Gustav-Adolf Schur ist einer der bekanntesten Sportler aus der DDR. Legendäre Radrennsiege bei Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und der Friedensfahrt machten den heute 85-Jährigen im Osten berühmt. Noch heute ist er aktiv, sportlich aber auch lokalpolitisch. Inter.Vista erzählt er, wie er mit Ruhm, Doping und den unzähligen Verehrerinnen umging.
Interview und Fotos: Max-Richard Finger und Julia Bordunov
Wann haben Sie Ihr erstes Fahrrad bekommen und wer hat Ihnen das Fahren beigebracht?
Das habe ich mir selber während der Zeit des Zweiten Weltkrieges beigebracht. Mein erstes Fahrrad war das meines Vaters. Immer wenn er es nicht brauchte, habe ich es mir geschnappt. Mit 19 Jahren haben Sie mit dem Profisport begonnen. Nach heutigen Verhältnissen relativ spät.
Wie sind Sie zum Radsport gekommen?
Zur damaligen Zeit nannten wir es zwar Profisport, aber das war es im Grunde nicht. Ich hatte bereits während der Schulzeit eine gute sportliche Ausbildung genossen. Ich war beispielsweise immer ein hervorragender Läufer. Im Krieg lernten wir, dass ein guter Deutscher jemand sei, der den anderen ein paar vor die Schnauze haut. Aber so jemand war ich nicht. Erfolg sah ich darin, besser zu sein als die anderen. Nach dem Krieg entstand die Friedensfahrt. Die war ein gewaltiger Ansporn für mich. Da einmal mitfahren. Aber natürlich war das erst mal gewaltig hochgegriffen. Ich begann zunächst an ganz normalen, organisierten Rennen teilzunehmen. Bereits mein zweites habe ich mit meinem eigens zusammengebastelten Rad gewonnen. Und schon hatte ich den Ruf Höheres erreichen zu können. In Folge dessen nahm ich dann an der DDR-Rundfahrt teil und ab 1952 an der Friedensfahrt. Zunächst dachte ich danach, dass ich dieses sauharte Ding nie wieder fahre. Aber dann erholt man sich über Herbst und Winter und im neuen Jahr war alles wieder vergessen.
Haben Sie ihren Ruhm immer genießen können oder wurde es ab und zu auch zu viel?
Den Menschen gegenüber, die meinen Weg verfolgten und begleiteten, hatte ich immer eine gewisse Verpflichtung. Ich erhielt so viel Zuspruch, das zeigte mir, dass das was ich tat notwendig und interessant war. Ich habe immer sehr viele Briefe von Fans bekommen. Auch Liebesbriefe und Heiratsangebote bekam ich. In mehr als 4.000 Briefen ist das im Museum nachzulesen. (lacht)
Und, wie viele Verehrerinnen hatten Sie?
Das weiß ich nicht, aber mir schien es eine ganze Menge zu sein. Unsere ehrenamtliche Mitarbeiterin des Museums hat die Briefe alle gelesen und die wichtigsten herausgesucht. Die befinden sich jetzt in 46 Aktenordnern.
Werden Sie immer noch häufig auf der Straße erkannt?
Ja, überall. Ich versuche immer, mich vernünftig zu verhalten. (lacht)
Was wollen die Menschen von Ihnen? Fotos, Autogramme?
Nein, die geben zu erkennen, dass sie mich erkennen. Meistens sehe ich aber zuerst, dass ich erkannt werde und grüße als Erster. Frauen gegenüber habe ich diese Verpflichtung sowieso.
Ihnen ist der Sport immer noch wichtig. Die Ernährung auch?
Ja, alles zusammen. Man muss wissen, was einen zu Höchstleistungen bewegt. Ich habe mich immer an die Normen des Leistungssports gehalten und zum Beispiel ordentlich abtrainiert. Viele machten das nicht. Mein Studium der Sportwissenschaften in Leipzig hat mir beim Verstehen des Zusammenwirkens zwischen Physis und Ernährung sehr geholfen.
»Aus mir wurde man nicht klug.«
Hatten Sie im Laufe Ihrer Karriere viele Freundinnen?
Ach, die hätte ich wohl haben können. Hatte ich aber nicht. Aus mir wurde man nicht klug. Das war aber eher ein Glücksfall für mich. Die Beanspruchungen zu meiner Zeit waren so hoch, dass dafür kaum Zeit blieb.
Wie haben Sie denn Ihre Frau kennengelernt?
Meine Frau lernte ich in einem Urlaub kennen. Mit ihr lebe ich bis heute zusammen. Es gibt zwar hin und wieder Unstimmigkeiten, aber wo gibt es die nicht. (lacht).
Zu Ihrer aktiven Zeit war die Tour de France das große Konkurrenzrennen zur Friedensfahrt. Haben Sie die Tour verfolgt?
Eigentlich nicht. Erstens hatten wir keinen Fernsehapparat und zweitens war sie einfach nicht so beliebt bei meinen Rennfahrerkollegen und mir. Zu meinen Anfangszeiten als Amateur hatte ich einen Gegner, Hennes Junkermann. Wir waren etwa gleich stark. Der ist ganz erfolgreich die Tour de France gefahren. Ich habe mich vor ihm platzieren können, bei den Rennen die wir zusammen fuhren. Beispielsweise zweimal bei Rund um Dortmund. Also wäre ich bei der Tour de France wahrscheinlich auch nicht schlechter gewesen. Nichtsdestotrotz ist es ein sauhartes Ding. Wenn ich mir das heute angucke. Bergabfahrten, wo die Fahrer mit 80 km/h runterrasen. Das hätte ich nicht unbedingt machen wollen. Wir hatten solche Abfahrten auch. Aber nicht in einer solchen Menge und nicht ganz so gefährlich.
Ihr Sohn Jan ist nach dem tschechischen Radrennfahrer Jan Vesely benannt. Warum?
Das ist eine ganz einfache Sache. Wenn man seinen Namen hunderte, tausende Male schreibt, beispielsweise auf Autogrammkarten, dann ist das ermüdend. Mein Vorname ist ja eigentlich Gustav-Adolf. Zum Glück entstand dann der Spitzname unter dem mich jeder kennt, das hat mir einiges erleichtert. Ich dachte mir, wenn der Junge auch mal Erfolg hat, was ich mir ja wünschte, dann bietet sich der kurze Vorname meines ehemals ärgsten Konkurrenten und guten Freundes Jan Vesely an. 2003 ist er leider verstorben.
»Das große Geld hat alles im Griff.«
Inwiefern waren Sie daran beteiligt, dass Ihr Sohn Jan auch ein erfolgreicher Radsportler wurde?
Eigentlich wenig. Er fing mit sechs Jahren in Leipzig mit Judo an. Das gefiel ihm dann nicht mehr. Er wollte lieber schwimmen. Das passte ganz gut, weil meine Frau mal Schwimmerin war. 1970 zogen wir dann von Leipzig nach Magdeburg um. Hier stieg er sofort wieder beim Schwimmen ein, fing aber auch an, sich für Radsport zu begeistern. Da mischte ich mich erstmals ein. Er wollte nämlich gleich bei Dynamo in der Nähe unseres Wohnortes anfangen. Ich sagte ihm, wenn er was werden wolle, dann müsse er durch die ganze Stadt zu meinem alten Verein. Und das hat gefruchtet. Erst hat er sich durch gute Leistungen ein Rad erarbeitet, später musste er sich dann gegen die Dynamo-Fahrer durchsetzen und war stolz auf seine Leistung. Ich bin heute noch der Meinung, alles richtig gemacht zu haben. Er hat sich gut entwickelt, ist Olympiasieger geworden und heute als Trainer in Frankfurt an der Oder tätig.
Viele Ihrer Räder sind in Ihrem Museum in Kleinmühlingen ausgestellt. Haben Sie ein Lieblingsstück, welches Sie nie hergeben würden?
Ja. Das war ein Geschenk meiner Jungs. Jan war unter anderem in einem italienischen Rennstall unter Vertrag und ich hatte immer mit einem guten italienischen Rad, mit einer De Rosageliebäugelt. Schließlich schenkten mir meine Söhne eine. Allerdings nur den Rahmen, den Rest baute ich mir selbst zusammen. Der Rahmen ist allerdings ein absolutes Unikat, von einem italienischen Rahmenbauer entworfen. Diese Rennmaschine habe ich heute noch, aber gut weggeschlossen. (lacht)
Wenn Sie mit dem Rad unterwegs sind, was ist Ihre Lieblingsstrecke in Magdeburg?
Ich fahre nie nach Magdeburg, höchstens, wenn ich zum Radladen muss. Aber sonst gar nicht. Wenn ich mit meinem Freund rausfahre, dann treffen wir uns an der Kreuzung bei der B1. Von dort aus fahren wir nach Körbelitz, anschließend durch den Wald nach Stegelitz, durch Möckern, Leitz kau und über Nedlitz wieder zurück. Das sind um die 60 bis 70 Kilometer. Das aber auch nur einmal wöchentlich.
1956 und 1960 haben Sie an den Olympischen Sommerspielen in Melbourne und Rom teilgenommen. Die DDR und BRD traten damals unter gemeinsamer Flagge an. Wie war das Verhältnis untereinander?
Zu den Sportlern aus dem Westen sollten wir eine gewisse Distanz wahren, um keine engen Kontakte aufzubauen, da es damals viele Abwerbeversuche gab und einige diesen erlagen. Dazu gehörte ich nicht. In Melbourne waren wir eine bestens trainierte Mannschaft. Man muss die Stärken seiner Gegner kennen und wissen, welche Leistungen sie schon im Frühjahr erbrachten. Deswegen wusste ich auch, wie man sich zu verhalten hatte, wenn man gegen einen starken Gegner antritt. Die Lage war außerordentlich kompliziert und politisch auch angespannt. Wir belegten den dritten Platz in der Mannschaftswertung und erhielten damit die Bronze-Medaille. 1960 in Rom belegten wir den zweiten Platz und damit gewannen wir die Silbermedaille. Darauf sind wir bis heute sehr stolz. Durch meinen Weltmeistersieg wurde sehr auf uns geachtet. Am Ende belegten wir den zweiten Platz. Wir sind bis heute noch stolz darauf.
Was stand bei Ihnen im Mittelpunkt. Die Leidenschaft zum Sport oder der Drang nach Erfolg?
Weder noch. Es war die Verpflichtung. Meine Leistung, mein Verhalten, meine Moral. Ich stand in der Öffentlichkeit. Ich habe an die 4.000 Briefe bekommen. Von jedem Geburtstag habe ich noch eine Kiste Briefe. Die konnte ich noch gar nicht alle lesen. Unter meinem Schreibtisch steht auch noch eine Kiste von meinem letzten Geburtstag. Die vielen Briefe habe ich mir angesehen, um zu ermitteln, wo Geld drin ist. Ich habe 1.000 Euro aus Briefen geholt. Die sind alle an unser Museum gegangen. Einen Namen im Bewusstsein der Menschen zu haben, ist eine hohe Verpflichtung. Und das ist manchmal erdrückend.
Konnten Sie Ihre jungen Jahre überhaupt genießen, oder war der Druck zu hoch?
Ich hatte immer Druck. Ich war das älteste von fünf Kindern. Ich habe zwei Bombenteppiche im Krieg erlebt. Als Jugendlicher war ich auch noch der Überzeugung, dass die Deutschen zu Recht Krieg führen. Aber ich bin eines Besseren belehrt worden. Ich saß in Schuttbunkern, wo wir dachten, dass man nicht mehr rauskommt. Mutter und fünf Kinder. Es knallte und man kriegte die Druckwellen mit. Die Ziegel flogen hoch und landeten im Vorgarten, die Scheiben flogen raus. Sowas prägt sich ein. Das vergisst man nicht.
Sie waren politisch immer sehr engagiert, aktuell noch im Ortschaftsrat. Wie sehen da Ihre täglichen Aufgaben aus?
Tägliche Aufgaben sind es nicht. Momentan verändern wir weniges, weil das Geld in den Kommunen fehlt. Vor einigen Jahren haben wir noch etwas geändert, Wege verbessert und auch soziale Einrichtungen.
Mit Ihrem Bundestagsmandat betraten Sie auch eine weitaus größere politische Bühne. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Ich habe sie eher in schlechter Erinnerung. Ich wollte nie wieder in ein solch großes Gremium rein wie damals zum Beispiel die Volkskammer. Das bedeutet, sich in so viele Dinge einzuarbeiten, mitreden zu müssen. Man hat auch seine Redenschreiber und andere Unterstützer. Im Bundestag wurden mir die Reden vorbereitet. Wir haben sie dann gelesen und überarbeitet. Für die Tätigkeiten dort gab es einen Haufen Geld. Ich habe viel gespendet. Trotzdem ist das Geld jetzt weg. Meine Frau und ich fragen uns bis heute noch, wo es ist (lacht).
Wie sehen Sie die politische Entwicklung in Sachsen-Anhalt? Besonders nach der letzten Landtagswahl?
Die ganze politische Entwicklung unserer Welt hängt vom Geld ab. Das große Geld hat alles im Griff. Da können wir machen was wir wollen.
2011 war Ihr Name in aller Munde, als es um die Neuaufnahmen in die Hall of Fame deutscher Sportler ging. Sie selbst waren zwar nominiert, wurden nach langer Diskussion allerdings nicht aufgenommen. Wie sehr ärgern Sie sich heute noch darüber?
Für mich ist es noch immer verwunderlich. Ich ärgere mich schon. Es ist eine Blamage für die Verantwortlichen, denn es wurde mir nie richtig begründet. Ich bin einfach ein Mensch, der gerade heraus sagt, wie er die Welt und Politik sieht. Ich sage das, was ich weiß und denke. Doch das kann nicht der Grund gewesen sein.
Haben Sie Verständnis für die Kritiker, die durch das systematische Doping der DDR teilweise mit gravierenden Folgeschäden zu kämpfen haben? Beispielsweise Bahnradfahrer Uwe Trömer mit beidseitigem Nierenversagen.
Zuerst einmal ist die Doping-Frage eine politische Frage geworden. Als ich in die Hall of Famenicht aufgenommen werden sollte, veröffentlichten wir Zuschriften, die ich von der Bevölkerung erhielt, in einer Broschüre. Die habe ich dann in Berlin vorgestellt. Da hat sich Trömer hingestellt und gesagt, dass sie ihn zu DDR Zeiten zum Doping gezwungen haben und dass er durch Nierenversagen sogar Blut spuckte. Ich dachte mir, dass es eine Provokation ist, er lachte nämlich. Aber um nochmal drauf zurück zu kommen. Wenn ich damals gedopt hätte, wäre ich heute wohl krank
Wo waren Sie am 9. November 1989?
Ich weiß nicht mehr genau wo ich war. Um ehrlich zu sein habe ich den Mauerfall gar nicht richtig mitgekriegt. Ich habe das im ersten Moment auch gar nicht richtig ernst genommen. Ich dachte mir immer, dass die eine Meise haben. Und fragte mich, wer sich hier überhaupt beschweren will. Wir hatten Arbeit, den Menschen ging es sozial gut. Wir hatten keine Sorgen. Ich brauche das aber nicht weiter auszuführen.
Zu Ihren Geburtstagen gibt sich immer noch die Prominenz aus Gesellschaft, Politik und Sport die Klinke in die Hand. Können Sie die Feierlichkeiten überhaupt genießen?
Das würde ich mir schon mal wünschen. Vielleicht passiert es ja, wenn ich 100 Jahre alt bin. Da muss man aber kämpfen, um dahin zu kommen. Dann sind wahrscheinlich einige Leute nicht mehr da, die zu meinem 85. Geburtstag nach Kleinmühlingen kamen. Auf jeden Fall war das eine harte Belastung. Eine sehr harte sogar. Ich konnte mich gar nicht richtig um die kümmern, von denen ich mir gewünscht hatte, dass sie kommen.
»Dann könnten die Leute sagen, dass der Täve auf die Erde gefallen sei.«
2005 wurde ein Asteroid nach Ihnen benannt. Wurden Sie vorher darüber in Kenntnis gesetzt? Wie haben Sie sich dabei gefühlt, als sie davon erfahren haben?
Die Sternwarte rief an und fragte, ob ich einverstanden bin. Ich habe ihnen gesagt, dass es für mich eine Ehre ist. Aber am wichtigsten war mir, dass er nicht auf die Erde fallen kann. Das mussten sie mir bestätigen. Denn dann könnten die Leute ja sagen, der Täve sei auf die Erde gefallen.
Interview aus INTER.VISTA 2
Vista.schon?
Gustav-Adolf, genannt Täve, Schur ist am 23. Februar 1931 im Biederitzer Ortsteil Heyrothsberge geboren. Mit 19 Jahren begann sein Aufstieg im Radsport. Die Bilanz seiner Erfolge ist beeindruckend: zweimaliger Gewinner der Friedensfahrt, Olympiazweiter im Mannschaftszeitfahren 1960, Olympiadritter in der Mannschaftswertung 1956. Schon zu DDR-Zeiten politisch engagiert, betrat er nach der Wende nochmal die politische Bühne. Zwischen 1998 und 2002 saß er für die Fraktion der PDS im Bundestag. Heute lebt er mit seiner Frau in Heyrothsberge. Zu seinen Lieblingsorten in Magdeburg zählt unter anderem das Hundertwasserhaus.
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