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Wieland Jagodzinski

Klassenkasper, Weiberhengst, Esel – oder einfach: Wieland Jagodzinski. Er ist Puppenspieler, Regisseur, Stückeschreiber, Schauspieler und leitet das Festivalbüro des Magdeburger Puppenfestivals Blickwechsel. Er bereist die Welt, er war in Äthiopien, Afghanistan, Korea, Bangladesch, um nur einige Ländern zu nennen, und bringt den Menschen dort das Puppenspielen bei. Er kann Triangel spielen, Fußball hat ihn nie interessiert und er erzählt Inter.Vista, welcher Magdeburger Stadtteil sein liebster ist.

Interview von Sara Simons

Stabpuppe, Handpuppe, oder Marionette? Was ist Deine Lieblingspuppe?
Ich spiele am liebsten mit der nackten Hand, ohne Puppe.

Du bist Mitglied des Leitungsteams des Blickwechsel-Puppenfestivals. Wie bist Du dazu gekommen?
2003 wurde ich das erste Mal nach Magdeburg gebeten. Ich sollte ein fünftägiges Festival mit Puppenspielgruppen aus Bulgarien, Russland, Weißrussland und Finnland moderieren. Dann fand man hier im Haus, dass ich das nett gemacht habe. Also hat man mich gefragt, ob ich nicht Lust habe, als Festivalbüroleiter das ganze Festival mitzuleiten. Das habe ich dann 2005 das erste Mal gemacht. Ich habe Freude daran gefunden, jedes Mal zu wissen, ich habe ein bisschen mitgewirkt in den drei Monaten des Festivals.

Inter.Vista, Wieland Jagodzinski, Foto: Sara Simons

Inter.Vista, Wieland Jagodzinski, Foto: Sara Simons

Was ist das Besondere an dem Blickwechsel-Puppenfestival in Magdeburg?
Es ist das zweitgrößte internationale Puppenfestival in Deutschland und läuft als einziges immer unter einem bestimmten Thema. Und nur passend dazu werden die Künstler eingeladen. Dieses Jahr war es das Thema „Transformation“. Wirklich alles hatte etwas mit Transformation zu tun. Vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber auf den zweiten schon.

Wie bist du Puppenspieler geworden?
Ich komme ursprünglich nicht aus der Puppenrichtung sondern aus dem Schauspiel. 1971 habe ich an der Hochschule Ernst Busch in Berlin das Studium als Schauspieler angefangen, weil ich das immer werden wollte. Aber im zweiten Jahr bin ich von der Schauspiel- zur Puppenspielklasse gewechselt.

Warum?
Ich fand Puppenspiel interessanter. Ich kann mit Material und mit meinen Händen viel mehr anstellen als mit meinem Körper. Und außerdem kam ich mit den Kommilitoninnen vom Puppenspiel gut klar, da dachte ich, ich probier es mal.

»Ich bin ein alter Esel«

Heute bist du Dozent an der Hochschule Ernst Busch in Berlin. Was hat sich verändert?
Es hat sich Vieles verändert. Der Studiengang Puppenspiel geht jetzt sehr in die Richtung Animation und filmische Animation. Mein Gefühl ist, dass man damit ein bisschen vom Handwerk weggeht, und das finde ich sehr bedauerlich. Ich gehöre zum alten Eisen. Ich denke, man muss erstmal die Basis begriffen haben, um dann frei zu werden.

Du bist ja auch viel im Ausland unterwegs, machst Regie und leitest Puppentheater in den unterschiedlichsten Ländern.
Ja, ich habe das Glück, viel im Ausland arbeiten zu dürfen. Wenn ich höre, dass meine Puppenspieler in Masar-e Scharif in Afghanistan schon wieder eine Kindergruppe gegründet haben, macht mich das stolz. Die Puppenspielgruppe dort heißt Parwaz, übersetzt „Flügel“. Oder dass meine Spieler in Bangladesch in ihren Dörfern mit Kindern arbeiten, Puppen bauen, und anwenden, was sie von mir gelernt haben. Also abgesehen vom Puppenbauen, das kann ich nicht. Ich hab zwei linke Hände.

Du warst 2003 in Äthiopien, hast Stücke zur Aufklärung von HIV und der Genitalverstümmelung bei Frauen inszeniert. Trafst Du in der Bevölkerung auf Widerstand oder auf Verständnis?
Ein einziges Mal bin ich von einem Bauern bespuckt und beschimpft worden. Er meinte, es sei schlecht, was wir machen. Ich habe ihn gefragt, ob das seine Kultur sei, mit Jungfrauen ohne Kondom zu schlafen und Frauen zu verstümmeln, ihnen die Freude an ihrer Sexualität zu nehmen. Und dann war er still. Ich kannte die Mentalität der Äthiopier durch frühere Besuche. Sexualität ist dort ein totales Tabuthema. Es gab bis zu dem Jahr 2000 in der meistgesprochenen Sprache, dem Amharischen, und auch in den anderen Sprachen Äthiopiens, keine Bezeichnung für die Genitalien von Männern und Frauen. Nach unserem Auftritt hat eine Zeitung getitelt: „Puppen bringen uns zum Sprechen über unsere Tabuthemen.“ Ich fand klasse, dass es so aufgegriffen wurde.

Du hast es schon erwähnt: Du warst in Afghanistan und hast dort das Parwaz Puppentheater mitgegründet. Wie sind die Menschen dort?
Die Afghanen haben einen wunderbaren Humor und sind sehr freundlich. Ich habe dieses Land und die Menschen lieben gelernt, bei den vielen Malen, die ich dort war. Auch die verrückte Art der Natur. Kabul als Stadt ist völlig zerklüftet, weil überall riesige, graubraune Berge stehen.

Wie muss ich mir Afghanistan vorstellen?
Du kommst in Kabul am Flughafen an und es duftet. Im Winter duftet es nach verbranntem Holz, so wird da traditionell geheizt, und es duftet nach Rosen. Dort blühen die Rosen das ganze Jahr über, selbst wenn Schnee fällt, und der fällt in Massen. Und auch bei aller Dürre im Hochsommer. Die Rosen sind immer da.

Wie bist Du dazu gekommen, nach Afghanistan zu gehen?
Ich wurde vom Goethe Institut gebeten, einer Gruppe von Schauspielstudenten das Puppenspiel beizubringen. Als ich das erste Mal hinsollte, fragten sie, ob ich angstfrei sei und mich traue zu kommen. Ich dachte mir dann, wenn sie mich einladen, kann es ja nicht so gefährlich sein. Außerdem: Ick bin ein neugieriger, oller Arsch. Ich will das dann wissen.

»Ich habe die Schule gehasst«

Afghanistan ist ein krisenerschüttertes Land. Gab es eine Situation, die wirklich gefährlich war, oder in der Du Angst hattest?
Angst hatte ich, als wir mit dem Puppentheater auf einer Tour von Kabul nach Masar-e Scharif waren. Wir gerieten in einen US-amerikanischen Militärkonvoi. Da ging mir die Muffe. Die Amerikaner werden oft angegriffen und es gab für uns lange keine Chance den Konvoi zu überholen. Aber es ist zum Glück alles gut gegangen. Ein anderes Mal ist neben meinem Hotel eine Bombe hochgegangen. Das war seltsam, denn die Leute haben sich bei mir als Ausländer dafür entschuldigt. Die Händler saßen vor ihren Läden und fegten die zerbarstenen Fensterscheiben zusammen und sagten ständig „Sorry Sir, Sorry Sir“.

Im Dezember 2010 bist Du von einem Deiner Besuche aus Afghanistan zurückgekehrt. Du hast dann eine Glosse in der Neuen Deutschland gefunden. Darin wurde über einen Esel namens Herrmann berichtet, angeblich ein Freund der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Der Schlusssatz des Artikels lautete: „Welcher Esel würde freiwillig nach Afghanistan gehen?“ Was hast Du daraufhin getan?

Ich habe einen Antwortbrief geschrieben, mit dem Satz: „Tut mir Leid, ich bin ein alter Esel, weil ich gerne in Afghanistan arbeite.“ Es kam dann in dieser Zeitung ein Artikel über mich, der meine Geschichte erzählt.

Warum hast du das gemacht?
Damit die Menschen begreifen, dass nicht nur Militär nach Afghanistan geht. Auch ich als Puppenspieler gehe dahin. Es ging auch gegen diese einseitige Berichterstattung, die ich zum Kotzen finde. Um zu zeigen, dass man noch etwas Anderes in Afghanistan machen kann, als Krieg zu spielen.

Als Du 2007 von deinem ersten Afghanistanbesuch zurückkehrt bist, musstest Du Dich arbeitslos melden. Ist das normal als Puppenspieler?
Mein Leben ist so: Wenn ich Aufträge habe, dann melde ich mich vom Amt ab, und wenn ich nichts zu tun habe, beziehe ich Harz-IV. Ja, ich bin Künstler und bringe hier etwas voran in Magdeburg. Ich bin Teil des Leitungsteams dieses Festivals. Aber nach dem Festival bin ich wieder Harz-IV-Empfänger. Ich würde es nicht aushalten, zu lügen.

Inter.Vista, Wieland Jagodzinski, Foto: Sara Simons

Inter.Vista, Wieland Jagodzinski, Foto: Sara Simons

Du hast als Puppenspieler viel Theater gemacht, zu DDR-Zeiten aber auch für das Kinderfernsehen gearbeitet. Was magst Du als Puppenspieler lieber, Theater oder Film?
Theater ist das Wunderbarste, was es gibt. Es zu spielen, es auf die Bühne zu bringen und es zu gucken. Ein Film wird tausendmal nachgedreht und nachgebessert, neues Makeup drauf, bis er wirklich perfekt ist. Theater findet im Augenblick statt, das ist das Schöne. Der Spieler hat sich auf der Bühne versprochen und die Zuschauer wissen, diesen Moment haben sie miterlebt. Das Publikum und die Spieler auf der Bühne sind eins in dem Augenblick.

Würdest Du jemanden ermutigen, der Puppenspieler werden will?
Ja, es ist eine brotlose Kunst, aber auch eine ganz wunderbare. Wenn ich sehe, was das Magdeburger Ensemble für eine Energie auf die Bühne bringt, dann werde ich neidisch. Ich möchte nochmal 30 sein und selber mitmachen. Meiner Meinung nach ist das Magdeburger Puppenensemble eines der besten in ganz Deutschland.

Woran liegt es, dass es in Deutschland nicht so viele Puppentheater gibt?
Es gab mal 16 staatliche Puppentheater, aber die sind eingemeindet worden in die Stadttheater. Dann muss an den Theatern gespart werden und die, die keine große Lobby haben, kippen hinten runter. Das sind die Puppentheater. Nach der Wende ist eines der größten Puppentheater Deutschlands, das Puppentheater Berlin, abgewickelt worden. Mit der Begründung, Puppentheater gehören in die Hinterhöfe und in die kleinen Läden. Ich bin bockig und sehr böse darüber, dass diese Kunstrichtung fast abgeschafft wurde. Ein Leben ohne Puppentheater wäre uninteressanter und freudloser.

»Ich habe zwei linke Hände.«

Hast Du ein Vorbild oder jemanden, der Dich inspiriert hat?
Ja, mein wunderbarer Lehrer Prof. Hartmut Lorenz. Er hat die Fachrichtung Puppenspiel an der Hochschule Ernst Busch gegründet und eine Menge an Puppenspieler-Generationen ausgebildet. Er ist ein genauer Beobachter und Kenner des Genres. Wenn mich jemand sehr geprägt hat, dann er.

Warst Du in der Schule ein Klassenclown?
Ja! In meinem ersten Zeugnis stand: „Wieland ist der Klassenkasper“. Ich konnte komisch sein und brachte meine Umwelt gerne zum Lachen. Aber ich habe die Schule gehasst. Ich habe mich immer auf kulturelle Arbeit gestürzt. Damals suchte das Leipziger Theater eine Besetzung für den Kai aus der Schneekönigin. Also stand ich mit zehn Jahren zum ersten Mal auf einer richtigen Bühne.

Warst Du in der Schule, wenn Du so ein Klassenclown warst, später auch ein Mädchenschwarm?
In der dritten oder vierten Klasse sagten meine Klassenkameraden „Weiberhengst“ zu mir. Das hatte damit zu tun, dass ich mich mit Mädchen sehr gut verstand. Ich mochte Kultur und damit haben sich eben eher die Mädchen beschäftigt. Fußball hat mich nie interessiert.

»Theater ist das wunderbarste, was es gibt.«

Wie war es bei Dir zuhause?
Bei uns wurde viel musiziert. Zu Geburtstagen dachte sich jeder ein Kulturprogramm aus. Das war immer ein kleines Highlight.

Und was konntest du für ein Instrument spielen?
Triangel. Aber nur mittelmäßig. (lacht) Ich wollte immer Akkordeon lernen. Ich finde, das ist ein wunderbares Instrument. Aber das habe ich bisher nicht geschafft.

Bist Du verheiratet und hast Du Kinder?
Ich war verheiratet und habe einen Sohn, der ist 43.

Wo siehst Du Dich in zehn Jahren?
Ich kann nicht weit vorplanen. In zehn Jahren gehe ich auf die 75 zu. Da hoffe ich, gesund zu sein und vielleicht in Afghanistan oder Marokko zu leben. Auf jeden Fall in einem Land, in dem das Alter gewürdigt wird. In einem Land, in dem es entspannter zugeht als hier, gedanklich und auch im Tun. Ich sehe mich nicht in einem Altersheim.

Was macht Dir Angst?
Angst macht mir die Situation in Bangladesch. In Dhaka wurde mein Lieblingscafé überfallen, es wurden dort 20 Menschen internationaler Herkunft hingerichtet. Vor zwei Wochen wurde, ebenfalls in Bangladesch, mein wunderbarer Dolmetscher und Assistent zusammen mit seinem Freund „zerhackt“, wie die Presse schrieb. Weil sie sich für die Lesben und Schwulen in Bangladesch eingesetzt haben.

Wo ist deine Heimat?
Heimat ist für mich da, wo ich freudvoll arbeiten kann.

Was sind deine Lieblingsecken hier in Magdeburg?
Ich liebe Buckau. Ich liebe es, nach meiner Arbeit raus Richtung Westerhüsen zu gehen. Ich finde es toll, die Hegelstraße entlangzulaufen. Ich liebe auch den Blick auf die Elbe. Auf den Rothehornpark und auf die Natur, wie sie sich in den Jahreszeiten verändert. Ich liebe auch den Weg zurück, wenn ab dem Mückenwirt der Dom wieder ins Blickfeld rückt. Ich muss gestehen, ich bin nie durch Stadtfeld flaniert, warum auch? Und ich war nicht in der Alten Neustadt oder am Barleber See. Ich halte mich meistens in Buckau auf, das ist für mich das schönste Viertel der Stadt.

Was kommt nach dem Festival und Deiner Zeit in Magdeburg?
Im September geht es nach Burkina Faso. Aber ab nächster Woche habe ich frei und ich freue mich darauf, einfach den Sommer in Berlin zu genießen.

Vista schon?

Wieland Jagodzinski wurde 1953 in Leipzig geboren. Mit 17 Jahren zog er nach Berlin. 1971 begann er an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Schauspiel zu studieren, wechselte jedoch zwei Jahre später in die Puppenspielklasse. Er ist seit 2003 Dozent an der Hochschule für Musik und Theater Rostock und ständiger Lehrbeauftragter an der Ernst Busch für Puppenspiel. Er inszenierte Stücke in Afghanistan, Äthiopien, Bangladesch, Kamerun, Ruanda und Marokko. Seit 2005 ist er Leiter des Festivalbüros des Blickwechsel-Puppenfestivals in Magdeburg. Zurzeit lebt er in Berlin und hat einen erwachsenen Sohn. Seine Lieblingsecke in Magdeburg ist der Stadtteil Buckau und die Elbe. Magdeburg beschreibt er als grüne Stadt mit bunten Ecken und manchmal grauen Menschen.

 

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