Jetzt wird’s bunt! Mit ihrer Kunst wollen Strichcode Farbe versprühen und kahle Betonflächen zum Leben erwecken. Ganz wichtig sind Kreativität und Selbstständigkeit. Wie es dazu kam, erzählt der studierte Designer und Strichcode-Mitbegründer Gordon Motsch. Im Interview erklärt er, wofür sein Team steht, wie die Arbeit abläuft und was in Magdeburg noch zu tun ist.
Interview und Fotos: Florina Ademi
Hast Du in Deinem Leben je daneben gesprüht?
Klar! Als Anfänger sprüht man öfter mal daneben, aber mit der Zeit wird die Kontrolle über die Dose besser.
Wie kann man sich Deine Arbeit genau vorstellen?
Bei Aufträgen hat der Kunde entweder schon eine Vorstellung, der wir noch den Feinschliff verpassen, oder die Kunden lassen von uns Ideen entwickeln. Bei freien Arbeiten geht man lockerer ran, legt meist freestyle los und entwickelt vieles erst im Entstehungsprozess. Oder man macht sich vorher einfach eine grobe Skizze.
»Einige wollen kreativ sein, andere machen es illegal, weil sie den Adrenalinkick brauchen.«
Was hat Dich zum Sprayen bewogen?
Das ist schon eine ganze Weile her. Damals habe ich noch in Schönebeck gewohnt. Ich bin dann nach Magdeburg gezogen, aber trotzdem jeden Tag mit dem Zug nach Schönebeck gefahren. Damals war die Bahnlinie schon von vorne bis hinten besprüht. Als Jugendlicher fällt einem sowas auf und es weckt Interesse.
Wie seid Ihr auf den Namen »Strichcode« gekommen?
Der Name entstand, als ich selbst noch nicht dabei war. Den Namen gibt es seit 2007 und ich bin 2008 dazugekommen. Strichcode wurde von den beiden Brüdern Tobias und Thomas Hildebrandt und dessen damaliger Freundin gegründet. Sie entwarf das Logo und dachte sich den Namen aus. Man sprüht, sieht den ersten Strich und deshalb hat es gut gepasst.
Musstet Ihr jemals einen Auftrag abbrechen, weil die Vorlage zu schwer war?
Nein, bisher noch nicht. Es ist jedes Mal eine neue Herausforderung. Jeder Auftrag ist anders. Wir machen das schon seit zehn Jahren beruflich, da haben wir fast alles gemacht und gesehen. Das Einzige, was steigt, ist der technische Anspruch.
Wie lange dauert ein Projekt?
Das kommt auf das Motiv an. Bei graphischen Sachen sitzt man nicht so lange dran wie bei einem Werk, das viel Architektur oder technisches Wissen benötigt. Die Größe ist auch sehr entscheidend. Es sind mehrere Tage.
Klingt es nicht komisch, sich bei Fremden als Graffitikünstler vorzustellen? Wie läuft so ein Gespräch ab?
Wir machen selbst so gut wie keine Akquise. Die Leute, die zu uns kommen, kennen uns. Sie wissen, was wir machen und haben uns oft über die Jahre beobachtet. Es ist mittlerweile schon ganz angenehm, man muss sich nicht mehr vorstellen.
Wenn Ihr in einer öffentlichen Gegend arbeitet, gibt es bestimmt viele Schaulustige. Macht Dich das nervös?
Bei Orten, die nicht oft besucht werden, kommt fast niemand vorbei. Bei anderen Arbeiten ist man mitten in der Stadt, da kommen den ganzen Tag Menschen. Die Passanten haben selbstverständlich auch Fragen, aufgeregt bin ich dabei aber nicht. Eher abgelenkt.
Und lasst Ihr Leute beim Sprühen auch mal mitmachen?
Bei den Auftragsarbeiten gar nicht, da unsere Kunden das nicht wollen würden und nicht versichert sind. Aber bei freien Arbeiten und Workshops schon.
»Wir sind unsere eigenen Chefs und das Ganze ist kreativ.«
Gibt es ein Werk, das Du bereust oder bei dem Du denkst, dass Du es hättest besser machen können?
Im Grunde denkt man sich bei jedem Projekt, dass man es hätte besser machen können. Das ist der Ansporn, weiter zu machen.
Haben sich Leute beschwert, weil sie ein Werk nicht so gut fanden, wie sie erwartet hatten?
Wenn wir mit den Arbeiten beginnen, kommt das häufiger vor. Wir ziehen die ersten Linien und da viele noch nichts damit anfangen können, beschweren sie sich. Aber sobald sie etwas erkennen, finden sie es durchweg gut. Da gibt es wenig Kritik. Wir kriegen ständig nur Lob, das ist schon ein wenig beängstigend.
Wie schwer ist es eigentlich, Sprühfarbe wegzubekommen?
Schwer zu sagen. Wir sind für die Entfernung nicht zuständig. Es kommt darauf an, wie gut der Hintergrund und wie aggressiv der Lack ist. Das ist sehr unterschiedlich.
Kommt Ihr alle aus Magdeburg?
Ja, wir sind alle von hier.
»Vom Bleistift zur Sprühdose ist es ein grosser Schritt.«
Gefällt es Euch?
Schon. Mittlerweile haben wir uns ein wenig zerstreut. Einer wohnt in Berlin, der andere in einer anderen Stadt. Aber im Grunde ist die Basis immer in Magdeburg. Hier bekommen wir auch die meisten Aufträge. Wir machen zwar auch viel außerhalb, aber hier ist das Netzwerk.
Ich hatte erwartet, dass Ihr als Freunde vielleicht zusammenwohnt.
Nein, das nicht. Wenn man sich schon den ganzen Tag sieht, muss man nicht auch noch zusammenleben. (lacht) Berlin oder Magdeburg?
Ich finde, man muss nicht immer sofort nach Berlin und sich ins gemachte Nest setzen. Lieber sollte man versuchen, in der eigenen Stadt etwas zu reißen. In Magdeburg ist noch nicht so viel ausgeschöpft, wie in anderen größeren Städten, wo sich alle kreativen Köpfe tummeln.
Gibt es einen bestimmten Ort in Magdeburg, an dem Du gerne sprühen würdest, aber noch nicht die Gelegenheit dazu hattest?
Ja, da gibt’s viele. Auf jeden Fall diese ganzen großen Giebel. Auch an der Tangente entlang. Das sind tolle Flächen und da gehört auch etwas hin. Wie sich gezeigt hat, ist das Umfeld offen für so etwas und die Leute erfreuen sich daran. Außerdem sehen diese großen Betonklötze dann nicht mehr so bedrückend und langweilig aus. Vor allem finden wir, dass es zum Stadtleben dazugehört. Gerade wenn man bedenkt, dass Magdeburg Kulturhauptstadt werden will, aber man hier noch zu wenig Kunst im offenen Raum sieht. Da müsste noch mehr passieren.
Findest Du Magdeburg fehlt Farbe?
Grundsätzlich, ja. Wenn es nach uns geht, kann es nie genug Farbe sein. Man muss nicht krampfhaft jedes Objekt bunt machen, aber ich finde, es gibt genug Flächen, an denen es wirklich passen würde. Aber so langsam ändert es sich.
Ihr habt vor einigen Wochen in Magdeburg einen Workshop gemacht. Gab es viele Interessenten, die mitmachten?
Ja, das war beim Vakuum-Festival. Das Wetter spielte nicht ganz mit, es hat vorund nach dem Workshop geregnet. Ansonsten wären sicher mehr gekommen. Aber es war der Workshop, bei dem die bisher besten Arbeiten bei unseren Workshops rausgekommen sind.
Inspiriert Ihr andere zum Mitmachen?
Im Grunde schon. Erstmal legen wir Papier und Stift hin und lassen die Leute machen. Manchen fällt sofort etwas ein, anderen gar nicht. Grundsätzlich geben wir Tipps, wenn sie nicht weiterkommen. Unsere Hauptaufgabe bei Workshops ist die technische Umsetzung. Vom Bleistift zur Sprühdose ist es ein großer Schritt, da helfen wir weiter.
Ich habe gelesen, dass Dein Bruder Christopher auch im Team ist.
Ja, er ist mehr für die technischen Sachen zuständig. Er bereitet oft die Fassaden für uns vor. Oder die hochwertigen Versiegelungen, die dafür da sind, um den Lack vor UV zu schützen.
Gibt es auch Auseinandersetzungen, gerade weil Ihr so viele Gründer seid?
Es gibt mal Meinungsverschiedenheiten, aber dafür, dass wir das seit zehn Jahren machen, hatten wir erstaunlich wenig Probleme. Wir waren auch vorher schon Freunde und kennen uns alle aus der Graffitiszene. Es gab nie finanzielle oder kreative Differenzen. Man diskutiert, aber es wird immer eine Lösung gefunden.
Wie reagieren neue Freunde oder Bekannte, wenn Du ihnen von Deiner Arbeit erzählst?
Sehr unterschiedlich. Es hängt damit zusammen, ob derjenige offen für so etwas ist. Für manche ist das kein richtiger Job. Für uns war das auch nie der erste Berufswunsch, es hat sich einfach so entwickelt. Aber grundsätzlich ist das Interesse da.
Hast Du einen Lieblingssprayer?
Sicherlich, aber mittlerweile sind es so viele, dass ich keinen konkret nennen kann.
Graffiti wird vor allem von Jugendlichen als sehr cool empfunden. Was würde Dein jüngeres Ich von Deinem jetzigen halten?
Ich bin ziemlich jung geblieben. Mein jüngeres Ich würde das sicher cool finden. Es ist Selbstverwirklichung, einfach unser ›Baby‹. Wir sind unsere eigenen Chefs und das Ganze ist kreativ. Graffiti bricht auch die Mauer zwischen Jugendlichen und uns. Sobald sie eine Sprühdose sehen, sind sie Feuer und Flamme.
Wie würdest Du jemanden überzeugen, der Graffiti nur als puren Vandalismus sieht?
Jeder sieht das anders. Für einige ist es Vandalismus, für andere nicht. Es gibt so viele verschiedene Arten und Antriebe, Graffiti zu sprühen. Einige wollen kreativ sein, andere machen es illegal, weil sie den Adrenalinkick brauchen. Für viele ist es ein Gruppenevent, eine Art Zugehörigkeitsgefühl.
Wie lange macht Ihr das schon?
Sprühen? Schon seit zwanzig Jahren. Beruflich seit zehn Jahren. Es hatte für uns immer einen hohen Stellenwert, weil es viel Zeit und Hingabe braucht. Manche von uns haben nach der Schule eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen. Anfangs machten wir das neben dem Studium, es entwickelte sich immer mehr zum Hauptberuf. Mittlerweile ist es viel Job, weniger Hobby. Kreative Köpfe wollen keinen monotonen Job machen.
»Wir kriegen ständig nur Lob, das ist schon ein wenig beängstigend.«
Wie habt Ihr Euch publik gemacht?
Das ging im Bekanntenkreis los, da gab es die ersten kleinen Aufträge. Schnell kamen die ersten großen Firmen. Heutzutage soll alles individueller und auffallender sein. Ich glaube, da ist es genau das Richtige, sich von anderen abzuheben und sich individueller darzustellen.
Durch die Medien kann man gut seine Kunst rausbringen. Habt Ihr auch schon mal daran gedacht, das für Strichcode zu machen?
Die Nutzung sozialer Medien, wie Facebook und Instagram, ist für uns sehr wichtig. Am besten ist aber immer noch die Arbeit im öffentlichen Raum, darauf erhält man die meiste Resonanz.
Wenn man Euer Strichcode-Logo durch einen Scanner zieht, welches Produkt würde rauskommen?
Das haben schon viele gefragt. Meines Wissens kommt da gar nichts raus, weil es nicht gültig ist. Aber wir hatten schon mal die Idee, das zu benutzen, so als Scan.
Magdeburg in drei Worten?
Viel Potenzial. Wird zu wenig genutzt. Hat Zukunft.
Juli 2017
Interview aus INTER.VISTA 5
Vista.Schon?
Der 1980 geborene Gordon Motsch studierte nach dem Schulabschluss Design. Mit ihrer Kunst verschönerten er und seine Mitglieder von Strichcode unter anderem die Giebelwand einer Wohnbau-Genossenschaft in der Lumumbastraße. Seitdem werden Fahrer, die nach oder aus Magdeburg fahren, von einem jungen Mädchen auf einer Schaukel sitzend, begrüßt.
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