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Valerie Schmitt & Alexander Wassilenko

Was der Wu-Tang Clan mit einem Sprungbrett und die New Yorker Bronx mit dem Urknall zu tun haben? Wie viel Talent aus Magdeburg kommt und was Hip-Hop eigentlich wirklich ist? Inter.Vista im Gespräch mit der ›Simone de Beauvoir‹ und dem ›Jean-Paul Sartre‹ des Hip-Hop. Ein Philosophenpaar im Trainingsanzug spricht über Hip-Hop als Subkultur, was ihnen Break Grenzen bedeutet und warum man sein will wie thailändische Männer.

Interview und Fotos: Juliane Schulze

Juliane Schulze, Inter.Vista

Hesse oder Hafti?
Alexander: Hafti.

Warum?
Alexander: Hesse hat auf jeden Fall keine gute Musik gemacht!

Gerade in den letzten Jahren war Rap wieder schwer im Kommen. Würdet Ihr sagen, dass diese Entwicklung dem Hip­-Hop zugutekommt?
Valerie: Rap ist im Alltag der heutigen Generation angekommen. Nicht nur das! Hip-Hop ist sogar dominant. Der kulturelle und der populär kulturelle Aspekt gehen Hand in Hand. Durch den wachsenden Bekanntheitsgrad ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass man mehr über die Subkultur Hip-Hop lernt. Umgekehrt wird durch die wachsende Szene auch der Kommerz bestärkt.
Alexander: Letztendlich ist es egal, an welcher Position sich der Hype gerade befindet, mir geht es um eine coole Kultur vor Ort. Cool, dass es jetzt mehr Leute gibt, die sich damit identifizieren und mit denen man ins Gespräch kommt. Vor 20 Jahren waren Wu-Tang und Airforce mein Sprungbrett in das Becken und heute ist es genau das gleiche Wasser. Ich finde eine Verbindung zu den Leuten, eine gemeinsame Sprache.

Inter.Vista, Valerie Schmitt, Foto: Juliane Schulze

Inter.Vista, Valerie Schmitt, Foto: Juliane Schulze

Ihr habt gerade von Hip-Hop auch als Subkultur gesprochen. Was bedeutet dieser Hip­-Hop für Euch?
Valerie: Hip-Hop kann nicht genau definiert werden. Es gibt keinen Regelkatalog, keine Instanz, die das entscheidet. Es ist Gemeinschaftsdenken. Hip-Hop ist das, was man daraus macht. Für mich ist er eine Möglichkeit, mich selbst auszudrücken. Hip-Hop hat viele unterschiedliche Facetten: Rap, Tanz, Musik, Graffiti. Er ist eine Kultur, eine Lebenseinstellung. Respekt und Wissen sind in dem Hip-Hop, den wir leben, wichtige Werte. Er ist für mich ein Wertekatalog, selbst wenn das viele Leute nach Rezension der derzeitigen, deutschen Charts nicht vermuten würden.

Alexander: Hip-Hop ist erstmal ein Wort. Ein Sammelbegriff für sehr viele Menschen auf der ganzen Welt und die werden geeint durch Medien: Mugge, Bewegung, Visuelles, Sprachliches, Attitüden. Das hat einen gemeinsamen Ursprung und letztlich ist das alles Hip-Hop.
Valerie: Wenn man es jetzt einfach definiert, würde man sagen: Hip-Hop ist eine afrodiasporische Kulturtradition, die im New York der siebziger Jahre entstanden ist und aus vier Elementen besteht: Rap, Graffiti, DJing, Breaking.
Alexander: Man kann sogar noch tiefer gehen und sagen: Es ist eine kulturanthropologische Grundkomponente, in der sich widerspiegelt, was der Mensch in einer sich ausbreitenden, diversifizierenden Welt macht. In dieser Welt, in der Gesellschaft immer komplexer wird, folgen Macht, Ausbeutung und Unterdrückung. Hip-Hop ist letztlich das Prinzip, das du unter schwierigen Bedingungen – wie ein Kaktus in der Wüste – Kreativität schaffst und das war’s. Kreativität, die Ausgrenzung kappt und sich integriert. Hip-Hop ist ein historischer Big Bang!

Ihr habt gerade von den Elementen des Hip­-Hop gesprochen. Rap, DJing, Graffiti, Breaking. Was ist das wichtigste Element für Euch?
Valerie: Die gehören alle zusammen, das kann man nicht werten. Ich finde es auch wichtig, sie nicht voneinander zu trennen. Diese vier Elemente leben voneinander.
Alexander: Ohne es jetzt werten zu wollen, kann ich aber auf jeden Fall sagen, für welches Element ich mich im Falle des Falles entscheiden würde und das wäre Breaking, weil es mit dem Körper zu tun hat, etwas ganz Materielles, Basales ist und mir zeigt, dass ich gesund bin. Wenn man sich in die Rapszene integriert, hat man oftmals mit Künstlern zu tun, die Drogen nehmen. Dann hast du bestimmte Zeiten, in denen du schläfst, in denen du wach bist. Eben ein ganz bestimmter Lebensrhythmus und als B-Boy oder B-Girl kannst du dir das nicht erlauben.

Stichwort: Szene. Wie würdet Ihr die Magdeburger Hip­-Hop Szene einschätzen?
Valerie: Also eigentlich hat Magdeburg eine ziemlich starke Hip-Hop Szene. Vor allem die Tanzszene hat im Verhältnis zur Größe der Stadt relativ viel zu bieten. Klar gibt es einige Dinge, die es hier nicht gibt, zum Beispiel keine richtige Stand-up-Szene. Es ist eben sehr ›breaking-lastig‹ in Magdeburg.
Alexander: Ich würde das nicht als Szene bezeichnen, was in Magdeburg stattfindet. Also rein vom Logischen, wenn Hip-Hop sich über seine vielen Elemente definiert und den Menschen eine Plattform und einen Treffpunkt bietet, dann müssten sich bei einer Hip-Hop Szene in Magdeburg ganz viele unterschiedliche Menschen und Elemente irgendwo, irgendwann ritualisiert, periodisiert treffen und das tun sie nicht. Es gibt viele Leute, die etwas machen und es gibt viele, die aus Magdeburg kommen und über regional präsent sind. Aber das Gefühl, ich gehe da hin, um jemanden zu treffen, habe ich nicht wirklich.
Valerie: Summa summarum: Es kommt unheimlich viel Talent aus Magdeburg! 

»Ein guter Kick auf dem Beat ist nicht zwangsläufig geschlechtlich.«

Gibt es dafür einen Grund? Habt Ihr eine Idee, warum es in anderen Städten anders ist?
Alexander: Auf jeden Fall erst einmal historisch: Es gab die DDR. Es hat mit den Leuten zu tun, die hier in den letzten 20 Jahren etwas aufgebaut haben. Mit dem Abzug und der Arbeitsmigration der Leute, weil Magdeburg nicht viel zu bieten hatte. Auch kreative Leute mit Ambitionen gehen weg. Dann ist Hip-Hop im Speziellen abhängig davon, wer ihn betreibt. Die Leute hier sind meist integrierter und verschanzen sich mehr in ihrem eigenen Leben. Hip-Hop lebt von denen, die ihn unbedingt brauchen. Also die gar nicht anders können. Er ist Familie, er ist Treffpunkt und deshalb gibt es ihn hier nicht.
Valerie: Es liegt auch daran, dass es immer jemanden geben muss, der alles organisiert und zusammenhält. Es gibt viele verschiedene Plätze, an denen so etwas stattfindet. Was ich mir wünsche, sind regelmäßige gemeinsame Treffpunkte, aber das muss jemand in die Hand nehmen.
Alexander: Wenn Leute etwas organisieren, müssen diejenigen auch mit denen zusammenpassen, die es konsumieren oder wie wir sehen. Hip-Hop ist divers bis komplex. Wenn jemand sagt, ich höre Rap, dann heißt das noch nicht, dass ich das auch höre. Deshalb ist es so hart, die Szene zu binden, alle brauchen einen Bezug zueinander. 

Inter.Vista, Foto: Juliane Schulze

Inter.Vista, Foto: Juliane Schulze

Wenn Ihr durch die Straßen Magdeburgs geht, fällt Euch noch etwas ein, was Ihr verändern würdet?
Valerie: Wenn man an der Elbe breakt, gehen die meisten Leute einfach dran vorbei. Sie verstehen es oft einfach nicht. Ich wünsche mir mehr Verständnis für die Sache selbst, dass es eben mehr ist, als sich auf dem Kopf zu drehen.

Alexander: Mehr finanzielle Unterstützung für kulturelle Projekte von der Funktionsebene: Kulturbüros von Leuten, die Ressourcen verteilen. Mehr Geld für Veranstaltungen, für Workshops, um etwas zu pushen, um an die Schulen zu gehen. Mehr Kooperationen, Interaktionen, Netzwerke. Damit man die Leute anfüttern, coole Sachen machen und was herbringen kann. 

Was hält Euch dann letztlich in Magdeburg?
Alexander: Persönlich? Die Kids! Unser eigenes Projekt, das wir hier durchziehen. Das Magdeburg, das wir bauen und der Hip-Hop, den wir leben, durch den wir auch Bedeutung haben und etwas erreichen können. Wir haben ein Projekt mit Kids, in dem wir seit fünf Jahren Basisarbeit leisten, das jetzt langsam floriert und zu einer hübschen Pflanze heranwächst. Ich arbeite im Jugendkunsthausprojekt für arme Kids – die Villa Wertvoll – da können wir für Kids, denen der Zugang zu Angeboten, Entwicklung und Entfaltung fehlt, an den Reglern drehen.
Valerie: Wir haben in Magdeburg in den letzten Jahren so viel für uns aufgebaut, aber es sind auch die Menschen, die uns hier halten. Natürlich wäre es leicht, nach Berlin zu gehen, aber Magdeburg bietet einfach andere Möglichkeiten, etwas umzusetzen. Eine Leinwand, die man bemalen kann. Es ist schön, dass da Lücken sind, in denen man sich entfalten kann. Man wird nicht so schnell abgelenkt und kann sich auf das fokussieren, was man machen möchte. 

»Vor 20 Jahren waren Wu-tang und Airforce mein Sprungbrett in das Becken und heute ist es genau das gleiche Wasser.«

Ihr habt gerade davon gesprochen, dass es die Kids sind, die Euch hier halten. 2014 hat sich die Break Grenzen Crew gegründet, wie kam es dazu?
Valerie: Unser Crewkollege Saman hatte damals die Idee für geflüchtete Kids einen Kurs anzubieten. Das lief in Kooperation mit der Integrationshilfe ungefähr ein halbes Jahr. Es hat sich gezeigt, dass eine Handvoll Kinder mit Herzblut dabei ist. Alex hat dann zusammen mit seiner damaligen Praktikumschefin für ein halbes Jahr Geld bei Aktion Mensch beantragt. Als das auslief, haben wir uns dazu entschieden, es als Team fortzuführen. Wir haben keine konkrete Förderung, aber wir arbeiten einfach zusammen, haben Auftritte, trainieren, fahren oft weg. Bei Break Grenzen führen wir geflüchtete Kids und auch deutsche Kinder aus Tanzschulkursen zu einer Crew zusammen. 

Inter.Vista, Valerie Schmitt & Alexander Wassilenko, Foto: Juliane Schulze

Im Jahr 2015 sollten die drei Brüder Nesa, Josef und Emmanuel trotz Integrationspreis und der Teilnahme an diversen integrativen Projekten abgeschoben werden. Wie fühlt sich das an?
Valerie: Total scheiße, aber es war damals auch eine krasse Situation. Wir haben mit dem Break Chance-Kurs angefangen, als das gesellschaftlich noch kein Thema war. Dann, nach ein, zwei Jahren, in denen wir schon in der Arbeit waren, fing plötzlich das ganze ›Flüchtlings krise‹-Thema an. Das war anfangs ganz schön schwierig, aber wir haben zum Glück viel Hilfe bekommen. Man fühlt sich hilflos, als würde einem der Teppich unter den Füßen weggerissen. Auch die Schicksale der Kinder zu sehen, die glauben, hier ein neues Zuhause gefunden zu haben und glücklich sind. Nachdem sie sich darauf eingelassen und die Sprache gelernt haben, heißt es, sie sollen wieder nach Hause gehen. Das war für uns nicht zu akzeptieren!
Alexander: Es hat sich sehr unangenehm angefühlt. Ich habe das krass verdrängt durch den Wunsch, dass sie bleiben.
Valerie: Es ist verrückt zu sehen, dass eben diese Kinder, die eigentlich keine wirkliche Aussicht auf ein Bleiberecht in Deutschland hatten oder immer noch haben, mittlerweile in der Tanzszene so bekannt sind, dass sie Deutschland repräsentieren. Wir waren mit den Kindern in den Niederlanden auf einem Tanzfestival. Dort zu sehen, dass sie leistungsmäßig Nachwuchs für die deutsche Szene sind, ist doch eigentlich ganz schön!
Alexander: Es ist wirklich ein bisschen zynisch, dass die, die zweimal abgeschoben werden sollten, jetzt deutsche Meister sind. 

Ihr habt gerade von den Erfolgen der Kids gesprochen. Welche Möglichkeiten seht Ihr für die Kinder noch?
Valerie: 2019 ist es unser Ziel, wieder beim Battle of the Year mitzumachen. Da haben die vier Jüngsten vor zwei Jahren den zweiten Platz in der Erwachsenenwertung belegt. Und dieses Jahr würden wir uns gern alle zusammen – also unsere Erwachsenencrew Flowjob und Break Grenzen – beim BOTY sehen. Ich glaube, dass wir als Gemeinschaft weiterhin so zusammenbleiben können und dass aus allen Kindern gute Menschen werden.
Alexander: Es wäre geil, mit ihnen Battle of the Year zu gewinnen nach Montpellier zu fliegen, um Deutschland zu repräsentieren. Das lässt mich träumen! Grundsätzlich wünsche ich mir, dass sie sich integrieren, Jobs finden, Familien gründen und die Möglichkeit bekommen, sich hier in Deutschland eine coole Zukunft aufzubauen. 

Und für Magdeburg?
Valerie: Natürlich wird Magdeburg dadurch nach außen repräsentiert, gleichzeitig ist es auch ein krasses Vorbild für Jugendliche innerhalb der Stadt. Gerade weil wir Kids haben, die in den meisten Fällen als Problemkinder gelten, sich aber über die Crew so positiv profilieren. Das ist eine coole Chance!

Inter.Vista, Foto: Juliane Schulze

Inter.Vista, Foto: Juliane Schulze

Ihr habt in den letzten fünf Jahren einen steinigen Weg hinter Euch. Wie würdet Ihr Eure Bindung zu den Kids beschreiben?
Alexander: Ich würde ihn nicht als steinig beschreiben. Im Gegenteil: Wir haben von vielen Seiten Hilfe bekommen und viele tolle Menschen kennengelernt.
Valerie: Natürlich ist es eine sehr starke Bindung. Ich würde es als familiär bezeichnen. Wir haben jetzt eine Altersspanne zwischen Teenageralter und Mitte 30 beim Training. Gerade dadurch, dass man unterschiedliche Generationen unter einem Hut hat, werden viele Dinge gemeinsam gemacht. Da wächst man zusammen.
Alexander: Die Bindung ist super eng. Das geht in Richtung Augenhöhe. Man braucht sich einfach, feiert sich und freut sich, wenn man zusammen ist! Die Kids haben einen kindlichen Blick auf die Welt und als Erwachsener lernt man von ihnen richtig krass. Wir sind uns über die letzten Jahre verdammt nah gekommen.

Ihr habt von Idealen und Werten gesprochen, die Ihr über das Breaking hinaus vermitteln wollt. Habt Ihr eine konkrete Vorstellung davon?
Alexander: Alle Werte, die man in der interkulturellen Pädagogik finden kann: Empathie, Achtsamkeit, Mitgefühl, Taktgefühl, Disziplin, Kreativität, Zielstrebigkeit, Humor, Motivation, Biss, Geduld. Einfach alle Werte, die in einer demokratischen Gesellschaft zu einem coolen Miteinander führen und wichtig sind, damit man mit anderen Menschen eine konstruktive Ebene findet. 

Ihr habt gerade von Wertevermittlung gesprochen, das spielt auch in der Sozialen Arbeit eine Rolle. Ihr habt beide Sozialwissenschaften studiert. Alex, Du sogar noch Soziale Arbeit. War es immer der Traum im sozialen Bereich tätig zu sein?
Alexander: Nein, überhaupt nicht. Ich wollte mein ganzes Leben nur das, was ich jetzt mache: Breaking, Musik, Kunst und mit coolen Leuten zu tun haben. Diese beiden Studiengänge haben es mir ermöglicht, mit 27 das machen zu können. Hätte ich mit 18 Tanz studiert, wer weiß, in welche Kreise ich gerutscht wäre. Eine kritische Perspektive auf die Gesellschaft und Vorsicht vor Konsum und Kapitalismus zu haben, ist wichtig. Es ist schon cool, wenn man da ein bisschen umsichtig ist und selbstreflektiert. Es bringt einen mit vielen Leuten zusammen, so ein Studium lässt ja auch Muße zu.

»Es ist wirklich ein bisschen zynisch, dass die, die zweimal abgeschoben werden sollten, jetzt Deutsche Meister sind.«

Ihr breakt beide jetzt schon seit längerer Zeit. Alex seit neunzehn Jahren und Valerie, Du seit sechs. Was bedeutet Euch Breaking?
Alexander: Es ist eine Form des Seins. Es hilft mir, fit und kreativ zu bleiben. Es ist wie meine Therapie, wie ein Ventil. Das habe ich erst verstanden, als ich erwachsen werden musste. Nicht wurde. (schmunzelt) Es führt mich zur Achtsamkeit und Besinnlichkeit. Meine Laufbahn hätte auch richtig schnell zu Ende gehen können. Ich hatte mit den falschen Leuten zu tun. Durch Breaking habe ich die richtigen Leute kennengelernt. Genau diejenigen, die mir geholfen haben, Fuß zu fassen, etwas Gutes, Vernünftiges und Kreatives zu tun. Ich empfinde Breaking gegenüber eine große Dankbarkeit und ich brauche es auch. Ich möchte mein ganzes Leben tanzen. Irgendwann wie einer der alten Männer sein, die in Thailand in Parks Thai Chi machen. So will ich später auch noch tanzen. 

Hat dieser Gedanke letztlich auch die Idee geweckt, Breaking zu lehren?
Alexander: Es war sogar eine Dringlichkeit! Wenn man etwas so sehr liebt, dann liebt man es nicht nur für sich selbst, sondern als Phänomen und will, dass es als Kultur weiter wächst. Dafür muss man investieren, Informationen verbreiten und es mit Leuten teilen.
Valerie: Tanz braucht Gemeinschaft. Es ist eine ganz neue Form der gemeinsamen Musikerfahrung. Es war ein Schlüsselerlebnis, als ich das erste Mal in einen Cypher gegangen bin. Es ist ein Kreis von Tänzern und man geht in die Mitte, umringt von Menschen, die einen alle anschauen. Das ist eigentlich eine total komische und ungewohnte Situation, aber dann bekommt man Rückmeldung, dass die anderen dir diese Energie geben und toll finden, was du gerade machst. Das ist einfach ein unglaubliches Gefühl. Oft sind die schönsten Momente im Tanzen nicht die, in denen man gegeneinander, sondern miteinander tanzt. Dazu kommt, dass es generell ein cooles Gefühl ist, sich stark und dynamisch zu fühlen und dieses Gefühl weiterzugeben.

Alexander: Das ist eine Wissenschaft, man kann sich da richtig reinschrauben! 

»Tanz braucht Gemeinschaft.«

Im buchstäblichen und metaphorischen Sinne?
Valerie: Die internationale Breaking Szene ist wunderschön. Egal wo man hinreist, man hat sofort einen gemeinsamen Nenner und eine gemeinsame Sprache. B-Boys und B-Girls sind ja auch irgendwie Nerds in ihrer Kultur. Es ist eine faszinierende Gemeinschaft des Austauschs, die auf der ganzen Welt verstreut ist.

Inter.Vista, Alexander Wassilenko, Foto: Juliane Schulze

Inter.Vista, Alexander Wassilenko, Foto: Juliane Schulze

Ihr seid oft international unterwegs und habt Euch einen Namen in der Szene gemacht. Alex, Du hast 2016 das 1 gegen 1­ Battle of The Year national gewonnen, wie war das?
Alexander: Geil! Ich habe noch nie so etwas Krasses gewonnen. Es war mein Kindheitstraum. Voll der verrückte Moment! Denn ich habe damit nicht gerechnet. Ich hatte echt eine harte Woche vorher. Aber meine Schüler, meine Freundin und meine Freunde waren da! Ich habe sofort an meine Mutter gedacht. So ein Sieg ist immer mit Gefühlen verbunden. Es ist oft Glück, gegen wen man antritt und wer in der Jury sitzt. Es war wie ein Kick eines fruchtigen Getränks, das sich aber am Ende noch ins Bittere zieht. Aber es war lange Zeit richtig geil! (lacht)

Valerie, Hip­Hop wirkt sehr männer dominiert. Wie lebt es sich als Frau in dieser Subkultur?
Valerie: Es gibt wie überall in der Gesellschaft, Hürden. Aber HipHop schafft die Möglichkeit, sich zu behaupten. Das ist das Allerwichtigste. Er ist ein Sprachrohr und bietet die Möglichkeit zu antworten. Beim Breaking gibt es keine Geschlechtertrennung. Es gibt selten Battles nur für B-Girls, die wirklich als Schutzraum gedacht sind, um diesen Teil der Szene zu fördern. Für mich ist es total empowernd, sagen zu können, ich trete gegen Männer an! Es geht um einen künstlerischen Austausch und nicht darum, wer die meisten Runden dreht. Daher kann man sich tatsächlich mit Männern messen!
Alexander: Das wird die Zukunft. Seitdem Breaking olympisch ist, hat es einen krassen Hype und Professionalisierungsschub erlebt. International wird es gerade gepusht, so dass ganz viele Mädchen, schon in jungen Jahren anfangen, wie Turnerinnen zu leben.
Valerie: Man darf das nicht unterschätzen. Es gibt sehr viele starke Frauen in der Breaking Szene, auch wirklich viele international erfolgreiche. Das entwickelt sich gerade und wird immer besser werden in den nächsten Jahren. Gerade was den Respekt gegenüber Frauen betrifft. Es gibt immer ein paar Idioten, aber im Großen und Ganzen fühle ich mich sehr respektiert in der Kultur.
Alexander: Ein guter Kick auf dem Beat ist nicht zwangsläufig geschlechtlich. Das kann Frau wie Mann machen. Traditionelles Breaking bietet für Frauen eine coole Möglichkeit, sich einfach dominant, stark und selbstwirksam zu fühlen.

»Wenn man etwas so sehr liebt, dann liebt man es nicht nur für sich selbst, sondern als Phänomen und man will, dass es als Kultur auch weiterwächst.«

Wollt Ihr noch irgendetwas rausschicken, an zukünftige B­-Girls und B­-Boys?
Alexander: Fangt an zu lesen! Fangt an Euch zu bewegen! Eröffnet Euch neue Bewegungswelten: Yoga, Spiele, Kung-Fu. Tanzt auch für Euch allein. Man spürt die Leidenschaft, wenn man allein mit der Bewegung und der Musik ist.
Valerie: Informiert Euch. Nicht so viel reden, mehr machen. Messt Euch mit anderen, fahrt in andere Städte!

Dezember 2018
Interview aus INTER.VISTA 7

Vista.Schon?

Alexander Wassilenko ist 1991 in Magdeburg als Sohn ukrainischer Migranten geboren und hat während seiner Kindheit viel Zeit in Odessa verbracht. Mit neun Jahren begann er mit Breakdance und kam darüber zum Studium der Sozialwissenschaften und der Sozialen Arbeit in Magdeburg.
Valerie Schmitt wurde 1992 geboren und zog 1995 mit ihrer Familie aus Baden-Württemberg in die Nähe Magdeburgs. Sie verbrachte zwei Jahre in Berlin, um danach in Magdeburg Sozialwissenschaften zu studieren. Als Trainer*Innen der BreakGrenzen Crew ermöglichen sie Kindern mit und ohne Fluchthintergrund, über das Element Breakdance die Subkultur Hip-Hop kennenzulernen.

 

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