Vor 20 Jahren schoss er am Strand von Mallorca ein Foto von seiner Freundin. Rayk Webers Neugier an der Fotografie war geweckt. Aus den anfänglichen Schnappschüssen wurden Bilder voller Geschichten und Emotionen. Im Interview mit Inter.Vista erzählt er von seinem »Spinnertraum New York«, wegweisenden Schicksalsschlägen und Fotoshootings, die ihn zum Weinen brachten.
Interview und Fotos: Jytte Grieger
Ist Deine Kamera immer dabei?
Nicht immer. Aber beim Reisen schon. Wenn ich privat eingeladen bin, habe ich keine Kamera dabei. Ein befreundeter Fotograf erzählt mir, dass er manchmal nur noch eingeladen wird, weil die Leute wissen, er macht Fotos. Das ist keine Lebensqualität mehr. Ich brauche den Abstand zur Fotografie, um das Feuer zu behalten.
Momentan läuft Deine fünfte New York-Ausstellung. Wieso fotografierst Du in New York?
Ich mache seit vielen Jahren Reisefotografie. Das erste Mal in New York war ich 2005. Um sich Träume zu verwirklichen, muss man erstmal anfangen zu spinnen. Mein Spinnertraum war es, einmal zum Unabhängigkeitstag nach New York zu fliegen. Und weil ich genau am 4. Juli geboren bin, flog ich zu meinem 30. Geburtstag hin. Ich war kaum vorbereitet, aber mein Sitznachbar im Flugzeug, der einen Onkel in New York hatte, bot mir an, mich mitzunehmen. Dadurch habe ich New York sofort aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt, als ein normaler Tourist. Anfangs fühlte ich mich wie eine kleine Ameise im Dschungel, aber dann konnte ich die Stadt nicht mehr loslassen. Es heißt, New York könne man nur lieben oder hassen. Ich liebe es. Jetzt erobere ich diese Liebe zu New York jedes Jahr neu. Und ich bringe immer neue Bilder für die Ausstellung mit. Momentan kann man sich außerdem im Gehrke am Hasselbachplatz Deine Fotos aus Indien anschauen.
Wie kamst Du dazu, eine Fotoreihe in Indien zu machen?
Das war Zufall. Ein Freund nahm mich auf eine Geschäftsreise nach Indien mit. Vorher hatte ich mich nie mit dem Land beschäftigt und hatte auch Vorurteile, zum Beispiel dass es dort arm und gefährlich sei. Ich habe vor der Reise mein allererstes Testament gemacht, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Und dann wurde ich komplett überrascht.
Indien hat Dich also positiv überrascht?
Ja. Ich bin mit einem so guten Gefühl nach Hause gekommen. Wir hatten sehr viel mit den Menschen vor Ort zu tun. Von den ganz Armen bis zum Multimillionär. Alle waren sehr herzlich und dankbar. Wir haben Orte gesehen, zu denen ein normaler Tourist nicht kommen würde. Es war eine Horizonterweiterung und ich würde wieder hinfahren. Besonders gefreut hat mich, dass unser indischer Reiseführer extra zur Vernissage aus Indien anreiste.
Macht das Fotografieren im Ausland mehr Spaß?
Es macht Spaß, weil man unterwegs ist. Man ist mal weg vom Alltag und das ist immer toll. Ich versuche, zwei bis drei Mal im Jahr zu reisen, um Abwechslung zu haben. Aber nach Hause zu kommen, macht auch Spaß.
Du produzierst die Kalenderreihe Hautfreudli.ch. Wie kamst Du dazu, nackte Frauen zu fotografieren?
Ich habe mir den Traum aller Männer erfüllt. (lacht) An einem bestimmten Punkt habe ich gemerkt, dass es mit meiner Fotografie vorwärts gehen musste. Ich machte Aktfotos von Frauen aus meinem Bekanntenkreis. Anfänglich wurde ich belächelt oder habe Sprüche bekommen wie: »Der fotografiert nackte Frauen, um sie ins Bett zu kriegen.« Das hat mir am Anfang wehgetan. Als die Leute mitbekommen haben, dass der Kalender ein professionelles Produkt ist, wurde es akzeptiert. Mittlerweile ist er ein Image-Produkt und ein Kult-Objekt in der Stadt.
»Als Fotograf mache ich Politik auf kleinster Ebene.«
Wieso grade ein Kalender?
Für die Form des Kalenders entschied ich mich, weil ich etwas haben wollte, was nicht jeder Fotograf so schnell machen kann. Ich hatte kein Konzept und wäre fast pleitegegangen. Aber die Leute waren angetan. Das war 2000. Bis heute ist der Kalender das gemeinsame Werk unseres Teams. Er ist unsere kreative Spielwiese. Wir entscheiden, wie wir ihn haben wollen. Der Reiz dabei ist es, jedes Jahr ein neues Thema zu finden.
Wieso der Name Hautfreundli.ch?
Der Name entstand, weil ich zu schüchtern war. Ich konnte das Wort Aktshooting nicht aussprechen. Außerdem ist der Begriff negativ belegt. Bei den meisten geht im Kopf ein Film los, weil sie nicht wissen, was genau gemeint ist. Das Klischee, dass Akt etwas Schlimmes sei, bin ich umgangen. Wenn ich Hautfreundli.ch-Shooting sage, ist zwar nicht sofort klar, was gemeint ist, aber es ist ein positives Wort. Ich mache Hautfreundli.ch-Fotos.
Du hast an der Otto-von-Guericke-Universität Politik studiert. Was war Dein Berufswunsch?
Ich wollte Gastronom werden und amerikanische Erlebnisgastronomie machen. In einem Projekt habe ich aber gemerkt, dass es nicht das Richtige ist. Man arbeitet viel zu hart und hat nie einen freien Sonntag, das macht ja gar keinen Spaß. (lacht) Studiert habe ich nur wegen meiner Mutter. Ich wechselte auch mehrmals das Nebenfach. Insgesamt studierte ich acht Jahre. Nicht weil ich dumm war, sondern weil es meine einzige Chance war, herauszufinden, was ich vom Leben will. Ein Semester habe ich behauptet, ich hätte ein Politikpraktikum, aber in Wahrheit war es ein Fotopraktikum in den USA. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über die Wirkung und Beeinflussung von Fotografie in der Politik. Als Fotograf mache ich Politik auf kleinster Ebene. Wenn ich die Geschichten meiner Fotos erzähle, sind die Menschen emotional berührt und machen sich Gedanken. Ich beeinflusse sie also.
Warum wolltest Du Fotograf werden?
Es erfüllt mir viele Lebensbedürfnisse. Ich kann kreativ sein. Wenn ich das nicht darf, werde ich krank. Ich habe keinen Nine-to-Five-Job. Manchmal habe ich jeden Tag Shootings und falle abends tot ins Bett und manchmal sitzen wir nur im Büro und holen uns auch mal ein Eis unten beim Bioladen. Aber am Abend weiß ich, was ich getan habe und für wen. Man trifft immer Menschen und erfährt Geschichten. Auf die muss ich mich einlassen, um ein gutes Ergebnis zu bekommen. Eigentlich sagen alle, sie wären nicht fotogen. Wir gucken immer auf unsere Schwächen. Das Schönste ist, wenn du Menschen diese Unsicherheit nimmst und ihnen zeigst, wie gut sie aussehen. Natürlich brauchen wir Geld um zu überleben, aber es ist die schönste Bezahlung, wenn die Menschen glücklich aus einem Shooting rausgehen.
Hast Du schon immer in Magdeburg gelebt?
Ich bin in Magdeburg geboren. Weil mein Vater bei der Nationalen Volksarmee war, mussten wir herumreisen, aber seit 1988 bin ich in Magdeburg. Nach dem Studium haben damals viele die Stadt verlassen. Aber Guido Schwirzke vom Prinzz Club und ich waren der Meinung, unsere Stadt hat Potenzial. Den Prinzz Club gibt es jetzt schon viele Jahre und er war immer der Club in dieser Stadt. Das zu erreichen, war vergleichsweise einfach. So ist es auch mit meinen Ausstellungen. Es gibt hier kein großes Angebot. In Magdeburg mag es wirtschaftlich schwieriger sein als in anderen Städten, aber man hat eine große Chance.
Du willst also in Magdeburg bleiben?
Ja. Ich habe schon so viele tolle Orte gesehen, aber irgendwann ist das auch alles normal. Magdeburg ist der Alltag für mich, und wir haben es schön hier. In München könnte ich vielleicht das Doppelte verdienen, aber da sind auch die Lebenshaltungskosten viel höher. Es heißt, die Menschen in Magdeburg seien ein bisschen verschlossen und etwas stieselig, aber es gibt hier auch viele lustige und herzliche Menschen. Wenn man will, findet man die auch.
Was sind die Foto-Hotspots der Stadt?
Verrät man sowas? Magdeburg hat viele Möglichkeiten. Bei meinem Praktikum in der Schweiz war der Fotograf begeistert von den Locations auf meinen Bildern. Wir waren damals mit Auftragsshootings viel im Wissenschaftshafen, im Gesellschaftshaus, im Gewächshaus oder im Prinzz Club. Wir haben aber auch viele Kunden, die lieber ins Studio wollen.
Fotografierst Du gerne im Studio?
Ich war früher sehr gegen Studiofotografie. Es ist so verstaubt und jeder hat Schiss vor’m Studio – das typische Passbild-Gefühl. Anfang 2013 habe ich einen Workshop bei dem damals besten europäischen Studio- und Familienfotografen gemacht. Der hat mir gezeigt, wie man Familien im Studio fotografiert. Man wird Leute glücklich machen und zum Heulen oder Nachdenken bringen. Auf den Fotos sieht man natürlich, dass es im Studio ist. Das Wichtige ist aber, die Gefühle der Menschen zu zeigen und die Geschichten zu erzählen. Ich habe beispielsweise mal meine Mutter und meine Oma fotografiert. Du siehst vielleicht nur eine alte und eine junge Frau, die lachend aufeinanderliegen. Aber wenn du die Geschichte dazu kennst, hat es einen Wert. Seit ich das gelernt habe, wollen alle von mir im Studio fotografiert werden. Ich selber will gerne auch mal wieder raus, aber der Kunde lenkt.
Welche Shootings machst Du am liebsten?
Die Mischung macht’s. Zu 90 Prozent besteht meine Fotografie aber aus den Menschen. Ich fotografiere besonders gerne Familien. Wenn man selbst Schicksalsschläge erlebt hat, bekommt man eine andere Wertvorstellung von Familie. Bei Familienfotografie muss man Emotionen vermitteln. Anfangs fühlen sich oft alle unwohl. Dann lasse ich sie sich in den Arm nehmen und die Augen schließen, und sie spüren die Verbundenheit der Familie. Manche haben sich auch einfach lange nicht in den Arm oder an die Hand genommen. Man muss zwar auch sensibel sein, wenn man die Familienverhältnisse nicht kennt, aber manchmal muss man einfach machen. Ich fotografiere auch gerne alte Menschen. Die Gesichter erzählen so viele Geschichten. Je älter die Leute sind, desto mehr schätzen sie den Moment. Letztens hat eine alte Dame gesagt, das Shooting sei einer ihrer schönsten Tage gewesen.
»Ich brauche den Abstand zur Fotografie, um das Feuer zu behalten.«
Erinnerst Du dich an ein besonders emotionales Shooting?
Für mich privat war das Fotoshooting mit meiner Mutter und meiner Oma sehr emotional. Meine Mutter ist im Oktober 2013 verstorben. Kurz darauf gab es ein weiteres emotionales Shooting. Ein junger Geschäftspartner, dessen Vater die gleiche Krankheit hatte, wollte ein Familie-Fotoshooting zum Abschied machen. Wunschtermin war der 27. Dezember, aber ich arbeite zwischen Weihnachten und Neujahr nicht. Wir haben es dann Ende November gemacht. Bei dem Shooting haben wir alle geheult, weil wir wussten, was da passiert und ich habe mir einen Faux-pas erlaubt: Die Frau von dem kranken Mann war total aufgeregt und gerührt von der Situation. Und dann sagte ich: »Mach ganz locker, bei mir ist noch niemand beim Fotoshooting gestorben.« Alle guckten mich erschrocken an, aber im nächsten Moment haben wir alle herzlich gelacht. Ich habe der Familie nicht nur Fotos geliefert, sondern auch den Moment. Es war ein bedrückender Anlass, aber trotzdem auch ein schönes Zusammentreffen. Das Traurige an der ganzen Geschichte ist, dass der Mann am 26. Dezember verstorben ist. Wäre ich nicht egoistisch gewesen und hätte den Termin verschoben, hätten die Fotos nie stattgefunden. Für mich ist das ein Shooting, von dem ich noch lange erzählen werde.
Stehst Du auch mal selbst vor der Kamera?
Ja. In meiner Anfangszeit habe ich am Ende des Shootings oft die Rollen mit dem Kunden getauscht. Als Fotograf muss man wissen, wie es sich anfühlt, vor der Kamera zu stehen.
Hast Du andere Hobbies neben der Fotografie?
Bald einen Hund, Leo. Und ich gehe gerne joggen. Früher hatte ich Ziele, die ich erreichen wollte und musste. Aber als 2013 meine Mutter verstarb, hat sich mein ganzes Leben neu justiert. Seitdem laufe ich nur noch, um Spaß zu haben. Ich will raus und in der Natur abschalten. Alleine schaffe ich es aber selten, den inneren Schweinehund zu überwinden. Ich habe verschiedene Laufpartner. Zum Ausgleich bin ich auch sehr gerne allein und mache mal gar nichts. Faul sein zu dürfen, ist auch eine Lebensqualität.
Welche neuen Projekte sind geplant?
Das nächste Projekt ist eine Reisefotografie-Ausstellung: Auf der Suche nach Liebe – Eine kleine Weltreise. Daran arbeite ich seit drei Jahren und am 14. September 2016 ist die Ausstellungseröffnung. Nach dem Tod meiner Mutter war ich acht Mal mindestens eine Woche lang unterwegs. Wer ankommen will, muss reisen. 2014 ist dann auch meine langjährige Beziehung zu Ende gegangen. Ich war also auf der Suche nach Liebe, aber auch auf der Suche nach der Liebe und Leidenschaft des Lebens. Davon werden die meisten Bilder handeln und es kommt auch noch die Hautfreundli.ch-Vernissage. Dann reicht es auch mit Ausstellungen. (lacht)
Aber wenn jemand ein Bild aus den Ausstellungen kauft, das ich aus eigener Motivation und ohne kommerziellen Antrieb gemacht habe, ist das ein tolles Gefühl. Dann fühle ich mich als Künstler.
Interview aus INTER.VISTA 2
Vista.schon?
Rayk Weber, Jahrgang 1975, ist in Magdeburg geboren. Sein Ursprungsfoto schoss er 1996 von seiner damaligen Freundin am Strand von Mallorca. während seines Studiums kristallisierte sich die Fotografie immer mehr heraus. Seit 2000 ist er offiziell als freier Fotograf tätig. Neben seinem überregional bekannten Kalender Hautfreundli.ch macht er auch immer mehr durch seine Reisefotografie auf sich aufmerksam.
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