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Uta Linde

Im Magdeburger Stadtteil Buckau wird ein altes Industriegelände in ein Sport-, Kunst- und Kulturzentrum, das werk4, verwandelt. Uta Linde ist hier nicht nur Geschäftsführerin und Visionärin. In Outdoor-Klamotte packt sie selbst mit an, jätet Probleme dort, wo sie aufkeimen und vereint ruhiges Auftreten mit blitzschnellen Gedankensprüngen. Sie hat einen Faible für Industrieromantik, Eisenbahnen und die Hubbrücke. Für ihre Wahlheimat Magdeburg bringt die Erlebnispädagogin Subkulturen und urbane Kleinkunst zusammen. 

Interview und Fotos: Miriam Bade 

Hier auf dem Gelände des werk4 hört man es überall klappern und rasseln. Gruselst Du Dich, wenn es dunkel wird?
Ja, wenn ich ganz allein hier bin, dann traue ich mich nicht überall hin. Zum Beispiel hinten in die große Halle, da klappert es nicht nur, da wackeln Glasscheiben, da knirscht es, man hat das Gefühl, es läuft jemand durch die Halle. Jeden Ton kann man hören, weil es so sehr hallt. Das ist faszinierend! 

Wenn wir Deinen Terminkalender aufschlagen würden, welche Termine wären darin zu finden?
Natürlich jetzt gerade das Interview. Ansonsten habe ich nachher ein Treffen mit zwei Freundinnen, die hier auf dem werk4-Gelände ein Büro für einen Verlag eröffnen wollen. Und heute Abend dann Arbeitseinsatz auf dem Gelände: Stände abbauen und Müll wegräumen. 

Wenn man Dich bei Google sucht, findet man viele Begriffe, die Dich beschreiben: Erlebnispädagogin, Jugendreferentin, Klettertrainerin, Geschäftsführerin. Hast Du einen Begriff gefunden, der all Deine Tätigkeiten zu einen Beruf zusammenfasst?
Früher habe ich gesagt, ich bin eine Wald-, Wiesen- und Stadtläuferin. Aber tatsächlich habe ich noch keinen richtigen Begriff für mich. Vielleicht auch Stadtpflanze. Mein Nachname Linde steht schon dafür, dass ich mich verpflanzt habe, aber nicht klassisch in die Natur, denn ich gehöre in die Stadt. Deshalb: Stadtpflanze. 

»Sobald wir uns trauen, einen Schritt aus unserer Hobbit-Höhle zu gehen, gibt es neue Impulse.«

Wann hast Du Dich dazu entschieden, so frei und vielfältig zu arbeiten, wie Du es heute tust?
Dafür gibt es keinen konkreten Zeitpunkt. Ich fing während meines Sozialpädagogik-Studiums mit dem Klettern an und wollte Pädagogik und Klettern miteinander verbinden. Dann fand ich dieses faszinierende Gelände. Ich traf Künstler, die mich auch faszinierten und jetzt versuche ich, alles miteinander zu verbinden. Vielleicht sieht es so aus, als würden ganz viele Tätigkeiten nebeneinander laufen, aber eigentlich arbeite ich schwerpunktmäßig mit Menschen, beim Klettern genauso wie auf dem Werksgelände. 

Als DAV-Klettertrainerin bringst du Kindern das Klettern bei. Was lösen die Höhe und das Hängen am Seil bei den Kindern aus?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige wollen direkt loslegen, andere wiederum haben Angst. Die Angst ist beim Klettersport immer ein Thema und ich bin eher eine Verfechterin davon, es dem Kind zuzugestehen, wenn es sich unwohl fühlt. Wenn Leute unten stehen und meinen, das sei einfach, das Kind solle sich nicht so haben, sehe ich das problematisch. Die meisten haben aber tatsächlich Spaß, wenn sie in Aktion sind. Der Sicherung und dem Material zu vertrauen kostet anfangs einige Überwindung, aber wenn die Kinder merken, dass alles hält, trauen sie sich auch Stück für Stück weiter. Oben anzukommen ist ein tolles Gefühl, ein Erfolgserlebnis.  

Inter.Vista, Uta Linde, Foto: Miriam Bade

Inter.Vista, Uta Linde, Foto: Miriam Bade

Arbeitest Du lieber mit Kindern als mit Erwachsenen?
Aus dem Bauch heraus würde ich ja sagen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Kinder im Klettersport verantwortungsvoller miteinander umgehen. Viele Erwachsene, bei denen das Klettern zur Routine wurde, sind leichtsinniger und vergessen, den Fokus bewusst auf die Verantwortung zu legen. Natürlich tun sie das unbewusst, die Routine ist ja da. Ein Risikobewusstsein bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu vermitteln, darum geht es ganz essenziell.

Was hebt die Erlebnispädagogik von Vergnügungs- oder Kletterparks ab?
Tatsächlich ist der Hauptkritikpunkt an der Erlebnispädagogik, dass wir nichts anderes tun als Erlebnisanimation. Allerdings versuchen wir, die Menschen dabei pädagogisch zu begleiten und nachzufragen, was bestimmte Übungen und Erlebnisse auslösen und welche Erfahrungen daraus entstehen. Danach wird im Freizeitpark oder im Kletterwald natürlich nicht gefragt. Bei uns geht es darum, sich selbst kennenzulernen. Sich auszuprobieren mit der Gewissheit, dass da jemand ist, der einschätzen kann, wann die Grenze erreicht ist. 

Für wie wichtig hältst Du es, ständig die eigenen Grenzen auszutesten und zu erweitern?
Ohne Grenzen auszutesten oder neue Herausforderungen im Leben bleibt der Mensch in seinem Ist-Zustand. Er verharrt, wenn er nicht sogar einen Rückschritt macht. Sobald wir uns trauen, einen Schritt aus unserer Hobbit-Höhle zu gehen, gibt es neue Impulse. Ich lerne mehr von mir, lerne andere Menschen und andere Welten kennen. Der Klettersport überträgt sich direkt ins Alltagsleben. 

Das Projekt werk4 hast Du nicht allein begonnen. Ihr wart zu viert.
Das sind wir immer noch. Vier, die dieses Projekt schaffen und reißen. Wir ergänzen uns sehr gut in unseren Tätigkeiten. Da ist der Tischler, die Organisatorin, der Sportler und der Kletterer. Das macht die Symbiose perfekt.

Fühlst Du Dich von der Stadt Magdeburg in Eurem Vorhaben unterstützt?
Viele Ämter unterstützen uns, zum Beispiel das Stadtplanungsamt. Dort arbeiten tolle Menschen, die uns sogar anrufen, wenn es einen neuen Fördertopf gibt, der zu unserem Gelände passt. Es gibt aber auch die Ämterstrukturen, die eher
darauf schauen, dass alles nach den Richtlinien und Normen abläuft. Auf so einem wachsenden Geländesind Anforderungen oft nicht so schnell umsetzbar. Es ist schwierig zu erklären, warum der Prozess bei uns manchmal langsamer abläuft. Wir haben sehr viel Ehrenamtliche auf dem Gelände, das funktioniert nicht so professionell wie bei einem Immobilienmakler. Manchmal habe ich das Gefühl, dass uns Steine in den Weg gelegt werden und dass man uns dieses Projekt nicht zutraut. Es geht dann nur um das Abarbeiten von Fristen und Anfragen. Auf das Konkrete, den Ausbau der Kletterhalle, kann man sich gar nicht konzentrieren, weil das Drumherum zuerst gemacht und gelöst werden muss.

»Da ist der Tischler, die Organisatorin, der Sportler und der Kletterer. Das macht die Symbiose perfekt.«

Wie schwierig war es für Dich, Durchblick bei all diesen Ämtern, Formularen und Richtlinien zu bekommen?
Ganz ehrlich, ich finde es bis jetzt nicht schwer. Wir haben einfach angefangen und dann kamen natürlich die Fragen von der Stadt. Man setzt sich mit dem Problem auseinander und sucht nach einer Lösung. Und dann kommt das nächste und das nächste. Das ist nicht so schwer. Es macht auch Spaß, sich mit Baumaterialien auseinanderzusetzen, oder auch mit Künstlern, Kunstformen und Sportformen. Das ist super spannend. 

Zu tun gibt es wahrscheinlich immer etwas. Wann nimmst Du Dir Zeit für Dich?
Gerade vor unserem Interview hatte ich 20 Minuten Zeit. Ich bin in ein nahe gelegenes Café gegangen, habe einen Kaffee getrunken und nichts gemacht. Nicht telefoniert, keine Arbeitsgespräche geführt, nichts aufgeschrieben, sondern einfach vor mich hingeträumt. Ansonsten verreise ich mindestens zwei Mal im Jahr: Ein großer Urlaub, der drei bis vier Wochen geht, und ein kleinerer. Meinen letzten Urlaub habe ich in Vietnam verbracht. Davor war ich in Athen, in Montenegro und in Armenien. Ich reise in die Länder, die mich ansprechen, auf die ich Lust habe.

Reist Du mit Rucksack oder buchst Du All-Inclusive im Hotel?
Ich bin eher die Rucksack-Tante. In Armenien ist die Infrastruktur für Rucksacktouristen so wenig ausgebaut, dass man auf dem Land normalerweise bei Leuten schläft, die einem ein Zimmer anbieten. Vieles läuft über die Menschen, das macht total Spaß! Man ist häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Dort erlebt man Abenteuer, wie in überfüllten Bussen über Bergpässe zu fahren. Das ist toll.  

Zurück zum werk4: Ist dieses Zentrum das erste seiner Art in Magdeburg?
Wir sind die Ersten mit unserem Versuch, Sportler und Künstler zu vereinen. Es gibt kleinere Zentren, wie zum Beispiel den Knast, die versuchen, ähnliche Themen und Zielgruppen anzusprechen. Aber ich glaube, in der Größe ist es das Erste. 

Wie sehr braucht Magdeburg das werk4?
Ich finde nicht nur Magdeburg, sondern auch Sachsen-Anhalt braucht es langfristig gesehen als Vorzeige-Projekt. Wir zeigen damit, wie man alte Industriegelände wiederbeleben kann, sodass sich Vereine, Künstler und auch alternative Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen austauschen und treffen können. Ganz normale Menschen und Jugendliche können gemeinsam so etwas schaffen, ohne dass dahinter eine große Organisation steht.

»Ich finde die Stadt ist interessant in ihren Gegensätzen. Eine bizarre Schönheit.«

Noch ist die große Halle, die mal eine Kletterhalle werden soll, eine alte Industrieruine. Wie sieht Eure Zeitplanung für den Ausbau aus?
Die Frage kommt von ganz vielen. Unser Ziel ist es, 2016 mit dem Bau zu beginnen. Der große Traum wäre dann die Eröffnung im Jahr 2017. Wir machen keinen Neubau, sondern sanieren ein altes Industriegebäude, da kann es Probleme geben, sodass es zu Bauverlängerungen kommt. 

Ihr sucht auch nach Freiwilligen, die Euch beim Aus- und Umbau des Geländes helfen. Seht Ihr Möglichkeiten, gemeinsam mit Geflüchteten, die noch keine Arbeitserlaubnis haben, hier auf dem Gelände zu arbeiten?
Die Möglichkeit sehen wir schon! Wir hatten Flüchtlinge auch zu unserem Weihnachtsmarkt eingeladen, sodass sie ihre eigenen Stände machen können, zum Beispiel mit Essen. Diese Einladung wurde jedoch nicht so gut angenommen. Im Nachhinein überlegten wir auch, ob wir unsere Ansprache ändern können, damit sie sich trauen. Beim werk4 geht es darum, unterschiedliche Subkulturen miteinander zu vereinen, städtische Subkulturen. Flüchtlinge und ihre Kultur hier mit einzubinden, finde ich super. Zwei oder drei hatten wir schon hier, die öfters ehrenamtlich auf dem Gelände halfen. Wir sammeln gerade auch alte Fahrradrahmen, die wir für die Flüchtlinge wieder aufbauen wollen. Auf dem »Werknachtsmarkt«, unserem Weihnachtsmarkt, hatten wir einen Stand, an dem für Flüchtlinge Fahrräder zusammengeschraubt wurden. Seitdem bekomme ich öfters E-Mails von Menschen, die ihre alten Fahrräder bei uns abgeben wollen. Das ist natürlich super. 

Gemeinsam mit der Jugendherberge Magdeburg bietest Du interaktive Stadtführungen für Schulklassen und andere Gruppen an. Du kennst Dich hier sehr gut aus, obwohl Du in Gardelegen in der Altmark aufgewachsen bist. Wie hast Du diese Stadt so gut kennengelernt?
Durch die vielen Netzwerke und das vielfältige Handeln passiert das nebenbei. Ich kann von mir behaupten, einen sehr guten Orientierungssinn zu haben. 2005 oder 2006 fing ich richtig an, mich mit der Magdeburger Geschichte zu beschäftigen. Da machte ich eine Ausbildung zur Jugendgästeführerin für Touristen und lernte in ganz Sachsen-Anhalt historische Plätze kennen.  

Inter.Vista, Uta Linde, Foto: Miriam Bade

Inter.Vista, Uta Linde, Foto: Miriam Bade

Gibt es einen Lieblingsplatz für Dich in Magdeburg?
Ich mag die Hubbrücke sehr. Während meiner Studienzeit setzte ich mich häufig auf der Seite des Rotehornparks auf eine Mauer und schaute auf die Elbe. Ab und zu mache ich das immer noch. Aber ich bin gerne auf dem werk4 und genieße die Ruhe auf der Rampe. Sonntags hier den Sonnenuntergang anzusehen, ist für mich mit das Beste, obwohl man nur Eisenbahnen sieht. Ich finde das irgendwie schön. 

Ist Magdeburg Deine Heimat geworden?
Ja. Es ist schwierig, ein Bauchgefühl zu erklären. Wie soll man Heimat definieren? Wohlfühlen könnte ich es nennen. Ich mag die Menschen hier, die Freunde, meine Arbeit. Ich finde, die Stadt ist interessant in ihren Gegensätzen. Eine bizarre Schönheit. Es gibt viele Städte mit einem schönen Altstadtkern. Städte wie Leipzig haben diesen Messecharakter und eine schöne Innenstadt, rechts und links davon sind die verschiedenen Stadtteile. Magdeburg ist eine langgezogene Stadt, wo man punktuell Schönheiten findet. Und trotzdem ergibt das irgendwie ein Gesamtbild. 

Magdeburg hat sich als »Zukunftsstadt« beworben. Dabei geht es darum, wie die Stadt 2030, also in 14 oder 15 Jahren, aussehen wird. Was wünschst Du Dir für Magdeburg?
Einer meiner Träume ist, dass Magdeburg eine der wenigen Städte Deutschlands oder sogar weltweit wird, in der Gentrifizierung und Segregationsprozesse nicht in dem Maße stattfinden, wie in anderen Städten der Welt. Oft eignen sich die Alternativen, wie auch hier in Buckau, ihren Raum an. Und werden die Künstler dann sesshaft, so sind sie irgendwann durch die erhöhten Mietpreise dazu gezwungen, weiterzuziehen. Es ist immer das gleiche Spiel. Randgruppen werden nach außen gedrückt. Mein Wunsch ist, dass in Magdeburg ein soziales Miteinander möglich ist. Ich sehe tatsächlich eine Chance, weil Magdeburg nicht zu groß und nicht zu klein ist. Für den Titel »Zukunftsstadt 2030« könnte das ein schönes Motto sein.

Interview aus INTER.VISTA 1

Vista.schon?
Uta Linde wurde 1980 in Gardelegen geboren. Für ihr Sozialpädagogik-Studium zog sie nach Magdeburg und verbindet seitdem ihr Hobby Klettern mit Pädagogik, urbaner Kunst und Subkultur. Mit dem Kauf des ehemaligen VEB Sauerstoff- und Acetylenwerks in Magdeburg- Buckau nahm sie gemeinsam mit drei Mitstreitern den Umbau zum werk4 in Angriff, das größte alternative Kultur-, Kunst-, Handwerks- und Sportzentrum Sachsen-Anhalts.

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