Vereinsvorsitzender, Koordinator, Filmkritiker, vielbeschäftigter Autor und Kabarettist. Die Liste an Aktivitäten, die der sogenannte ›Magdebürger‹ Lars Johansen vereint, reicht für mehr als ein Leben. Dem gebürtigen Hannoveraner macht all die Arbeit Spaß. Welchen ersten Eindruck er von Magdeburg hatte und wieso er damit gleich einen wütenden Leserbrief
verursachte, erzählt er uns im Interview.Außerdem hat er ziemlich exakte Vorstellungen, wie Magdeburg als Film aussehen würde.
Interview und Fotos: Philipp Schöner
Der deutsche Kabarettist Wolfang Neuss sagte einst: »Mein Geheimnis ist es, mich stets so dumm zu machen wie mein Publikum. Gerade so weit, dass sie glauben sie seien so gescheit wie ich.« Was ist Ihr Geheimnis für gute KabarettDarbietungen?
Man muss sich manchmal auch so klug machen wie das Publikum, denn es gibt ja durchaus unterschiedliche ›Publikümer‹. Dafür gibt es keinen Trick. Bei einer Live-Veranstaltung sollte man einen gemeinsamen Flow haben. Das ist jedesmal anders. Was zählt ist: Vorbereitet sein, klare Linie und Prämissen haben, an die man sich hält und das auf der Bühne rüberbringen.
Wie wird man eigentlich Kabarettist? Muss man dafür studieren?
Die beste Grundlage dafür ist, es machenzu wollen. Ich hatte das Glück, schon in der Schule Kabarett spielen zu können. Später haben wir uns in Hannover zusammengetan und uns Lehrer für verschiedene Bereiche gesucht. Akrobatik, Stimme, Spiel und anderes. Dadurch habe ich Grundlagen mitbekommen. Ich hatte auch einen Theater-Workshop bei Heinrich Pachl. Von ihm gibt es einen schönen Ausspruch: »Theater muss wie Fußball sein.« Das ist sehr wahr. Das Publikum muss mitgehen können und das Kabarett spüren. Außerdem habe ich Theaterwissenschaften in Gießen studiert.
Ich reise in Büchern und Filmen.
Was war Ihr Diplomthema?
Kabarett in Film und Fernsehen. Die Arbeit ist Gott sei Dank irgendwo verschollen, weil sie nicht brillant ist.(lacht) Ich hatte mich verschätzt, denn das Gebiet war sehr groß. Es gibt wenig ordentliche theoretische Literatur über Kabarett in Deutschland.
Haben Sie sich jemals als Wissenschaftler gesehen?
Nach der Diplomarbeit habe ich gewusst, dass ich es nicht bin.(lacht)
Vorher dachte ich, dass ich wissenschaftlich arbeiten könnte. Seit ein paar Jahren schreibe ich öfter über Filme. Es ist nicht wirklich wissenschaftlich, das weiß ich. Aber ich versuche mich von der theoretischen Ebene zu nähern und Dinge zu zeigen.
Ich habe beispielsweise zusammen mit anderen Autoren ein Buch über den italienischen Horrorfilm-Regisseur Lucio Fulci geschrieben und seit vielen Jahren mal wieder richtig wissenschaftlich gearbeitet. Das hat Spaß gemacht.
Vor dem Diplom kommt logischerweise erst mal die Studienzeit. Wie war Ihre?
Ich hatte den Luxus in Gießen studierenzu dürfen. Da waren wir insgesamt 16 Leute im Matrikel. Das war für einen Theaterstudiengang sehr gut. Es gab tolle Dozenten. Robert Wilson hatten wir mal da. Willem Dafoe konnte ich in Gießen live auf der Bühne sehen. Ich habe mitgroßen Augen staunend zugeguckt, was es alles gibt.
Und wie hat Sie das beeinflusst?
Ich konnte einige Zeit nicht spielen, weil ich von den hochintellektuellen
Performances meiner Mitstudenten beeindruckt war. Ich guckte zu und verstand nur die Hälfte. Ich dachte erst, ich sei nur ein kleines Würstchen. Irgendwann merkte ich aber, dass manche Sachen gar nicht so brillant waren. Nach einiger Zeit fanden wir in der Stadt einen Raum, der der Uni gehörte, den aber keiner nutzte. Gemeinsam mit einem Freund machte ich dann wieder Kabarettaufführungen.
Wie viele Semester haben Sie studiert?
1986 fing ich in Gießen an, 1992 dann Abschluss mit Diplom. Ich muss allerdings zu meiner Schande gestehen, dass ich vorher schon drei Jahre vergeblich Germanistik, Geschichte und Sozialwissenschaften in Hannover studierte. Aber ich merkte, dass es das nicht ist. Meine Eltern waren so nett diesen Weg mit mir zu gehen.
Fahren sie noch regelmäßig nach Gießen und besuchen alte Kommilitonen?
Nein. Ich bin seit 1994 in Magdeburg. Wenn man seit über 20 Jahren aus einer Stadt weg ist, dann ist man wirklich weg. Meine alte WG gibt es noch. Da wohnen sogar noch Leute drin, die ich kenne. Wir haben uns mal getroffen. Aber generell sieht man sich nur noch wenig.
Humor ist überall anders. Humor ist auch jeden Abend anders.
Wie sind Sie letztendlich in Magdeburg gelandet?
1992 hab ich aufgehört zu studieren und zunächst als Buchhändler gearbeitet. Nebenbei war ich Kabarettist. Ich stand vor der Entscheidung: Buchhändler oder Bühne? Als mein Vater starb, dachte ich, wer weiß wie lange ich noch lebe. Am 1. Januar 1994 kündigte ich deshalb. Kurz darauf zeigte mir ein Kommilitone eine
Stellenausschreibung eines Dresdner Kabaretts, auf die ich mich bewarb. Die Stelle wurde anders besetzt, aber sie schickten meine Bewerbung an ein Kabarett nach Magdeburg weiter, die mich dann anriefen. Nach zwei Vorsprechen wurde ich Autor und Darsteller.
Ich finde es auch unverzeihlich, wenn man sich auf Kosten von Minderheiten amüsiert.
Was hat Magdeburg, was andere Städte nicht haben?
Die Elbe. Die Stadt ist durch drei grundlegende Veränderungen gegangen. Das finde ich faszinierend. Der Dreißigjährige Krieg, die Besetzung durch Napoleon sowie die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der anschließende Wiederaufbau mit sozialistischer Prägung. Diese drei Schichten treffen unmittelbar aufeinander und lassen Bilder entstehen, die scheinbar nicht zusammenpassen. Da
steht das Hundertwasserhaus neben dem Dom, Plattenbauten neben Gründerzeithäusern. Zusammen ergibt das ein einzigartiges und interessantes Stadtbild.
Wie war Ihr erster Auftritt als Kabarettist in Magdeburg?
Daran erinnere ich mich kaum noch. Der Regisseur und Hauptautor ging kurz vor der Premiere von Bord und wir mussten alles kurzfristig umschmeißen. Er war nicht der Größte und Umjubeltste der Welt. Aber er war gut.
Wurden Sie schon mal wegen kritischen Aussagen angefeindet?
Das passiert natürlich. Ich hatte neulich eine Begegnung in der Straßenbahn. Ein Anhänger der AfD meinte, dass er mich und meine Programme nicht mag. Wir hatten ein Gespräch und am Ende meinte er, dass er mich immer noch nicht mag, aber meine Aussagen jetzt besser verstehe. Auch Lutz Trümper kam schon auf mich zu und fragte mich, was ich denn schon wieder für einen Mist erzählt hätte. Aber wenn man es schafft, dass sich jemand getroffen fühlt, dann hat es funktioniert.
Sozialkritisch und humorvoll ist man heute häufig auch bei Lesungen und Vorträgen. Ist Poetry Slam das neue Kabarett?
Interessantes Stichwort, denn was ist Kabarett? Das Wort kommt aus
dem Französischen und bezeichnet eine Drehscheibe mit Essen, wo sich
jeder das nehmen kann, was er gerne möchte. Begründet wurde das Kabarett im 19. Jahrhundert. Da stellten sich Studenten gegenseitig Sachen vor. Es wurde gelesen, gesungen, aufgeführt. Für mich ist Poetry Slam eine alte Form des Kabaretts. Slam wie auch Comedy und Liedermachen, alle diese Formen gehören zu dieser drehbaren Scheibe.
Sie sind nicht nur als Kabarettist, sondern auch als Kulturschaffender und Vereinsvorsitzender des Offenen Kanals und des Moritzhofs unterwegs. Was machen Sie denn, wenn Sie mal ausspannen wollen?
Genau das. Ich habe den Luxus, dass ich das, was ich gerne mache, auch beruflich mache. Das sind Dinge, die für mich keine lästige Pflicht sind, sondern die mir Spaß machen. Ansonsten gehe ich gerne zu
Bühnenaufführungen, gucke Filme und lese Bücher.
Wo holen Sie sich die Ideen für Ihre Arbeit?
Von überall her. Ich habe keinen Führerschein, weswegen ich Bahn fahre. Da hört man viel. Ich habe Internet.(lacht) Ich lebe mitten in der Stadt. Mich quatschen Leute oft einfach an und sagen, dass sie
was für mich hätten. Normale Gespräche mit netten, normalen Leuten bringen oft am meisten.
Ihre nicht ganz so geheime zweite Leidenschaft ist das Kino. Erzählen Sie mal.
Schon als Kind ging ich gern ins Kino. Im Studium organisierten wir während des ersten Golfkrieges ein autonomes Filmseminar. Wir haben uns mit dem Thema Medien und Krieg auseinandergesetzt und Filme vorgestellt, über die wir anschließend diskutierten. So haben wir
uns ein filmgeschichtliches Grundgerüst zugelegt.
Das sind keine Menschen, die spontan und fröhlich hüpfend durch die Strassen eilen.
Was ist Ihr Lieblingsfilm?
Das wechselt. Im Moment ist es Suspiria von Dario Argento aus dem Jahr 1977. eine Geschichte, die in einer Art Fantasie-München und- Freiburg spielt. Allerdings liegen in der Geschichte Freiburg und München nur fünf Minuten durch einen finsteren Märchenwald
voneinander entfernt. Deutschland durch die Augen eines Italieners.
ein sehr intelligenter und toller Film.
Sprechen Sie auch Italienisch?
Nein. Ich hatte in der Schule neun Jahre lang Latein und deswegen das große Latinum. Ich kann mir Sachen herleiten, aber ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich Italienisch spreche.
Wenn es hier heißt, dass etwas nicht ganz scheisse war, dann war es wohl schon recht gut.
Reisen Sie gerne? Nach Italien?
Ich bin niemand, der gerne und viel reist. Ich reise lieber in Büchern und Filmen. Einmal im Jahr gibt es ein Treffen eines Italoforums. Immer in einer anderen Stadt. da fahre ich hin. Ich kenne Rom, weil ich mal da war. Aber ich bin kein Reisender.
Den Lieblingsfilm hatten wir schon. Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler?
Das ist tatsächlich jemand, den jeder mag – Robert deNiro. Er hat zwar nicht unbedingt in Italo-Filmen mitgespielt, aber er hat jahrelang einen Haufen sehr guter Filme gemacht.
Wenn Magdeburg ein Film wäre und Sie müssten eine Rezension darüber schreiben, was würde da drin stehen?
Magdeburg ist ein Independent-Film. einer von den ganz großen ist er nicht, auch kein Blockbuster. Magdeburg ist intelligentes Indie-Kino, das sich mit Themen beschäftigt, mit denen sich nicht jeder große Film befasst. Hier und da wackelt die Kamera mal ein bisschen – auch aus
finanziellen Gründen. Der Ton ist ab und an nicht perfekt. Dadurch entsteht etwas sehr rohes und authentisches mit einer sehr bewegenden Kamera, die eine Stadt zeigt, die sich im und am Fluss befindet
und sich ständig verändert. Und dadurch tut er genau das, was ein guter Film auch macht – eigene Sehweisen überprüfen und verändern. Wie Magdeburg.
Mai 2017
Interview aus INTER.VISTA 4
Vista.Schon?
Lars Johansen wurde 1963 in Hannover geboren. Bevor er Theaterwissenschaften in Gießen studierte, absolvierte er ein Studium der Germanistik,Geschichte und Sozialwissenschaften in seiner Heimatstadt. Mit 30 Jahren entschloss er sich dann hauptberuflich Kabarettist zu werden und war ab 1994 im Magdeburger Kabarett Zwickmühle aktiv. Wenn er nicht gerade auf der Bühne steht, schreibter Filmkritiken und würde gerne auch noch einen Roman verfassen. Die ersten drei Worte, die ihm zu Magdeburg einfallen sind: Stadt am Fluss
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