Er ist Domküster und Bassist von Magdeburgs ›heißester Coverband‹ Charlies Crew. An einem sonnigen Nachmittag sitzen wir im Garten des Magdeburger Doms, um über Rock’n-Roll-Muggen, Glauben und natürlich den Dom zu plaudern. Mit seinen bunt bemalten Besen Feuerblitz und Nimbus 2000 kümmert er sich um viele dinge des alten Gemäuers, dessen offizieller Name übrigens Dom zu Magdeburg St. Mauritius und Katharina ist. Außerdem erfahren wir, warum er Küster wurde, wie er einen Suizid verhinderte und was der ultimative Song für ihn wäre.
Interview und Fotos: Sophie Traub und Leon Fischer
Singst Du unter der Dusche?
Nein. Kommt mir selbst gerade erstaunlich vor, aber das mache ich nicht. Eben typisch Mann: nicht multitaskingfähig.
Zur Entspannung: eher ein Choral von Bach oder doch lieber ZZ Top?
Ganz unterschiedlich. Es kommt auf die Stimmung an, manchmal habe ich eben Lust auf Musik und manchmal nicht. Mal hat man morgens schon den Blick für die Schönheit des Doms und mal nicht.
»Einmal bin ich nach einer Tour von der Ostsee noch nachts nach Hause gefahren, weil ich hier eben meinen Dom habe.«
Du hast auch im Domchor gesungen. In welcher Stimmlage?
Als Kind war ich dem Alt der Frauen zugeteilt und bin dann nach dem Stimmbruch in den Bass gekommen. Nach der Armee wollte ich nochmal im Chor singen, aber da hatte ich schon Musik mit meiner Band gemacht. Das überschnitt sich dann immer und ich war irgendwann keine Hilfe mehr für den Chor, konnte öfter bei Konzerten nicht mitsingen. Für mich war dann klar: lieber nur eins. Ich wollte lieber Krawall machen.
Bist Du schon mal mit Deiner Band hier im Dom aufgetreten?
Ja, zu einem der jährlichen Sommerfeste waren wir mal gebucht. Kein großes Ding, aber es gibt Bier und Tanz. Das unterscheidet diese Festlichkeit von anderen im Dom. Auch meinen 50. Geburtstag habe ich hier gefeiert, da gab es natürlich auch unsere Musik. Zu meiner großen Überraschung waren wir als Band auch zum Abschied des Bischofs ein geladen, das hat mich wirklich gewundert. Da gab es dann natürlich auch einige ›Dinosaurier‹, die das nicht so toll fanden. Aber der Bischof war ein sehr bodenständiger Mensch, der hat das gut verkraftet. Eine wirklich interessante Atmosphäre. So ändern sich die Zeiten.
Gehst Du noch auf Tour mit Charlies Crew?
Wir spielen demnächst zum Beispiel auf dem Rathausfest in Wernigerode. Aber Auftreten ist allgemein ruhiger geworden. Es kümmert sich niemand so richtig darum und unsere Bekanntheit nimmt auch so ein bisschen ab. Aber das ist mir gar nicht so unrecht, weil ich ja alle 14 Tage auch Wochenenddienst im Dom habe und sich das öfter überschneiden würde. Dann muss ich Dienste tauschen und das ist bei einer Zwei-Mann-Besetzung nicht einfach.
Probt Ihr regelmäßig?
Wir proben je nach Anforderung. Heute zum Beispiel. Unser Programm ist ja auch relativ festgelegt. Das pflegen wir, weswegen wir gar nicht so viel proben müssen.
Ihr spielt Coverversionen. Schreibt Ihr auch eigene Songs?
Ja. Also wir haben auch überlegt, ob wir uns jetzt im Alter nochmal hinsetzen und diese eigenen Sachen aufmischen. Das ist natürlich schwierig, weil vieles davon schon über zehn Jahre alt ist. Da einen neuen Ansatz zu finden, kann schwieriger sein als etwas ganz Neues zu schreiben. Wir haben schon eigene Sachen und versuchten immer mal, das ins Programm zu übernehmen, aber die Lieder, die wir jetzt spielen, haben sich im Programm durchgesetzt.
Auf Eurer Website steht, Du würdest »unmöglichste« Stimmen zum Klingen bringen. Was verbirgt sich dahinter?
Ich habe im Chor viele unterschiedliche Sachen machen müssen und schnell gelernt, eine Stimme zu finden und dann auch hin und her zu springen. Das ist ganz famos. Wenn wir zu Weihnachten eine Mugge hatten, war es für die Kollegen manchmal gar nicht so einfach. Weihnachtslieder sind von den Akkorden her und auch tonal ganz anders als zum Beispiel Blues oder Soul. So war es für unseren Sänger Hannes, der fast nur Blues und Soul gemacht hat, schwer, diese Art von Gesang zu übernehmen. Insofern bin ich in der Band der, der variabel ist.
Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Hast Du nach diesem Motto gelebt?
Also es war schon alles dabei. Die Frage ist, warum macht man Musik? Letztlich ist es einfach der Drang, auf die Bühne zu wollen. Ich bin kein Musiker, ich bin Mugger. Das bedeutet, gerne Musik zu machen, aber nicht den schöpferischen Drang zu haben, etwas Eigenes zu hinterlassen. Das mag auch an unserer Geschichte liegen. Im Osten konnte man gut und viel spielen und brauchte nicht unbedingt was Eigenes. Das hat mir gereicht. Und wenn man dann erstmal oben steht und mitkriegt, wie man die Leute begeistern kann, dann wird man übermütig und leichtsinnig. Hotelzimmer habe ich auch schon mal auseinandergenommen. (lacht)
Das klingt so, also wäre es im Osten ganz einfach gewesen, Musik zu machen?
Man musste sich von Anfang an irgendwelchen Einstufungskommissionen stellen, was einem echt auf den Wecker gehen konnte. Und ich dachte dann: Mach mal eine anständige Ausbildung. Es gab für alles einen zweiten Bildungsweg, insofern auch für mich, da ich aufgrund meiner Herkunft und auch meiner Leistungen nicht studieren konnte. In Magdeburg gab’s für mich die Möglichkeit an der Musikschule eine Ausbildung zu machen. Ich stand dann also vor so einer Einstufungskommission, die mir ebenfalls die Berufsqualifikation als Musiker zusprach. Ich dachte, jetzt wäre ich unabhängig, aber letztlich war‘s dann als Profi genauso: Diese Kommissionen haben alle Gelder festgelegt. Aber wir machten weiter und spielten viel. Auch schöne große Sachen, wie zum Beispiel Rock für den Frieden. Viele Kollegen verstanden nicht, warum ich nicht mit meinem Job aufhörte, denn immerhin hatte ich ja einen Berufsausweis als Musiker. Ich hätte als Domküster aufhören können, da kriegte ich 430 Ostmark, wovon man schon leben konnte. Aber die ganzen Mugger sind auch ein eingefahrener Haufen. Viele hatten wirklich nichts anderes als Sex, Drugs and Rock’n Roll im Kopf, oder den neuesten Verstärker, die teuerste E-Gitarre. Das habe ich nie wirklich verstanden. Einmal bin ich nach einer Tour von der Ostsee noch nachts nach Hause gefahren, weil ich hier eben meinen Dom habe. Es ist eine andere Welt, Musik ist ein schöner Ausgleich. Letztendlich habe ich hier ja auch meine Bühne. Leute kommen in den Dom, das ist super interessant und abwechslungsreich, man lernt viele verschiedene Menschen kennen.
Wie bist Du zu Deinem Beruf gekommen?
Mein Vater war hier schon Küster, ich bin damit groß geworden. Als ich von der Armee wiederkam, hatte ich mir das richtig in den Kopf gesetzt. Zuerst arbeitete ich in einem Metall baubetrieb, kündigte dann aber. Ich hatte zwar damals die Orakel Blues Band, um die ich mich schon während der Armeezeit gekümmert hatte. Aber im Osten ging es natürlich gar nicht, ohne Arbeit zu sein. Da galt man sofort als asozial. Die ganzen Mugger hatten öfter mal Hausmeisterjobs. In der Zeit war mein Vater gerade alleine, weswegen ich begann, im Dom auszuhelfen. Mein Vater war einer, der vieles lieber selbst erledigte. Und ich war auch zufrieden, wenn ich hier mit meinem Besen alleine sein konnte. Am Wochenende arbeitete mein Vater oft lieber allein, das passte dann perfekt für mich zum Spielen mit der Band. Es gab Zeiten, da gab es hier sogar vier Küster, weil so viel Tourismus stattfand, gerade auch aus Freundesland, zum Beispiel sowjetische Reisegruppen. Dafür machten wir damals extra einen kleinen Russischkurs.
Auf der Website steht auch, dass Du Russisch lernst. Wie läuft’s denn so?
Meine jetzige Frau kommt aus Weißrussland, deshalb bin ich ohnehin genötigt, da immer ein bisschen dran zu bleiben. Richtig notwendig wird es dann, wenn wir dort zu Besuch sind. Sagen wir mal so, sehr große Fortschritte habe ich noch nicht erzielt, aber wenn wir ein paar Tage dort sind, dann höre ich mich so ein bisschen rein. Bei meiner Schwiegermutter komme ich allerdings überhaupt nicht mit. (lacht)
»An sich bin ich ein besserer Hausmeister.«
Im Netz fanden wir auch die Info, dass Du einen guten Tropfen sehr schätzt. Wein oder Bier?
Eigentlich bin ich mehr der Biersäufer. Im Moment stehe ich total auf kleine bayrische Brauereien, die Helles machen. Pils kann ich gar nicht mehr ab und die ganzen Starkbiere auch nicht.
Zurück zum Dom. Was sind Deine Aufgaben?
An sich bin ich ein besserer Hausmeister, allerdings hat sich in den letzten Jahren in diesem Beruf einiges geändert. Recht und Sicherheit spielen eine viel größere Rolle. In erster Linie sorge ich für Ordnung und Sicherheit und betreue verschiedene Veranstaltungen, natürlich vor allem Gottesdienste.
Bist Du gläubig?
Naja, heutzutage muss man das fast sein. (lacht) Ich denke, man sollte der Konfession schon angehören. Ich mache ja auch Führungen und denke, wie will man denn so ein Gotteshaus verkaufen, wenn man nicht auch etwas ganz Wesentliches mitgeben kann. Das geht am besten, wenn man das auch verinnerlicht und dahintersteht.
Hörst Du den Predigten während des Gottesdienstes noch zu?
Ich muss zuhören, weil ich auch die Tonanlage betreue. Das mache ich meistens sogar gern. Ich muss allerdings nur alle 14 Tage sonntags arbeiten. In meiner freien Zeit klemm’ ich mir natürlich den Gottesdienst. (lacht) Hier predigen ganz unterschiedliche Leute. Insofern muss man sich nicht an einen Stil gewöhnen, es ist oft interessant und abwechslungsreich. Man sieht auch am Gottesdienstbesuch, wer beliebt ist und die Leute abholen kann.
Gibt es ein Ereignis im Dom, das Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Hier habe ich mal Peter Maffay getroffen (lacht) und auch schon die philippinische Botschafterin durch den Dom geführt. Und ich hielt mal jemanden davon ab, vom Turm zu springen.
Willst Du uns die Geschichte kurz erzählen?
Das passierte vor zehn Jahren. Die Orgel wurde gerade gebaut. Die Orgelbauer fuhren freitags immer nach Hause und packten ihr wichtigstes Werkzeug wieder ein. Dafür mussten die Türen offen bleiben, auch nach den offiziellen Besichtigungszeiten. Einer der Arbeiter rief mir im Gehen zu, dass ein Mann reingekommen und hochgelaufen sei. Eigentlich sind auf jeder Etage des Doms Türen, die auch abgeschlossen sind, aber an diesem Tag war wirklich alles offen. Und dann war er eben oben. Der achteckige Turm war zu der Zeit eingerüstet, weil er renoviert wurde. Ich bin also hinterher und hörte auf dem Gerüst etwas klappern. Als ich oben ankam, rief er schon, dass ich nicht weiter gehen solle. Es war ein junger Bursche, 21 Jahre alt. Er hatte sich bereits die Pulsadern aufgeschnitten, stand auf dem Gerüst und drohte, zu springen. Das blieb natürlich von unten nicht unbeobachtet, die Leute riefen die Feuerwehr. Ich war nicht sicher, was ich machen sollte. Irgendwie versucht man dann, sich einzufühlen und irgendwas zu erzählen. Aber sehr schnell merkt man auch, dass man sowas nicht einfach kann. Es gibt zurecht dafür ausgebildete Leute Ich rief dann meinen Chef an, dessen Frau war Krankenhaus Seelsorgerin. Die beiden kamen hoch und sie redete mit dem jungen Mann. Feuerwehr und Polizei trafen dann auch ein. Das Ganze zog sich ewig hin, gegen 22 Uhr wurde er dann unaufmerksam und Spezialleute der Feuerwehr haben ihn dort weggeholt und ins Uniklinikum gebracht. Das war wirklich eine harte Nummer. Die letzte Person, die vom Dom sprang, war Sophie Masting, eine jüdische Frau. Das war 1934.
Hast Du einen Lieblingsort im Dom?
Ja, zum Beispiel hier im Innenhof einfach auf der Wiese sitzen. Es muss ja nicht immer alles so geistlich sein. Was die Leute hier im Dom hinterlassen haben, ist nicht nur Glaube, sondern auch ihr Leben. Im Dom steckt so viel Lebendigkeit. Manchmal kann man erahnen, was da noch ist. Ich denke, es ging ihnen beim Bau oder in ihrer Arbeit nicht nur um die Rettung ihres Seelenheils. Manchmal sehe ich das alles, manchmal fehlt mir aber auch der Blick dafür. Morgens, wenn ich reinkomme, ist beispielsweise schon der Organist da und haut total in die Tasten. Da hat man schon fast die Nase voll, denn es ist nicht alles Bach. Also so einen richtigen Lieblingsplatz habe ich eigentlich nicht. Aber immer wieder Momente, in denen ich alles hier neu sehen kann.
Würdest Du Deinen Beruf gegen einen anderen eintauschen?
Nein, niemals. Natürlich habe ich manchmal wenig Lust, aber grundsätzlich gehe ich gern zur Arbeit.
»Es muss ja nicht immer alles geistlich sein.«
Der Dom ist das Wahrzeichen Magdeburgs, aber was macht die Stadt noch für Dich aus?
Die Elbe. Das hat sich bei mir erst in den letzten Jahren so entwickelt, vielleicht auch mit der Tatsache, dass sie eben jetzt schön begehbar und richtig wahrnehmbar ist. Und auch super schön zum Radeln. Das ist ganz wesentlich für mich. An der Elbe sitzen und ganz entspannt dem Fluss zuschauen. Die Elbe ist so lebendig, die fließt nicht jeden Tag gleich.
Machst Du Dir Sorgen um den Magdeburger Rocknachwuchs?
Nein. Vorgenommen habe ich mir, zum Talentverstärker zu gehen und mal wieder zu horchen, was so los ist in der Musikszene. Nach dem, was ich so lese, muss man sich keine Sorgen machen. Traurig finde ich allerdings, dass es hier keine richtige Institution gibt, wo man sich als Musiker treffen kann. Es gibt natürlich Gelegenheiten, zum Beispiel in der Festung Mark im Stübchen, da sind ab und an mal Sessions. Gäbe es aber einen richtigen Treffpunkt, dann würden sich die ›alten Säcke‹ – so wie ich – da bestimmt ab und zu mal hinbequemen. Da könnte man dann auch einen Draht zu jungen Musikern kriegen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber generationsübergreifend gibt’s hier nichts mehr. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das Ganze zerbröckelt. Vielleicht bekommt man das heutzutage nicht mehr alles unter einen Hut und es muss so unterschiedliche Lager geben. Die Sparten sind ja viel offener, bunter und vielfältiger geworden.
Sind Deine Kinder Fans Deiner Musik?
Mittlerweile sind sie selbst ständig und haben so viel von der Welt gesehen, dass sie mir keinen Honig mehr ums Maul schmieren. Ein Sohn ist jetzt in Kanada. Was Charlies Crew macht, tut keinem weh und ist ja auch nicht so eine enge Sparte, also kein ganz besonderer Pfad. Bei anderer Musik ist das schon eher der Fall. Gut gemacht ist es ja. Auf jeden Fall gefällt es ihnen und das können sie auch mit ruhigem Gewissen sagen.
Stell Dir vor, Du lägest nach einem Unfall auf der Straße und hast nur noch Zeit für einen Song. Welcher wäre das?
Vielleicht »Willin’« von Little Feat. Eigentlich läuft die Zeit in dem Moment ja rückwärts.
Juni 2018
Interview aus INTER.VISTA 6
Vista.Schon?
Uwe Jahn ist Domküster in Magdeburg. 1969 wurde er in Bad Freienwalde geboren Als er neun Jahre alt war, zog die Familie nach Magdeburg in das Küsterhaus direkt am Domplatz, denn schon sein Vater arbeitete als Küster im Magdeburger Dom. nach seiner Armeezeit begann er mit der Band Charlies Crew aufzutreten. Uwe Jahn ist verheiratet, hat Kinder und ist auch schon einmal Opa. Übrigens, in der Regel justiert er alle zwei Wochen die große Uhr am Dom neu, da sich diese aufgrund der klimatischen Veränderungen verstellt.
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