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Varg Königsmark

Er war erfolgreicher Hürdenläufer bis seine Achillessehne den 24-Jährigen zwang, die Laufschuhe an den Nagel zu hängen. Wie der erfolgreiche Zehnkämpfer Ashton Eaton seine Entscheidung beeinflusste, was er an Magdeburg am meisten schätzt und welche Rolle Dunkin’ Donuts für ihn spielt, erzählt Varg Königsmark im Gespräch mit Inter.Vista.

Interview und Fotos: Vera Bungarten

Du hast 2011 die Goldmedaille bei den Junioren-Europameisterschaften im Hürdenlauf über 400 Meter gewonnen. Welche Bilder kommen Dir in den Kopf, wenn Du dich zurückerinnerst?
Jetzt musste ich kurz stutzen, sechs Jahre ist das schon her? Das ist echt verrückt, weil ich die Bilder noch ziemlich klar vor Augen habe. Das war eine meiner ersten internationalen Meisterschaften. Ich war total begeistert vom Austragungsort Tallinn, weil ich ohne dieses Event nie ins Baltikum gekommen wäre. Wir wurden nahezu pompös am Flughafen empfangen. Die Stadt ist eine Mischung aus ›sehr modern‹ und ›alt‹. Dort herrschte ein totales Gewusel, das war schon ganz schön. An den Wettkampf selbst kann ich mich nur schwer erinnern. Es war ein kleines Stadion. Es war kein riesiges Sportevent, wie Olympia, aber dadurch zusammenhängend und überschaubar.

Würdest Du wieder nach Tallinn reisen?
Ja, definitiv. Ich dachte damals schon, dass ich irgendwann zurückkommen werde. Ich habe auch noch ein paar Freunde dort, bei denen ich sicher mal wieder vorbeischauen werde.

Inter.Vista, Varg Königsmark, Foto: Vera Bungarten

Inter.Vista, Varg Königsmark, Foto: Vera Bungarten

Wenn man Kinder nach Berufswünschen fragt, wollen diese Prinzessin oder Fußballer werden. Wie bist Du zum Hürdenlauf gekommen?
Das war ein langer Prozess. Alles, was nicht funktionierte, haben wir sukzessive gestrichen. Angefangen habe ich mit Hockey. Als Kind ist es üblich, Leichtathletik zu machen. Damals wurde alles ausprobiert: Erst sind wir über Bananenkisten gesprungen. Wahrscheinlich war ich auf der flachen Strecke zu langsam, weswegen mein Trainer mich etwas anderes ausprobieren ließ. So bin ich zu den Hürden gekommen. ›Leider‹, habe ich manchmal gesagt, weil das Training dafür sehr heftig ist. Teilweise habe ich es verflucht. Allerdings war es das, was ich am besten konnte.

Was würdest Du als Deine größte sportliche Schwäche bezeichnen?
Eine meiner Schwächen war der Start. Es fing schon mit der Reaktionszeit an. Bei den internationalen Wettkämpfen wird diese gemessen und in meiner Trainingsgruppe war ich als der langsamste Starter bekannt. Ich hatte immer Reaktionszeiten von 0,3 Sekunden, was echt langsam ist. Die Besten werden mit etwa 0,1 gestoppt.

»Teilweise habe ich es verflucht. Allerdings war es das, was ich am besten konnte.« 

2009 bist Du vom SSC Koblenz-Karthause zum SC Magdeburg gewechselt. Wieso hast Du Dich für den Wechsel entschieden?
Eigentlich bin ich erstmal von Koblenz nach Berlin gewechselt, wo ich mein Abi machte. Für den Wechsel nach Magdeburg gab es mehrere Gründe. Ich war in Berlin mit der Schule fertig. Anschließend studierte ich zwei Semester Mathematik. Das hat nur die ersten zwei Tage Spaß gemacht. Ausschlaggebend war, dass sich meine Berliner Trainingsgruppe auflöste. Nach der Schule entscheiden sich die meisten, welchen Weg sie gehen: Leistungssport oder Studium. Mein Trainer in Berlin war von der alten Schule und durch die ehemalige DDR geprägt. In Magdeburg hatte ich die Aussicht auf einen relativ jungen Trainer, den ich kannte und der mich haben wollte. Durch den Wechsel habe ich mir erhofft, noch einen Schritt weitergehen zu können, was meine Leistung betrifft. All das überzeugte mich letzten Endes davon, diesen Weg zu gehen.

Was war Dein erster Eindruck von Magdeburg?
Es gibt keinen Dunkin‘ Donuts. (lacht) In Berlin habe ich mich nie darum geschert, dorthin zu gehen, aber irgendwie hatte ich mich daran gewöhnt. Magdeburg wirkte auf mich immer etwas kleinstädtisch. In den ersten Wochen wollte ich wieder nach Berlin zurück, jedes Wochenende bin ich nach Hause gefahren. Ich glaube aber, dass es die Berliner Großmütigkeit ist: »Hey, wir kommen aus der großen Stadt und verstehen, wie die Welt funktioniert.« Magdeburg holte mich schnell auf den Boden zurück.

Hast Du einen Lieblingsort in Magdeburg?
Ich bin sehr gerne im Stadtpark. Ich wohne dort in der Nähe. Der Stadtpark war auch das Erste, das ich in Magdeburg kennenlernte. Ich dachte damals, dass es überall in der Stadt so aussieht. Ich verbinde viele Erlebnisse mit dem Stadtpark: Picknicks, Dauerläufe oder abends an der Elbe sitzen.

Wie kam es zu der Entscheidung, Psychologie zu studieren?
Ich hatte mich in Magdeburg eigentlich für ein Wirtschaftsfach eingeschrieben. Einen Tag vor Bewerbungsschluss habe ich noch meine Bewerbung für Psychologie abgeschickt. Das war eine absolute Bauchentscheidung. Es herrschte in meiner Familie lange ein negatives Bild von diesem Fach, weil es eine Art brotlose Kunst sei. Davon habe ich mich sehr lange leiten lassen, bis ich mir gesagt habe, dass ich das jetzt einfach mache, egal was meine Eltern sagen. Es war für mich einfach interessant. Ich merkte es beispielsweise auch im Sport, dass Psychologie ein großer Einflussfaktor ist. Mich faszinierte, dass zwei Menschen mit demselben Trainingsniveau durch unterschiedlichste psychologische Einflussfaktoren komplett andere Leistungen bringen können.

Deinen Rücktritt vom Leistungssport hast Du zu Beginn des Jahres verkündet, Deine Pläne für 2017 haben sich dadurch sicherlich auch geändert. Welche Prioritäten hast Du Dir gesetzt?
Die Entscheidung, nach langjähriger Verletzung aufzuhören, traf ich erst kurz vor Weihnachten. Bisher wusste ich jeden Morgen, was ich zu tun habe. Ich ging zum Training und hatte damit mein Tagesziel erreicht. Alles andere lief so nebenbei. Das Studium war in Teilzeit und eine gute Ablenkung. Jetzt ist es mein Hauptaugenmerk. Ich muss erstmal lernen, mir darüber Gedanken zu machen, wohin ich will und was ich dafür tun muss. Ich habe keinen Trainer mehr, der die Richtung vorgibt. Ich muss jetzt die Arschbacken zusammenkneifen und am Schreibtisch sitzen, was mir noch schwerfällt.

In einem anderen Interview hast Du gesagt, dass der Rücktritt von Zehnkämpfer und Weltrekordler Ashton Eaton bei der Entscheidungsfindung geholfen hat. Inwiefern würdest Du ihn als Vorbild bezeichnen?
Er ist ein Vorbild, aber nicht wegen seiner Erfolge. Er hat eine ruhige und freundliche Ausstrahlung ohne Star-Allüren. Ich habe immer bewundert, dass er am Boden geblieben ist. Der Rücktritt von ihm und seiner Frau, beide Mehrkämpfer, obwohl sie noch im besten Alter (A. d. R. 29 und 28 Jahre alt) sind, hat mich zum Nachdenken gebracht. Seine Beweggründe konnte ich total nachvollziehen: Leichtathletik ist ein Spiel und du drückst alles andere irgendwie auf Pause. Ashton Eaton hatte alles erreicht. Ich hätte mich zwar noch verbessern können, aber über die letzten Jahre war mein Einsatz immer höher als der Lohn. Nach fast zwei Jahrzehnten im Reitsport kann ich mir, trotz mehrerer Unfälle, nicht vorstellen aufzuhören.

Inter.Vista, Varg Königsmark, Foto: Vera Bungarten

Inter.Vista, Varg Königsmark, Foto: Vera Bungarten

Wie fühlt es sich an, wenn man sich mit 24 Jahren bewusst dazu entscheidet den Sport an den Nagel zu hängen?
Ich glaube, ich bin immer noch in diesem Prozess, auch wenn ich schon länger darüber nachgedacht habe. Viele Leute schrieben mir oder riefen an, die sagten, es sei sehr schade. Das kann ich auch nicht leugnen. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich so früh davon loslassen muss. Ich versuche mich davon abzulenken. Ich sage mir, dass die Option da gewesen wäre, weiterzumachen. Aber ich kann dem Anspruch, den ich an mich stelle, nicht mehr gerecht werden. Das ist viel unbefriedigender. Für mich ist aufhören die bessere Option.

Im August 2016 war Dein letzter Wettkampf, bereits zuvor musstest Du mehrfach wegen der Achillessehne pausieren. Ist ein Achillessehnenriss in der Leichtathletik eine genauso verbreitete Verletzung wie beispielsweise ein Kreuzbandriss im Fußball?
Ich würde schon sagen, dass es vor allem bei Sprintern, die Verletzung Nummer eins ist. Der Fußballer hat mit einem Kreuzbandriss vielleicht ein bisschen Ärger, kann sich aber davon gut erholen. Das Problem eines Achillessehnenrisses beim Sprinter ist, dass du natürlich versuchst, auf maximale Belastung zu gehen. Man vertraut seinem Körper nicht mehr und der Kopf spielt einem einen Streich, weswegen viele dann auch Schluss mit der Leichtathletik machen. Bei mir kam es gar nicht so weit, gerissen habe ich sie mir nicht, aber das ist vielleicht auch Teil des Problems. Mein Körper sagte einfach nicht: ›So, jetzt haben wir ein Problem, es geht nicht weiter.‹ Ich machte immer weiter, habe relativ lange mit einer chronischen Stressreaktion trainiert. Damit tat ich mir natürlich keinen Gefallen. Gerade bei Hürdenläufern ist eine Verletzung der Achillessehne der Super-GAU.

 »Anders als in Berlin kann man sich in Magdeburg nur selber stressen.«

Wie würdest Du Magdeburg in drei Worten beschreiben?
In nur drei Worten. (schmunzelt) Überraschungseffekt: ›Don’t judge a book by it’s cover‹. Der erste Eindruck ist vielleicht grau, aber Magdeburg hat auf jeden Fall etwas Unvorhersehbares. Entspannt: Anders als in Berlin kann man sich in Magdeburg nur selber stressen. Maritim: Ehrlich gesagt, kann ich mir gar keine Stadt ohne Fluss vorstellen. Vor allem im Sommer kann man so viel am Gewässer unternehmen.

Was vermisst Du in Magdeburg und worauf möchtest Du nicht mehr verzichten?
Also ich wünsche mir keinen Dunkin’ Donuts mehr. Ich finde, man könnte das kulturelle Angebot noch mehr in den Vordergrund rücken. Ich habe immer das Gefühl,dass es gerade in der Innenstadt nach 20 Uhr noch mehr Kultur geben könnte. Im Sommer vielleicht Live-Musik an den Abenden. Man hört in der Stadt nur wenige Töne. Es gibt zwar Wohnzimmerkonzerte und Ähnliches, aber es findet immer im kleinen Kämmerchen statt. Im Gegenzug möchte ich diesen Entspannungsfaktor nicht mehr missen. Man weiß, wo was los ist. Wenn ich Ruhe suche, gehe ich in den Herrenkrug oder den Stadtpark. Will ich ein bisschen Action, bin ich am Hasselbachplatz. Man wird hier nicht lange damit aufgehalten, darüber nachzudenken, wo man hingeht. Man kennt seine Ecken.

Januar 2017
Interview aus INTER.VISTA 3

Vista.schon?
Varg Königsmark wurde 1992 in Bergen (Rügen) geboren. Nach seinem Abitur studierte er zunächst zwei Semester Mathematik. In Magdeburg wollte er eigentlich Wirtschaft studieren, entschied sich aber für ein Psychologie-Studium. Sein Studium bezeichnete er bisher nur als »gute Ablenkung vom Sport«, denn bis 2017 war er erfolgreicher Hürdenläufer mit internationalen Medaillenerfolgen. Den Stadtpark beschreibt er als seinen Lieblingsort, wobei er die maritime Atmosphäre Magdeburgs besonders schätzt.

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