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Dirk Klocke

Die Monokultur Magdeburgs ist Techno. Doch es gibt natürlich auch Leute, die nach mehr Vielfalt streben. Einer von ihnen ist Dirk Klocke. Er ist nicht nur Geschäftsführer des Szeneladens Sub-Kultur, sondern auch noch Veranstalter der Rockhouse-Partys und des Summer Shelter Festivals. Inter.Vista sprach mit ihm über Rockabillys und die kulturellen Möglichkeiten die Magdeburg hat.

Interview und Fotos: Paul Schulz

Für wen ist Ihr Geschäft Sub-Kultur gedacht?
Für jeden, der sich ein bisschen mit Mode befasst und einen eigenen Stil kreieren will. Wir haben als richtiger Szeneladen für Gothic, Punk und Rockabilly angefangen. Davon sind wir ein bisschen abgekommen und haben noch Vintage-Mode dazugenommen, weil wir glauben, dass es viele Stile gibt, die man bedienen kann und die auch mit den modernen Sachen kombinierbar sind. Mittlerweile gibt uns da auch der Erfolg und die große Kundschaft Recht. Die Leute wollen immer mehr ausprobieren und einen Stil kreieren, der abseits von ›Einkaufs-Malls‹ ist.

Wie kam es zur Gründung des Ladens?
Das ist eine abgefahrene Geschichte. Wir haben zuvor einen Laden in Sudenburg betrieben. Als wir 2010 in die Innenstadt gezogen sind, haben wir daraus einen Mittelalter-Laden kreiert. Mit dem Konzept Schwarze Hexe haben wir Gothic-Klamotten ins Sortiment genommen und das war relativ erfolgreich. Später haben wir das Sortiment immer mehr ausgebaut und auf einmal hing ein gepunktetes Petticoat-Kleid mit drin. (lacht) Das war ein starker Stilbruch. Eine Tunika aus dem 13. Jahrhundert neben diesem Petticoat-Kleid – das ging nicht. Da der Laden auch so enorm voll war, haben wir uns etwas Neues gesucht. Da kam uns gerade recht, dass hier der Fahrradladen ausgezogen ist. Bei der großen Fläche war das natürlich ein großes Wagnis. Die Szeneläden, die wir aus Berlin, Leipzig oder Hamburg kennen, sind relativ überschaubar. Also haben wir uns zum Ziel gesetzt, jede Szene anzusprechen. Wir sind offener geworden, aber wir würden keinen Mainstream bedienen. Es soll tragbar, aber gleichzeitig auch etwas Eigenes sein.

Inter.Vista, Dirk Klocke, Foto: Paul Schulz

Inter.Vista, Dirk Klocke, Foto: Paul Schulz

Welche Startschwierigkeiten gab es?
Ich sage es mal so: Magdeburg war zunächst etwas stur. Wir hatten am Anfang wirklich nur Leute aus Braunschweig, Stendal, Wernigerode, Genthin – ein Zirkelschlag von 60 oder 70 Kilometern. Die haben das Ding am Leben gehalten. Magdeburger waren so gut wie gar nicht im Laden. Wir haben versucht, die Szenen zu unterstützen. Bei den einen hat es geklappt, bei den anderen weniger. Am Ende haben wir es aber geschafft, dass wir unseren Stil hier unterbringen und auch viele Leute gefunden haben, die das cool finden. Subkulturen zeichnen sich ja dadurch aus, dass es kleinere Gruppen sind.

War ein breiteres Spektrum im Sortiment notwendig, damit sich der Laden über Wasser hält?
Das ist schwer zu sagen. Es war uns wichtiger, mehr Leute zu erreichen und bestimmte Stile zu kombinieren. Das macht es interessanter. Sonst bekommt man einen Museums-Charakter. Als Rockabilly-Laden dürften wir nur Sachen aus den Fünfzigern haben. Bei Gothic müsste alles in schwarz sein. Das war uns zu engstirnig. Gerade beim Rock ’n’ Roll gibt es so viele Tendenzen und Entwicklungen. Vom klassischen Rock ’n’ Roll, Rockabilly, über Punkrock, über Neo-Rockabilly – das sind alles neue Stile. Das ist aber auch gut so. Nur wenn neuer Input kommt, hält sich eine Szene.

Welche Altersgruppe sprecht Ihr an?
Wir decken von 18 bis Mitte 60 alle Leute ab. Ich würde mich nicht festlegen, was diegrößte Zielgruppe bei uns ist. Komplett querbeet. Die einen denken beim Petticoat vielleicht an die eigene Jugend. Bei anderen steht die Jugend erst noch bevor. Zum Beispiel haben wir letztes Jahr viel für Jugendweihen gemacht und die Leute in Petticoats gezwängt. (lacht)

Sie sind ja Geschäftsführer, aber ich habe Sie auch schon an der Kasse gesehen. Also sind Sie im Tagesgeschäft noch voll involviert?
Nee, nee. Ich scheiße früh morgens alle Mitarbeiter zusammen, fahr dann nach Hause und kassiere abends wieder ab. (lacht) Wir haben eine relativ flache Hierarchie und das hat Vor- und Nachteile. Ich denke jedoch, dass die Vorteile überwiegen. Wir machen auch dienstagabends bei einem Bierchen unsere Teamsitzung. Man kann alles auf persönlicher Ebene klären. Am Ende muss eigentlich jeder alles können. Das ist ganz wichtig für uns, da wir uns vom Internet abheben wollen. Um das tun zu können, muss jeder die Kunden beraten können. In jeder Situation und über jedes Produkt. Das ist überlebenswichtig.

»Magdeburg war zunächst etwas stur.«

Bleibt dabei noch Zeit für die Familie?
Das ist immer schwierig. Im letzten Jahr ist urplötzlich mein Vater verstorben und dadurch habe ich noch eine Firma an den Hacken. Ich habe eine Frau und zwei Kinder und es ist nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bringen. Mittlerweile können wir damit aber ganz gut umgehen und nehmen uns Auszeiten außerhalb des Standard-Wochenendes. Dann verschiebt man das Wochenende einfach mal auf Montag und Dienstag. Durch den Todesfall wurde mir auch erst richtig bewusst, wie begrenzt die Lebenszeit ist. Man weiß nie, wann es zu Ende ist. Deswegen sollte man im Hier und Jetzt leben.

Wo haben Sie ihre Frau kennengelernt?
Ganz bieder über ein Internetportal. Wir haben festgestellt, dass wir ähnlich ticken, aber zum Glück andere Charaktere haben. Sie ist ruhiger und besonnener und ich bin eher impulsiv aber auch kreativ. Wir können uns für viele Sachen begeistern. Zum Beispiel für das Mittelalter. Einerseits auf Burg Falkenstein fahren, uns komplett einkleiden und mit Rüstung hochklappern. Andererseits auch mal Tanzen auf einer Rockabilly-Veranstaltung.

Apropos Rockabilly: Sie veranstalten das Summer Shelter Festival in Heyrothsberge. Wie kamen Sie dazu, so etwas ins Leben zu rufen?
Die Idee kam daher, dass wir versuchten, die verschiedenen Szenen zu unterstützen. Es gibt ja auch die Rockhouse-Partys, zum Beispiel im AMO oder im Gesellschaftshaus. Wir wollten dann auch ein Festival in Magdeburg machen und haben auch erst hier vor Ort nach Möglichkeiten geschaut. Das war nicht sehr erfolgreich. Die Strukturen mit dem Ordnungsamt sind so verkrustet, dass ich sehr stark bezweifle, dass Magdeburg jemals Kulturhauptstadt wird. Deswegen findet die Veranstaltung in Heyrothsberge statt. Da ist ein anderes Ordnungsamt zuständig und selbst der Bürgermeister dort war froh, dass in seinem Ort etwas stattfindet. Die Idee ist auch, die Szenen selber aufzubauen. Den Bedarf an diesen Klamotten selbst zu schaffen. In Magdeburg gibt es mit Techno nur eine Monokultur. Das ist schon sehr erstaunlich. Ich war neulich in Glasgow. Wahnsinn, was dort für eine Vielfalt herrscht. Was für stilvolle, coole, nette, freundliche Menschen. Im Vergleich dazu ist es hier schon ein hartes Brot. Aber es wird besser. Andere Leute fühlen sich auch berufen, etwas zu ändern. Einmal im Monat gibt es eine Tanzveranstaltung namens Record Hop. Außerdem findet jeden Montag etwas beim Swingkollektiv statt. Es wird immer mehr. Das ist eine schöne Bereicherung. Selbst den Bedarf zu schaffen ist auch ganz praktisch.

Vor so einem Festival kaufen die Leute wahrscheinlich auch lieber etwas.
Natürlich. Es gibt ja auch viele Leute, die das interessiert und die gerne in der passenden Kleidung dorthin kommen möchten. Aber im Alltag möchten sie eben nicht so herumlaufen. Das ist ja auch legitim. Wir freuen uns immer, wenn jemand unseren Stil adaptiert. Aber wir wollen keinen bekehren. Wenn die Leute sich vielleicht nur am Wochenende so kleiden, ist das doch okay. Ich kann auch die Szene nicht ganz verstehen, die das dann als ›Wochenend-Rock ’n’ Roller‹ betitelt. So etwas muss es auch geben und das muss auch akzeptiert werden.

Seit wann gibt es denn die Rockhouse-Partys und das Summer Shelter Festival?
Die Rockhouse-Party fand das erste Mal 2013, direkt nach dem Hochwasser, in der Württemberg statt. Das Ding stand leider auch komplett unter Wasser und es musste alles herausgerissen werden. Wir haben dann eine Bar und eine Tanzfläche eingebaut und die Magdeburger Rockkapelle Sweet Kings eingeladen. Das kleine Ding war ganz gut gefüllt. Das Summer Shelter Festival gibt es seit 2014. Beim ersten Mal hatten wir super Wetter, und die anderen beiden Male richtig Pech. Das ist immer sehr ärgerlich. Deswegen wollten wir es jetzt auch in Rainy Shelter umbenennen. (lacht) Aber Spaß beiseite. Wir bauen es weiter aus und an der Resonanz merken wir, wie viele Leute das mittlerweile interessiert. Die kommen aus Gera, Rostock, Hannover – fantastisch! Man sieht, dass es einen riesigen Bedarf und eine Szene gibt, die das annimmt. Die Zahlen haben bisher noch nicht richtig gestimmt, da wir durch die Unwetter natürlich viele Tagesgäste verloren haben. Aber es wird jedes Jahr größer und bekannter.

Wie weit ist die Planung für nächstes Jahr?
Die Planung ist eigentlich schon abgeschlossen. Bands und Showacts haben wir schon. Eine Burlesque-Show wird es ebenfalls geben. Im Großen und Ganzen sind nur noch Details zu klären. Man hört schon, dass die Organisation eines solchen Festivals viel Aufwand erfordert.

Gibt es etwas, was besonders anstrengend ist?
Ganz ehrlich: Ein Festival zu organisieren ist ein Hammer! Das erste Mal nach dem Summer Shelter bin ich allein für eine Woche an die Ostsee gefahren und habe mich an den Strand gepackt. Ich wollte nichts mehr sehen und hören. Vor allem meinen Klingelton hatte ich satt. Jeder Künstler muss einzeln untergebracht und verpflegt werden. Jeder von ihnen hat eigene Befindlichkeiten, wie die Musik zu funktionieren hat. Es muss ein Kinderprogramm her und es müssen Sponsoren angesprochen werden – dabei gibt es so viel zu planen und zu beachten. Das habe ich am Anfang alles allein gemacht, aber mittlerweile hat jeder Kollege einen kleinen Bereich und ich werde unterstützt. Am Ende kommt noch unfairerweise die GEMA und kassiert den letzten Rest an Geld ab. Das ist unfassbar, wie so eine Krake in Deutschland funktionieren und existieren darf.

Welchen Nutzen hat das Summer Shelter Festival für Magdeburg?
Wir hören recht häufig das Lob, dass wir hier die Szenen zusammengeführt haben. Und ich denke, dass es die Stadt nur beleben kann. Es gibt noch tausend andere Sachen und viele andere Musikrichtungen, für die man was machen kann und ich hoffe, dass sich dafür auch Leute finden, sodass man aus dieser Monokultur rauskommt. Das schafft man aber nur, wenn man nicht andauernd vom Ordnungsamt behindert wird. Zum Beispiel mit Auflagen, wenn es irgendwo mal ein bisschen lauter ist. Und wenn die Stadt jedem Bürgereinwand recht gibt, weil jemand bei offenem Fenster nicht mehr schlafen kann, wird das hier sehr schwer.

Inter.Vista, Dirk Klocke, Foto: Paul Schulz

Inter.Vista, Dirk Klocke, Foto: Paul Schulz

Sie haben schon erwähnt, dass Sie in Glasgow oder an der Ostsee waren. Reisen Sie viel in Ihrer Freizeit?
Ja, mittlerweile wieder. Ich war mal ein ganz großer Reisemuffel. Ich habe Anfang der Neunziger beim Jugendverband ganz viele Jugendreisen organisiert und war immer unterwegs. Ich war in Ländern wie Frankreich, Spanien oder Ungarn. Meine damalige Freundin wollte auch immer noch reisen und fliegen und ich war einfach froh, wenn ich mal zuhause war. (lacht) Die nächsten Jahre hatte ich dann einfach gar keinen Bock mehr, zu verreisen. Höchstens mal zur Ostsee. Aber inzwischen kann es auch mal wieder weiter weg gehen. Wenn es ganz besonders gut läuft, würde ich auch gerne mal vier oder fünf Wochen ausspannen und um die Welt reisen. So in 80 Tagen. (lacht) Das wäre cool. Man muss das auch machen. Das Leben ist einfach begrenzt. Es nützt nichts, immer nur zu malochen. Man muss das Geld auch ausgeben und genießen.

Sind Sie gebürtiger Magdeburger?
Ja. Ich wohne auch in der Nähe von meinem Geburtsort. Wir haben uns jetzt ein Mehrfamilienhaus gekauft und wohnen mit mehreren Leuten zusammen. Die sind auch schon sehr gute Freunde von uns geworden. Ich würde jetzt nicht sagen, dass es eine Kommune ist. Das klingt so hippiemäßig. Wir haben ein bisschen Land drumherum und eine Art Pavillon, wo wir zusammen grillen. Das ist sehr witzig.

Eine Kombination aus Rocker- und Familienidylle.
Genau.

Würden Sie sich selbst auch als Rockabilly bezeichnen?
Rockabilly ist das, was ich machen will. Der Kleidungsstil und natürlich auch die Musik und die tollen Autos. Ich liebe diese fünfziger Jahre. Ich bin da auch ein bisschen museal angehaucht. Ansonsten versuche ich einfach, das zu machen, wonach mir der Sinn steht. 

»Es nützt nichts, immer nur zu malochen. Man muss das Geld auch ausgeben und genießen.«

Fahren Sie denn ein außergewöhnliches Auto? Einen Oldtimer oder einen amerikanischen Wagen?
Nein, aber ich fahre ein tolles Fahrrad! Ich habe mir selbst ein Chopper-Fahrrad gebaut. Samt Tank von einer alten Herkules. Batterie und Antrieb sind eingebaut, also im Grunde ein E-Bike, aber eben selbst gebaut. Das ist sehr cool und macht echt Spaß. Aber für Motoren und so hatte ich noch kein Interesse. Wenn man einen gut erhaltenen und funktionierenden Wagen will, braucht man entweder ganz viel Geld oder muss schrauben können.

Und was ist musikalisch nach ihrem Geschmack?
Eine richtige Lieblingsband habe ich nicht. Ich mag die Fifty-Songs und war früher auch Elvis-Fan. Mittlerweile habe ich gute Neo-Rockabilly-Kapellen entdeckt, die eine gute Mischung aus Punk und Rockabilly sind.

Meine letzte Frage bezieht sich noch einmal auf Magdeburg. Was fehlt der Stadt?
Ich glaube, es fehlen so 100.000 Einwohner. Mit mehr Einwohnern und Zuzug von kulturellen Kräften kommen neue Ideen in die Stadt. Wir brauchen Menschen, die sich nicht gleich unterkriegen lassen und diese festgefahrenen Strukturen etwas aufbrechen. Das würde die Stadt unheimlich bereichern. Und Menschen, die andere animieren, mal ein bisschen offener zu sein. Alles andere kommt dann von selbst.

November 2016
Interview aus INTER.VISTA 3

Vista.schon?
Dirk Klocke, Jahrgang 1970, ist seit April 2013 Geschäftsführer des Szeneladens Sub-Kultur in Magdeburg und Veranstalter der Rockhouse-Partys und des Summer Shelter Festivals. Eigentlich ist er gelernter Koch, hat aber auch schon als Monteur und Bildungsreferent gearbeitet. Anschließend schlug er den Weg in die Selbstständigkeit ein. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist der ruhige und leicht erreichbare Stadtpark und als Ausgleich zur Arbeit geht er gerne mit seiner Frau tanzen. Die Domstadt in drei Worten beschreibt er als grün, ein bisschen engstirnig und lebenswert.

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