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Phil Hubbe

Phil Hubbe zeichnet Behinderten-Cartoons. Er ist selbst an Multiple Sklerose erkrankt. Inter.Vista erzählt er, wie es dazu kam, wie er auf seine Krankheit zum ersten Mal aufmerksam wurde und warum das Leben in Magdeburg zur Rallye werden kann.

Interview von Max-Richard Finger und Lukas van den Brink 

Wie ist der Künstlername Phil zustande gekommen?
Ich habe früher immer mit Phil unterschrieben. Etabliert hat sich der Name durch meinen Verleger, als mein erstes Buch 2004 vom Lappan-Verlag veröffentlicht wurde. Sie meinten es klinge besser als Philipp. Dabei ist es dann auch letztendlich geblieben.

Wir haben online nur wenige Interviews von Ihnen gefunden. Wirkt die offene Art mit Behinderungen umzugehen abschreckend?
In meiner Branche ist die Nachfrage nicht allzu groß. Dennoch kann ich das so nicht bestätigen. Ich bin eigentlich recht gut vertreten. Aber das mag auch am Thema liegen. Das ist sehr speziell und hat einen Tabucharakter.

Auf Ihrer Webseite steht, dass Sie Freunde dazu ermutigt haben, sich dem Thema Menschen mit Behinderung in Ihren Karikaturen zu widmen. Hat Ihnen selbst der Mut dazu gefehlt?
Als ich 1992 anfing als freiberuflicher Zeichner zu arbeiten, habe ich mich mit dem Thema gar nicht beschäftigt. Der Auslöser war um die Jahrtausendwende, als ich auf Cartoons des US-Amerikaners John Callahan aufmerksam wurde. Er hat Behinderten-Cartoons veröffentlicht und bekam deshalb viele böse Leserbriefe. Niemand wusste, dass er im Rollstuhl sitzt. Salopp gesagt: Er ist im Suff gegen einen Brückenpfeiler gefahren. Er konnte danach nur noch die Hände bewegen. Seine Arbeit hat mir sehr gut gefallen. Ich dachte mir, dass ich auch an dem Thema arbeiten könnte. Freunde und Bekannte haben mich dazu ermutigt. Anfangs hatte ich Hemmungen, Witze über Handicaps zu machen. Deshalb habe ich meine ersten Werke anderen Menschen mit Behinderung gezeigt. Menschen die mich nicht kannten, die Sache unbefangen betrachteten. Sie waren durchweg begeistert, schickten mir Themen-Ideen. Das überzeugte mich weiter zu machen.

Zum einen ist es also noch ein Tabuthema. Zum anderen in Ihrem Fall eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Warum?
Es hat eine Weile gedauert. Als ich meine ersten Behinderten-Cartoons bei den beiden großen deutschen Satirezeitschriften, Titanic und Eulenspiegel einreichte, handelte ich mir zwei Absagen ein. Beide Verlage hatten damals zu großen Respekt vor dem Thema Behinderung. Die Redaktion der Titanic fuhr damals einen anderen stilistischen Zug und argumentierte noch zusätzlich damit. Zur damaligen Zeit wurden solche Cartoons als verwerflich betrachtet. Auch heute ist es noch so, dass meine Zeichnungen immer mit einer Infobox oder Ähnlichem erscheinen, wo erläutert wird,wer ich bin und was ich mache. Dennoch bemerke ich einen extremen Wandel, wenn ich daran denke, dass ich beispielsweise für Aktion Mensch eine Plakatkampagne gestaltet habe. Langsam merken die Behinderten­verbände, dass die Zeichnungen auch von vielen Behinderten genutzt werden und sie sich dadurch nicht angegriffen fühlen.

»Ich bin Linkshänder, von daher.«

Auf Ihrer Webseite ist in einem Gästebucheintrag zu lesen, dass ihre Comics in ein Seminar für das Lehramt eingebaut werden. Sehen Sie in Ihrer Tätigkeit als Illustrator einen Bildungsauftrag?
Das ist mir zu hochtrabend. Mittlerweile vielleicht schon, aber das ist einfach dem Thema geschuldet. Anfangs ging es mir lediglich um Unterhaltung. Zwischenzeitlich habe ich überlegt, einen pädagogischen Zeigefinger einzubauen. Aber das geht nicht. Wenn man so an einen Cartoon rangeht, läuft etwas falsch. Es sind nun mal meistens Realitäten, die ich zeichne, nur etwas zugespitzt. Ich möchte kein Botschafter sein. Mein Auftrag ist nicht für eine bessere Welt zu kämpfen. Wenn ich dabei helfen kann, okay.

Aber so ein Eintrag macht Sie schon stolz, oder?
Das freut mich natürlich riesig. Oft sind es die kleinen Dinge oder Bemerkungen, die mich stolz machen. Eine Leserin schrieb mir, dass ihr an MS erkrankter Mann nach fünf Jahren wieder das erste Mal lachte, als er meine Cartoons gesehen hat. Das ist für mich die höchste Form der Bestätigung.

»Ich hatte das Gefühl durch eine Milchglasscheibe zu schauen.«

Haben Sie auch schon erfahren, dass sich Menschen durch Ihre Karikaturen angegriffen fühlen?
Das Problem ist, dass sich meistens Leute echauffieren, die gar nicht selbst betroffen sind und auch keine Betroffenen in ihrem Umfeld haben. Die denken, sie müssen sich schützend vor die Behinderten stellen. Das finde ich albern. Viele Behinderte beschweren sich eher über die Tatsache, dass ich ihre Krankheit noch nicht verarbeitet habe. Das bestätigt meine Arbeit. Grundsätzlich habe ich aber ein Problem damit, wenn Leute mir vorschreiben wollen, was ich zu tun habe und was nicht.

Was darf Satire denn nicht und wo beginnt die Grenze zur Polemik?
Für mich ist die Grenze nicht statisch. Allerdings sollte man nur etwas zeichnen, wovon man Ahnung hat. Wenn man nicht in der Materie steckt, sollte man die Finger still halten. Dadurch, dass ich selbst betroffen bin und auch in Behindertenkreisen verkehre, zeichne ich aus erster Hand.

Was macht in Ihren Augen einen Karikaturisten zu einem guten Karikaturisten?
Karikaturen sollten anecken und witzig sein. Mich stören viele Zeichnungen in Tageszeitungen. Man bekommt oftmals das Gefühl bloße Illustrationen von aktuellen Ereignissen zu sehen. Sowas bringt nichts in Gang.

Und was macht einen Karikaturisten erfolgreich?
Wenn seine Zeichnungen veröffentlicht werden. (lacht)

Sie bedienen sich oftmals an Filmtiteln und wandeln diese ab. Unter anderem heißen Werke von Ihnen: Der Stuhl des Manitou, Der letzte Mohikaner und Das Leben des Rainer. Wer ist Rainer?
MS Rainer ist eine meiner ersten Figuren die ich im Zusammenhang mit meiner Krankheit gezeichnet habe. Es ist mein Lieblingscartoon und auch der von vielen MS-Betroffenen. Ich bekam damals Anrufe und wurde gefragt, ob ich dieser Rainer bin. (lacht)

Die Idee mit den Filmtiteln ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Kurz vor der Veröffentlichung des ersten Bandes im Jahr 2004, kam der Film Der Schuh des Manitou in die Kinos. Mein Verleger hatte damals die Idee, den Buchtitel daran anzulehnen. Ich war davon eigentlich nicht überzeugt. Aber es war mein erstes Buch und wollte ihm nicht widersprechen. Der rollstuhlfahrende Häuptling auf dem Cover passt thematisch super.

Welche Person des öffentlichen Lebens karikieren Sie am liebsten?
Einen Favoriten habe ich nicht. Es gibt natürlich Personen, meistens aus der Politik, die hat man einfach drin. Zum Beispiel ist unsere Kanzlerin recht einfach zu zeichnen.

Inter.Vista, Phil Hubbe, Foto: Max-Richard Finger, Lukas van den Brink

Inter.Vista, Phil Hubbe, Foto: Max-Richard Finger, Lukas van den Brink

Sie haben in Ihrer beruflichen Laufbahn einige Umwege genommen. Eine Ausbildung als Wirtschaftskaufmann. Schichtarbeiter in einem Keramikwerk. Abgebrochenes Mathematik-Studium in Magdeburg. Was verbinden Sie mit dieser wechselhaften Zeit?
Ich wollte eigentlich Grafik studieren. Unter anderem habe ich mich an der Burg Giebichenstein in Halle an der Saale für den Studiengang Gebrauchsgrafik beworben. Ich wurde nicht angenommen. Daraufhin habe ich erstmal etwas völlig anderes studiert. Da ich zu meiner Schulzeit nicht schlecht in Mathe war, fiel meine Wahl darauf. Schul- und Studiums-Niveau kann man nicht vergleichen. Das wurde mir schnell klar. Deshalb habe ich das Studium nach einem Semester abgebrochen. Um Geld zu verdienen habe ich in Keramikwerken Schicht gearbeitet.

Sie sind seit 1985 an MS erkrankt. 1988 wurde die Diagnose gestellt. Wie wurden Sie das erste Mal auf Ihre Krankheit aufmerksam?
1986 habe ich meinen Grundwehrdienst in der Nähe von Schwerin geleistet. Ich bekam Schwierigkeiten beim Sehen, hatte das Gefühl durch eine Milchglasscheibe zu schauen. Es stellte sich als eine Sehnerventzündung heraus. Ich hatte auch eine Zahnentzündung. Meist fängt es mit kleinen Wehwehchen an. Dann blieb ich drei Jahre verschont, bekam danach aber einen richtig starken Schub. Ich ließ Dinge fallen. Konnte teilweise nicht laufen. Meine damalige Freundin, jetzige Frau, arbeitete als Krankenschwester und erzählte einer Ärztin von meinen Beschwerden. Sie schickte mich sofort in die Neurologie. Da bekam ich die Diagnose. Ich wusste überhaupt nicht worum es geht. Meine erste Frage an den Arzt war, ob ich denn wieder Fußball spielen könne. Er schaute mich ganz komisch an, riet mir mit dem Zeichnen aufzuhören und lieber wieder Mathe zu studieren. Ich müsse damit klar kommen behindert zu sein. Diese Aussage war nicht gerade erbaulich.

Wie würden Sie das Krankheitsbild einem fünfjährigen Kind erklären? Wie haben Sie es beispielsweise Ihrer Tochter erklärt, als sie ein Kind war?
Ich glaube einem fünfjährigen Kind würde ich es nicht erklären. Das ist vielleicht etwas schwierig. Meine Tochter hat es nach und nach mitbekommen. Immerhin ist sie damit aufgewachsen. Wir haben sie nie beiseite genommen, wie man sich das vielleicht vorstellt. MS ist die Krankheit der 1000 Gesichter. Jedes Krankheitsbild kann unterschiedlich aussehen. Das macht eine allgemeingültige Erklärung kompliziert.

»Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen, dabei meine Krankheit verarbeiten. Es ist eine Art Therapie.«

Welches Gesicht zeigt die Krankheit in Ihrem Fall?
Ich finde ein recht gutes. Man sieht es mir nicht an. Mit den Einschränkungen, die ich habe kann ich leben. Kleinigkeiten, im Vergleich zu anderen MS-Erkrankten.

Welche sind das?
Sport ist tabu. Dazu die chronische Müdigkeit. Ich muss mir meine Zeit genau einteilen. Ich könnte nicht mehr von morgens bis abends im Büro arbeiten. Glücklicherweise arbeite ich von zu Hause aus und kann mir die Pausen nehmen, die ich brauche. Dazu ist meine Feinmotorik in der rechten Hand etwas eingeschränkt. Ich bin Linkshänder, von daher.

Haben Sie durch Ihre Krankheit ein anderes Bild von gesellschaftlichen Umgängen gezeichnet, oder vielleicht auch zeichnen müssen?
Ja, das kommt automatisch. Zuerst musste ich lernen egoistischer zu werden. In der Hinsicht, dass man anderen nicht großartig entgegenkommen kann. Ich hatte vor meiner Erkrankung keinen Kontakt zu Behinderten. Dann habe ich plötzlich deren Blickwinkel gesehen. Ich stellte die Probleme und Stigmatisierungen fest, mit denen sie jeden Tag zu kämpfen haben.

Was bedeutet ›behindert sein‹ für Sie im Allgemeinen?
Vom öffentlichen Leben ausgeschlossen zu sein. Es gibt den Spruch: Man ist nicht behindert, man wird behindert. Für Rollstuhlfahrer kann der Ausflug in die Stadt zu einer Rallye werden. Das sehe ich bei Freunden. Das Schlimmste ist aber, wenn der Job wegfällt. Ohne Aufgabe wird man unglücklich.

Ist Magdeburg im öffentlichen Leben barrierefrei?
Ich habe nicht unbedingt den Vergleich zu anderen Städten. Es ist schon einiges passiert, aber es besteht immer noch eine Menge Nachholbedarf. Meine im Rollstuhl sitzenden Freunde müssen teilweise drei Haltestellen früher aussteigen um ihr Ziel problemlos zu erreichen.

Ihre Karikaturen haben oftmals einen politischen Bezug. Wie sehen Sie die politische Entwicklung in Sachsen-Anhalt?
Ich sehe die Situation ein bisschen mit Graus und habe mich schon erschrocken, als die Wahlergebnisse feststanden. Mit einem derartigen Zuspruch für die Alternative für Deutschland habe ich nicht gerechnet (Anm. der Red.: Landtagswahl 2016 Sachsen-Anhalt/ AfD: 24,3%).

»Ohne Aufgabe wird man unglücklich.«

Gabriele Haseloff, Ehefrau des amtierenden Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff, ist Schirmherrin des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), für die Sie auch Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Stehen Sie mit Frau Haseloff im Austausch?
Bei offiziellen Veranstaltungen sieht man sich, begrüßt sich, und wechselt ein paar Worte. Auch ihr Mann ist recht engagiert. Wir wissen unsere Arbeit gegenseitig zu schätzen. Ein regelmäßiger Austausch findet aber nicht statt.

Wie ist es denn um die MS-Szene in Magdeburg bestellt, abseits der großen, offiziellen Organisationen? Sind die Menschen untereinander vernetzt?
MS-Szene klingt gut (lacht). Die DMSG Magdeburg hat zwei Untergruppen. Eine ist für jüngere Menschen. Meist haben sie Hemmungen sich zu outen und ihre Arbeitgeber wissen nichts davon. Deshalb bleibt die Gruppe im Untergrund. Die andere Untergruppe ist für jedermann. Die Magdeburger MS-Szene ist auf jeden Fall am Leben.

Sie meinten, dass Sie von zu Hause aus arbeiten. Wie viele Tage nehmen Sie sich denn im Monat frei und schalten ab?
Eigentlich gar keinen. Wenn ich nicht in den Ferien bin kann ich nicht abschalten. Ich arbeite auch am Wochenende, da ich für den kicker zeichne und der montags erscheint. Ich habe viel Spaß dabei. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen und dabei meine Krankheit verarbeiten. Es ist eine Art Therapie.

Inter.Vista, Phil Hubbe, Foto: Max-Richard Finger, Lukas van den Brink

Inter.Vista, Phil Hubbe, Foto: Max-Richard Finger, Lukas van den Brink

Sie haben selbst Fußball gespielt, zeichnen für den kicker. Sind Sie Fußballfan?
(lacht) Die Frage musste kommen. Ich bin kein eisenharter Fan. Ich sympathisiere unter anderem mit Borussia Dortmund. Zeichne aber für das Stadionheft des VfL Wolfsburg. Das hat mir schon viel Ärger von befreundeten Hannover 96-Fans eingebracht. Felix Magath, der ehemalige Trainer des VfL Wolfsburg, hat mir damals eine kicker-Karikatur abgekauft. So entstand der Kontakt.

Verfolgen Sie auch den Sport in Magdeburg?
Ich hatte eine Dauerkarte für die Handballer. Die Entwicklung des Fußballs verfolge ich auch. Der 1. FC Magdeburg ist im Moment in aller Munde.

Sind Sie manchmal im Stadion?
Ich bin nicht der große FCM-Fan, freue mich aber über den aktuellen sportlichen Erfolg. Tatsächlich war ich diese Saison das erste Mal seit Jahren wieder im Stadion.

Angenommen Sie würden morgen zehn Millionen Euro in der Lotterie gewinnen, würden Sie den Gewinn spenden oder gänzlich für sich behalten?
Gänzlich für mich behalten würde ich es definitiv nicht. Ich weiß nur, dass ich weiter arbeiten würde.

Interview aus INTER.VISTA 2

 

Vista.schon?
Phil Hubbe ist 1966 geboren und seit 24 Jahren als freiberuflicher Zeichner tätig. Er zeichnet beispielsweise für den kicker und das ZDF. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Behinderten-Cartoons. Außerdem betreibt er Öffentlichkeitsarbeit für die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft und zeichnet für das Stadionheft des VfL Wolfsburg. Magdeburg beschreibt er als grün und lebendig. Seine Lieblingsorte in der Domstadt sind der Rotehornpark und das Café Amsterdam.

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