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Enrico Otterstein

Enrico Otterstein bestätigt uns das Klischee, dass der Kaffee bei der Feuerwehr immer kalt wird: Wenn er gerade frisch aufgebrüht ist, ertönt der Alarm. Jetzt muss es schnell gehen. Die Männer rutschen die Stangen zu ihren roten Fahrzeugen hinunter und sausen mit lautem Tatütata durch die Straßen. Bei der Feuerwehr zählt jede Sekunde. Von diesen und anderen spannenden Momenten, von Heldenklischees, Urvertrauen und brenzligen Situationen erzählt Enrico Otterstein, Oberbrandmeister und Staffelführer der Feuerwache Nord der Landeshauptstadt Magdeburg.

Interview und Fotos: Luisa Hensel und Nadine Janetzky

Spätestens seit den Anschlägen vom 11. September hat man das Bild des heldenhaften Feuerwehrmanns im Kopf. Siehst Du Dich als Held?
Wenn man dieses amerikanische Heldenklischee nimmt, so setzt das immer voraus, dass man sich über Vorschriften hinwegsetzt. Beispielsweise um jemanden zu retten. Es gibt Momente, in denen wir aufgrund der Situation eine Entscheidung treffen müssen und die Sache dann durchziehen. Da weicht man auch mal von den Vorschriften ab. Das ist aber nicht die Regel. Viele von uns sind Familienväter. Das Ziel ist auch, einen Einsatz immer so sicher wie möglich für alle Beteiligten abzuwickeln. Dass man dann zu einem Helden stilisiert wird, kann sein. Man kann schon sagen, dass die Feuerwehrleute ein wirklich beispielloses Vertrauen genießen. Ein Polizist wird mehr hinterfragt. Aber wenn ein Feuerwehrmann sagt, mach das so und so, dann wird das so gemacht.

Wie bist Du zur Berufsfeuerwehr gekommen?
Feuerwehren sind in der Regel Teil der Stadtverwaltung. Es gibt öffentliche Stellenausschreibungen, auf die sich jeder bewerben kann. Im Vergleich zu den ehrenamtlichen Kräften sind die Berufsfeuerwehrleute eine kleine Gruppe. Gerade in den neuen Bundesländern muss man schon ein bisschen suchen, bis man eine Berufsfeuerwehr findet.

»Ein Polizist wird mehr hinterfragt.«

Inter.Vista, Enrico Otterstein, Foto: Luisa Hensel, Nadine Janetzky

Inter.Vista, Enrico Otterstein, Foto: Luisa Hensel, Nadine Janetzky

Was würdest Du einem kleinen Mädchen sagen, das Feuerwehrfrau werden möchte? Muss es später besonders mutig sein?
Das Mädchen muss besonders clever sein. Eine Einsatzkraft im Feuerwehrdienstmuss eine gute Auffassungsgabe haben. Situationen schnell erkennen und erfassen und entsprechend darauf reagieren – das ist wichtig. Man sollte ein ausgeprägtes Gefühl für Sicherheit haben. Aber das lernt man in der Ausbildung. Meine persönlichen Erfahrungen sind, dass Frauen grundsätzlich anders an die Situation herangehen und dazu neigen, sie anders zu lösen als Männer. Was im Gesamtergebnis eine Bereicherung darstellt. Das ist manchmal ganz interessant. (schmunzelt)

Wie viele Kolleginnen arbeiten auf der Feuerwache?
Fünf Kolleginnen arbeiten hier in der Feuerwache Nord. Insgesamt sind wir etwa 140 Leute. Die Kolleginnen sind im Bereich der Einsatzleitung und in der Leitstelle tätig.

Welche Eigenschaften muss ein Feuerwehrmann mitbringen?
Er muss teamfähig sein. Teamarbeit wird großgeschrieben. Nur die Gesamtleistung zählt. Es gibt zwar viele Einzelleistungen, aber im Gesamtbild wird es dann rund.

Du bist Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und bei der Berufsfeuerwehr. Welche Unterschiede gibt es? Schließlich unterscheidet man auch nicht zwischen freiwilligem Feuer und Berufsfeuer.
Die Aufgaben sind dieselben. Beim zeitlichen Aufwand in der Ausbildung gibt es Unterschiede. Bei der Freiwilligen Feuerwehr ist die Grundausbildung nach rund150 Stunden beendet. Dann kommen noch ein paar Fachlehrgänge dazu, man kommt aber nicht über 200 bis 250 Stunden hinaus. Die Vorbereitung für den mittleren feuerwehrtechnischen Dienst dauert zwei Jahre. Das sind die Leute, die in den Einsatzfahrzeugen sitzen. Da wird mehr auf die eigentliche Feuerwehrausbildung Wert gelegt. Bei uns ist noch ganz viel drumherum. Beamtenrecht, Verwaltungsrecht und so weiter. Wir sind ja Beamte der Landeshauptstadt Magdeburg.

Inter.Vista, Enrico Otterstein, Foto: Luisa Hensel, Nadine Janetzky

Inter.Vista, Enrico Otterstein, Foto: Luisa Hensel, Nadine Janetzky

Wir haben herausgefunden, dass ihr im Schnitt 32 Einsätze pro Tag habt. Wie setzt sich diese Zahl zusammen?
Ein Großteil der Einsätze sind Rettungseinsätze. Wir als Berufsfeuerwehr Magdeburg übernehmen auch Aufgaben im Rettungsdienst. Wir betreiben zwei Rettungswagen im 24-Stunden-Dienst. Ansonsten natürlich Hilfeleistungen jeglicher Art und Brandbekämpfung. Letzteres ist statistisch gesehen rückläufig, aber wenn es mal brennt, dann erfahrungsgemäß intensiver.

Nach einem Brand steht die Brandursachenermittlung an. Wer ist Deiner Meinung nach besser in der Ursachenermittlung? Polizei oder Feuerwehr?
Die Polizei.

Aber ihr seid doch die Feuerwehr?
Ja, aber wir sind nicht dafür ausgebildet, die Brandursache herauszufinden, sondern um die Gefahr abzuwenden. Die Leute der Polizei sind speziell dafür geschult, den Sachverhalt zu erkennen. Die Brandursache hat eine nachgestellte Wichtigkeit, solange sich daraus keine taktischen Entscheidungen ableiten lassen.

Wie viele Katzen hast Du schon vom Baum gerettet?
Zwei.

»Teamarbeit wird großgeschrieben. Nur die Gesamtleistung zählt.«

Welche Geschichte steckt dahinter?
Wir haben mal eine im Kindergarten gerettet, weil sie schon mehrere Stunden maunzte und die Kinder sich Sorgen machten. Normalerweise tun wir das nicht. Katzen schaffen es meistens allein von Bäumen herunter, wenn sie nicht verletzt oder krank sind. Aber bei einem Kindergarten kann man schon mal eine Ausnahme machen. Das sind positive Erlebnisse. Um das aber klarzustellen: Grundsätzlich helfen wir jedem Tier, das sich in einer Notlage befindet.

Wolltest Du als Kind schon Feuerwehrmann werden? Warst Du bei der Jugendfeuerwehr?
Nein, bei mir hat sich dieser Wunsch durch meine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr manifestiert. Ich wollte mein Hobby zum Beruf zu machen. In meinem Grundwehrdienst war ich mit der Bundeswehr im Hochwassereinsatz in Dresden und Grimma. Dort hatte ich das erste Mal Kontakt mit Kollegen der Berufsfeuerwehr Hamburg. Das inspirierte mich.

Bevor man zur Berufsfeuerwehr kann, muss man eine Ausbildung machen. Welche war das bei Dir?
Ich bin Kraftfahrzeugmechatroniker. Das hilft auch bei der Arbeit, wir haben einen großen Fuhrpark.

Was macht Dir an deinem Beruf Spaß?
Kein Tag ist wie der andere. Mal kommt ein Interview dazu, mal ein Brandeinsatz. (schmunzelt) Das reizt mich.

Erinnerst Du Dich noch, wie Dein erster Einsatz war?
Der war in der Brandenburger Straße. Mein erster Gedanke damals war: ›Mann, sind die schnell hier.‹ Über der Fahrzeughalle waren zwei Etagen mit Ruheräumen und man musste beim Rutschen umsteigen. Ich hatte ganz oben meinen Ruheraum und echte Probleme da mitzukommen. Die waren so verdammt schnell.

Welche Einsätze sind Dir im Gedächtnis geblieben?
Die Bombenentschärfung am Magdeburger Hauptbahnhof. Da musste die Leitstelle in der Brandenburger Straße geräumt werden. Das größte Problem war, die Notrufleitungen in die Ersatzleitstelle der Feuerwache Nord umzuleiten. Das sind Situationen, die sich einprägen. Oder zum Beispiel der Brand in einem leerstehenden Fabrikgebäude in der Hafenstraße. Das brannte in voller Ausdehnung. Wir hatten schon beim Rutschen der Stange Sicht auf den Brand. Die Dimensionen waren exorbitant, ein Brand vom Keller bis ins Dach. Und dann natürlich das Hochwasser 2013. Da hat alles, was ich im Rahmen der Stabsausbildung lernte, eine Form bekommen.

Was war Dein Aufgabenbereich beim Hochwasser 2013? Wie hast Du die Magdeburger in der Zeit erlebt?
Wenn ich ganz ehrlich sein soll, habe ich vom Hochwasser und den Magdeburgern wenig mitbekommen. Ich saß hier im Stab. Natürlich war ich auch an der Elbe, um einen Eindruck zu bekommen. Aber meistens sah ich es auf der Lagekarte.

Hast Du dir bei einem Einsatz schon mal schwere Verletzungen zugefügt?
Gott sei Dank, nein.

»Jeder Einsatz ist ein Tropfen Wasser. Man muss immer versuchen, das Glas mal auszuleeren.«

Hattest Du bei einem Einsatz schon mal Todesangst?
Würde ich ›Nein‹ sagen, würde ich lügen. Wenn du dich in einem Raum befindest, in dem du nichts mehr siehst, wo nur Qualm und extreme Temperaturen sind, bei denen du dich instinktiv am Boden bewegst, dann hast du auch Angst. Wenn Menschenleben in Gefahr sind, kommt der Stressfaktor noch dazu. Nur die Gesamtleistung zählt.

Und wie sicherst Du Dich dann ab?
Wir versuchen, jede Situation so sicher wie möglich zu machen. Das heißt: Es gibt immer zwei Systeme, die unabhängig voneinander agieren. Wenn etwas passiert, ist das andere System da. Deswegen ist es eine Teamleistung, auch wenn es von außen so aussieht, als stünden die draußen nur rum. Die sind meine Lebensversicherung. Es gibt sogenannte Sicherungstrupps. Die haltensich nur dafür bereit, uns rauszuholen.

Nimmst Du schlimme Eindrücke mit nach Hause oder bleiben die auf Arbeit?
Man versucht, alles hier zu lassen. Das klappt nicht immer. Ein erfahrener Kollege verglich das mal mit einem Glas Wasser. Jeder Einsatz ist ein Tropfen Wasser. Man muss immer versuchen, das Glas mal auszuleeren. Die Leute, die reden wollen, treffen sich. Dann spricht man darüber. Es gibt auch Vorkehrungen für so etwas: Kriseninterventionsteams. Man sollte sich auf positive Ereignisse konzentrieren. Wie die Katze in der Kita. Die sind wichtig und die braucht man.

»Ich weiß nicht, wie die Kollegen in den USA arbeiten, aber es spiegelt nicht unsere Arbeitsweise wider.«

Eure Schichten dauern immer 24 Stunden. Wie viel Zeit verbringt Ihr tatsächlich mit Einsätzen?
Es kommt immer darauf an, wo man eingesetzt ist, also auf welchem Fahrzeug oder im Rettungsdienst oder in der Leitstelle.

Stichwort: Lagerkoller. Gibt es auch mal Streit auf der Wache?
Ja, natürlich. Dann gibt es klärende Gespräche, und es läuft wieder.

Inter.Vista, Enrico Otterstein, Foto: Luisa Hensel, Nadine Janetzky

Inter.Vista, Enrico Otterstein, Foto: Luisa Hensel, Nadine Janetzky

Was macht die Feuerwehr, wenn sie mal keinen Einsatz hat?
Wir bilden uns weiter, weil Sachen sich ständig ändern und man auf dem Laufenden bleiben muss. Es gibt Dienstberatungen, wir müssen unsere Küche selber bewirtschaften, die Fahrzeuge in Schuss halten und Termine für operativ-taktische Studien wahrnehmen. Da schauen wir uns Objekte an, bevor es brennt, damit wir im Einsatzfall wissen, wie die aussehen. So können wir uns besser orientieren. Ein weiterer Punkt ist, dass wir Einsatzberichte schreiben müssen. Bei mir kommt keine Langeweile auf.

Wie verbringst Du deine freien Tage?
Mit meinen Kindern. Ich bin sehr gerne mit meiner Familie unterwegs.

Welche Hobbys hast Du?
Einen großen Teil meiner Freizeit nimmt die ehrenamtliche Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr in Anspruch. Es engagieren sich dort zu wenige Leute. Außerdem segele ich sehr gern und fahre Motorrad. Das kommt momentan aber viel zu kurz und ist auch mit Kindern schwierig zu gestalten.

Was halten Deine Kinder von deinem Beruf?
Mein zweijähriger Sohn bekommt noch nicht so viel davon mit, aber meine Tochter, die bald fünf Jahre wird, ist schon stolz auf ihren Papa. Sie weiß, worum es geht und war auch schon mal hier.

Schaust Du Fernsehserien, die den Alltag einer Feuerwache widerspiegeln, zum Beispiel Chicago Fire?
Nein. Meine Frau schaut das gerne, ich nicht. Ich weiß nicht, wie die Kollegen in den USA arbeiten, aber es spiegelt nicht unsere Arbeitsweise wider.

Musstest Du schon mal die 112 wählen?
Nicht in eigener Sache, aber bei Unfallsituationen musste ich schon die 112 wählen.

Abschließend: Was war das schönste Dankeschön, das Du bekommen hast?
Hier kommen immer wieder Briefe an, in denen sich Leute bedanken. Da werden auch Kollegen benannt. Es kommt auch an Einsatzstellen vor, dass sich die Leute direkt bei einem bedanken. Aber ich glaube, das Vertrauen ist der größte Dank. Das spiegelt die Grundeinstellung der Leute wider.

Januar 2017
Interview in INTER.VISTA 3

Vista.schon?
Enrico Otterstein, Jahrgang 1983, ist Oberbrandmeister und Staffelführer der Magdeburger Feuerwache Nord. Dieses Jahr feiert er zehnjähriges Dienstjubiläum. Der gelernte Kraftfahrzeugmechatroniker pendelt zwischen seinem Wohnort nahe Potsdam und der Arbeitsstelle in Magdeburg. Sein Lieblingsort ist das Schleinufer bei Nacht. Er beschreibt die Magdeburger als reservierte, aber herzliche Menschen. Die Stadt sei abwechslungsreich, individuell und geschichtsreich. Für ihn ist die Arbeit bei der Feuerwehr die abwechslungsreichste und spannendste Aufgabe, die er sich vorstellen kann.

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