Ronald Westphal ist nicht nur mehr als zwei Meter groß, auch sein Einfluss in und um Magdeburg ist riesig. Investitionen tätigt er schon einmal im dreistelligen Millionenbereich. Die Produktpalette seines Unternehmens Agro Bördegrün ist vielfältig und reicht von einer romantisch-biologischen Mutterkuh-Herde bis zur Pflanzenproduktion durch kraftstrotzende Maschinen. Ronald Westphal ist innovativer Landwirt und Weiterdenker. Romantisch wird er ab einer Höhe von 148 Metern über dem Meeresspiegel.
Interview und Fotos: Miriam Bade und Jörn Zahlmann
Herr Westphal, welche Produkte stehen gerade in Ihrem Kühlschrank?
Mein Kühlschrank teilt sich in das, was ich esse und das, was meine Familie isst. Bautz‘ner Senf darf da nicht fehlen, Zerbster Schlanke, etwas Joghurt. Dann auf jeden Fall Natho-Saft und ein bisschen was vom Chinesen für meine Kinder.
Muss man sich als Unternehmer in der Landwirtschaft für gewissenhafte Ernährung interessieren?
Gute Frage. Das ist mein Job, ich denke also schon. Wir sind ein konventionell produzierender Betrieb und die Produkte, die wir auf den Markt bringen, dienen der direkten Verarbeitung, Lebensmittel erster Güte also. Alle Maßnahmen, die die Produkte berühren, wie zum Beispiel Pflanzenschutzdüngung, müssen auch den Vorschriften entsprechen.
In einer neuen McDonalds-Werbung weht ein Bio-Siegel über eine Bilderbuchlandschaft. Es geht dabei um zertifiziertes Fleisch für einen neuen Burger. Finden Sie es nicht auch schön, dass man jetzt sogar bei McDonalds mit reinem Gewissen essen kann?
Wenn die Kinder zu Hause sind, muss ich auch manchmal dorthin. Komisch ist das aber schon, denn ich kenne den McDonalds-Zulieferer nicht nur in Deutschland, sondern auch in Amerika. Wenn die es schaffen, die nötigen Zertifizierungen zu erhalten, dann ist das schon ungewöhnlich. Aber McDonalds folgt auch nur dem Ruf der breiten Masse.
Folgen Sie auch diesem Ruf und dem Bio-Trend?
Wir haben eine Mutterkuh-Herde hier um die Ecke, die auf der Weide steht. Das Fleisch ist biologisch und zertifiziert. Für die Pflanzenproduktion kann ich das in meinem Betrieb nicht sagen. Trotzdem habe ich keine Angst, jemandem unsere konventionelle Produktion zu zeigen. Einmal war der Bürgermeister aus Fengyang in China bei uns zu Besuch. An unserer Tankstelle habe ich ein wenig Bio-Diesel in ein Schälchen gezapft und mit dem Finger reingedippt. Hinterher habe ich mein Auto damit getankt und ihm so gezeigt, dass man aus Raps zusammen mit Öl Ester machen und damit Auto fahren kann. Da hat er vor laufender Kamera einen Hieb aus der Schale genommen! Zum Glück ist nur ein wenig Methanol drin, ihm geht’s also gut, er hat es überlebt.
Gibt es einen Grund dafür, dass Sie auf Bio- und Ökozertifizierungen verzichten?
Wir sind sieben Milliarden Menschen auf der Welt. Im Schnitt brauchen wir auf der Welt ungefähr drei Milliarden Tonnen Lebensmittel täglich. Drei Milliarden Tonnen! In Europa werden jährlich 80 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Ich könnte sagen, ich gehe den biologischen Weg, würde dann aber auf einen Schlag auch 40 Prozent weniger produzieren. Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: Das sind 40 Prozent des Potentials unserer Pflanzen, die wir nicht mehr abrufen können, weil wir nicht mehr so düngen und weil wir die Pflanzen anders pflegen und aufziehen. Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Heute bin ich Landwirt und Firmenagraringenieur. Ich bin überzeugt davon, dass ich Produkte zur Verfügung stelle, die keine Stoffe in sich tragen, die den Menschen schaden.
»Man muss sich trauen und darf nicht ganz auf den Kopf gefallen sein.«
Wie zum Beispiel Glyphosat?
Glyphosat ist im Moment ein ganz heißes Thema. Es wird überall auf der Welt angewandt, in Amerika geht es direkt auf die Pflanze. In Deutschland haben wir für die Anwendung von Glyphosat Karenzzeiten: 14 Tage nachdem man gespritzt hat, kann man ernten, dann soll es nicht mehr nachweisbar sein. Wir spritzen nur die Problemflächen mit Glyphosat, aber mit gerade einmal zwei Litern pro Hektar, das sind keine riesigen Mengen. Pausenlos gibt es Artikel, die sagen, Glyphosat sei nach weislich in Muttermilch oder eventuell krebserregend. Was ist noch alles krebserregend? Die Bockwurst ist krebserregend. Ich denke, die Dosis rechtfertigt das Mittel, die gewissenhafte Handhabung ist entscheidend. Das Ganze ist natürlich auch eine Preisfrage. Man kann auch zwei Mal grubbern, das kostet dann 80 statt 25 Euro, die ich für das Spritzmittel ausgebe. Das muss der Kunde auch bezahlen wollen. Wenn ich höre, der Liter Milch kostet unter 50 Cent, die Butter 78 Cent: Das ist schlimm. Wir unterhalten uns darüber, wie toll das ist mit der biologischen Landwirtschaft, aber 85 oder 90 Prozent der Leute gehen dennoch zu Netto oder Lidl.
Glauben Sie, dass sich dieses Bewusstsein ändern wird? Kaufen Sie bewusst teurere Lebensmittel ein?
Meine Frau und ich schauen schon danach, was wir kaufen. Bei uns in Hermsdorf gibt es einen Bio-Hof, bei dem wir öfters einkaufen. Manchmal hole ich auch aus unserem eigenen Garten oder vom Nachbarn etwas. Meistens gehen wir zu Rewe oder zu Aldi, achten aber auch auf regionale Produkte. Es gibt das Sprichwort: »Wer einen Bauern betrügen will, muss auch einen Bauern mitbringen«.
Wurden Sie schon einmal so richtig über den Tisch gezogen?
Einmal wurde mein Vertrauen in einen Freund enttäuscht, leider. Er hat 300.000 D-Mark mit nach Hause genommen. So ist das im Leben. Freunde bleiben nicht immer Freunde. Und einmal hat mich ein Müller aus Rheine so richtig über den Tisch gezogen. Er hat den Vorkontrakt anders ausgefüllt als den Kontrakt, deshalb mussten wir 2.000 Tonnen Weizen bis an die holländische Grenze inklusive des Produktpreises fahren. Das waren fast 23.000 Euro Verlust. Da habe ich mich sehr geärgert. Aber man ist seines eigenen Glückes Schmied.
1989 sind Sie mit knapp 30 Jahren Genossenschaftsleiter einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) geworden. Auf einmal haben Sie sehr viel Verantwortung übertragen bekommen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich erinnere mich noch genau: Am 9. November war die Wende. Die darauffolgenden drei Wochen wusste keiner so richtig, wer der neue Chef der LPG werden würde.
Sie sind mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt worden.
Mit mehr als 94 Prozent. Zu Hause sprach ich mit meiner Frau darüber und sie sagte, es käme nicht jeden Tag jemand und fragt, ob man LPG-Vorsitzender werden möchte. Das musste ich erst verdauen. Was ich mit der Übernahme von 340 Seelen – als Menschen und Arbeitskräfte – gleichzeitig für eine Verantwortung bekam, wusste ich nicht.
Man hat den Eindruck, dass Sie ein Machertyp sind, kein Grübler. Muss man diese Eigenschaft als Landwirt haben?
Das glaube ich nicht, diesen Mut kann man nicht von jedem erwarten. Im Jahr 2000 habe ich mit unserem Biowerk etwas völlig Neues angefangen. Man muss sich trauen und darf nicht ganz auf den Kopf gefallen sein, es ging um sehr viel Geld. Konkret haben wir über 150 Millionen Euro investiert. Vor ein paar Jahren habe ich meine Anteile verkauft und bin nun im Biogas-Geschäft tätig. Mir geht es darum, die Wertschöpfungskette zu erweitern, zum Beispiel aus Mais Gas zu produzieren – es macht auch Sinn. Und Spaß.
Wie sieht es mit dem Mut Ihrer Mitarbeiter aus? Mit über zwei Metern sind Sie eine ziemlich imposante Erscheinung. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass sich Ihre Mitarbeiter vor Ihnen fürchten?
Ich glaube, manchmal tun sie das schon, aber dann haben sie auch einen Grund (lacht)! Nein, ich denke, ich pflege in der Firma einen guten Kontakt, deshalb wurde ich damals auch LPG-Vorsitzender. Ich war nicht in der SED, kein führender Parteifunktionär. Ausschlaggebend war mein gutes Verhältnis zu den Mitarbeitern. »Bördegrün, das sind wir« ist nicht irgendein Slogan in unserem Werbevideo. Das ist wirklich so. Wir haben viele junge Mitarbeiter, bilden stark aus. Das prägt natürlich, die Leute wollen bei uns arbeiten, da ist wenig Fluktuation. Mal kündigt einer, selten fliegt einer raus, nur wenn er es wirklich übertreibt. Manche wollen eben, manche wollen nicht. Verdienen tun sie alle zu wenig, und wir meinen, vielleicht wir bezahlen zu gut. Letztendlich muss man ein gutes Mittelmaß finden. Und wenn es mit der Harmonie nicht passt, dann nehme ich mir den Betreffenden zur Seite und wir sprechen unter vier Augen miteinander. Genau das erwarte ich auch von meinen Mitarbeitern.
»Wie wir da auf dem Kreuzberg standen, ja, das ist dann schon ein bisschen Romantik.«
Wo wir gerade bei der Freude an der Arbeit sind: Berufe in der Landwirtschaft an der frischen Luft werden ja oft romantisiert. Stimmt das? Oder sind Sie Pragmatiker durch und durch?
Was für eine Frage. Ich gehe gerne zur Arbeit – ob das romantisch ist? Pragmatisch ist es sicherlich, aus dem Job heraus. Vor Jahren war mal eine Journalistin von der FAZ hier, die mir erklären wollte, dass wir nur Monokulturen hätten und nur Raps produzieren würden. Da sind wir ins Auto gestiegen, auf den höchsten Berg gefahren, 148 Meter hoch, mitten im Juni. Und dann haben wir über unsere Flächen, 15 Hektar Flächen, geschaut. Ich fragte sie direkt, ob hier wirklich alles gelb sei. Dann habe ich ihr die Fruchtfolge erklärt, habe ihr etwas über das Dorf erzählt, über die Leute, die Mitarbeiter. Über die Kulturen, die wir anbauen, wo die hingehen, was wir tun. Wie wir da auf dem Kreuzberg standen, ja, das ist schon ein bisschen Romantik.
In dem besagten Interview der FAZ sagten Sie auch: »Man muss die Gier auf den einen, den astronomischen Preis zu warten, unter Kontrolle haben«. Wie wichtig ist Ihnen Geld?
Geld ist schon wichtig. Es ist nicht alles, Gesundheit ist alles. Aber als Chef sollte ich den Gewinn schon so maximal wie möglichabliefern. Der Spruch mit der Gier kam daher, dass wir heute schon die Ware verkaufen können, die wir noch nicht geerntet, noch nicht einmal gesät haben! Zu jeder Stunde des Jahres kann man für 18 Monate seine Ware verkaufen. Auf dem Ticker habe ich immer die Entwicklung der Preise verfügbar. Ich habe zum Beispiel voriges Jahr 203 Euro pro Tonne Weizen bekommen, das ist ein Top-Preis. Aber zu diesem Preis habe ich eben nur 2.000 meiner 12.000 Tonnen Weizen verkauft. Wieso? Weil ich eben dachte, vielleicht werden es doch noch mehr. Letztendlich habe ich im Schnitt nur 187 Euro pro Tonne bekommen, was immer noch ein guter Treffer ist. Es ist also die Frage, wie gierig die Bauern sind, um den Preis zu bekommen, den sie sich vorstellen, und mit welcher Konsequenz sie sagen: »Nee, jetzt ist der richtige Moment, den schließe ich ab und dann bin ich zufrieden.« Meistens mache ich das so.
»Mit den Ellenbogen meine ich, dass ich nie etwas kampflos freigegeben habe.«
Als Landwirt jonglieren Sie mit riesigen Summen. Haben Ihnen Zahlen jemals Angst gemacht?
Ja, nach der Wende. Wir mussten eine Summe von 8,6 Millionen D-Mark auszahlen und ich habe mich gefragt, wie wir das schaffen sollen. Unsere heutige Bilanzsumme beläuft sich auf fast 15 Millionen Euro. 2000 bin ich aus dem Bioölwerk ausgestiegen, da zeigten sich ganz andere Dimensionen: Wir hatten 228 Millionen Euro Umsatz. Zum Glück hatte ich aber immer Zeit, mich daran zu gewöhnen.
Wenn wir schon beim Thema Angst sind: Wie sehr beeinflusst Sie das Wetter?
Manchmal kann ich deshalb schon mürrisch werden, ja. Aber man muss es über sich ergehen lassen. Ich tue alles, um die Pflanzen dahin zu bringen, wo sie stehen sollen. Man macht bekanntlich immer alles für den Höchstertrag, es sei denn, man baut biologisch an. Das Wetter spielt immer eine große Rolle, in der Bilanz bedeutet das plus oder minus 500.000 Euro! Das ist schon bezeichnend.
Nehmen Sie Probleme und Stress mit nach Hause oder können Sie leicht abschalten?
Manche Sachen nehme ich natürlich mit nach Hause. Besonders in der Anfangszeit, als ich mit den damals noch 500 Leuten Verträge und Auszahlungsvereinbarungen schließen musste, ging mir einiges im Kopf herum. Also das »alte sozialistische Erbe«, sage ich mal ganz vorsichtig. Wir wollten alles gerecht machen, das war nicht einfach. Manche haben 500 bis 1.000 Euro bekommen, manche 20.000 bis 40.000 Euro. Aber: Wir waren nie vor Gericht. Wir haben die Fälle hart erfochten und öfters gab es einen Rechtsanwalt, der den Betreffenden begleitet hat. Aber es ist immer ohne Gerichtsverhandlung abgelaufen, und immer im Konsens. Viele konnten in den Frühruhestand gehen, wir haben Abfindungen gezahlt. Heute sind wir noch 75 Mitarbeiter.
In einem Spiegel-Interview sagten Sie einmal, dass Sie und Ihre Firma es durch Enthusiasmus und Ellenbogen-Breitmachen soweit geschafft haben. Wurzelt darin auch Ihre Begeisterung für die Sportart Handball?
(Lacht) Der Vergleich ist gut! Mit den Ellenbogen meine ich, dass ich nie etwas kampflos freigegeben habe. Aber in Sachen Handball: Im Kreis zu stehen ist natürlich schon eine Aufgabe. Aber Sie werden nie über mich geschrieben finden, dass ich handgreiflich wurde. Wobei man sich manchmal gewaltig im Griff haben muss (lacht). Während des Studiums habe ich Volleyball in der Bezirksliga gespielt. 1984 war Schluss, aus beruflichen und privaten Gründen: Meine Frau und ich wollten ein Haus bauen, eine Familie gründen. Dazu kam die Arbeit, auch an den Wochenenden, ich musste mich für eine Seite entscheiden, das war in dem Fall nicht der Sport. Zwischendurch war ich dann Vizepräsident vom SC Magdeburg, heute sind wir noch Sponsor vom Club und manchmal spielen wir auch für den guten Zweck.
Jeder spricht von Fachkräftemangel, gerade in den neuen Bundesländern. Wie sehr spüren Sie das?
Also was das angeht, habe ich immer zwei Jacken an. Fachkräftemangel, ja sicher, das lässt sich belegen mit all den statistischen Zahlen. Aber es gibt eben auch viele, die ausbilden könnten, es aber nicht tun. Wir bilden in vier Berufen aus: Groß- und Außenhandelskaufleute, Köche, Landmaschinenmechatroniker und Landwirte. Ich denke mir: Ein, zwei Lehrlinge, das kann jeder Betrieb leisten und je nach Betriebsgröße kann auch jeder dafür sorgen, dass er seine Fachkräfte selbst ausbildet. Zurzeit haben wir 13 Lehrlinge.
»Man braucht vor allem vertrauensvolle Leute.«
In Ihrem Imagefilm werden all die verschiedenen Bereiche Ihres Unternehmens gezeigt: der eigentliche landwirtschaftliche Betrieb, Viehhaltung, die Kantine. Sind Sie multitalentiert, ein Tausendsassa?
Wenn es darum geht, Bereiche weiterzuentwickeln, dann ja. Man braucht vor allem vertrauensvolle Leute, ein super Team. Nicht geklappt hat es bei unserer Spedition, die habe ich verkauft, genauso die Kiesgrube Bördesand. Ich bin der, der die Projekte entwickelt und immer ein bisschen weiter denkt. Und dann brauche ich Meister und Arbeitsgruppenleiter, auf die ich mich verlassen kann, auch wenn ich unterwegs bin, die mir zu Hause die Treue schwören und die wirklich was drauf haben. Bördegrün bin nicht nur ich, das ist natürlich meine ganze Firma.
Interview aus INTER.VISTA 1
Vista.schon?
Ronald Westphal, Jahrgang 1959, gehört als Geschäftsführer der Agro Bördegrün zu den einflussreichsten Großbauern Sachsen-Anhalts. Er formte die sozialistische Produktionsgenossenschaft nach der Wende zu einem erfolgreichen Großunternehmen. Westphal ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt in Alt-Olvenstedt und engagiert sich für die Region, unter anderem als Präsident des Handballclubs SC Magdeburg.
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