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Wolfgang Heckmann

»Der alte Mann und das Kino« titelte die Volksstimme einmal über ihn. Wolfgang Heckmann ist kein normaler Kinobesitzer. 2003 kaufte er aus Leidenschaft zum Film das OLi-Kino in Stadtfeld und restaurierte es. Mit einem gewissen Charme vergangener Tage erfreut sich das ehemalige Carl-Krayl-Kino wieder großer Beliebtheit. Mit Inter.Vista spricht Wolfgang Heckmann über die Faszination Kino, berichtet von der kuriosesten Veranstaltung im OLi und verrät, was ein Fleurop-Bote und ein Kinobesitzer gemeinsam haben. 

Interview und Fotos: Tobias Barthel 

Haben Sie einen Lieblingsfilm?
Mein Lieblingsfilm heißt Der Mann der Friseuse. Ein etwas älterer Film mit Jean Rochefort in der Hauptrolle und Patrice Leconte als Regisseur. Mir wurde von mehreren Leuten gesagt, dass ich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hauptdarsteller habe. Außerdem wäre ich gern wie der Protagonist des Films. Seit meinem 19. Lebensjahr habe ich eine 60-Stunden-Woche und arbeite gern viel. Der Protagonist hingegen hat so gar keine Lebensleistung vorzuweisen. Seine einzige Aktivität ist es, eben der Mann der Friseuse zu sein.

Was fasziniert Sie am Kino?
Es ist einfach etwas anderes als Fernsehen oder sich Videos auf dem Laptop anzusehen. Kino ist Gesellschaft. Man kann während oder nach einem Film mit Leuten sprechen und sich darüber austauschen. Als ich vor vielen Jahren in Berlin lebte, gingen wir einmal im Monat ins Kino. Dabei bestimmte jedes Mal ein anderer, welchen Film wir sehen. Danach gingen wir oft in ein Restaurant oder eine Kneipe und werteten den Film aus. Es ist toll, festzustellen, dass andere eine ganz andere Meinung zu bestimmten Filmen haben und Szenen völlig anders wahrnehmen. Allein deshalb liebe ich Kino einfach.

»Es wäre sehr bitter, wenn das Gebäude nach mir doch zu einem Supermarkt werden würde.«

Sie haben 2003 das OLi-Kino gekauft. Den Betrag haben Sie komplett aus eigener Tasche bezahlt und dafür ihre Wohnung verkauft. Das war sicher ein riskanter Schritt.
Als Professor verdient man ja nicht so schlecht. Somit hatte ich schon ein bisschen Geld zusammen. Der Preis des Kinos war erstaunlicherweise verhältnismäßig günstig. Ich war völlig naiv und wusste noch nicht, was da für ein ›Rattenschwanz‹ dranhängt. Ich hatte zwar schon Wohnungseigentum, hatte aber noch nie eine öffentliche Institution besessen. Dann erfuhr ich, was es mit Begriffen wie Brandschutz oder Bauordnung auf sich hat. Um das Kino letztendlich für den öffentlichen Publikumsverkehr zu öffnen, musste ich sehr viele Auflagen erfüllen. Das führte dazu, dass ich viel von meinem Besitz verkaufen musste.

Inter.Vista, Prof. Dr. Wolfgang Heckmann, Foto: Tobias Barthel

Inter.Vista, Prof. Dr. Wolfgang Heckmann, Foto: Tobias Barthel

Wie kamen Sie zu dem Entschluss, das Kino zu kaufen?
Seit ich in Magdeburg wohne, bin ich Stadtfelder. Aufgrund der Stadtentwicklung in Westeuropa wusste ich, dass Stadtfeld als so genanntes ›West End‹ einmal das schönste Viertel der Stadt wird. Damals meinten viele Leute zu mir, dass dort alles grau und düster sei und man da nicht wohnen könne. Da ich aber wusste, dass es sich noch entwickelt, zog ich trotzdem dorthin. Ab 2002 lebte ich allein und ging abends nach den Tagesthemen oft in die Kneipe. Fast jeden Abend kam dort das OLi zur Sprache. Alle haben darüber geredet, dass das Gebäudeverfällt, dem Vandalismus ausgesetzt ist und es doch gerettet werden müsste. Aber keiner hat es gemacht. Da ich Single war und meine Tochter mich nicht mehr brauchte, dachte ich mir: Jetzt kaufst du das Kino. 2003 konnte man praktisch nirgendwo ins Kino gehen. Im Studiokino war es sehr kalt und von den 14 Filmen, die im Cinemaxx liefen, war fast alles Mist. Da habe ich mir eben ein eigenes Kino gekauft.

Die Sanierung lief parallel zu ihrer Professur an der Fachhochschule. Haben Sie das eher als Stress empfunden oder war die Leidenschaft für das Projekt größer?
Ich muss zugeben, dass ich an den Auflagen mit den dazugehörigen Kosten etwas verzweifelt bin. Damals hatte ich sogar einen kleinen Verarmungswahn. Statt an die Frischetheke im Öko-Laden zu gehen, habe ich abgepackte Wurst im Discounter gekauft, weil ich mir Sorgen um die Finanzierung machte. Aber das Kino ist mittlerweile ein wunderbares Hobby. Früher, als ich noch zur Schule ging, lieferte ich nebenbei für die Post Pakete aus. Da schaute ich oft in mürrische Gesichter, wenn die Leute Porto nachbezahlen mussten oder etwas per Nachnahme erhielten. Ich habe mir damals immer gewünscht, Fleurop-Bote zu sein, weil man sich immer freut, wenn man Blumen bekommt. Mittlerweile habe ich einen Job, bei dem ich Leuten Freude bereite. Man schaut als Kinobetreiber fast immer in freudige Gesichter.

»Da merkt man, dass das was man als verrückter Kino-Professor so anstellt, auch anerkannt wird.«

Das OLi-Kino existiert bereits seit 1936 und feierte 2016 sein 80-jähriges Jubiläum. Wie und wo wurde gefeiert?
Obwohl die Eröffnung damals im September war, haben wir im März gefeiert, weil daauch mein Geburtstag ist. Wir haben unter dem Motto »80 Jahre OLi – 70 Jahre Hecki« eine gemeinsame Feier veranstaltet. 

Sie haben regelmäßigen Kinobetrieb. Welche Filmgenre sind am beliebtesten?
Es gibt Klassiker, die wir jedes Jahr zeigen. Beispielsweise Casablanca oder Blutige Erdbeeren. Die werden immer gut besucht. Außerdem zeigen wir seit sieben Jahren am letzten Adventssonntag Die Feuerzangenbowle. Ich stehe dann neben der Leinwand und koche Feuerzangenbowle. Ansonsten planen wir immer ein Halbjahresprogramm unter einem bestimmten Motto. Beispielsweise liefen im vorletzten Halbjahr Filme, die es sowohl als Original, als auch im Remake gibt. Im letzten Halbjahr haben wir Biografien von Wunderkindern gezeigt. Von Kurt Cobain über Édith Piaf bis hin zu Wolfgang Amadeus Mozart war alles dabei. Im ersten Halbjahr 2017 gibt es Filme über Filme und Kinos – zum Beispiel Cinema Paradiso – zu sehen. Außerdem haben wir viel Spielraum im Plan, sodass wir kurzfristig bei bestimmten Jubiläen oder Ausstellungen passende Filme zeigen können.

»Man schaut als Kinobetreiber fast nur in freudige Gesichter.«

Neben den regulären Filmvorführungen besteht auch die Möglichkeit, das OLi für private Anlässe zu mieten. Stößt dieses Angebot auf große Resonanz?
Ja, das tut es. Wir richten die unterschiedlichsten Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern oder private Filmvorführungen aus. Außerdem ist das Angebot, das Kino nur für zwei Personen zu mieten, sehr beliebt. Das ist immer ein besonders schönes Event. Wir richten dann den Saal dementsprechend her, stellen Getränke bereit und legen den Film ein, den die beiden sehen wollen. Letztens sagte mir eine zu Tränen gerührte Frau, dass es der schönste Tag in ihrem Leben gewesen sei. Wir hatten insgesamt schon über 20 Heiratsanträge bei uns im OLi. Da fühlt man sich in gewisser Weise wieder wie ein Blumenlieferant. (lächelt)

Was war die kurioseste Veranstaltung in ihrem Kino?
Wir haben einige ungewöhnliche Buchungen. So findet seit sechs Jahren immer im Sommer ein Bikertreffen mit Fahrern aus ganz Deutschland vor und im OLi statt. Denn nur bei uns können sie mit ihren Bikes in den Kinosaal fahren. Dazu haben wir extra die Tür erweitert. Beim letzten Treffen haben 42 Motorräder in den Saal gepasst. Außerdem haben wir mal einen von ARTE produzierten Film über die Hells Angels  gezeigt. Zu der Vorführung kamen viele Befürworter und auch ein paar Kritiker. Dazu kamen drei Polizeifahrzeuge, die in meinem Hof und auf der Straße standen. Das war schon sehr aufregend. Ich wurde im Vorfeld von der Kripo angerufen, habe aber gesagt, dass ich nicht mit Schwierigkeiten rechne. Letztendlich kam es dann zu einem Buttersäureangriff. Das war wenig spaßig.

»Anstatt in die Frischetheke im Öko-Laden zu gehen, habe ich abgepackte Wurst im Discounter gekauft.«

Sie haben 2011 bei der Wahl zum Magdeburger des Jahres den vierten Platz belegt. Inwiefern ist das für Sie eine Anerkennung für Ihre kulturelle Arbeit?
Das war schon sehr schön. Bei der Eröffnung erwähnte mich der Oberbürgermeister bereits in der Begrüßungsrede. Er schätze es sehr, wenn Leute aus privater Initiative etwas für die Stadt tun. Eine Redakteurin der Volksstimme hielt eine lange Laudatio auf mich. Das war schon erhebend. Da merkt man, dass das, was man als verrückter Kino-Professor so anstellt, auch anerkannt wird.

Als Besitzer des OLi-Kinos tragen Sie maßgeblich zum kulturellen Leben Magdeburgs bei. Sehen Sie eine Chance, dass Magdeburg Kulturhauptstadt 2025 wird?
An sich gibt es schon Chancen. Etwas misslich ist die hinzugekommene Konkurrenz von Halle. Aber wenn sich alle darauf konzentrieren, eine Magdeburger Bewerbung zu unterstützen, sehe ich Potenzial. Ich als langjähriger Berliner empfinde Magdeburg als besonders schön. Als ich hierher kam, meinten alle meine versnobten Freunde aus Berlin, dass man in der Provinz und kulturellen Einöde nicht überleben könne. Das stimmt nicht. Allein mit dem Opernhaus und den vielen Theatern haben wir schon ein breit gefächertes Angebot. Ich schaffe es in keiner Spielzeit, mir alles anzusehen, was ich mir vornehme. Man findet immer etwas, das sich lohnt, angeschaut zu werden.

Sie sind in der Nähe von Stendal geboren. Ihre Eltern sind mit Ihnen schon sehr früh nach West-Deutschland gegangen. Wissen Sie, warum sie sich zu diesem Schritt entschlossen haben?
Ich bin im Forsthaus geboren und mein Vater hat als Förster sehr ungern seine Waffen abgegeben. Nach 1945 musste das aber jeder Mann in Deutschland tun. Infolgedessen hatte er Stress mit den Besatzern. Dem ist er dann aus dem Weg gegangen, indem er noch vor meiner Geburt in den Westen getürmt ist. Meine Mutter ist ihm mit mir und meiner älteren Schwester gefolgt.

»Ich habe mir damals immer gewünscht, Fleurop-Bote zu sein.«

Sehen Sie sich eher als Wessi oder als Ossi?
Ich sehe mich selbst als ›Wossi‹. Als West-Berliner durfte man mit einem Tagesschein in die DDR einreisen. Ich war mit meiner Mutter ein paar Mal in Stendal und habe mir mein Geburtshaus angesehen. Ich habe sofort ein spezielles Gefühl der Heimat entwickelt. Das ist bis heute so. Allein schon, wenn ich Birken sehe, bekomme ich Heimatgefühle. Als ich 1992 im Rahmen der Bewerbung für die vakante Professur an der Hochschule gefragt wurde, warum ich ausgerechnet nach Magdeburg will, antwortete ich, dass es für mich wie Nachhausekommen wäre. Im gleichen Moment erschrak ich, weil sich das so kitschig anhörte.

Sie verbrachten 25 Jahre Ihres Lebens in Berlin. Welche Erfahrungen haben Siewährend dieser Zeit gesammelt?
Ich kam 1967 nach Berlin. Also gerade noch rechtzeitig, um 68er zu werden. In  Kreuzberg habe ich arme, ungebildete und auch junge Leute gesehen, die Drogen konsumierten und denen es infolgedessen ganz schlecht ging. Für mich als Psychologen war das eine der ersten wichtigen Erfahrungen. Eigentlich wollte ich nach meinem Studium in der Theaterpädagogik arbeiten. Da ich aber vorher ehrenamtlich als Drogenberater arbeitete, ist daraus mein erster Job geworden. Als Drogenbeauftragter des Landes Berlin koordinierte ich später das gesamte Drogenhilfe-System. Irgendwann machte es aber keinen Spaß mehr, in der Verwaltung zu arbeiten und ich stürzte mich in die Forschung. In West-Berlin habe ich drei wichtige Erfahrungen gemacht. Es gab dort damals enorme Drogenprobleme, aber auch die Möglichkeit, kreativ und planvoll dagegen anzugehen. Es gab dort größere Probleme mit HIV als in anderen Regionen, aber auch starke Selbsthilfekräfte aus der betroffenen Subkultur, die programmatisch für die Republik Präventions-Modelle erdacht und umgesetzt haben. Und letztendlich lohnt es sich, in Kultur zu investieren: Die Kulturlandschaft Berlins ist einmalig. Wegen der vielen dorthin strebenden Kreativen, aber zweifellos auch aufgrund der massiven Förderung der Berliner Regierungen jeder politischen Couleur.

Was war Ihr Eindruck, als Sie 1992 nach Magdeburg kamen?
Als ich damals aus dem Bahnhofsgebäude kam, sah ich erstmal einen großen, betonierten Platz. An ein paar kleinen Buden konnte man Billigsonnenbrillen kaufen, die vermutlich nicht länger als einen Tag hielten. Wenn man dann zum Krökentor ging, begegnete man einem Schlagloch nach dem anderen. Es war schon alles sehr unansehnlich. Wenn man sich aber Zeit nahm, um die Stadt zu erkunden, konnte man sehen, dass Magdeburg schön wird. Inzwischen kommen Leute her und sind sofort begeistert. Mittlerweile wurde auch die Elbe in das städtische Leben einbezogen.

Wie ermutigen Sie junge Menschen, in Sachsen-Anhalt zu bleiben?
In den Neunzigern sprach ich immer vom ›wilden Osten‹. Wenn man selbst etwas macht und die Ärmel hochkrempelt, gibt es hier heute noch gute Chancen. Wenn jemand jetzt den Mut hätte, das gerade geschlossene alte Kinogebäude in der Braunschweiger Straße zu kaufen und wiederherzustellen, wäre das eine Chance. Auch Sudenburg könnte noch ein schönes Programmkino gebrauchen. 

»Als ich hierher kam, meinten alle meine versnobten Freunde aus Berlin, dass man in der Provinz und kulturellen Einöde nicht überleben könne.«

Angenommen, Sie hätten das OLi 2003 nicht gekauft. Und Ihnen würde sich jetzt die Chance dazu bieten. Würden Sie es noch einmal machen?
Ich würde es nochmal tun. Ich habe meine Entscheidung an keinem Tag bereut. Und das obwohl ich anfangs doch viel mit den Auflagen zu kämpfen hatte. Ich sehe es ein, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden müssen. Jedoch habe ich gemerkt, dass die UFA als Vorbetreiber des Kinos unter diesen Vorschriften nicht zu leiden hatte.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des OLi-Kinos?
Ich bin ja jetzt 70. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das OLi einmal von einer jungen Truppe übernommen wird. Falls jemand das wirtschaftliche Risiko nicht eingehen möchte, könnte er oder sie zumindest die Programmgestaltung übernehmen. Wenn ich das in den nächsten fünf bis zehn Jahren hinbekäme, würde mich das sehr freuen. Irgendwann kann ich das ja nicht mehr machen. Es wäre sehr bitter, wenn das Gebäude nach mir dann doch zu einem Supermarkt werden würde.

Dezember 2016
Interview aus INTER.VISTA 3

 

Vista.Schon?
Prof. Dr. Wolfgang Heckmann, wurde 1946 in Schernebeck in der Nähe von Stendal geboren. Kurz nach seiner Geburt zogen seine Eltern mit ihm nach West-Deutschland. 25 Jahre seines Lebens verbrachte er in Berlin. Dort war er Drogenbeauftragter des Landes Berlin und stellvertretender Direktor des AIDS-Zentrums. Nach einer Anstellung bei der WHO in Kopenhagen zog es ihn wieder nach Sachsen-Anhalt. 1992 wurde er Professor für Sozialpsychologie an der Hochschule Magdeburg- Stendal. 2003 kaufte er das leerstehende OLi-Kino in Stadtfeld, was er seitdem mit Ines Möhring betreibt. Als Hobbykoch bereitet er in seiner Freizeit gern italienische oder französische Gerichte zu. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist der Hochschulcampus. Die Stadt beschreibt er als »eine spröde Geliebte, die einem bei genauerem Kennenlernen viel Freude bereitet«.

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