Posted by on

Franziska Hentke

Seit 1996 ist der Schwimmsport nicht mehr aus dem Leben von Franziska Hentke wegzudenken. Von der sogenannten »Traningsweltmeisterin« schaffte die 26-Jährige kürzlich den Sprung auf das Siegertreppchen bei der Kurzbahneuropameisterschaft in Israel. Für ihre Paradedisziplin, 200 Meter Schmetterling, trainiert sie täglich in der Elbeschwimmhalle in Magdeburg. Mit Inter.Vista sprach sie über ihr Leben als Profisportlerin, Erfolgsdruck und das große Ziel, an den Olympischen Spielen in Rio teilzunehmen.

Interview und Fotos: Maria Bachmann

Franziska, wo hängt Deine EM-Goldmedaille jetzt?
Meine Eltern schenkten mir vor zwei Jahren zu Weihnachten einen Medaillenrahmen und darin hängen alle meine wichtigen Medaillen. Dort hat auch die goldene einen Platz gefunden.  

Wie sehen die letzten fünf Minuten vor einem Wettkampf aus?
International muss man 20 Minuten vor Beginn des Wettkampfes in einem »Callroom« sein. Dort werden der Anzug und auch die Badekappe gecheckt. Dann erwärmst du dich noch einmal, konzentrierst dich, gehst das Rennen durch. Eigentlich macht jeder eher sein eigenes Ding. Bei den Männern ist das ein wenig anders, glaube ich. Da ist der Konkurrenzkampf stärker. Aber bei den Frauen, zumindest auf meiner Strecke, ist jeder für sich. Viele hören auch Musik vor einem Wettkampf. Das kann ich gar nicht. Das macht mich total verrückt.

Wie sieht ein ganz normaler Tag bei Dir aus?
Ich stehe um 5.50 Uhr auf und bin schon um halb sieben am Beckenrand. Anschließend beginnen wir mit einer halben Stunde Erwärmung. Von 7 bis 9 Uhr gehen wir ins Wasser. Danach folgen 20 Minuten Nachbereitung, also Lockerung und Ausdehnen. Von da an habe ich bis ungefähr 15 Uhr Freizeit. Währenddessen habe ich Massagen, Sponsorentermine oder psychologische Termine. Danach geht es weiter mit Krafttraining, bis es um 17 Uhr noch einmal für zwei Stunden ins Wasser geht. Abschließend wieder Nachbereitung und dann ist es auch schon halb acht. Danach gehe ich nach Hause, esse, sehe fern und schlafe.

Inter.Vista, Franziska Hentke: Europameisterin im Schwimmen, Foto: Maria Bachmann

Inter.Vista, Franziska Hentke: Europameisterin im Schwimmen, Foto: Maria Bachmann

Bleibt da trotzdem noch Zeit für Hobbys?
So viel Zeit bleibt nicht, weil ich die Zeit hauptsächlich zum Regenerieren nutze. Ich liege dann auf dem Sofa und tue nichts. Ich schlafe viel. Mein Freundeskreis ist fast ausschließlich auf den Kreis meiner Trainingsgruppe beschränkt. Da sind auch viele Schüler und Studenten dabei. Am Wochenende gehen wir gerne mal ins Kino. 

Wie motivierst Du Dich jeden Tag, um zu trainieren?
Ich arbeite jedes Jahr auf den Höhepunkt hin. Letztes Jahr war es die WM in Kasan, davor die EM in Berlin und dieses Jahr sind es die Olympischen Spiele. Das habe ich jeden Tag vor Augen. Ich habe auch seit zwei Monaten »Rio 2016« auf meinem Auto stehen. Damit komme ich um diesen Gedanken gar nicht mehr herum. 

Du weißt schon, dass Du fährst?
Die eigentliche Qualifikation ist im Mai bei den Deutschen Meisterschaften. Ich bin seit diesem Jahr im Eliteteam des deutschen Schwimmerverbands. Wir sind insgesamt drei Schwimmer: Paul Biedermann, Marco Koch und ich. In diesem Team zu sein ist die erste Qualifikationshürde. Danach müssen wir im Juli bei einem Überprüfungswettkampf noch einmal unsere Zeit bestätigen. Es steht eigentlich erst im Juli fest, ob wir bei Olympischen Spielen starten dürfen.  

Wie gehst Du mit der Aufregung vor großen Wettkämpfen um?
Für solche Momente ist auch die psychologische Betreuung da. Vor großen Wettkämpfen arbeite ich intensiver mit meiner Psychologin zusammen. Wenn ich an die Olympischen Spiele denke, ist die Aufregung wahrscheinlich anders als beispielsweise bei einer Weltmeisterschaft. Man muss versuchen, das mit Routine zu überdecken. Wenn man bei großen Wettkämpfen schon oft gestartet ist, weiß man, was auf einen zukommt. Aber wie es bei den Olympischen Spielen ist, kann ich leider noch nicht sagen (lacht).

»Erfolge lassen mich das harte Training vergessen.«

Du hast die Medaillen bei der WM knapp verpasst. Wie bist Du damit umgegangen?
Ich bin zur WM gefahren mit einer Weltjahresbestzeit und dem deutschen Rekord. Ich hatte einen gewissen Anspruch und habe mir selbst Druck gemacht. Ich wusste, dass eine Medaille möglich gewesen wäre. Der größte Druck kam aber eher von außen. Ich kam wie Phönix aus der Asche. Auf meiner Strecke schwimme ich schon immer vorn, aber die Zeiten waren nie so, dass es international zu irgendetwas gereicht hat. Plötzlich war ich da. Ich bin Bestzeiten geschwommen, war eine Medaillenhoffnung für Deutschland. Das war schon ungewohnt. Vorher wirst du nie beachtet und plötzlich will jeder etwas von dir. Mir war bewusst, dass ich nicht die Trainingsform wie zu Zeiten des Deutschen Rekords hatte. Das hat mich verunsichert. Ich glaube, das ist mir letztes Jahr bei der WM ein bisschen auf die Füße gefallen. Das letzte Stück, was fehlte, war Kopfsache. Im ersten Moment war es eine riesige Enttäuschung. Nach ein paar Tagen habe ich mich trotzdem gefreut. Mein Saisonziel war es, bei der WM das Finale zu erreichen. Das habe ich geschafft. Daher kann ich sagen, dass ein vierter Platz in der Weltrangliste auch nicht so schlecht ist (lacht). Meine Weltjahresbestzeit bestand immer noch. 

Gibt es Tage, an denen Du keine Lust hast, ins Wasser zu gehen?
Ja. Die sollten natürlich nicht zu oft vorkommen. Gerade im Moment ist es manchmal qualvoll. Das sind Tage, an denen ich einfach kaputt bin. Aber dann denke ich an mein Ziel in Rio. Das motiviert mich, weiter zu trainieren. Erfolge lassen mich das harte Training vergessen. Für Deine Wettkämpfe reist Du durch die Welt. 

Welcher Ort war für Dich am beeindruckendsten?
Ich war drei Mal beim Weltcup in Singapur. Da würde ich gerne noch einmal hinreisen. Denn während der Wettkämpfe sieht man einfach nicht viel von der Stadt. Wir fahren vom Hotel zur Halle und wieder zurück. Da ist keine Zeit für Sightseeing. Der Wettkampf steht im Fokus und wenn dieser Sonntagabend zu Ende ist, geht es auch gleich zurück nach Deutschland. Daher bekommt man von den Ländern und Städten, die wir besuchen, leider nicht viel mit.

Bleibt trotz des Trainings und der Wettkämpfe noch Zeit für Urlaub?
Ich bin bei der Bundeswehr angestellt und da haben wir ganz normale Urlaubstage. Aber in den letzten 365 Tagen habe ich nicht einen davon genommen. Im Normalfall haben wir nach dem Höhepunkt im Sommer drei Wochen Pause. Da jedoch meine Entwicklung in den letzten Jahren so gut war, dass es realistisch ist, in Rio eine Medaille zu gewinnen, trainiere ich seit Sommer 2014 durchgängig. Mein letzter Urlaub war eine Kreuzfahrt über Helsinki, Tallinn, Stockholm und St. Petersburg mit meiner Mutti. 

Denkst Du schon manchmal an die Schwimmer-Rente? 
Das ist eine schwierige Frage. Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist. Aber momentan kann ich mir das nicht vorstellen. Sollte ich wirklich in Rio Gold gewinnen, könnte ich vielleicht sagen, dass ich aufhöre. Aber bei jeder anderen Platzierung würde ich das nicht tun. Im nächsten Jahr ist wieder eine Weltmeisterschaft. Diese Medaille hätte ich ganz gern. Nach meiner Schwimmer-Karriere könnte ich theoretisch bei der Bundeswehr weiterarbeiten.  

»Jeder quält sich, jeder hat Niederlagen, jeder hat Erfolge.«

Gibt es für Dich die Option, als Trainerin zu arbeiten?
Nein, nicht unbedingt. Schwimmen ist eine der härtesten Sportarten überhaupt. Ich könnte nie jemanden so quälen, wie ich jetzt gequält werde. Es ist vielleicht übertrieben, aber ich weiß einfach, wie scheißhart das ist. Ich könnte das anderen Leuten nicht zumuten. 

Mit welcher Trainermentalität kommst Du denn am besten klar?
Ich hatte schon jede Art, von tiefenentspannt bis total überdreht. Eine Mischung aus beiden ist ganz gut. Es ist schwierig, einen Trainer zu haben, der nichts macht, nur herumsitzt und keine Emotionen zeigt. Er muss Motivation und Anspannung vermitteln. Andererseits will ich keinen Trainer haben, der nur dasteht und schreit. Ich hasse es, mit meinem Trainer Stress zu haben. Dann fühle ich mich nicht wohl. Meistens hat man Streit und am nächsten Tag ist alles wieder gut. Oftmals ist es dann so, dass ich mich schuldig fühle, obwohl ich hundertprozentig weiß, dass ich nicht schuld bin. Da habe ich ein ungutes Gefühl.  

Würdest Du heute noch einmal zu einem »normalen« Job wechseln wollen?
Ich habe eine Ausbildung zur Bürokauffrau bei envia.M gemacht. Aber in diesem Beruf will ich nicht arbeiten. Nach der Schule brauchte ich etwas, um weiter schwimmen zu können. Das konnte ich mit dem Beruf ganz gut vereinbaren: Morgens trainieren, dann zur Arbeit und danach wieder zum Training fahren. In der allergrößten Not würde ich auch wieder zu diesem Beruf zurückkehren. Aber nicht ein Leben lang.

Inter.Vista, Franziska Hentke: Europameisterin im Schwimmen, Foto: Maria Bachmann

Inter.Vista, Franziska Hentke: Europameisterin im Schwimmen, Foto: Maria Bachmann

Gehörst Du schon zur Magdeburger Prominenz und wirst auf der Straße angesprochen?
Seit der WM wurde es mehr. Aber viele trauen sich nicht, mich anzusprechen. Ich merke aber, dass die Leute gucken und sich umdrehen. Ich muss lernen, mit diesem Gefühl umzugehen. Auch ich selbst war immer sportbegeistert und habe im Fernsehen den Wintersport verfolgt. Ich fragte mich damals schon, wie es sein muss, so präsent zu sein. Ich war in den Medien noch nicht so häufig zu sehen, dass mich jeder kennen müsste. Aber es gibt auch Menschen, die erzählen mir gleich ihre Lebensgeschichte. Ich stehe dann da und habe das Gefühl, ich müsste sie kennen. Das ist zwar schön, aber auch sehr ungewohnt.

Welche Reporterfragen nerven am meisten?
»Woran hat es denn gelegen?« – diese Frage hasse ich. So wie bei der Weltmeisterschaft: Ich kam aus dem Wasser, war enttäuscht, völlig außer Atem und die erste Frage des Reporters war: »Woran lag es denn?« Ich hatte das Rennen nicht gesehen und konnte doch nicht ad hoc sagen, woran es lag. Selbst als Zweitplatzierte muss ich mich rechtfertigen und entschuldigen, dass es nicht für Gold gereicht hat. Daran sieht man, dass eigentlich nur Medaillen zählen. 

Welches Buch liest Du im Moment?
28 Tage. Ich muss sagen, ich bin eigentlich nicht sehr geschichtsinteressiert, aber das Buch hat mich gepackt. Es spielt in Polen während des Zweiten Weltkriegs und thematisiert die Anschläge und Schmuggeleien. Wenn ich ein Buch lese, dann ist es oft eines aus den Bestsellerlisten. Das war ein Spiegel-Bestseller. Ich lese aber auch Biografien, meistens von Sportlern. Die Biografien halfen mir, mit dem plötzlichen Erfolg umzugehen. Ich war gepackt von der Biografie von Matthias Steiner. Zum Beispiel die Geschichte vom Tod seiner Frau vor den Olympischen Spielen hat mich berührt. Aber letztendlich sind alle Sportlerbiografien gleich. Jeder quält sich, jeder hat Niederlagen, jeder hat Erfolg.

Interview aus INTER.VISTA 1

 

Vista.schon?
Franziska Hentke ist 1989 geboren. Seit 2009 trainiert die ausgebildete Bürokauffrau beim SCM in Magdeburg und gehört zur Schwimmelite Deutschlands. Im Dezember 2015 wurde sie Europameisterin über 200 Meter Schmetterling. Ihr nächstes großes Ziel ist eine Platzierung bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen