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Sigrid Jaspers

Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet Sigrid Jaspers in Magdeburg. Heute ist sie die Präsidentin des Landgerichts Magdeburg. Im Interview mit Inter.Vista erzählt sie über ihren Arbeitsalltag, was sie in ihrer Freizeit macht und warum Magdeburg für sie ihre neue Heimat ist. Außerdem erklärt Sigrid Jaspers, warum sie eine Fernsehrolle als Richterin immer ablehnen würde.

Interview und Fotos: Jennifer Fiola und Paul Schulz

   

Frau Jaspers, wenn Sie das Angebot bekämen, in einer Gerichtsfernsehsendung mitzuwirken, würden Sie es annehmen?
Ganz bestimmt nicht! Das war nie meine Zukunft. Diese Sendungen sind völlig irreal und treffen überhaupt nicht die Wirklichkeit des deutschen Justizsystems. Ich habe mal eine Sendung gesehen und das hat gereicht.

Wie wird man denn überhaupt Richter?
Zunächst habe ich Jura in Münster studiert und anschließend das erste Staatsexamen gemacht. Das Studium ist rein wissenschaftlich und ohne Praxisbezug. Danach kommt die Referendarzeit. Dabei durchläuft man verschiedene Stationen; am Gericht, bei der Staatsanwaltschaft und bei einer Verwaltungsbehörde. Es schließt sich das zweite Staatsexamen an. Um Richter zu werden,muss man dabei eine bestimmte Punktzahl erreichen.

»Mein Ziel ist die heitere Gelassenheit, aber die habe ich leider nicht nicht wirklich erreicht.«

Und wie lange hat das bei Ihnen gedauert?
Ich habe recht lange studiert. Ich glaube elf Semester. Die Referendarzeit dauerte seinerzeit noch drei Jahre.

Musste man sich da schon für eine Art Themenschwerpunkt entscheiden?
Ja, das sollte man auch. Ich wollte immer Richterin werden, das stand schon relativ früh in meiner Studienzeit fest.

Wie haben Sie sich die Arbeit vorgestellt, bevor Sie Richterin waren?
Als Studentin habe ich geglaubt, man könnte als Richterin in einem Raum arbeiten, in dem man die absolute Gerechtigkeit finden kann. Kann man natürlich nicht. Wenn man älter wird und über die Berufsanfängerzeit hinaus ist, merkt man das sehr schnell. Es ist ja auch die Frage: Was ist gerecht? Wer beurteilt Gerechtigkeit? Es gibt keine objektive Situation, in der man sagen kann: Das ist jetzt eine gerechte Entscheidung. Jeder verfolgt seine Interessen. Wir Richter versuchen immer gerecht zu sein, ob uns das in jedem Fall gelingt, weiß ich nicht.

Inter.Vista, Sigrid Jaspers, Foto: Jennifer Fiola, Paul Schulz

Inter.Vista, Sigrid Jaspers, Foto: Jennifer Fiola, Paul Schulz

Als Richterin müssen Sie immer unvoreingenommen und unparteiisch bleiben, fällt Ihnen das manchmal schwer?
Na klar. Aber jeder bemüht sich, unparteiisch zu sein, denn unbewusst wird immer die persönliche Vorstellung und Überzeugung in ein Urteil mit hineinspielen. Der Kern liegt darin, sich dessen bewusst zu sein. Aber wir alle sind an das Gesetz gebunden und können uns nicht über das Gesetz hinwegsetzen. Das Gesetz gibt den Rahmen und die Grenze unseres Handelns vor.

Wirkt sich Politik in irgendeiner Art auf Ihre Arbeit aus?
Nein, wir sind unabhängig. Artikel 97 des Grundgesetzes besagt, dass Richter frei in ihren Entscheidungen, in ihrer Rechtsfindung und nur den Gesetzen unterworfen sind. 

Sie wussten ja schon recht früh, dass Sie Richterin werden wollten. Kann man sagen, Sie leben Ihren Traumberuf?
Ich fand meinen Beruf nach den Anfangsjahren nicht mehr ganz so spannend. Aber seitdem ich 1991 nach Magdeburg kam, wollte ich nie wieder etwas anderes machen, als Richterin zu sein.

»Richter haben keine Arbeitszeit. Richter haben ein bestimmtes Pensum.«

Welche Charaktereigenschaften muss man Ihrer Meinung nach als Richter mitbringen?
Unter meinen Kollegen finden Sie jeden Charakter. Es gibt zurückhaltende, extrovertierte, introvertierte, temperamentvolle, ruhige, ausgeglichene und weniger ausgeglichene, also alles, was man sich vorstellen kann. In unserem Kammersystem gibt es einen Vorsitzenden Richter mit mindestens zwei Beisitzern. Da ist es ganz gut, unterschiedliche Charaktere mit ihren jeweiligen Sichtweisen zu haben. Dadurch kann man sich besser austauschen und beraten.

Und wie würden Sie Ihren Charakter beschreiben?
Mein Ziel ist die heitere Gelassenheit, aber die habe ich leider noch nicht wirklich erreicht. Ich bin wohl eher temperamentvoll.

Was fällt in Ihren Aufgabenbereich?
Mein Beruf ist zweigeteilt. Mit 20 Prozent meiner Arbeitskraft arbeite ich als Vorsitzende einer Zivilkammer. Mit den übrigen 80 Prozent bin ich Präsidentin. Als Präsidentin habe ich verwaltende Aufgaben wie Personalsachen, Haushalt und so weiter.

Wie sieht ein ganz normaler Tagesablauf bei Ihnen aus?
Oh Gott. Je nachdem ob als Richterin oder Präsidentin.

Als Richterin?
Wir befassen uns mit Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte in Zivilsachen im Geschäftsbereich des Landgerichts Magdeburg. Dazu sehen meine Beisitzerinnen und ich uns die Fälle an und bilden uns eine Meinung. Danach geht es in die Verhandlung. Je nachdem wie viele Fälle es sind, dauert sie bis zu einem ganzen Vormittag. Anschließend beraten wir uns über die Aussagen von Zeugen und die Ausführungen der Anwälte und kommen dann zu unserem Ergebnis.

Und als Präsidentin?
Viele verwaltende Aufgaben. Ich bin ein Troubleshooter. Ein Problemlöser. Ich muss strategisch vorgehen. Was machen wir in der Zukunft? Wie viel Personal brauchen wir? Wie kann ich für Personal sorgen? Wie schaffe ich mir die finanziellen Mittel? Was kann ich mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, realisieren und lauter solche Sachen. Ich führe zahlreiche Personalgespräche über alles, was sich so ergibt. 

Der Fall Oury Jalloh war groß in den Medien. Wie hatten Sie damit zu tun?
Als Präsidentin hatte ich eine ganze Menge damit zu tun. Vor allem weil vor unserem  Gebäude ständig Demonstrationen und Übergriffe stattfanden. Dadurch gab es sehr viel Unruhe bei uns, die Polizei musste immer vor Ort sein.

Gingen Sie mit dem Fall anders um, weil das Interesse der Öffentlichkeit so groß war?
Nein, das ist vollkommen gleichgültig. Egal, ob der Ministerpräsident oder Herr Mustermann vor Gericht steht.

Wie kommen Sie mit der momentanen ›Baustellensituation‹ in Magdeburg zurecht?
Ich wohne in Cracau und fahre mit dem Auto. Daher brauche ich nur etwa fünf Minuten länger zur Arbeit. 

Wie lange ist so ein normaler Arbeitstag bei Ihnen? Acht Stunden, wie bei jedem Durchschnittsarbeiter?
Ach, das kommt ganz drauf an. Richter haben keine Arbeitszeit. Richter haben ein bestimmtes Pensum. Dabei ist es eigentlich vollkommen gleichgültig, wann und wo der Richter diese Arbeit erledigt. Hauptsache er erledigt sein Pensum. Als Präsidentin hängt die Länge des Arbeitstages davon ab, ob alles seinen Gang geht, oder sich wieder einmal die eine oder andere Baustelle auftut. 

Wenn Ihr Arbeitstag vorbei ist, wie geht es dann für Sie privat weiter?
Das ist ganz unterschiedlich. Im Sommer spiele ich Golf, aber natürlich nicht jeden Abend. Ich habe Freunde, mit denen ich mich treffe, ich gehe ins Theater, ins Konzert, ich fahre am Wochenende irgendwo hin und treffe mich mit Freunden oder gucke mir Ausstellungen an. Ich gehe in die Oper oder ins Ballett in Hamburg und Berlin. Außerdem lese ich viel. Trotzdem nimmt man manchmal Arbeit mit nach Hause.

»Ich wollte immer Richterin werden, das stand schon relativ früh in meiner Studienzeit fest.«

Was war ihr letztes Buch und wie hat es Ihnen gefallen?
Mein letztes Buch war Homer & Langley von Doctorow. Ich fand es sehr schön.

Wie kam es denn dazu, dass Sie von Bielefeld nach Magdeburg gezogen sind?
Mein Mann war Staatsanwalt in Oldenburg und hat in Magdeburg das Angebot bekommen, die Staatsanwaltschaft zu leiten. Ich bin ihm aus Niedersachsen gefolgt. Ich wollte keine Wochenend-Ehe führen. 

Wie haben Sie denn Ihren Mann kennengelernt?
Bei der Arbeit. Ganz klassisch.

War es denn schwer für Sie, sich hier einzuleben?
Nein. Ich hatte mir vorgestellt, dass es schwer ist. Tatsächlich war es ganz einfach.

Lassen sich Familie und Beruf gut vereinbaren?
Das geht ziemlich unproblematisch, wenn man kinderlos ist.

Was verbindet Sie mit Magdeburg?
Das ist jetzt meine Heimat. Ich lebe hier seit 25 Jahren. Ich habe noch nie länger an einem anderen Ort gewohnt. Und ich habe mich mit Magdeburg weiterentwickelt.

Inter.Vista, Sigrid Jaspers, Foto: Jennifer Fiola, Paul Schulz

Inter.Vista, Sigrid Jaspers, Foto: Jennifer Fiola, Paul Schulz

Was ist Ihr Lieblingsort in Magdeburg und warum?
Der Herrenkrug ist für mich der schönste Ort. Grün, Natur, zwar domestizierte Natur, aber trotzdem schön. Und der Stadtpark – da jogge ich gelegentlich – gefällt mir auch sehr.

Gibt es trotzdem etwas in Magdeburg was Sie vermissen? Etwas wo Sie sagen, das könnte noch geändert werden?
Der zerbombte Stadtkern. Ich glaube, der wurde mehr nach praktischen Gesichtspunkten als nach Schönheit wieder aufgebaut. Außerdem ist die Baustellensituation unschön.

Vermissen Sie Bielefeld?
Ich vermisse es nur, weil da noch Freunde und Verwandte von mir leben, aber ansonsten nicht.

November 2016
Interview aus INTER.VISTA 3

Vista.Schon?
Sigrid Jaspers, geboren 1954 in Bielefeld, hat in Münster Jura studiert. Sie arbeitete in Niedersachsen und ist seit 2007 Präsidentin des Landgerichts Magdeburg. Seit 25 Jahren lebt sie mit ihrem Mann in Magdeburg und sieht die Stadt als ihre neue Heimat. Drei Begriffe, die ihr spontan zu Magdeburg einfallen, sind aufstrebend, geschichtsträchtig und lebenswert. Der Herrenkrug ist ihr liebster Ort in der Stadt. Präsidentin sein heißt, viele Verwaltungsaufgaben erledigen. Als Ausgleich liest sie viel, besucht Freunde oder geht ins Theater.

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