Wo viele auf dem Absatz kehrt gemacht hätten, ist Conrad Engelhardt geblieben. Aus einem Studenten-Nebenjob, bei dem er sogar selbst investieren musste, wurde eine Berufung. 26 Jahre sind seitdem vergangen. Mit Inter.Vista spricht der Chefredakteur des Magdeburger Stadtmagazins DATEs über die Anfänge im Mediengeschäft, seinen Buchverlag Ost-Nordost und darüber, was ihn an Magdeburg fasziniert.
Interview und Fotos: Philipp Schöner
Erinnerst Du Dich noch an dein erstes Date?
Mein erstes Date war mit meiner allerersten Freundin. Aber ich kann mich nicht konkret erinnern, das ist 33 Jahre her.
Aber wie Dein erstes Date mit DATEs verlief, das weißt Du noch?
Ja. Ich hatte gerade angefangen, Maschinenbau zu studieren. Damals kam eine Anfrage über Freunde, ob ich mir vorstellen könnte, für ein Magazin zu arbeiten, das in Magdeburg aufgebaut werden soll. Irgendwelche Investoren aus Westdeutschland seien da im Spiel. Warum nicht, dachte ich. Geld kann man immer gebrauchen. Im September 1990 trafen wir uns zum ersten Mal. Die vermeintlichen Investoren waren vier Jungs aus Hannover-Burgdorf. Sie hatten schon in Niedersachsen ein Magazin, das so klitzeklein war, dass man es fast nicht so nennen konnte. Ihre Wahl fiel auf Magdeburg, weil der Raum Hannover und Braunschweig schon besetzt war. Wir merkten relativ schnell, dass wir auf einer Wellenlänge waren. Es waren aber keine Jobs zu vergeben. Nein, sie suchten Investoren. Somit stand ich vor der Entscheidung, ob ich bereit bin, dieses Projekt finanziell mit anzuschieben.
Und Du warst bereit?
Naja, ich war verrückt genug, um zu sagen dass ich mir das vorstellen könne. Ohne zu ahnen, wie das mein gesamtes Leben beeinflussen würde.
Wann wurde DATEs letztendlich gegründet?
Den Beschluss fassten wir noch Ende 1990, kurz vor Weihnachten. Die eigentliche Firmengründung war im Februar 1991. Unser erstes Heft haben wir im April herausgebracht.
Wie kam es zu dem Namen?
Das ist eigentlich ein verballhorntes Konstrukt. Wir hatten mehrere Ideen auf dem Tableau. Englische Begriffe waren damals ziemlich en vogue. Der ursprüngliche Name war ein anderer – Up to Date. Nach zwei, drei Ausgaben hatten wir dann allerdings ein anwaltliches Schreiben auf dem Tisch. Es gab zur gleichen Zeit ein Münchner Modemagazin mit diesem Namen. Wir wurden der Markenrechtsverletzung bezichtigt. Aus heutiger Sicht wäre das nicht zum Tragen gekommen, weil wir nicht die gleiche Branche und das gleiche Verbreitungsgebiet hatten. Aber wir waren damals viel zu jung und unerfahren, um einen Rechtsstreit anzufangen. Der Name hatte sich noch nicht eingeprägt, und wir wollten da einfach möglichst glimpflich herauskommen, also haben wir das wieder gestrichen. Wir versuchten aber, das Logo zu erhalten. Den Kasten, in dem ›Up to‹ stand, haben wir einfach überradiert. An das ›DATE‹ haben wir ein ›s‹ angehängt und so entstand DATEs.
Wie siehst Du, mit etwas Abstand, heute den Namen?
Wir haben Jahre später gedacht, dass es eigentlich ein unpassender Begriff für ein Stadtmagazin ist. Man orientiere sich da an originellen Titeln in Hannover oder Nürnberg mit dem Schädelspalter oder dem Plärrer. Begriffe, die nicht das Genre ›Lifestyle‹ implizieren. Wir waren aber dann schon drei, vier Jahre dabei. Das anfangs vom Kentern bedrohte Schiffchen schwamm und nahm so langsam Fahrt auf. Heute, nach mehr als 25 Jahren, ist der Name zu etabliert in Magdeburg, um das nochmal umzuschmeißen.
»Man agiert in einem engen wirtschaftlichen Raum, in dem es nicht unendlich neue Kunden gibt […]. Die Stadt endet für uns an ihren Rändern.«
Welche Schwierigkeiten musstet Ihr meistern?
Zu Beginn war es im besten Sinne ein studentisches ›Start-Up‹ mit vollem Risiko. Wir bekamen keinerlei Förderung. Leute aus dem Medienbereich meinten, wir sollten die Finger davon lassen, da wir unser ganzes Geld verlieren würden. Wir haben es trotzdem gemacht. Jetzt erst recht. Jeder von uns hat 2.000 D-Mark eingebracht. Damit hatten wir genug Geld, um die Startauflage zu drucken. Außerdem war das Magazinmachen damals viel schwieriger als heute. Seiten mussten von Hand gesetzt werden, Bilder mussten litografiert werden. Das war sehr teuer und ungeheuer zeitaufwendig.
Was hältst Du von den neuen, webbasierten Möglichkeiten im Journalismus?
Der Zugang zum Medienmachen ist auf jeden Fall einfacher geworden. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Blogger mit großer Reichweite. Wenn es allerdings eine Krisensituation gibt – nehmen wir als Beispiel mal das Elbhochwasser – dann sind valide Informationen plötzlich Gold wert. Da haben die Medien eine besondere Funktion. Bei solchen Situationen greift man dann auf vertrauenswürdige Quellen zurück, die man schon lange kennt.
Also siehst Du Blogs und Internetportale nichts als Gefahr für DATEs?
So ein Stadtmagazin ist nichts, was man einfach so nachbilden kann. Allein in unserem Veranstaltungskalender steckt ein riesiger Aufwand. Deswegen sehe ich für uns eher die Vorteile der neuen Medien, als dass es hinderlich wäre.
Was macht für Dich guten Journalismus aus?
Wenn man es regional sieht, dann der gute Mittelweg zwischen journalistischer Arbeit und dem Anzeigenbereich. Auf der einen Seite gibt es den freien redaktionellen Raum, in dem man journalistisch aktiv sein kann, auf der anderen Seite versucht man, den Interessen von Kunden und Werbung zu entsprechen. Diese Grenzen verschwimmen vor allem im regionalen Bereich stark. Das produziert einen gewissen Erwartungsraum, dem du dich als Medienmacher stellen musst. Man agiert in einem engen wirtschaftlichen Raum, in dem es nicht unendlich neue Kunden gibt, in dem man nicht so einfach ausweichen kann. Die Stadt endet für uns an ihren Rändern. Das ist für überregionale Medien einfacher, aber auch nur begrenzt, denn die Mechanismen funktionieren ähnlich. Guter Journalismus ist, wenn man sich immer zuerst als Freund des Lesers sieht und das Wirtschaftliche trotzdem im Hinterkopf hat.
Wann bist Du nach Magdeburg gekommen?
Ich bin in Thüringen geboren. Mein Vater war Geologieingenieur und hat eine Stelle in Magdeburg angenommen. So sind wir in diese Stadt gekommen. Das war Anfang 1970, als ich zwei Jahre alt war.
Du hast in Magdeburg Maschinenbau studiert.
Ja, ich habe es bis zum Vordiplom geschafft. Das richtige Diplom habe ich bedauerlicherweise nicht mehr abgegeben. Das haben mir meine Eltern auch Jahre lang vorgehalten. Sicherlich ein Schwachpunkt in meiner Biographie. (lacht)
Ab wann warst Du Vollzeitjournalist?
Das war nach vier, fünf Jahren. Dann war klar, dass nicht alle Gründungsmitglieder im operativen Geschäft arbeiten würden, sondern nur ein, zwei. Die Frage stand im Raum, ob ich mir das vorstellen kann. Es war ja nicht so, dass mich Medien vorher nicht interessiert hätten. Schon in der Schule habe ich zum Beispiel über die olympischen Spiele berichtet. Insofern hat das Thema auch mich gefunden und irgendwann reifte der Entschluss. 1996 schied unser damaliger Redaktionsleiter Peter Stumpf, von dem ich viel lernen durfte, aus, und ich habe übernommen.
»Guter Journalismus ist, wenn man sich immer zuerst als Freund des Lesers sieht.«
Warum hast Du etwas Technisches studiert?
Weil es nahe lag. Der Medienberuf stand damals noch nicht so im Vordergrund. Technische Berufe waren und sind einfach welche, die tragen. Ich hätte genauso gut ein Leben als Konstrukteur führen können. Das interessiert mich bis heute.
Was magst Du an Deinem Job als Redaktionsleiter besonders?
Mich fasziniert, dass die komplette Palette einer Stadt offen vor dir liegt. Du triffst so viele unterschiedliche Leute wie in keinem anderen Job. Es ist aber nicht so, dass man dadurch automatisch jeden kennt. Kontakte muss man pflegen, damit man sie Kontakte nennen darf. Es gibt Leute, die sind kommunikativer, andere weniger. Ich liege da irgendwo in der Mitte, ich bin nicht der Oberkommunikator.
Und was ist nicht so schön?
Manchmal wünschte ich mir mehr finanzielle Sicherheiten, um auch mal über den eigenen Horizont hinausgucken zu können. Es gehört letztendlich zu einem Gewerbebetrieb, dass man sich finanzieren muss. Aber es würde sicher manches leichter machen, wenn man nicht diesen permanenten Druck hätte, ausreichend Anzeigenerlös zu erzielen. Andere Leute sind ab und zu überrascht, dass wir komplett privat finanziert sind, ohne Zuschüsse oder Förderungen durch die Stadt. Diesen Druck nimmt man als Redaktionsleiter und Anteilseigner manchmal mit.
Druck- und Stressresistenz sind also essenziell für diesen Beruf?
Es gibt immer mal intensivere Phasen. Das ist ein zyklisches Verhalten über den Monat. Früher hatte man nach dem Druck manchmal ein paar Tage, wo ich mich besinnen konnte. Das ist heute weniger geworden. Ich mache neben dem Job als Redaktionsleiter noch andere Sachen. Zum Beispiel betreibe ich noch einen Buchverlag. Das ist mein Ausgleich. Das Konzeptionieren von Medienprodukten und Büchern macht mir Spaß.
Der Ost-Nordost Verlag. Wie kam es dazu?
Im Grunde hätte man das auch über unseren DATEs Medien Verlag laufen lassen können. Wir bringen auch nicht nur das DATEs-Heft heraus. Das Berufsbildungsheft Mission Zukunft oder Studieren in Magdeburg sind weitere Produkte. Im Jahr sind es etwa 40 bis 50 Publikationen. Der Buchverlag hat ein ähnliches Raster, ist regional geprägt. Der Kostenaufwand ist hier aber noch höher, und ich bin nicht alleine bei DATEs. Deshalb hätte ich auch die anderen überzeugen müssen, dass das eine gute Investition ist. Ich war mir aber selbst nicht sicher, ob es funktioniert. Außerdem ärgerte mich, dass es keinen großen Buchverlag in Magdeburg gab. Wichtige Titel über die Stadt wurden in Halle herausgegeben. Das habe ich immer als kleinen ›Stich‹ empfunden, weil ich denke, dass ein Verlagswesen zum Kulturbereich einer Stadt dazu gehören sollte. Deswegen habe ich es einfach selbst probiert. Mittlerweile gibt es den Verlag seit zehn Jahren.
»Kontakte muss man pflegen, damit man sie Kontakte nennen darf.«
Welches ist Dein Lieblingsbuch aus Deinem Verlag?
Ein wichtiges Buch ist der Bild-Band von Hermann Brösel. Ein Archiv von Farbfotos aus dem Magdeburg der Sechziger. Ich denke, das ist ein Meilenstein für die Stadtgeschichte. Mein Lieblingsbuch ist aber Magdeburg mit Kindern, das ich allerdings nicht mehr herausgebe. Das war das erste Buch, das ich verlegt habe. Mein Gedanke dazu war damals folgender: Du als ›jappeliger‹ Partygänger, als Pistenschleicher, der nachts in den Bars und auf den Dancefloors unterwegs ist, bekommst auf einmal ein Kind. Das geht schneller als man denkt. Ich wollte diesen Menschen zeigen, was man in Magdeburg mit Kindern machen kann. Logischerweise rührte das auch aus der Erfahrung mit meinen eigenen Kindern.
Das Buch stammt aus Deiner eigenen Feder. Was ist der größte Unterschied zwischen dem Schreiben von Artikeln und dem Verfassen von Büchern?
Der Zeithorizont. Die Zeitung von heute beispielsweise ist morgen schon nur noch Papier zum Einwickeln für Heringe. Die hat morgen schon ›einen Bart‹, der ist so lang, dass er ›zum Mond‹ reicht. Ein Magazin lebt etwas länger, ein bis vier Monate. Ein Buch sollte einen Horizont haben, der deutlich über einem Jahr liegt. Es gibt heute auch Bücher – Taschenbücher – die dem ursprünglichen Charakter dieses Mediums gar nicht mehr entsprechen. Es gibt Bücher, die aufwendig gebunden werden, aber bald schon ›kalter Kaffee‹ sind. Bei mir ist es so, dass von 25 Büchern über 20 Stück Hardcoverversionen waren. Das ist ein Indiz dafür, mit welchem Anspruch ich Bücher verlege.
»In Magdeburg gibt es immernoch Ecken, die darauf warten, wachgeküsst zu werden. Irgendwann wird es passieren.«
Die meisten der von Dir verlegten Ausgaben handeln von Magdeburg. Was fasziniert Dich an dieser Stadt als Thema?
In diesem Jahr ist ein Begriff aufgetaucht, der das ganz gut beschreibt: Hidden Champions. Magdeburg ist so einer. In der Darstellung nach außen ist Magdeburg unterrepräsentiert. Die Leute, die hier leben, haben eine positive Einstellung zur Stadt. Viele Leute, die hierher kommen, haben einen positiven Eindruck. Wir sind in der nationalen Wahrnehmung deutlich unter Wert. Wir müssen nicht tun, als wären wir der Nabel der Welt. Aber Magdeburg hat sich von seinem ehemaligen Image – eine graue Stadt mit Schwermaschinenbau zu sein, ohne bürgerliche Mitte, ohne geistige Elite – gelöst. Wir haben vieles davon zurückgewonnen. Über Magdeburg habe ich im Lauf der Jahre außerdem so viel gelernt, dass allein durch dieses Wissen eine besondere Beziehung entstanden ist. Magdeburg ist mir ans Herz gewachsen.
In welchem Stadtteil lebst Du und was gefällt Dir daran?
Ich wohne mit meiner Familie in der Alten Neustadt, haarscharf an der Grenze zur Altstadt. So, dass man das Opernhaus fußläufig erreicht. Da sind wir auch sehr gerne. Die Alte Neustadt galt lange Zeit als Stadtteil für alte Leute. Wir wohnen in Riechweite des Grillplatzes vom Nordpark. Da sind wir im Sommer auch sehr oft. Das ist meiner Meinung nach eine Form von Kultur, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Sich auf eine Wiese zu setzen, galt lange Zeit als ›doof und oll‹. Das hat sich mit der Zeit verändert. Heute sitzen dort im Sommer viele Gruppen. Außerdem ist die Nähe zur Elbe schön, der Wissenschaftshafen. In Magdeburg gibt es immer noch Ecken, die darauf warten, wachgeküsst zu werden. Irgendwann wird es passieren.
»Die DDR war ein sehr enger Mantel, aber er war warm.«
Gibt es aus Deiner Sicht etwas, das vor der Wende in Magdeburg besser war?
Die Spaltung der Stadt in diejenigen, die teilhaben, und die, die nicht teilhaben können, war geringer. Erst neulich ist mir wieder aufgefallen, wie schnell sich die Plakate nach der Wende geändert haben. Vor der Wende standen da Sachen wie »Visafrei bis nach Hawaii« oder »OB, Adé!«. Als die Wiedervereinigung kam, las man da plötzlich soziale Themen, wie »Vergesst uns die Rentner nicht« und ähnliches. Das war die deutlich erkennbare Angst, vergessen zu werden. Die DDR war ein sehr enger Mantel, aber er war warm. Nach der Wende gab es 20 verschiedene Mäntel, aber es war auch klar, dass es Leute gab, die keinen haben würden.
Wo zieht es Dich in Magdeburg hin, wenn Du entspannen möchtest?
An die Elbe. Kaum einer weiß, dass es am Elbufer richtig weiße Sandstrände gibt. Die sieht man in Magdeburg selbst eigentlich nicht. Das beginnt nördlich der Stadt, so richtig erst im Stadtteil Rothensee. Hinter Tangermünde gibt es die allerschönsten. Am Herrenkrug gibt es auch ein paar schöne. Da hat die Elbe eine Aufenthaltsqualität, die sehr entspannend wirkt.
Dezember 2016
Interview aus INTER.VISTA 3
Vista schon?
Conrad Engelhardt ist 1968 in Thüringen geboren. Der Gegenstand, ohne den er sich seine Arbeit nicht vorstellen kann, ist seine handgearbeitete Porzellantasse mit Schmetterlingsmuster, aus der er türkischen Kaffee trinkt. Als größte Schwäche beschreibt er selbst als einen gewissen Hang zur Unpünktlichkeit (zum Interview erscheint er 25 Minuten zu spät). Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Katze und schwört, dass er seinen eigenen Namen noch nie gegoogelt hat. Magdeburg beschreibt er als unterbewertet, schön und liebenswert.
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