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Raimund Widra

Wenn Raimund Widra auf der Bühne steht, dann atmet das Publikum mit. Er kennt »die Bretter, die die Welt bedeuten« und er kennt das Gefühlsleben des Werther. Privat und auf der Bühne. Er kann schauspielern, tanzen und sogar ein bisschen singen. Seit 2011 ist er am Theater Magdeburg. Ein Gespräch über unglückliche Liebe, Discgolf und seine Zeit bei Schloss Einstein.

Interview und Fotos: Sara Simons

Woran arbeitest Du gerade?
An einem Stück, das Der Wij heißt. Das wird im Rahmen des Theaterfesti­vals Wilder Osten – Ereignis Ukraine aufgeführt, bei dem von ukrainischen Regisseuren drei Stücke der ukrainischen, zeitgenössischen Dramatik inszeniert werden. Es gibt aber auch Lesungen und Konzerte.

Es heißt ja immer, Schauspielerei sei eine brotlose Kunst. Wie siehst Du das?
Das ist bestimmt größtenteils richtig. Allerdings ist der Vorteil hier in Deutschland, dass wir im Verhältnis zu anderen Ländern eine sehr gute Förderung haben und der Theaterbetrieb ermöglicht Schauspielern zumindest ein gesichertes Einkommen. Aber es gibt uns wie Sand am Meer und die meisten haben ganz schön zu knabbern. Ich habe in Leipzig Schauspiel studiert und hier in Magdeburg glücklicherweise gleich im Anschluss etwas gefunden.

Du hast vor Deinem Schauspielstudium noch vier Semester Germanistik und Philosophie in Deiner Heimatstadt Potsdam studiert. Wie kam es dazu?
Ich hatte nach dem Abitur an der Schauspielschule vorgesprochen, da bin ich nicht weitergekommen. Ich dachte mir, dass es eine Weile dauern wird, bis es mit einem Platz an einer staatlichen Schauspielschule klappt. Ich wollte dann etwas studieren, das nicht ganz artfremd ist und habe mir diese Fächerkombination ausgesucht. Mehr oder minder wahllos. (lacht) Ich war ein ziemlicher Schmalspurstudent. Aber bin ja dann doch zum Glück erlöst worden.

»Meine Oma sagte immer »Raimi« zu mir. Das ist doch niedlich, oder?«

Was würdest Du jemandem raten, der Schauspieler werden will?
Ich rate dazu, es erstmal an einer staatlichen Schule zu probieren. Man muss sich darauf einstellen, dass es eine Zeit lang dauern kann, bis man angenommen wird. Es sind halt unendlich viele Bewerber und es gibt wenige Plätze an den Schulen. Ich hatte zum Beispiel eine Kommilitonin, die hat 17  Mal vorgesprochen. Ich weiß nicht, ob ich dafür den Atem gehabt hätte. Für Frauen ist das noch um einiges schwieriger, weil weniger Plätze an Mädels vergeben werden. Es gibt aber doppelt so viele Frauen, die sich bewerben, im Verhältnis zu den Männern. Aber sie hat es geschafft und ist eine tolle Schauspielerin geworden, sie hat sich nicht abschütteln lassen.

Inter.Vista, Raimund Widra, Foto: Sarah Simons

Inter.Vista, Raimund Widra, Foto: Sarah Simons

Wie oft hast Du vorgesprochen?
Dreimal.

Und womit?
Unter anderem mit dem Ferdinand aus Kabale und Liebe. Diese Rolle hab ich auch im Studium gespielt und ich hab sie beim Vorsprechen am Theater Magdeburg gezeigt. Ich wurde genommen und mein erstes Stück war dann Kabale und Liebe, mit mir als Ferdi­nand. Da hat sich für mich irgendwie ein Kreis geschlossen.

Du hast für Film und Fernsehen gearbeitet. Wo ist für Dich als Schauspieler der Unterschied zur Bühnenarbeit?

Der größte Unterschied ist, dass man beim Theater sechs Wochen Probenzeit hat, in der das gesamte Team einen Abend entwickelt. Wenn man aber dreht, muss die Rolle fertig sein, wenn man ans Set kommt. Die Rolle erarbeitet man meist für sich alleine. Das Drehen ist auch sehr viel technischer. Man muss zum Beispiel auf den Anschluss achten. Bei welchem Satz hab ich die Kaffeetasse hochgenommen? Oder mit einem Auge aufpassen, dass man nicht über die Markierung tritt und man muss trotzdem ein organisches Spiel zeigen und aufpassen, nicht wie ein Roboter zu wirken.

Du warst auch mal bei Schloss Einstein. Hat es Dir am Set gefallen?
Ja, total. Ich war ab der ersten Folge dabei, der erste Cast sozusagen. Das war ein Haufen netter, junger Leute. Die Erwachsenen, die da gearbeitet haben, haben uns Kinder auch wie Erwachsene behandelt. In dem Alter findet man das natürlich super. Der Dreh dauerte zwar manchmal länger, es war auch mal anstrengend. Aber ich habe das immer genossen und nie als große Arbeit empfunden.

War Dir zu der Zeit schon klar, dass Du Schauspieler werden willst?
Nein. Zur Leidenschaft wurde es tatsächlich erst, als ich anfing, in einer Schul-AG Theater zu spielen. Das war echt eine tolle Truppe mit einer sehr engagierten Leiterin. Damit steht und fällt das ja. Für ein Schultheater wurde das wirklich sehr ambitioniert betrieben. Wir hatten zum Beispiel zwei Maskenbildner. Das war ein älteres Ehepaar, die früher bei der DEFA arbeiteten und die uns bei den Aufführungen immer schminkten. Das war natürlich toll.

Was ist für Dich eine gute Vorstellung?
Wenn ich das Gefühl habe, dass ich die Sachen sehr aktuell entwickele. Die Sachen sind alle geprobt, aber wenn man dem Spielpartner immer neu zuhört und dadurch das Spiel lebendig ist, dann ist das eine gute Vorstellung. Es gibt aber auch Tage, an denen das nicht so gut klappt. Vermutlich fällt es dem Publikum gar nicht so auf, aber für einen selbst ist das ein doofes Gefühl.

Wie wichtig ist denn das Publikum?
Die meisten Abende leben vom Dialog mit dem Publikum. Das kann einen schon anheizen, wenn die Zuschauer viel lachen und sich amüsieren. In Momenten, die sehr ernsthaft sind, gibt es einen Zustand, bei dem man auch bei absoluter Stille merkt, dass das Publikum sehr aufmerksam ist, dass es mitgeht und mitatmet. Das ist sehr beglückend.

Bei welchen Deiner Rollen ist das ganz besonders der Fall?
Der Werther geht sehr nach vorne. Das ist ein Monologabend, und der lebt natürlich davon, dass man mit dem Publikum arbeitet. Der ist für junge Leute sehr geeignet, weil das Thema ›unglückliche Liebe‹ gut passt. Das ist ja nicht nur ein Erwachsenenthema.

Inter.Vista, Raimund Widra, Foto: Sarah Simons

Inter.Vista, Raimund Widra, Foto: Sarah Simons

Was fasziniert Dich persönlich an der Rolle?
Ich glaube diese Gefühlslage des Werther kennen ganz viele. Ich hab viel Zeit damit verbracht, unglücklich verliebt zu sein. Das kann ja sehr große Energien freisetzen, auch wenn man nicht zurück geliebt wird und wenn es in der Schwebe ist. Über weite Strecken kann man sich sogar sehr wohl darin fühlen, weil es motiviert und man sich sehr lebendig vorkommt. Aber dann gibt es einen Punkt, ab dem es scheiße wird. Man will, dass das Gefühl erwidert wird. Wenn das nicht passiert, dann macht einen das fertig. Im Fall des Wertherist es genau so, er kann und will mit dieser Zurückweisung nicht umgehen. Soweit hat das bei mir aber zum Glück noch nicht gereicht.

Seit deiner Kindheit hast Du getanzt, Ballett und lateinamerikanischen Turniertanz. Gehst Du dem noch nach?
Nein, nicht mehr aktiv, aber auf privaten Feten manchmal sehr aus­giebig. Ich kann das tatsächlich ganz gut, muss ich ehrlich gestehen. (lacht)

Du spielst in dem Musical Ein Käfig voller Narren mit. Wie gefällt es Dir?
Sagen wir mal so: Ich würde Musicals nicht ausschließlich machen wollen. Das wäre nicht so gut für meine Karriere, weil ich nicht so ein guter Sänger bin. (grinst) Ich fand es ganz gut. Ich hab in dem Stück nur eine Zeile alleine gesungen und sonst immer nur die Lippen bewegt. (lacht) Nein, nicht ganz. Aber das ist fast mein musikalisches Maximum. (lacht) 

Du arbeitest, wenn andere frei haben. Schränkt das Dein Privatleben ein?
Die meisten und intensivsten Kontakte hab ich zu den Leuten am Theater. Ich hab aber auch ein paar Kontakte außerhalb. Die weiß ich besonders zu schätzen, wenn es im Theater stressig ist und es mal nicht so gut läuft. Es ist tatsächlich nicht so einfach, Kontakte außerhalb zu pflegen. Allein schon durch meine Arbeitszeiten.

Wenn Du mal so einen richtigen Scheißtag hast, wer tröstet Dich dann?
Mein Fernseher und Uno Pizza. Die beiden können das ganz gut. (lacht) Aber natürlich auch meine Freunde und meine Familie.

Du bist seit 2011 in Magdeburg. Was gefällt Dir an der Stadt?
Magdeburg ist sehr grün und der Fluss ist super. Ganz ehrlich, ich mag sogar die Leute. Nicht alle gleichermaßen, aber ich bin auch so ein Ossi und das leicht schlecht Gelaunte, Phlegmatische ist mir als Brandenburger nicht fremd. Da trage ich sehr viel von in mir und dafür habe ich große Sympathien. Hier dauert es vielleicht ein bisschen länger, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Aber wenn man sich beschnuppert, angefreundet hat, dann sind das sehr verbindliche Freundschaften. Das schätze ich sehr.

»Man will, dass das Gefühl erwidert wird. Wenn das nicht passiert, dann macht einen das fertig.«

Was war Dein erster Eindruck, als Du hier angekommen bist?
Zum ersten Mal in Magdeburg war ich tatsächlich zum Vorsprechen am Theater. Das war im Herbst, es war schlechtes Wetter, ich musste am Damaschkeplatz umsteigen. Das ist kein schöner Ort. Das war der erste Eindruck. Dann war ich im Café Flair frühstücken und die Gegend da ist auch eher so ein Unort.

Hast Du abgesehen vom Strudelhof eine Ecke, wo Du gerne bist?
Ich bin gerne Zuhause, ich hab eine sehr schöne Wohnung in Stadtfeld. Ich bin auch gern im Elbauenpark und gehe meinem Hobby nach: Discgolf.

Was ist das?
Eine Randsportart. Eine Mischung aus Frisbee und Golf. Man hat mehrere Bahnen, einen Abwurfpunkt und Frisbeescheiben. Die Scheiben sind allerdings flacher und kleiner im Durchmesser. Die kann man sehr weit werfen. Es ist dann dasselbe Prinzip wie beim Golf. Man muss vom Abwurfpunkt in möglichst wenigen Versuchen zu einem Fangkorb kommen. Es ist wie spazieren gehen und zwischendurch ein bisschen Scheiben werfen. Man macht sich nicht tot, aber man ist an der frischen Luft.

Willst Du in Magdeburg bleiben, oder willst Du nochmal weg?
Ich geh nach dem Sommer nach Leipzig.

Hast Du da ein Engagement?
Nein, ich bin dann freischaffend. Ich probiere jetzt mal aus, wie das so ist. Ich werde gastieren, also immer stückeweise an unterschiedlichen Theatern spielen. Aber auf lange Sicht will ich wieder fest in ein Ensemble.

Hast Du nicht ein bisschen Schiss davor, freiberuflich zu arbeiten?
Total. Ich kenne das nicht. Man muss sich kümmern und netzwerken, damit die Leute wissen, dass man gastieren will. In einem Theaterensemble wird man einfach besetzt und muss sich um nichts kümmern. Aber wenn man freiberuflich arbeitet, kann man sich selbst aussuchen, was man macht. Ich hab nach dem Sommer zum Beispiel ein Engagement für eine Produktion in Stuttgart.

Liest Du gerne?
Ja. Mir gefiel zum Beispiel das Buch Der König aller Krankheiten. Das ist eine Biografie der Krankheit Krebs. Ich hab zum Glück im nahen Umfeld keinen Betroffenen. Aber ständig sterben Leute an dieser Krankheit und jeden tangiert das in irgendeiner Form.

Ist das etwas, wovor Du große Angst hast?
Nicht konkret. Aber ich bin als Schauspieler sehr auf meinen Körper angewiesen. Die Art, wie ich spiele, ist sehr körperlich. Ich hatte bis jetzt immer vollen Zugriff darauf. Leider behandle ich meinen Körper nicht als so wertvoll, wie er eigentlich ist.

Wenn Du in den Urlaub fährst, dann lieber in die Berge oder an den Strand?
In die Berge.

Warum?
Ich bin einfach kein Strand-Typ. Meer ist schon gut, aber ich kann nicht den ganzen Tag am Strand liegen. In der Sonne kann ich nicht lesen, es ist mir zu warm. Ich bin halt so ein Nordeuropäer, da überhitzt der Organismus. (lacht)

Hast Du einen Spitznamen?
Keinen etablierten. In der Schule sagten ein paar Leute »Atze« zu mir, weil das mein Figurenname bei Schloss Einstein war. Meine Oma sagte immer »Raimi« zu mir. Das ist doch niedlich, oder?

Interview aus INTER.VISTA 2

Vista.schon?
Raimund Widra, geboren 1985, blieb nach seinem Abitur in seiner Heimatstadt Potsdam, um Germanistik und Philosophie zu studieren. Dieses Studium war für ihn zunächst nur eine Notlösung, denn eigentlich wollte er Schauspieler werden. 2008 nahm ihn die Schauspielschule in Leipzig an. Drei Jahre später hatte er seinen Abschluss als Schauspieler in der Tasche und fing direkt danach im Magdeburger Theater an. Die Stadt beschreibt er als liebenswert, launisch, mit ›Luft nach oben‹.

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