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Martin Müller

Als er 1992 zum ersten Mal ein Akkordeon in die Hände nahm, war die berufliche Zukunft für Martin Müller geschrieben. Heute ist er ein gefragter freiberuflicher Musiker in Magdeburg. Mit seinem Akkordeon ist er auf zahlreichen Veranstaltungen zu Gast und freut sich stets über ein Feedback des Publikums. Bei einer Tasse Earl-Grey-Tee und einer musikalischen Untermalung durch ein Festival vor seiner Tür, erzählt er Inter.Vista, welche Hürden man bewältigen muss, um als freiberuflicher Musiker Fuß zu fassen, woher er seine Inspiration bezieht und warum es berechtigt ist, dass das Kulturangebot in Magdeburg auch mal etwas kostet.

Interview und Fotos: Friederike Franke 

Martin, hast Du Dir vor dem Interview ein bisschen Entspannungsmusik angehört?
Ich habe noch nicht lange ein funktionierendes Radio, mein altes hat immer komische Geräusche von sich gegeben. Die Musik lief aber nicht, weil ich so nervös wegen des Interviews war. Es plätschert immer nebenher und meistens läuft adore.jazz.fm. Dabei kann man sich ganz gut entspannen. Da läuft nicht der ganze Mainstream-Kram.

Inter.Vista, Martin Müller, Foto: Friederike Franke

Inter.Vista, Martin Müller, Foto: Friederike Franke

Mit Deinem Akkordeon bist Du auf zahlreichen Veranstaltungen zu Gast. Wie schwer ist es für einen freiberuflichen Musiker, hier in Magdeburg Fuß zu fassen?
Ich kann das nicht beurteilen, weil mir der Vergleich zu anderen Freiberuflern fehlt. Viele Leute kommen zu mir und fragen mich, wie ich das schaffe, da ich manchmal auch sehr knapp bei Kasse bin, aber es funktioniert immer irgendwie. Hier in Magdeburg habe ich nun mal ein Alleinstellungsmerkmal. Hier kennen mich die Leute mittlerweile schon als »Mann mit dem Hut«. Es klappt bei mir schon seit elf Jahren. Damals habe ich Industriedesign studiert und nebenbei habe ich begonnen, mir alles langsam aufzubauen. Die Frage ist immer, was man vom Leben erwartet. Ich muss nicht ständig in den Urlaub fahren, aber ich bin gerne mit dem Fahrrad in Prester, im Stadtpark oder im Herrenkrug unterwegs. So verbringe ich eben meine freie Zeit. Damit bin ich zufrieden.

»Ich kann keine Luftsprünge machen, aber ich bin so zufrieden wie es ist.« 

Was reizt Dich so am freiberuflichen Arbeiten? Kann man davon leben?
Ich kann mir meine Zeit selbst einteilen und bin mein eigener Chef. Das einzige Bindende, sind meine Auftrittstermine. Die Vorbereitung und Kreation obliegt aber meiner eigenen zeitlichen Planung. Wenn ich um zwei Uhr nachts das Bedürfnis verspüre, mit dem Fahrrad durch den Stadtpark zu fahren, kann ich das einfach tun. Man arbeitet immer und nie. Es ist ja gleichzeitig auch mein Privatleben, das in meine Arbeit einfließt. Wenn ich merke ich bin kreativ, dann kann ich anfangen zu arbeiten und bin an keine zeitlichen Grenzen gebunden. Unter Zeitdruck entsteht nur bedingt wahre Inspiration. Ich kann davon überleben, auch wenn es dieses Jahr noch nicht so gut läuft. Ich kann keine Luftsprünge machen, aber ich bin so zufrieden wie es ist. Ich bin dahingehend relativ bescheiden. Wenn meine Kakteen im Fenster blühen, bin ich schon zufrieden.

Das Akkordeon ist ein wenig verbreitetes Instrument. Was fasziniert Dich daran und wie bist Du dazu gekommen?
1992 bin ich das erste Mal zur Musikschule gestiefelt, weil der kleine Junge von damals das Interesse hegte, Akkordeon zu spielen. Eine Sache, auf die wahrscheinlich wenige Kinder kamen. Mich hat dieses Instrument fasziniert. Man kann drücken und ziehen und viele unterschiedliche Töne erzeugen. Mein Vater hatte eine Schallplatte von Herbert Roth und der spielte auch Akkordeon. Als Kind sieht man einfach manchmal irgendwas, das einen fasziniert. Ich hab damals zwar mit dem normalen Pianoakkordeon angefangen und bin 1997 auf das Knopfakkordeon umgestiegen. Soweit mir bekannt ist, bin ich damit in der Umgebung von Magdeburg der Einzige.

Hat dieses individuelle Instrument zu Deinem Erfolg beigetragen?
Der Begriff „Erfolg“ ist ja reine Definitionssache. Auf der einen Seite spiele ich ein Instrument, das man hier nicht oft sieht, auf der anderen Seite genießt das Akkordeon auch nicht viel Beliebtheit. Es wird nicht ständig nach einem Akkordeonisten gefragt, aber wenn doch, bin ich meistens die erste Adresse. Auch im Kulturbüro bekommt man hin und wieder einen Hinweis auf mich. Von solchen Empfehlungen leben freiberuflichen Musiker ja. Manchmal kann ich aus zeitlichen Gründen einen Auftrag nicht annehmen und vermittle dann Kollegen, denen ich so einen Auftritt verschaffen kann.  

Nebenbei arbeitest Du auch noch an dem Kunstprojekt Fornamentik. Worum geht es dabei?
Unsere Kunstwerke entspringen aus Aktfotografien, die im Nachhinein von Hand überzeichnet werden. Zum einen beinhaltet das Projekt die unverfälschte Reinheit des weiblichen Körpers, zum anderen geht es um die künstlerischen Möglichkeiten, die man bei seiner Bearbeitung hat. 2007 habe ich zusammen mit Paul Ghandi begonnen. Zu Beginn mussten wir viel experimentieren, um den richtigen Arbeitsweg zu finden. Ich halte beim Aktfotografieren gerne die reine Ästhetik des Augenblicks fest. Rein und unverfälscht ist das abgebildete Fotomodell ein optimaler Ausgangspunkt für Fornamentik-Überarbeitungen. Nach den Bearbeitungsprozessen bleibt ein abstraktes Gebilde, das aber noch die Form der Realität enthält.

Im November beginnt in der Flurgalerie Eisenbart im Hopfengarten eine Gemeinschaftsausstellung. Was bekommt man dort zu sehen?
Bilder und Plastiken von Paul Ghandi und mir. Wir wissen noch nicht so genau, was wir am Ende wirklich ausstellen. Es ist sehr viel Platz dort, aber wir sind noch unschlüssig. Da werden Fornamentik-Bilder hängen, auch einige die noch nicht veröffentlicht wurden. Ich persönlich möchte auch ein paar unbearbeitete Fotografien von mir ausstellen.

»Ich glaube, den Leuten etwas geben zu können, was sie auch haben wollen.«

Lassen sich Fotografie und Musik gut kombinieren?
Kombinierbar ist es in jeder Hinsicht. Es steht das gleiche Gefühl im Hintergrund. Ich bin kein Fan von dieser glattgebügelten Fotografie. Die Situationen müssen nicht technisch einwandfrei eingefangen sein, sondern sie müssen mich berühren und mir eine Geschichte erzählen. Das mache ich auch mit meinem Akkordeon. Aber wenn ich einer Sache den Vorrang geben müsste, wäre das in jedem Fall die Musik. Wenn ich einen Shooting-Termin und einen Auftritt zur gleichen Zeit habe, dann muss das Shooting warten. Mit den Auftritten verdiene ich schließlich meinen Lebensunterhalt.

Du hast ein Diplom in Industriedesign von der Hochschule Magdeburg. Wieso bist du nicht in die Richtung Design gegangen?
Ich fühlte mich mit der Musik sicherer obwohl es finanziell schwierig ist. Ich hatte das Gefühl, in meinem Studienfach einfach nicht gut genug zu sein. Musik zu machen, fühlt sich richtig an. Ich glaube, den Leuten etwas geben zu können, was sie auch haben wollen. Bei der Musik bekomme ich sofort ein Feedback, wie ich und mein Akkordeon beim Publikum ankommen.

Wie abwechslungsreich findest Du die Kulturszene hier in Magdeburg?
Dass in Magdeburg nichts los sei und es hier keine Freizeitangebote gäbe, ist absoluter Schwachsinn. Aber ich weiß, wie dieses Vorurteil zu Stande kommt. Viele suchen nur kostenlose Angebote. Wenn man mal in die lokalen Stadtmagazine schaut, merkt man, dass hier eine ganz Menge los ist. Kunst und Kultur kostet nun mal etwas. Nicht nur dem Besucher, sondern auch den Künstler und Musiker. Viele von ihnen versuchen, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Hier in Magdeburg gibt es ein großes Angebot an Kunst und Kultur, das allerdings oftmals nicht gesehen wird.

Du bist hier aufgewachsen, hast in Magdeburg studiert, arbeitest und lebst hier. Was hält Dich in der Landeshauptstadt?
Ich bin ein verwurzelter Mensch. Wenn mir einmal etwas gefällt, bleibe ich gerne dabei. Und hier gefällt es mir sehr gut. Ich höre viel Kritik über Magdeburg. Vieles davon kann ich auch nicht widerlegen, aber trotzdem fühle ich mich hier einfach wohl. Ich bin hauptsächlich im Grünen, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Bis zum nächsten grünen Fleck ist es hier nie wirklich weit.  

Hast Du einen Lieblingsort, an dem Du besonders gerne fotografierst oder musizierst?
Ich arbeite gerne, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Vor kurzem war ich im Stadtpark und habe mich spontan dazu entschieden, am Arthur-Becker-Teich, früh morgens, ein paar Klänge aufzunehmen. Musik mache ich selten privat. Ich mache sie da, wo man mich hinstellt. Fotografieren tue ich aber oftmals in der Natur, zum Beispiel im Stadtpark oder in der Elbaue.

Hast Du ein bestimmtes Lieblingslokal in Magdeburg?
Im Strudelhof fühle ich mich sehr wohl. Den kann ich nur empfehlen. Dort bin ich wenn ich etwas organisiere oder in Ruhe Texte schreiben will. Die Ergebnisse kann ich dann auf meinen Konzertlesungen präsentieren.

Auf welchen Veranstaltungen in Magdeburg spielst Du besonders gerne?
Das kommt auf die Situation an. Es muss nicht immer ein bestimmter Ort oder ein bestimmtes Publikum sein. Wichtig ist die Mentalität der Leute mit denen und für die man arbeitet. Ich mache nicht nur öffentlich zugängliche Sachen, sondern auch geschlossene Veranstaltungen. Es ist die Vielfalt meines Musikerdaseins und die Abwechslung durch die verschiedenen Veranstaltungsbedingungen, die meinen Beruf so angenehm macht.  

Bist Du manchmal noch nervös wenn Du vor vielen Leuten musizierst?
Eigentlich hat es mich nie gejuckt, vor vielen Leuten zu spielen. Manchmal ist man natürlich ein wenig besorgt, ob das Programm so läuft, wie man es sich vorgestellt hat, aber besonders aufgeregt war ich nie. Allerdings gab es mal eine Situation, in der ich ganz schön beunruhigt war. Ich sollte beim Klassenvorspiel meines ehemaligen Musiklehrers etwas zum Besten geben. Da habe ich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit wieder Aufregung verspürt. Mir saß der Mensch gegenüber, der mir alles beigebracht hatte. Ich wusste nicht, was er von mir und meinen Interpretationen hält. Schließlich hat er den Grundstein für mein Können gelegt.  

»Als Musiker arbeite ich mit viel Herzblut und das möchte ich mir bewahren.« 

Was wünschst Du dir für die Zukunft der Kultur-Szene in Magdeburg wünschen?
Man sollte den Künstler achten und seine Leistung auch honorieren. Man darf nicht immer davon ausgehen, dass die Künstler nur da sind, weil es ihnen so viel Freude bereitet, aufzutreten. Natürlich stimmt das, aber sie deshalb nicht bezahlen zu wollen, finde ich schlimm. Damit verdienen wir schließlich unseren Lebensunterhalt. Zu einem Auftritt gehört viel Vorbereitung und in vielen Fällen auch eine Menge Ausrüstung.

Wo siehst Du Dich in fünf Jahren?
In fünf Jahren sitze ich mit einem weißen Bart und einem Tee im Strudelhof und gebe meine Texte der letzten fünf Jahre zum Besten. (lacht)

Ich weiß es nicht. Aber ich würde gerne so weitermachen wie bisher. Ich bin mir nicht sicher, ob das klappt. Man weiß ja nie was kommt. Ich versuche immer wieder neue Sachen auszuprobieren und anzugehen. Als Musiker arbeite ich mit viel Herzblut und das möchte ich mir bewahren. Aber nur, wenn die Stadt und die Umgebung mitmacht. (lacht)

Also könntest Du Dir vorstellen hier in Magdeburg alt zu werden?
Das kann ich mir nicht nur vorstellen, das wird auch so sein, weil es mir hier gefällt. Selbst wenn die Zeiten mal schwierig sind, und Magdeburg nach anderer Musik sucht, bleibe ich hartnäckig und werde versuchen, etwas zu erreichen.

Wann findet Dein nächster Auftritt statt?
Ich bin in den letzten drei Tagen oft aufgetreten. Heute ist Ruhe und Entspannung angesagt. Außerdem muss ich noch die Wäsche machen. Morgen soll ich auf einem Floß in Parey spielen, aber es soll schlechtes Wetter werden. Ich hoffe das Floß hat ein Dach und es schlägt kein Blitz ein. Ansonsten sehe ich mich in fünf Jahren in einem Grab mit der Aufschrift: „Hier ruht der Mann mit dem Hut“. (lacht)

Interview aus INTER.VISTA 3

Vista.schon?
Martin Müller wurde 1984 in Magdeburg geboren und begeistert sich seit seinem achten Lebensjahr für das Akkordeon. Nach seinem Studium an der Hochschule Magdeburg, legte er den Grundstein für sein heutiges Künstlerdasein. Neben seiner freiberuflichen Tätigkeit als Musiker, fotografiert er im Rahmen seines Kunstprojektes Fornamentik und ist regelmäßig im Strudelhof und im Jakelwood zu Gast.  Magdeburg beschreibt er mit den Worten Heimat, Quelle und Inspiration.

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