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Carmen Niebergall

Sie war Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer und kämpft noch immer für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Im Interview mit Inter.Vista erinnert sich Carmen Niebergall an die Zeit nach der Wende und erzählt, wieso sie kein Problem damit hat, sich als Quotenfrau zu bezeichnen.

Interview und Fotos: Alexandra Birkenhauer 

Wie würden Sie die Frau von heute beschreiben?
Kritisch, selbstbewusst, zukunftsdenkend das sind treffende Adjektive. Ich bin sehr optimistisch in Bezug auf die Entwicklung der heutigen Generation. Die schafft das gut, die Balance zwischen Arbeit und Familie zu halten. Die Frauenbewegung hat schon einiges erreicht. Wer glaubt, dass man diese Bewegung jetzt nicht mehr braucht, der irrt sich. Noch bin ich nicht zufrieden mit dem Frauenanteil. Weder in der Politik, noch in den Chefetagen. Da ist noch eine Menge zu tun.

Würden Sie sich selbst als emanzipierte Frau beschreiben?
Ohne Ende! (lacht) Ich lasse mich auch als Emanze bezeichnen. Von mir aus auch als Quotenfrau. Was ist denn schlimm daran, wenn ich dadurch in einem Gremium bin, in das ich sonst nie reingekommen wäre? Nur so kann ich etwas bewegen.

Das Studentenwerk wird auf Grund der Gleichberechtigung in Studierendenwerk umgeschrieben für rund 200.000 Euro. Halten Sie das für sinnvoll?
Ja. So etwas macht auf die zunehmende Gleichstellung aufmerksam und das ist gut. Sie muss sich in Wort und Schrift abzeichnen, damit sie sich durchsetzt. Ich fühle mich bei dem Wort Bürgernicht angesprochen. Schließlich bin ich eine Bürgerin. Man darf es aber nicht übertreiben. Manche ziehen es schnell ins Lächerliche. Männer denken oft, dass man ihnen etwas wegnehmen will. Dabei will man nur Gleichberechtigung schaffen. Bei den Ministerien wird alle paar Jahre etwas umbenannt und da redet keiner über die unnötigen Kosten.

Wie sind Sie dazu gekommen, sich so stark für Frauen einzusetzen?
Das kam nach und nach. Vor allem durch meine Zeit in der Volkskammer. Da wurde mir bewusst, dass es schwierig sein wird, zwei unterschiedliche Gesellschaftsordnungen zu verbinden.

Wie haben Sie die Zeit in der Volkskammer erlebt?
Es war überwältigend. Nach all der großen Unzufriedenheit hatte man auf einmal die Möglichkeit etwas zu verändern. Ich wollte die Einigung, das war mein fester Wille. Also habe ich mich aufstellen lassen. Da wusste ich noch nicht genau was auf mich zukommt. Ich musste zwar oft Tag und Nacht arbeiten, aber es hat mich auch sehr stolz gemacht. Die deutsche Einigung ist etwas historisches und ich war Teil davon.

Lag damals ein großer Druck auf Ihnen?
Der Druck war riesig! Das ist mir aber erst im Laufe der Zeit klar geworden, nämlich am 18. März 1990, dem eigentlichen Wahltag. Die Menschen feierten und freuten sich und ich sollte vor dem Rathaus eine Rede halten. Damals war ich aber noch schüchterner, was das angeht. (lacht)

»Ich lasse mich auch als Emanze bezeichnen. Von mir aus auch als Quotenfrau.«

Wie haben Sie die Jahre nach der Einigung erlebt?
Da war ich Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellungsfragen in der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt. Ich hatte viel mit den Problemen der großen Arbeitslosigkeit, insbesondere bei Frauen, zu tun. Und auch mit Gewalt in der Familie. Was so im familiären Raum passiert ist teilweise einfach unfassbar. Auch in den gerade aufgebauten Frauenhäusern gab es viele schlimme Geschichten. Um besser damit umgehen zu können, benötigte ich zu der Zeit Hilfe von Fachfrauen. Sonst wäre ich vermutlich daran kaputt gegangen. Die Aufbauarbeit hat auch ihre spannenden Seiten. Man schafft es, viele Ideen und Projekte umzusetzen.

Inter.Vista, Carmen Niebergall, Foto: Alexandra Birkenhauer

Inter.Vista, Carmen Niebergall, Foto: Alexandra Birkenhauer

Sie waren acht Jahre im Landtag SachsenAnhalt tätig. Wie hat Sie das geprägt?
Die CDU war damals in der Opposition. Unsere Ideen sind fast grundsätzlich nur abgelehnt worden. Man produzierte quasi für den Papierkorb. Aber dennoch hat mich auch diese Zeit weitergebracht, ich habe gelernt dranzubleiben und unbeirrt weiterzumachen.

Bei den Wahlen 2002 sind Sie nicht mehr angetreten. Wieso?
Zum Einen hatte das innerparteiliche Gründe. Zum Anderen war es eine sehr persönliche Entscheidung. Ich komme aus der Wirtschaft und da wollte ich auch wieder hin. In der Politik musste ich die eigene Meinung oft zurückstecken, das wollte ich nicht mehr.

»Ich gehe gerne in den Garten und rede mit meinen Blumen, die können immerhin nicht widersprechen.«

Kam daher auch die Idee tourenreich zu gründen?
Ja, ich wollte wieder etwas Eigenes machen und die Tourismusbranche hat mich schon immer interessiert. Da mein Mann Architekt ist, hat es sich angeboten, die Architektur verbunden mit der Kunst als Nische zu nehmen. Bei einem netten Abend mit meinen Freundinnen und ein, zwei Gläschen Wein kamen dann die besten kreativen Ideen.

Die Europäische Kommission wählte Sie zur Botschafterin für Frauen als Unternehmerinnen. Wie kam es dazu?
Per E-Mail erfuhr ich von der Ausschreibung, ich habe mich beworben und wurde tatsächlich ausgewählt. Kurze Zeit später durfte ich nach Stockholm fahren und bekam die Auszeichnung überreicht und zwar von der Kronprinzessin Victoria von Schweden! Das war eine große Ehre. Ich bin sehr stolz darauf.
Inter.Vista, Carmen Niebergall, Foto: Alexandra Birkenhauer

Inter.Vista, Carmen Niebergall, Foto: Alexandra Birkenhauer

Wo bewahren Sie die Auszeichnung auf?
Eingerahmt über meinem Schreibtisch. (lacht)

Was sind Ihre Aufgaben als Botschafterin?
Ich werbe dafür, dass Frauen sich für das Unternehmertum entscheiden. Oft halte ich Vorträge dazu in Schulen und Universitäten oder gebe Seminare. Die Gründungsquote ist zwar schon besser geworden, aber Frauen sollten diesbezüglich noch stärker und selbstbewusster werden.

Steht Karriere in Ihrem Leben im Vordergrund?
Rückblickend gesehen ja. Das war allerdings nie geplant. Durch die harte Zeit in der Volkskammer hat sich das so ergeben. Mein Sohn Marvin ist zu der Zeit ins Internat gegangen. Wir haben uns aber dennoch zweimal die Woche gesehen und viel telefoniert. Wenn man will, kriegt man alles organisiert. Geht nicht, gibt`s bei mir nicht.

Haben Sie Ihr politisches Interesse und Engagement an Ihren Sohn weitergeben können?
Nein, das war aber auch nicht meine Absicht. Marvin hat sich in der IT-Branche angesiedelt. Er ist zwar auch politisch sehr interessiert, aber meinen Beruf fand er schon von klein auf viel zu zeitaufwändig.

Was machen Sie, wenn Ihnen die Motivation ausgeht?
Das kommt nur vor, wenn ich krank bin und wirklich absolute Ruhe brauche. Ansonsten ist mein Kopf immer voller Ideen, die ich am liebsten sofort umsetzen möchte. Aber ich gönne mir auch Entspannung, sofern es der Zeitplan zulässt. Dann gehe ich gerne in den Garten und rede mit meinen Blumen, die können immerhin nicht widersprechen. (lacht) Und ich habe gelernt, zu meditieren. Aber das kostet wirklich viel Zeit. Lieber gucke ich sonntagabends den Tatort und bügele nebenbei. So kann man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, ich bin ein ziemlich disziplinierter und strukturierter Mensch.

Bis Mai 2016 waren Sie Mitglied beim Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft.
Der BWA ist der einzige mir bekannte Wirtschaftsverband, dem das Thema Ethik in der Wirtschaft wichtig ist. Es ist einfach nicht mehr so, dass sich alle an das Vereinbarte halten, sonst gäbe es nicht so viele Rechtsanwaltskanzleien. Gemeinsam mit anderen Institutionen wird seit einigen Jahren ein Ethikpreis für die Wirtschaft vergeben. Nach einer gewissen Zeit brauchte ich aber mal wieder etwas Neues. Und durch tourenreich bin ich momentan ziemlich ausgelastet, ich möchte nicht mehr 14 Stunden am Tag arbeiten müssen. Deshalb konzentriere ich mich jetzt mehr auf mein Unternehmen.

»Die deutsche Einigung ist etwas historisches – und ich war Teil davon.«

Wollten Sie schon immer in die Wirtschaft?
Nein, ich wollte Lehrerin für Sport und Geschichte werden, aber dann hatte ich einen bösen Sportunfall und daher ging das nicht mehr. Zahlen habe ich schon immer geliebt, die kann ich mir auch super merken, also habe ich dann meine Ausbildung in der Wirtschaft angefangen. Das alles hat mir mal wieder gezeigt, dass das Leben wie eine Sinuskurve verläuft. Nach jedem Rückschlag geht es auch wieder hoch. Eine Tür geht zu und zwei gehen auf.

Sie kommen aus dem dörflichen Schlagenthin. Sehen Sie Magdeburg dennoch als Ihre Heimat an?
Ja. Am Anfang waren mein Mann und ich noch kritisch, aber dann haben wir uns schnell eingelebt. Noch dazu ist der Begriff Heimat für mich sehr flexibel. Meine Heimat ist da, wo ich wohne. In Magdeburg fühle ich mich sehr wohl! Ich wohne mit meinem Mann in einem architektonisch schönen Haus in Sudenburg. Das nenne ich immer liebevoll ›mein Dorf in der Stadt. Hier kann ich einen Plausch mit meinem Fleischer, Bäcker und Verkäufer führen und wenig später mitten in die Innenstadt fahren. Wenn wir Lust auf eine richtige Großstadt haben, fahren wir einfach nach Berlin. Auf´s Dorf ziehen würde ich nicht mehr.

Durch tourenreich kennen Sie alle Ecken Magdeburgs. Was ist Ihr Lieblingsort?
Die Otto-Richter-Straße in Sudenburg, auch bunte Straße genannt. Die Architektur der Häuser ist wundervoll und viele sind farbenfroh und kreativ gestaltet. Die Straße ist auf jeden Fall einen Besuch wert und bei meinen Touren durch Magdeburg immer ein Muss.

Können Sie sich vorstellen, bald in den Ruhestand zu gehen?
Das kann ich mir im Moment absolut nicht vorstellen. Mit achtzig fahre ich vielleicht mal langsam runter. Aber jetzt ist das noch lange nicht in Sicht. Ich will und kann noch.

Interview aus INTER.VISTA 2

Vista.schon?
Carmen Niebergall, 1955 in Schlagenthin geboren, studierte Finanzwirtschaft. Mit 35 wurde sie Abgeordnete der ersten frei gewählten Volkskammer, danach Staatssekretärin für Frauen- und Gleichstellungsfragen Sachsen-Anhalts. Von 1994–2002 war sie Mitglied des Landtages und gründete dann die Incoming-Agentur tourenreich – Architektur- und Kunstreisen Mitteldeutschland. Magdeburg beschreibt sie als modern, bunt und kreativ. Ihr Lieblingsort ist die Otto-Richter-Straße, die aufgrund der farbenfrohen Bauten auch ›bunte Straße‹ genannt wird.

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