seit 1999 bin ich Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Das war damals die einzige Partei, die sehr authentisch für die Rechte von Schwulen eingetreten ist. Ich habe beim (Christopher Street Day) CSD in Braunschweig Volker Beck kennengelernt. Da ging die Politisierung los. Ich war dann drei Jahre in Norwegen, kam zurück und habe mein Studium 2011 abgeschlossen. Es entstanden erste Kontakte zum Lesben- und Schwulenverband in Sachsen-Anhalt und ich habe Veranstaltungen wie den CSD mitorganisiert. Der erste CSD fand 2001 in Magdeburg statt. Da haben wir noch für das Lebenspartnerschaftsgesetz gekämpft. Das haben wir erreicht, es war besser als nichts, aber doch nur ein Zwischenschritt. 2011 habe ich den CSD Magdeburg e.V. als Unterverein des LSVD mitgegründet, um für unsere Rechte und die Gleichstellung zu kämpfen.

Inter.Vista, Mathias Fangohr, Foto: Corinne Plaga, Miriam Bade

Inter.Vista, Mathias Fangohr, Foto: Corinne Plaga, Miriam Bade

Apropos Gleichstellung: Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper, mittlerweile parteilos, war nie ein großer Fan des CSD. Zumindest hat er es mehrfach abgelehnt, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Dafür hat ihm das Magazin queer.de 2011 die sogenannte »Homogurke« verliehen.
Ich denke, ihm ging es wie vielen anderen: Er hatte extreme Berührungsängste mit dem Thema. Aber gerade als Stadtoberhaupt sollte man doch alle Bürger vertreten. Magdeburg ist vielfältig und bunt in allen Bereichen. Er wurde zehn Mal gefragt, ob er die Schirmherrschaft für den CSD übernimmt. Er hat immer abgelehnt. Das verursachte sogar Ärger in der eigenen Fraktion. Er hätte ein Zeichen setzen können.

Werfen Sie Trümper Homophobie vor?
Nein, soweit würde ich nicht gehen. Mittlerweile konnten wir die Distanz auch etwas abbauen. Er hat 2015 erstmalig ein Grußwort für den CSD geschrieben. Wir reden mittlerweile offener miteinander, aber die Schirmherrschaft wird er wohl trotzdem vorerst nicht übernehmen.

Trotzdem sehen Sie Erfolge, was den CSD in Magdeburg angeht?
Ja, 2015 kamen rund 1.000 Menschen zu der Veranstaltung am Alten Markt. Die Regenbogenfahne wurde am Rathaus gehisst. Alle Fraktionen stehen hinter uns. Mittlerweile gibt es auch einen Ansprechpartner in der Stadtverwaltung für homosexuelle Flüchtlinge sowie Fortbildungen für die Mitarbeiter, um sie für die Themen Homophobie und Transphobie zu sensibilisieren. Dazu haben wir auch einen Aktionsplan mit der Landesregierung erarbeitet. Es ist ein Riesenerfolg, dass wir jetzt wahrgenommen werden, dass man uns anfragt, uns als ernsten Ansprechpartner sieht. Wenn die Politik hinter uns steht, haben wir schon viel erreicht. Es gibt aber immer noch viele Missstände, gerade beim Thema Flüchtlinge. Wir müssen selbst für unsere Rechte kämpfen, jemand anderes tut es nicht. Ich werde manchmal gefragt, ob wir denn überhaupt noch den CSD brauchen. Ja, natürlich. Es gibt leider noch zu viel Diskriminierung in allen Bereichen, ob in der Schule oder am Arbeitsplatz. Das wird auch 2016 ein großes Thema sein beim CSD.

Sie lebten lange in Norwegen. Sind die Menschen dort toleranter als die Deutschen?
Norwegen war eines der ersten Länder, das die Öffnung der Ehe einführte. Ich hatte das Gefühl, das Thema Homosexualität spielt einfach keine Rolle, es ist normal. Dort gibt es auch keine große Schwulenszene, die Bars sind eher gemischt. Im Fernsehen lief sogar ein Werbespot für ein homosexuelles Beratungstelefon. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Es wird selbstverständlicher mit dem Thema umgegangen.

Homophobie zeigt sich oft eher unterschwellig. Das fängt schon damit an, dass das Wort »schwul« für viele ein Schimpfwort ist.
Für mich ist »schwul« positiv besetzt, das ist eine Frage der Aufklärung. Schwul muss nicht automatisch negativ sein. Wir drehen den Spieß einfach um. Das geht schon im Kindergarten los. Ich bin Diplom-Sozial-pädagoge und ein kleiner Junge sagte mal: »Der ist schwul.« Ich meinte zu ihm: »Na und, ist doch nicht schlimm.« Da hat es »Klick« gemacht bei ihm. Und dann war es einfach gar kein Thema mehr. Dahin müssen wir kommen. Wenn wir den Kindern Toleranz vorleben, werden sie später weniger Vorurteile haben. Wir müssen ihnen mitgeben, dass es ganz egal ist, welche Sexualität man hat. Wir sind alle gleich.

»Ich bin immer sehr selbstbewusst mit meiner Homosexualität umgegangen.«

Warum leben Sie gerne in Magdeburg? Was gefällt Ihnen weniger?
Magdeburg hat sich nach der Wende gut entwickelt und muss sich nicht verstecken. Viele haben immer noch Vorurteile, weil sie die Stadt nicht kennen. Doch ich freue mich immer, wenn Besucher oder Neu-Magdeburger entdecken, wie schön es hier sein kann. Man hätte damals allerdings vieles planerisch besser machen können, zum Beispiel die Elbpromenade. Schauen wir mal nach Köln, das hätte man hier auch umsetzen können. Man hätte eine tolle Flaniermeile mit kleinen Läden errichten können, mehr Flair schaffen können, stattdessen hat man sich für große Einkaufscenter entschieden. Das finde ich schade.

Wo ist Ihr Lieblingsort?
Ich liebe den Stadtpark Rotehorn, die grüne Lunge Magdeburgs. Überhaupt kann man mit dem Rad von Nord nach Süd komplett durchs Grüne fahren, das ist herrlich. Ich liebe auch das Gründerzeitviertel, die Hegelstraße und Stadtfeld mit seinen schönen sanierten Häusern.

Ja, in Magdeburg kann man sich wohlfühlen. Wie geht es eigentlich Ihrem neuen Mitbewohner heute?
Er hat einen Sprachkurs gemacht und kann mittlerweile ganz gut Deutsch. Es geht ihm sehr gut. Kurz gesagt: Er ist ein Familienmitglied geworden.

Die Hilfe hat sich also gelohnt.
Ja, man muss sich doch nur mal in die Menschen hineinversetzen. Uns geht es doch gut in Deutschland. Aber wir sollten nicht zögern, auch von unserem Wohlstand etwas abzugeben. Niemand flieht ohne Grund aus seinem Heimatland. Wir sollten alle offen auf die Menschen zugehen und nicht mit Distanz durchs Leben gehen. Manchmal kann auch schon ein Lächeln helfen.

Interview aus INTER.VISTA 1

 

Vista schon?
Mathias Fangohr, Jahrgang 1978, arbeitet als Referent für die Landtagsabgeordnete Dorothea Frederking von Bündnis 90/Die Grünen. Seit vielen Jahren engagiert sich der Magdeburger für die Rechte von Homosexuellen.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen