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Matthias Nawroth

Seit einigen Jahren fühlt sich das Urgestein der Hotellerie als ›Magdeburger im Herzen‹. Im Gespräch mit Inter.Vista erzählt der 44-Jährige, wie er 9/11 in Washington D. C. erlebte, was er mit dem Ratskeller vorhat und warum es ihn überhaupt nicht interessiert, wenn Hotelbetten zerwühlt sind.

Interview und Fotos: Swantje Langwisch

Du warst beruflich schon viel unterwegs. Wo hat es Dir am besten gefallen?
Schwer zu sagen. Meine Heimat war immer dort, wo ich gerade war. Aber es gab immer einen Punkt, an dem es mich wieder in die Welt hinauszog und ich Veränderung brauchte. Beruflich hat es mir überall gefallen, privat fühle ich mich in Magdeburg zum ersten Mal angekommen.

Was zog Dich nach Magdeburg, obwohl Du in größeren Städten auch erfolgreich warst?
Ich war für den Maritim-Konzern in Berlin als Wirtschaftsdirektor tätig und bekam irgendwann einen Anruf vom Hauptgeschäftsführer, der sagte, er brauche mich in Magdeburg. Ich dachte erstmal: Okay, Magdeburg. Ich bin dann ein Wochenende vorab her gefahren und sah, dass die Stadt relativ cool ist.

Was hat Magdeburg anderen Städten voraus?
Dynamik. Der Bereich um den Alten Markt hat noch viel Potenzial und man merkt immer stärker, dass sich hier etwas tut. Es macht Spaß, diese Entwicklung mitzubekommen. Wir sind wahrscheinlich die einzige Landeshauptstadt, in deren Innenstadt es noch Entwicklungsräume gibt, weil Magdeburg noch nicht komplett entwickelt und modernisiert ist. Mittlerweile bin ich knapp sieben Jahre hier und merke, dass sich immer noch etwas verändern kann. Nicht ohne Grund wurden wir vor drei Jahren Stadtmarke des Jahres und setzten uns im Finale gegen Bern durch. Zur gleichen Zeit sind wir von der Wirtschaftswoche zur ›dynamischsten Großstadt Deutschlands‹ gewählt worden. Ich finde auch das Thema Netzwerk in Magdeburg großartig. Es hat genau die richtige Größe, um ein Netzwerk aufzubauen, ist aber auch groß genug, um Ecken zu finden, wo man nicht gesehen wird, wenn man es nicht will. Die Mischung macht es einfach. 

Inter.Vista, Foto: Swantje Langwisch

Warum bist Du weg vom Maritim ­Hotel?
Ich war zwanzig Jahre im Hotelmanagement und es war immer mein Ziel, das lebenslang zu machen und im Direktionsposten zu bleiben. Dann hörte ich von der Historie des Ratskellers und davon, dass er lange geschlossen war. Wir haben ja das große ›Ratskeller-Sterben‹ in vielen Städten Deutschlands. Ich hörte, dass es für die Einbauten (Sitzbänke, Trennwände, sonstiges Mobiliar, Anm. d. Red.) einen Interessenten aus der Ukraine gab. Ich wusste, dass bei einem Verkauf des Inventars, der Ratskeller nie wieder als Restaurant entstehen würde. Aber eine Stadt wie Magdeburg braucht so etwas einfach. Also entschied ich, die ganze Hotelkarriere hinzuwerfen und den Ratskeller zu übernehmen.

Wie hat die Übernahme funktioniert?
Es war ein bisschen holprig. Zunächst kaufte ich die Einbauten und das übrige Inventar aus Privatvermögen, um es zu sichern. Danach fing ich an, mit der Stadt und den Banken über die Finanzierung und Rahmenbedingungen für die Pacht zu sprechen. Zum Glück wurden wir uns einig. Dann renovierten wir hier umfangreich und konnten so den Ratskeller wiedereröffnen. Eine Bedingung an die Stadt war, dass ich auf dem Martin-Luther-Platz, wo zur Weihnachtszeit der Mittelaltermarkt stattfindet, einen Biergarten betreiben darf. Das war nicht so einfach, aber am Ende kriegten wir alle Behörden unter einen Deckel und bekamen die Genehmigung. Das war zwingend notwendig, weil die Leute im Sommer ungern im Keller sitzen. Jeder will die Sonnenstrahlen erleben und nicht in einem fensterlosen Restaurant sitzen. Das war wahrscheinlich auch das Problem des Vorbesitzers. 

Warum ist es eine Bereicherung für Magdeburg, dass Du den Ratskeller übernommen hast?
Ich weiß nicht, ob es eine Bereicherung ist, dass ich ihn übernahm. Aber es ist toll für die Stadt, dass der Ratskeller weiterhin besteht und es im Sommer auf der Freifläche unter den wunderschönen alten Linden den Ratsgarten gibt. Zudem ist der Ratskeller ein geschichtsträchtiger Ort. Mit über 325 Jahren gehören unsere Räumlichkeiten zu den ältesten Restaurants Deutschlands. Vorher war der Ratskeller unter anderem das Stadtgefängnis. So etwas sollte erhalten werden. Das Gewölbe selbst ist fast 800 Jahre alt.

»Mit über 325 Jahren gehören unsere Räumlichkeiten zu den ältesten Restaurants Deutschlands.«

Isst Du selbst im Ratskeller?
Ja, täglich. Aber nicht im Gastraum. Ich esse mit meinen Mitarbeitern. Auch für uns bereiten die Köche, in der Regel die Azubis, immer etwas Frisches zu.

Was gab es heute?
Noch nichts, weil wir immer nachmittags essen. Aber es wird selbstgemachte Pizza sein.

Inter.Vista, Matthias Nawroth, Foto: Swantje Langwisch

Inter.Vista, Matthias Nawroth, Foto: Swantje Langwisch

Was ist Dein Lieblingsgericht auf der Karte?
Keines, alles ist lecker. Wir haben ein Gericht auf der Karte, das heißt »Omas Rinderroulade«. Es wird tatsächlich nach dem Rezept meiner Großmutter zubereitet und natürlich esse ich das sehr gerne. Ansonsten mag ich alle Gerichte, sonst stünden sie nicht auf der Karte.

Was ist Dein Lieblingsplatz in Magdeburg?
Meine Wohnung.

Was war bisher Dein berufliches Highlight?
Es waren alles Highlights, sonst hätte ich es pro Station nicht mehrere Jahre ausgehalten. Aber die Zeit in den USA hat mich zumindest in der beruflichen Entwicklung stark geprägt.

Deine Managementausbildung hast Du in den USA absolviert. Wie war das?
Am Anfang war es anstrengend und ein schwieriges Pflaster. Ich war ja noch relativ jung. Mit 23 Jahren war ich das erste Mal Wirtschaftsdirektor in einem Fünf-Sterne-Hotel in den USA und musste mich echt durchbeißen. Aber dafür ist so eine Managementausbildung auch da. Ich lernte einen anderen Führungsstil. Ich musste erst realisieren, dass nicht alles, was ich aus Deutschland kannte, unbedingt der richtige Weg ist. Vor allem dieses ›mit dem Kopf durch die Wand‹. Das dauerte eine Weile. Sonst empfand ich die Zeit als sehr angenehm. 

Bewog Dich der 11. S­eptember wieder nach Deutschland zu gehen?
Nein, das kam zwangsläufig so. Das Arbeitsvisum in den USA ist arbeitgebergebunden. Es ist sehr teuer, es auf einen anderen Arbeitgeber umzuschreiben. Und durch den 11. September verlor ich meinen Job. Ich hätte vier Wochen Zeit gehabt, das Visum umzuschreiben. Normalerweise zahlen die Arbeitgeber das, weil man dort sehr um europäische Mitarbeiter bemüht ist, besonders in der Hotelbranche. Aber nach dem 11. September war die Hotellerie am Boden, die Chancen sehr gering, noch etwas zu finden und ich entschloss mich dazu, zurückzugehen.

Wie hast Du diesen Tag erlebt?
Arbeitend in einem Hotel in Washington D. C. Wir hatten ein Restaurant mit integrierter Sports-Bar. Vormittags liefen dort immer Nachrichten auf den Flat Screens und ich sah live, wie die beiden Flugzeuge nacheinander in die Twin Towers flogen. Parallel lief eigentlich ein Abteilungsleiter-Meeting, das ich dadurch etwas versäumte. Und dann gab es noch die Anschläge vor Ort. Eine Autobombe vor dem Capitol Building, eine Bombendrohung im Hotel, das Flugzeug, das in das Pentagon flog. Meine Wohnung war dort in der Nähe und die U-Bahn-Station, an der ich hätte aussteigen müssen, lag direkt darunter. Natürlich gesperrt. Es war alles sehr chaotisch, Hubschrauber über uns, gepanzerte Fahrzeuge in der Stadt. Das war keine Erfahrung, die ich noch mal machen möchte.

Hat Dir Dein USA-­Aufenthalt mehr Türen öffnen können, als eine hiesige Ausbildung es gekonnt hätte?
Definitiv. Eine Managementausbildung in dem Sinne, wie man sie in den USA machen kann, gibt es hier meines Wissens nach gar nicht. Das Ausbildungssystem dort ist ein komplett anderes. Hier haben wir ein duales System in jeder Ausbildung (Berufsschule und Praxis, Anm. d. Red.) und dort ist die Ausbildung ausschließlich praxisorientiert. Und natürlich öffnet einem ein beruflicher Auslandsaufenthalt immer ein paar Türen, die sonst verschlossen bleiben würden. 

»Ich musste erst realisieren, dass nicht alles, was ich aus Deutschland kannte, unbedingt der richtige Weg ist.«

Wie siehst Du die Menschen in Hotellerie und Gastronomie? Macht man sich überhaupt ein Bild von den Gästen?
Ganz selten. Ich glaube, worüber sich Gäste Gedanken machen, darüber denken die Mitarbeiter überhaupt nicht nach, weil es Alltag ist. Wenn jemand im Restaurant die Tischdecke total bekleckert, ist ihm das unangenehm, die Kellner interessiert das nicht die Bohne. Darüber wird nicht mal gesprochen. Oder wenn das Bett im Hotel zimmer total zerwühlt ist, das interessiert das Housekeeping gar nicht. Das ist tägliches Business. Aber natürlich lernt man durch den permanenten Umgang mit Menschen die verschiedenen Typen kennen und auch, sie zu lesen. Da gibt es auch immer Extreme, dann wird im Team halt auch mal drüber gesprochen. Es geht darum, sich auf die verschiedenen Typen einzustellen. Mit den Mitarbeitern und Kollegen ist das nicht anders. Sowohl auf Kollegenbasis, als auch als Vor gesetzter, kann man nicht jeden gleich behandeln. Der eine braucht eine etwas stärkere Ansage, der andere bricht dadurch zusammen. Mit dem muss man etwas sanfter umgehen, das lernt man mit der Zeit.

Und das hast Du drauf?
Da musst du meine Mitarbeiter fragen. (lacht)

Empfindest Du Magdeburg eher als Kulturnest oder Kulturhauptstadt?
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg zur Kulturhauptstadt 2025. Wir müssen noch ein bisschen was tun. Ein Kulturnest sind wir auf keinen Fall. Wir sind noch irgendwo dazwischen, aber haben ja noch ein paar Tage Zeit.

Inter.Vista, Ratskeller, Foto: Swantje Langwisch

Inter.Vista, Ratskeller, Foto: Swantje Langwisch

Bist Du selbst ein umgänglicher Hotelgast oder suchst Du nach Fehlern, da Du selbst aus der Branche kommst?
Nach Fehlern suche ich nicht mehr, das habe ich lange getan. Sogar meine Eltern sagten vor ein paar Jahren, es mache keinen Spaß mehr, mit mir Essen zu gehen. Heute ist das nicht mehr so. Mir fallen natürlich Fehler auf und ich bin dann auch sehr explizit, was das angeht. Ich spreche schon direkt an, wenn mir Dinge nicht gefallen.

Wie wird es für Dich in Magdeburg weitergehen?
Frau finden, Haus bauen, Kinder zeugen, Baum pflanzen. (lacht) Nein. Natürlich weiter am Ratskeller und am Ratsgarten arbeiten, das Geschäft und Catering ausbauen. Es gibt einige Projekte, die es über die nächsten Jahre zu realisieren gilt, die aber alle noch nicht spruchreif sind. Die Belebung des Alten Markts ist gerade in der Entwicklung als eine Art Gegenstück zum Hasselbachplatz. Die Leute können hier flanieren und überall etwas erleben: Essen, ein Eis, später einen Cocktail trinken.

Wie siehst Du die Konkurrenz in der Branche?
Konkurrenz gibt es grundsätzlich nicht, nur Mitbewerber. Grundsätzlich unterstützen wir uns als Gastronomen in Magdeburg gegenseitig. Gerade jetzt, auch mit der Tunnelbaustelle, müssen wir gemeinsam zusehen, dass wir genug Gäste in die Altstadt bekommen.

Woher kam das ursprüngliche Interesse für die Hotellerie?
Es war einfach da. Ich habe in der Schulzeit schon immer gesagt, ich werde entweder Hotelfachmann oder Bankkaufmann.

Was für ein Schüler warst Du?
Schwierig und sehr rebellisch, für meine Lehrer und Lehrerinnen mit Sicherheit nicht der einfachste Kandidat. Ich war leistungstechnisch ein sehr guter Schüler, das ärgerte sie obendrein.

Februar 2019
Interview aus INTER.VISTA 7

Vista.Schon?

Der Geschäftsführer des Magdeburger Ratskellers wurde 1974 in Wittenberg geboren, wo er die ersten 19 Jahre seines Lebens verbrachte. Nach Abitur und Zivildienst machte er eine Ausbildung zum Hotelfachmann im › schönen Münsterland‹ und eine weitere in Bochum zum Restaurantfachmann. Anschließend ging er für ein Praktikum in die USA, wo er insgesamt viereinhalb Jahre arbeitete, unter anderem in New York, Washington D. C. und Williamsburg, Virginia. Danach eröffnete er als Gastronomischer Leiter das Kempinski Hotel auf Rügen mit, war als Wirtschaftsdirektor in Bad Saarow in einem Wellnesshotel tätig, danach beim Maritim Hotel in Berlin. 2016 übernahm er den Magdeburger Ratskeller. Magdeburg beschreibt er als dynamisch, sich entwickelnd und er sieht noch Luft nach oben.

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