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Thomas Kluger

Er ist Vorsitzender der Magdeburgischen Gesellschaft von 1990 zur Förderung der Künste, Wissenschaften und Gewerbe e. V. (MG 90). Von dieser wurde vor elf Jahren die KULTUR schultüte ins Leben gerufen. Ein Beutel mit Gutscheinen für Erstklässler, um ihnen auf eine spielerische Weise Kultur näher zu bringen. Inzwischen ist es eine geschützte Marke, die es nur in Magdeburg gibt. Im Interview erzählt Thomas Kluger von den Anfängen des Projekts, wie ihn sein ehrenamtliches Engagement als amtierenden Richter beeinflusst und wer zu Hause ›die Hosen an hat‹.

Interview und Fotos: Jana Bierwirth

Haben Sie im Gericht schon mal eine falsche Entscheidung getroffen?
Das Schöne im deutschen Recht ist der alte römische Grundsatz ›Im Zweifel für den Angeklagten‹. Das gilt im Strafrecht. Im Zivilrecht bei einem Streit unter Bürgern sind die streitenden Parteien die Herren des Verfahrens. Das heißt, sie bringen mir die Beweismittel. Ich bin wie ein Fußballschiedsrichter. Ich gebe nur den Rahmen vor. Es sind die Bürger, die im Prozess sehr stark beteiligt sind. Außerdem bieten die Gerichte zunehmend Mediationen an. Das ist eine Art Schlichtungsverfahren. Es ist das Beste, was passieren kann, wenn die Parteien selbst den Konflikt lösen.

Vom Bankkaufmann zum Juristen. Wie kam es dazu?
Ich trat als Bankkaufmann mein Studium an. Das war beruhigend, denn das Jura-Studium ist nicht ohne. 400 Kommilitonen fingen mit mir an, 100 traten das Examen an und davon bestanden 60 die Prüfungen. Da war es gut, schon was in der Tasche zu haben, anstatt mit 25 Jahren ohne etwas dazustehen. Die eigentliche Entscheidung fiel aber nach dem Referendariat. Ich hatte dort einen Ausbilder, der Oberlandesgerichtspräsident war. Er fragte mich, wie ich mich entscheiden würde. Ich sagte, dass ich zur Bank gehe, worauf er meinte, dass ich zur Justiz gehen soll. Die Möglichkeit, abwägen zu dürfen, hat man nicht oft in der freien Wirtschaft.

Hauen Sie zu Hause auch mal auf den Tisch oder halten Sie sich da aus Entscheidungsfragen raus?
Juristen sollen ja als Familienmitglied relativ anstrengend sein. Man hat immer Bedenken und das kann der Familie schon ›auf den Zeiger‹ gehen. Ich versuche mich aber zu disziplinieren und auf den Rat der anderen Familienmitglieder zu hören. Ich bin ein Teamplayer. Deswegen bin ich auch so gerne am Landgericht. Dort treffen immer drei Richter zusammen eine Entscheidung, nicht einer alleine. Mir ist in der Familie wichtig, dass alle ihre Meinungen vertreten können. Gerade für die Kinder ist das ein Schritt, sich zu selbstständigen Persönlichkeiten zu entwickeln.

Ihre Frau haben Sie schon im Kindergarten kennengelernt. Wie und wann haben Sie sie dann endlich erobert?
Kurz nach dem Abitur. Seitdem sind wir zusammen.

Sie machen Yoga. Gibt’s auch Hobbys, die Sie mit Ihrer Frau zusammen machen?
Der Sport verbindet uns sehr. Sei es Joggen, Rad- oder Skifahren. Ich hoffe, dass ich das noch lange machen kann. Joggen ist so eine Sache mit Mitte 50. Da muss man ein bisschen aufpassen. Auch kulturell ziehen wir gemeinsam los.

Ihre Kinder betreiben Karate. Leonie ist mehrfache Europameisterin und Ihr Sohn Philipp ist Deutscher Meister. Wie unterstützen Sie die beiden?
Das fängt schon beim Organisatorischen an. Die Fahrten zum Training zum Beispiel. Das Schöne an Karate ist, dass es ein ganzheitlicher Sport ist. Natürlich nimmt das einen großen Rahmen ein, aber man kann das nicht übertrainieren. Es ist aber wichtig, dass noch Zeit für andere Dinge bleibt.

»Juristen sollen ja als Familienmitglied relativ angstrengend sein.«

Wie viel Hausmann steckt in Ihnen?
Ganz viel. Ich bin der Koch in der Familie.

Beeindruckend, aber Hand aufs Herz, wer schwingt den Wischer?
Ja gut, das macht dann meine Frau. (schmunzelt)

Ihre größte Schwäche sind Gummibärchen, die Sie nachts Ihren Kindern aus dem Kühlschrank klauen. Haben Ihre Kinder das jemals mitbekommen?
Ja, natürlich. Das wird dann streng rationiert. Es wird auch bis zum Lebensende meine Schwäche bleiben.

»Mittlerweile werden wir schon begeistert empfangen.«

Was begeistert Sie an Magdeburg?
Sich überraschen zu lassen. Wenn man die Antennen ausfährt, dann passieren Dinge. Ich bin ja jetzt schon ein Vierteljahrhundert hier. Ich hätte nie gedacht, dass meine Kinder mal Karate trainieren, ich selbst wäre da nie drauf gekommen. Es gibt hier so unglaublich viele Möglichkeiten. Ich will einfach weiterhin neugierig bleiben.

Wo zieht es Sie hin, wenn Sie reisen?
Kann sein, dass sich das jetzt ohne die Kinder ein bisschen verändert. Mit den Kindern durchs Museum ist nicht so prickelnd, da geht es eher ans Meer oder in die Berge. Was mich noch sehr reizt sind die Königsstädte in Marokko und die baltischen Staaten. Das sind zwei Jugendträume von mir, die noch auf ihre Erfüllung warten.

Gibt es etwas, das Sie stolz macht?
Ein gefährliches Wort. Stolz ist ganz nah am Hochmut. Aber zufrieden bin ich. Und ich möchte das auch nicht so sagen, dass ich ›stolz‹ auf meine Kinder sei. Das engt sie zu sehr ein und drängt sie in eine Ecke. Das assoziiert man nur mit Leistung und das soll bei uns nicht im Vordergrund stehen. Ich bin froh, wenn sie ihren Weg finden und zufrieden sind.

Haben Sie ein Vorbild?
Besonders faszinieren mich Leute, die neben ihrem eigentlichen Fachgebiet noch andere Kernkompetenzen haben. Das ist inspirierend. Der Job als Vorstandsvorsitzender der MG 90 ist ein Ehrenamt ohne Bezahlung.

Was spornt Sie an?
Ich kann daraus einen Mehrwert ziehen. Als Richter ist der Blick immer retrospektiv. Was ist schief gegangen? Ich gucke immer auf Probleme. Das ehrenamtliche Engagement ist genau umgekehrt. Da schaue ich in die Zukunft und überlege, wie man etwas positiv gestalten kann.

Wie kam es zu der Idee mit der KULTURschultüte?
Das war ursprünglich eine Stadtratsinitiative der FDP zur Erhöhung der Lesefähigkeit. Dann wurde einstimmig im Stadtrat der Beschluss gefasst, das durch einen Verein fortführen zu lassen. Wir fingen mit einer Papierschultüte an und verteilen mittlerweile einen stabilen Turnbeutel, den die Kinder auch zum Schulunterricht oder zum Sport verwenden können. Das Herzstück ist das Malbuch, in dem die Kinder verschiedene Magdeburger Sehenswürdigkeiten kolorieren können. Das ist auch das Ziel der MG 90. Die Kinder sollen sich frühzeitig mit der Stadt identifizieren.

Inter.Vista, Thomas Kluger, Foto: Jana Bierwirth

Inter.Vista, Thomas Kluger, Foto: Jana Bierwirth

Können Sie eine Entwicklung in dem Projekt wahrnehmen?
Ja, ganz deutlich. Um mal die Dimensionen aufzuzeigen: Wir kooperieren mit über 80 Schulen. Insgesamt sind das über 3.000 Schüler. Dieses Jahr sind 30 Gutscheine in der KULTUR schultüte. Das wird alles ehrenamtlich organisiert und von Hand gepackt. Die Vereinsmitglieder fahren das selber aus. Das heißt, wir gehen zum Schulleiter und überreichen die neuen Schultüten. Mittlerweile werden wir schon begeistert empfangen. Ein Erfolg, denn anfangs regierte die Skepsis und die Schultüten wurden erst mal in die Ecke gestellt. Wir fragen auch nach, welche Gutscheine im Jahr zuvor gut angenommen wurden. Die Stadt hat sehr viele kulturelle Einrichtungen und das sollte man nutzen. Durch den engen Kontakt verbessern wir die Schultüte von Jahr zu Jahr. Auch das Malbuch mit Texten wird regelmäßig überarbeitet. Die Lesefähigkeit wurde jedenfalls definitiv gestärkt.

»400 Kommilitonen fingen mit mir an, 100 traten das Examen an und davon bestanden 60 die Prüfungen.«

Gutscheine, Malbuch, Turnbeutel. Wie viel kostet das gesamte Paket?
Man könnte sagen, dass jede Tüte einen Wert von 70 Euro hat. Das geht nur, wenn man permanent am Ball bleibt. Über unsere Mitgliedsbeiträge schaffen wir das Fundament. 120 Mitglieder und 30 Euro Mitgliedsbeitrag. Einzelmitglieder spenden auch ein bisschen mehr. Es ist jedes Jahr ein neues Abenteuer, das alles zusammenzubekommen. Bisher ist es uns immer gut gelungen.

Soll die KULTURschultüte irgendwann auch außerhalb von Magdeburg verteilt werden?
Das ist eine logistische Frage. Der kulturelle Anspruch dürfte dabei nicht verloren gehen. Der Traum wäre es natürlich, wenn die KULTURschultüte, eine inzwischen geschützte Marke, auch in Bayern an die Erstklässler verteilt wird. Mit freundlichen Grüßen aus der Landeshauptstadt Magdeburg. Wenn es so weit ist, dann haben wir es geschafft.

Wie sehen Sie die Chancen für Magdeburg zur Kulturhauptstadt 2025 zu werden?
Wenn man die Frage so stellt, zweifelt man. Der Weg ist das Ziel. Wir versuchen jetzt, dass sich die Stadt durch viele Aktionen so gut wie möglich präsentiert. Man sollte sich auch nicht zwangsläufig nur auf 2025 konzentrieren, sondern daran arbeiten, dass wir weiterhin noch viele Ideen brauchen und umsetzen.

Inter.Vista, Thomas Kluger, Foto: Jana Bierwirth

Inter.Vista, Thomas Kluger, Foto: Jana Bierwirth

Sie sind ursprünglich aus Heidelberg, aber schon seit 1993 in Magdeburg. Haben Sie es jemals bereut hierher gekommen zu sein?
Magdeburg passt zu mir. Klare Ansagen und nicht so hinten rum. Die Lage ist toll. Die Elbe ist ein Teil der Stadt. Für mich hat Wasser was Beruhigendes. Nein, ich bereue es nicht. Der Weg war zu weit, um zu pendeln. Ich musste mir das genau überlegen und habe mich dann gemeinsam mit meiner Frau für Magdeburg entschieden. Ich bin hier verwurzelt. Das ist mein zuhause.

Gibt es etwas, das Sie hier vermissen?
In Süddeutschland hat das Essen eine andere Bedeutung und einen anderen Stellenwert. Das war einfach besser. Hier wird oft alles zwischen Tür und Angel runtergeschlungen.

Wie haben Sie die Entwicklung von Magdeburg in den letzten 20 Jahren wahrgenommen?
Stürmisch. Die Stadt hat sich entwickelt, wenn auch mit unterschiedlicher Dynamik. Nur mit der Architektur könnte man etwas mutiger sein.

Welchen Teil von Magdeburg mögen Sie am meisten?
Magdeburg ist ein Gesamtkunstwerk. Mit dem Fahrrad von Stadtfeld durch das Glacis nach Sudenburg. Ich mag das alles gerne.

Wie würden Sie die Menschen in Magdeburg beschreiben?
Bodenständig, nicht so leicht zugänglich, aber wenn man sie geknackt hat, dann für ein Leben lang.

Juni 2017
Interview aus INTER.VISTA 4

Vista.Schon?
Thomas Kluger ist 1963 in Heidelberg geboren. Von 1982 bis 1984 arbeitete er bei der Deutschen Bank AG in Heidelberg. Anschließend studierte er Jura an der Universität Heidelberg. 1990 war Thomas Kluger drei Jahre Referendar in Konstanz. Seit 1993 ist er hier am Magdeburger Landgericht als Richter tätig. Magdeburg beschreibt er als unterschätzte, vielschichtige und lebenswerte Stadt.

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