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Nadja Gröschner

»Magdeburg im Jahr 929: Eine florierende Metropole, später Erzbistum und Lieblingspfalz von König Otto I. Er schenkt seiner Gattin Editha, einer Adelstochter aus England, die Stadt als Hochzeitsgeschenk Wer diesen und vielen anderen Geschichten lauscht, die Nadja Gröschner bei ihrer Stadtführung durch Magdeburg erzählt, begibt sich auf Zeitreise. In der stadtgeschichtlichen Entwicklung ihrer Heimatstadt kennt sie sich so gut aus wie keine Zweite. Und auch sie selbst schreibt mit ihrem Kulturzentrum Feuerwache ein Stück Geschichte in Magdeburg. Im Gespräch mit Inter.Vista erzählt Nadja Gröschner, wem sie am liebsten zuhört und warum sie als Touristin nicht an Stadtführungen teilnimmt.

Interview und Fotos: Rosanna Fanni 

Frau Gröschner, Sie sind bekannt in Magdeburg. Werden Sie auf der Straße oft angesprochen?
Das ist unterschiedlich, man kennt mich vor allem in der Nähe vom Kulturzentrum Feuerwache. Unangenehm war es letztens im Restaurant mit meinem Mann, als zwei Leute an den Tisch kamen und etwas wissen wollten. Da dachte ich mir dann: Etwas Abstand wäre auch ganz gut. 

Sie haben nicht immer in Magdeburg gelebt. Sieben Jahre waren Sie im ehemaligen Ost-Berlin für Ihr Studium der Kulturwissenschaften.
Ich bin fast jedes Wochenende nach Magdeburg gefahren, hier war auch mein Freund. Und ich arbeitete bei den Freien Kammerspielen Magdeburg als Garderoben- und Einlasskraft sowie an der Bar im ex libris, einem Vorgängerclub der Feuerwache. 

Haben Sie sich in ihren Jugendtagen schon für Magdeburgs Geschichte interessiert?
Nein, früher wollte ich in die Welt, die Geschichte Magdeburgs lag damals ehrlich gesagt nicht in meinem Interessenbereich. Ich habe tagsüber viel geschlafen. Das Interesse für die Stadt kam mit dem Studium und mit dem Alter (lacht). 

Was hat Sie dazu bewegt, sich alles über die Geschichte Magdeburgs anzueignen?
Das hing vor allem mit meinem Studium zusammen, Ästhetik- und Kulturtheorie lag mir nicht, aber für Kulturgeschichte hatte ich schon immer ein Faible. Ich war anfangs wenig vertraut mit der Geschichte Magdeburgs und bei meiner ersten Arbeitsstelle in Magdeburg sollte ich die Geschichte des Volksbades Buckau erforschen. Es gab nicht viel Informationsmaterial, also befasste ich mich mit ganz Buckau und Sudenburg. So kam immer etwas dazu. Durch Erinnerungsinterviews mit Zeitzeugen erfuhr ich Dinge, die man aus der Zeitung oder aus Akten nicht erfährt, das war unglaublich spannend. Nach und nach füllte ich damit sogar Lücken im Stadtarchiv.  

Inter.Vista, Nadja Gröschner, Foto: Rosanna Fanni

Inter.Vista, Nadja Gröschner, Foto: Rosanna Fanni

Sie kennen sehr viele Geschichten, eine ganz besondere ist die der »Flaschen-Elli«. Was hat es mit dieser Frau auf sich?
Es gibt in jeder Stadt Leute, die man als Original bezeichnet. In meiner Kindheit gab es die »Flaschen-Elli«, sie hielt sich immer in der Nähe des Hauptbahnhofes auf. Ich würde sie im Bereich des City Carrés sehen, dort war früher ein Platz, da lief sie lang. »Flaschen-Elli« war ziemlich klein, sie hatte eine Körpergröße von maximal 1,50 Metern. Das Markante an ihr war die Nickelbrille, ihre Haare waren meistens zusammengeknotet, und sie hatte einen Hängebusen, der fast über das Überkleid ging. Und sie sammelte Flaschen. Meistens im Bereich des Bahnhofes, und vor allem in Zügen. Wenn ein Zug fuhr, besonders nach Berlin, dann ging »Flaschen-Elli« da durch und sammelte alle Flaschen ein. Es gab das Gerücht, dass sie Millionärin wäre. Das weiß man natürlich nicht, aber zumindest war sie nicht arm. 

Aber man weiß letztendlich nicht, ob sie Millionärin war?
Nein. Sie wohnte in der Hegelstraße 3, ist aber schon lange verstorben.  

Sind solche Geschichten für Sie alltäglich oder Diamanten in Ihrer Sammlung?
Absolut, das ist etwas Besonderes für mich. Es ist nicht schlimm, wenn die Stories nicht ganz stimmen. Eine Geschichte ist wie ein Märchen, das weitererzählt wird: Es ist immer etwas Wahres dran. 

»Die Elbe war damals ein dreckiger, stinkender Fluss.«

Für gewöhnlich sind Sie die Erzählerin. Gibt es umgekehrt Menschen, von denen Sie sich gerne Geschichten erzählen lassen?
Ich hatte immer viele Gesprächspartner, darunter gab es einige alte Herren, die wunderbar erzählen konnten. Zum Beispiel Herbert Rasenberger: Er ist weit über 80 und bei ihm weiß ich nicht, ob immer alles stimmt, aber es sind jedenfalls wunderschöne Geschichten. 

Ihre erste Stadtführung war 1997. Hatten Sie Lampenfieber?
Ich habe immer Lampenfieber, seitdem ich Stadtführungen mache, und ich glaube, das ist auch gut. Früher hatte ich vor jedem Vortrag einen hochroten Kopf und zitterte. Vor meiner ersten Führung sagte eine Kollegin: »Nadja, halte dich fest, die passen alle gar nicht in den Raum.« Tatsächlich: Es kamen über 150 Leute. Wenn ich daran denke, läuft mir jetzt noch ein Schauer den Rücken herunter! Dazu war ich hochschwanger, zwei Wochen später ist mein Kind geboren. Das hat mir Kraft gegeben. Aber mein Sohn mag keine Stadtführungen (lacht). 

Inter.Vista, Nadja Gröschner, Foto: Rosanna Fanni

Inter.Vista, Nadja Gröschner, Foto: Rosanna Fanni

Macht Magdeburg Sie schon müde?
Nein, komischerweise nicht, weil es immer wieder neue Ecken zu entdecken gibt. Ich kenne natürlich nicht alle Stadtteile von Magdeburg perfekt. Zum Beispiel Rothensee: Dort möchte ich mich bei einer Stadtführung zuerst selbst überraschen. Und durch Veränderungen in der Stadt passe ich meine Führungen an, das ist eine Herausforderung. Die ursprüngliche Führung durch Sudenburg zum Beispiel existiert nicht mehr, weil wir damals viele Privathöfe besuchten, und heute leben die Leute nicht mehr oder sind umgezogen. Auch der Werder hat sich sehr verändert: Anfangs war nur der ostelbische Bereich, also Cracau, Brückfeld und der Werder, von den Russen eingenommen. Auf der Konferenz in Jalta wurde festgelegt, dass ganz Magdeburg russisch wird. Aber wenn es doch anders gekommen wäre, wäre der Rest Magdeburgs amerikanisch geblieben und Ostelbien hätte zu Ostdeutschland gehört. Deshalb wollten viele Leute dort nicht leben. Die Elbe war damals ein dreckiger, stinkender Fluss und der Werder unattraktiv, eine richtige »Assi-Gegend«. Heute ist die Gegend so wunderschön grün. 

»Ich kann keine Stadtführungen mitmachen.«

Sie bekommen durch Ihre Stadtführungen und das Kulturzentrum bestimmt viel Lob. Hat Sie etwas ganz besonders berührt?
Es ist schön, wenn mir Leute begegnen und sagen: »Mensch, Frau Gröschner, ich war nochmal mit meinem Mann mit dem Rad dort.« Unsere Führungen sind mit Verköstigung, deshalb verbinden viele den Ort mit einem Getränk, einer Speise oder einem Geruch. Aber ich mache keine Führungen mehr, wenn die Leute mich fragen, was es denn zu essen gibt. Dann hätte ich mein Ziel nicht erreicht. Mich beeindruckt es, wenn zu den Führungen junge Leute kommen, gerade in Buckau und Sudenburg sind es viele. Damals stand Stadtgeschichte nicht gerade oben auf meiner Agenda. Dennoch verlassen viele Junge nach dem Studium die Stadt.  

Inter.Vista, Nadja Gröschner, Foto: Rosanna Fanni

Inter.Vista, Nadja Gröschner, Foto: Rosanna Fanni

Was sagen Sie den Leuten, die behaupten, Magdeburg hätte keine Kulturszene?
Das ist totaler Quatsch. Magdeburg ist eine der wenigen Städte, wo es ein breitgefächertes Kulturangebot gibt. An Tagen weiß man nicht, wo man zuerst hingehen soll. Und wenn junge Leute das sagen, haben Sie auch selbst Schuld. Kultur muss von ihnen selbst kommen. Und wenn es keine Kulturszene gibt, dann ist vielleicht kein Bedarf da oder die Lust fehlt. Wir haben uns vor 25 Jahren unsere Kultur geschaffen und dass wir damit keine jungen Leute erreichen, ist klar.

Wie sehen Sie die Stadt in 15 Jahren?
In 15 Jahren sind wir hoffentlich Kulturhauptstadt gewesen. Ich habe ganz große Hoffnungen, dass wir den Titel tatsächlich bekommen. Und dann denke ich, dass Magdeburg viel mehr beachtet wird von außen. Leute fragen immer noch, wo Magdeburg liegt. Und dass es die Landeshauptstadt ist, wissen die Wenigsten. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Lockerheit gibt bei den Menschen, denn ein Grundoptimismus ist hier nicht allen Leuten eigen. 

Was hat Magdeburg, was zum Beispiel Berlin nicht hat?
Hier gibt es viele Grünanlagen. Und im Prenzlauer Berg in Berlin kaufen sich Menschen für eine halbe Million Euro eine Wohnung und wohnen total hässlich, die sollten lieber hierher ziehen. Auch Clubs wie die Feuerwache gibt es dort nicht durch die Gentrifizierung. Das sagen uns immerhin Bands, die von Berlin hierher kommen. 

Fahren Sie an freien Tagen weg oder bleiben Sie am liebsten in Magdeburg?
Ich verreise gerne und schaue in Clubs, was ich hier verändern kann. Und ich fahre mit diesen Touristenbussen. Aber: Ich kann keine Stadtführungen mitmachen. Wenn man in einem Beruf arbeitet, hat man keine Lust, sich damit noch im Urlaub zu beschäftigen. 

Ihr Sohn Carl Joscha ist 18 Jahre alt. Haben Sie ihn mit der Begeisterung für die Stadt angesteckt?
Mein Mann ist Musiker, wir sind kulturell interessiert. Und mein Sohn studiert Mathematik, also etwas  vollkommen anderes. Er kann das, was wir nicht können. Joscha schnappt aber alles auf und ist interessiert. Ich glaube, den gewinne ich auch noch irgendwann für das Kulturzentrum. Und wenn er nur der Finanzberater ist (lacht). 

Interview aus INTER.VISTA 1

 

Vista.schon?
Nadja Gröschner, Jahrgang 1967, ist Kulturhistorikerin und Magdeburgerin aus Leidenschaft. Seit knapp 20 Jahren veranstaltet sie stadtgeschichtliche Erlebnistouren durch ihre Heimatstadt. Ihr Kulturzentrum Feuerwache ist die Adresse für alle Kulturhungrigen und über Magdeburg hinaus bekannt. Als Geschäftsführerin vernetzt Nadja Gröschner Persönlichkeiten aus Kunst, Theater und Musik.

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