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Andreas Schwarzbach

Er hat Maschinenbau studiert, heute ist er Seelsorger, Berater und eine ›linke Socke‹. Die Rede ist von Andreas Schwarzbach. Er ist kein Priester, er ist Sexshop-Besitzer. Wie es dazu kam, welches sein Lieblingsteil ist und woher sein Spitzname »Doktor Sex« kommt, verrät er uns im Interview.

Interview und Fotos: Sarah Götz

Herr Schwarzbach, sind Sie Feminist?
Die Frage überrascht mich. Was ist ein Feminist?

Wie würden Sie es denn definieren?
Feministen setzen sich für die Rechte der Frauen ein. Insofern bin ich Feminist. Frauen haben Rechte und müssen diese in unserer männerdominierten Gesellschaft auch durchsetzen.

Wie hat der Feminismus Einfluss auf die Erotikbranche genommen?
Frauen sind sexuell selbstbestimmter. Es gibt inzwischen Pornofilme, die auf den Geschmack von Frauen zugeschnitten sind. Eine eigene Art der Kunst. Ich wäre gerne zum Porno-Filmfestival, das von Frauen veranstaltet wird, nach Berlin gefahren, aber ich habe zu viel Arbeit, was mir gar nicht gefällt. Ich bin eher der faule Typ. (lacht)

Sie sagen, dass Sie Feminist sind. Wie integrieren Sie das in Ihren Alltag?
Frauen sind für mich gleichberechtigte Partner. Bei mir im Laden arbeiten außer mir nur Frauen. Ich bin auch für selbstbestimmte Abtreibung. Dabei verurteile ich alles, was Frauen eingrenzt.

»Es war Wende und man musste sich was einfallen lassen.«

Gerade in der Erotikbranche werden Frauen oft als Sexualobjekt benutzt. Sehen Sie das auch kritisch?
Früher war das so. Inzwischen sind Männer genauso Sexualobjekte, zumindest für die selbstbestimmten Frauen. (schmunzelt) Unser Sortiment ist mittlerweile zum Großteil auf Frauen ausgelegt. Wir haben sehr viel Wäsche und Hilfsmittel für Frauen. In den letzten Jahren kommen mehr Frauen und Paare zu uns, als Männer. Die schauen ihre Filme einfach im Internet. Wir mussten andere Geschäftszweige erschließen und ich denke, das haben wir ganz gut hinbekommen, trotz Internet.

Sexspielzeug ist vorzeigbar geworden. Es gibt viele große Firmen mit kleinen Preisen. Wie hat das den Markt, bzw. Ihren Laden hier in Magdeburg beeinflusst?
In Magdeburg gab es früher sieben oder acht Läden. Bald bin ich der einzige in Magdeburg. Der Verkauf ist schwerer geworden, aber wir haben dem Internet etwas voraus. Bei uns können die Kunden alles anfassen, hören, riechen und bekommen eine individuelle Beratung. Aber das Internet macht mächtig Druck auf die Preise.

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, einen Erotikladen zu eröffnen? 
Es war Wende und man musste sich was einfallen lassen. Ich hatte mein Maschinenbau-Studium an der Ingenieursschule für Maschinenbau und Elektrotechnik abgeschlossen, aber nie in dem Beruf gearbeitet. Ich war dann auch einer der ersten Arbeitslosen in der Wendezeit. Dass es für mich dann in Richtung Erotik ging, war Zufall.

Zufall?
1990 eröffnete ich mit meinem Ex-Schwager ein Spielautomaten-Casino. Das ging aber noch im selben Jahr den Bach runter. Ich lernte darüber jemanden kennen, der schon einen Erotikladen in Hannover hatte und fragte ihn, ob wir als Partner einen Laden in Magdeburg eröffnen können.

»Die Leute müssen ein bisschen Fantasie ­mitbringen.«

Inter.Vista, Andreas Schwarzbach, Foto: Sarah Götz

Inter.Vista, Andreas Schwarzbach, Foto: Sarah Götz

Sie sind bald der einzige Laden hier in Magdeburg. Wie grenzen Sie sich von den anderen ab? Weshalb sind Sie nach Magdeburg gegangen?
Mein Lebensmittelpunkt war damals schon Magdeburg, ich hab hier gelernt und studiert. Mit sehr viel Glück bekam ich damals Gewerberäume zugewiesen, was in der Wendezeit schwierig war. Anfangs liefen wir immer im Anzug durch Magdeburg. Man wurde mehr wahrgenommen, weil das in der DDR nicht üblich war. Ob das für die Raumzuweisung in Buckau ausschlaggebend war, keine Ahnung. Buckau war der ›hinterste Hinterhof‹, eine Ansammlung unsanierter Häuser, das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Heute ist es ein Vorzeigegebiet.

Und der Laden lief trotz des Standortes Buckau?
Nach der Wende lief alles. Die Leute hatten Geld und waren neugierig. Heute ist der Verkauf etwas völlig anderes. Aber, wenn ich mich nicht weiterentwickelt hätte, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.

Seit 1991 haben Sie den Laden. Hatten Sie jemals Existenzängste oder Zweifel an der Entscheidung? 
Zweifel nie, aber Existenzängste. Ich begann recht früh, parallel mehrere Mietshäuser zu kaufen und zu sanieren. Das hielt mir immer den Rücken frei. In den Anfangsjahren der Selbstständigkeit hat man immer Existenzängste. Man weiß nie, wie sich das entwickelt. Nach fast 27 Jahren weiß ich, das geht schon irgendwie weiter. Durch meine Vermietung habe ich die Sicherheit, das ist sehr schön. Ich habe auch eine soziale Verantwortung für meine beiden Mitarbeiterinnen, die schon sehr lange bei mir sind, nämlich 20 und 25 Jahre. Heute würde ich kein junges ›Mädel‹ mehr da hinstellen, denn damit haben die meisten Kerle Probleme. Die sind dann gehemmt oder ihnen geht die Fantasie durch.

Warum sind Sie hier geblieben und nicht nach der Wende in den Westen gezogen? 
Ich bin Ossi. Ich fühl mich da nicht wohl. Mir gefällt es in Magdeburg. Ich kenne hier einen Haufen Leute, vor allem durch den Sport. Ich will hier nicht weg. Ich wohne zwar jetzt nicht mehr in der Stadt, da ich in den ›Speckgürtel‹ gezogen bin, aber trotzdem ist hier mein Lebensmittelpunkt.

Sind Sie denn schon immer sehr offen mit Sexualität umgegangen?
Jo, würde ich meinen. (lacht)

Wie haben denn Freunde und Familie auf die Idee reagiert, einen Erotik-Laden zu eröffnen? 
Meine Mutter und meine Ex-Frau waren nicht so begeistert. Aber meine Ex-Frau hat dann viele Jahre bei mir gearbeitet. Anfangs war es komisch, weil niemand genau wusste, wie das Ganze abläuft. Die Leute dachten, ich wisse, wo die Prostituierten sind. Teilweise ist das heute noch so. Die sollen in die Zeitung gucken, ich weiß das nicht. (lacht)

Wie war das für Sie? Hatten Sie schon immer eine Affinität zu Erotik?
Nein, ich hatte auch Angst. Ich konnte den Leuten nicht mal in die Augen gucken und habe mich auch ein bisschen geniert. Dann arbeitete ich eine Woche bei meinem Ex-Partner in Hannover. Seine Mitarbeiterin sagte, ich solle die Leute anschauen. Man wächst mit seinen Aufgaben. Früher kamen die Leute ins Geschäft, nahmen die Ware und kauften sie. Heute muss man die Leute beraten, das ist sehr spannend.

Haben Sie ein Beispiel für ein spannendes Verkaufsgespräch? 
Ich habe sogar zwei. Eine Mutter kam mit ihrer 18-jährigen Tochter in den Laden. Die Tochter war bei der Beratung wesentlich entspannter. Die Entjungferung klappte mit ihrem Freund nicht, daher wollte sie einen Vibrator. Sie hat sich dann etwas ausgesucht. Das zweite Beispiel war vor ein paar Wochen. Eine Kundin, sie war sicher über 70 Jahre alt, fragte, ob auch eine Frau zur Beratung da wäre. Aber ich war der einzige im Laden. Sie erklärte mir recht detailliert, dass sie schon sehr lange keinen Sex mehr hatte. Bei solch einem Gespräch ist es nicht so einfach, die Kundin zufrieden zu stellen, so dass sie auch etwas kauft. Aber ich denke mal, nach so langer Zeit kriege ich das hin.

Wer kommt eher in den Laden, Frauen oder Männer?
Inzwischen kommen mehr Frauen oder Paare. Nur noch ältere Männer kaufen sich DVDs, die sterben aus. Mein ältester Kunde ist 94 Jahre alt.

Und er kommt immer noch? 
Ich weiß nicht, ob er immer noch kommt, aber erscheinen tut er regelmäßig. (lacht)

»Ich brauche kein Puttchen, dem ich sagen muss, wo es lang geht.«

Haben Sie ein Lieblingsstück, das Sie besonders gerne verkaufen?
Es gibt zwei. Zum einen der Womanizer, weil ich damit bei meiner Freundin sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Meine Verkäuferinnen sind auch total begeistert. Und Liebeskugeln. Ich weiß, dass die sehr gut ankommen.

Inter.Vista, Andreas Schwarzbach, Foto: Sarah Götz

Inter.Vista, Andreas Schwarzbach, Foto: Sarah Götz

Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihr Sortiment aus? Testen Sie die Ware auch selbst vorher? 
Das hängt von der Partnerin ab. Mit meiner Ex-Frau habe ich nichts ausprobiert. Wenn ich eine Partnerin habe, die das gut findet, dann ja. Die Kerle denken auch, ich müsste jeden Film gesehen haben. Da hätte ich ja viel zu tun. Es gibt auch viel Spielzeug, das ich nie ausprobiert habe. Aber ich sehe, dass es verkauft wird. Die Leute müssen ein bisschen Fantasie mitbringen.

Sie haben eine Tochter. Hatte sie jemals Probleme mit ihrem Beruf? 
Sie hat bei mir gearbeitet, seit sie 18 war. Jetzt ist sie bei der Polizei. Sie hatte damit nie Probleme.

Wo würden Sie hier in Magdeburg einen Erotikfilm drehen? Was ist der erste Ort, der Ihnen dazu einfällt?
Die Elbe. Oder im Dom, das kann man dann mit Altertum verbinden. Da gibt es viele Möglichkeiten. Eine schöne Sache ist dieser ganze Bereich der alten Kasematten.

Stichwort Fifty Shades of Grey. Haben Sie denn das Buch gelesen oder den Film gesehen? 
Nix, gar nichts.

Hat sich der Film beim Verkauf bemerkbar gemacht?
Ja, das habe ich nach dem ersten Film definitiv gemerkt. Nach dem zweiten habe ich vergeblich darauf gehofft.

Was haben Sie anders gemacht, dass Sie bestehen bleiben, während so viele andere ihr Geschäft aufgeben? 
Ich habe den Namen. Ich hatte noch zwei Geschäfte in Magdeburg, die musste ich aber wieder schließen. Die Lage auf dem Breiten Weg ist gut. Lage und Name, das ist eines. Das andere ist das Erscheinungsbild. Man muss schon ein gewisses Flair haben, um Frauen und Paare rein zu locken. Und das habe ich.

Was macht Magdeburg für Sie interessant? 
Es ist eine relativ große Stadt, aber trotzdem überschaubar. Sie ist schön, grün und die Elbe fließt mittendurch. Das ist eine gute Lage, aber derzeit etwas chaotisch durch die Baustellen und diesen Tunnel, den keiner braucht. Vieles wurde in den letzten Jahren saniert und die schönen alten Gebäude bleiben erhalten. Es passiert viel. Ich bin sehr zufrieden.

Kommen jeden Tag Kunden in Ihren Laden, die eine Beratung möchten? Hat sich was geändert?
Es ist leider immer noch vielen peinlich. Das hat was mit Erziehung und Mentalität zu tun. Wenn ich verklemmt bin, bin ich halt verklemmt. Viele erzählen mir irgendwelche Märchen, dass sie etwas für irgendwen holen. Das nehme ich dann so hin.

Werden Waren auch zurückgebracht? 
Eine junge Frau brachte mal den Vibrator zurück, weil sie keinen Orgasmus hatte. Das konnte ich natürlich nicht annehmen, denn der Vibrator war ja in Ordnung. Für Orgasmus-Probleme bin ich nicht zuständig. (lacht)

Also sind Sie auch eine Art Seelsorger?
Das kommt vor. Männer haben Probleme mit der Erektion. Frauen erzählen mir, ihr Mann habe keine Lust mehr auf sie. Eine kaufte Wäsche als Eheretter. Es gibt aber auch Frauen, die meinen, sie müssten mich auf ›Herz und Nieren‹ prüfen. Sie erzählen mir Details und wollen, dass ich rot werde. Aber das funktioniert nicht mehr.

»Es ist leider immer noch vielen peinlich. Das hat was mit Erziehung und Mentalität zu tun.«

Hat es mal funktioniert? 
Ich habe nicht von 0 auf 100 alles richtig gemacht. Ich musste mich entwickeln. Meine Frau hat früher »Doktor Sex« zu mir gesagt, das stand dann im DATEs drin. Danach kam der MDR und das ZDF hat dann auch einen Beitrag gebracht. Ich werde zur Zeit beim Sport immer wieder darauf angesprochen.

Worum geht es in diesem ZDF-Beitrag?
Um meinen Werdegang vom Maschinenbauingenieur zum Sex-Shop-Inhaber. Ich finde diese Formulierung doof. Ich nenne es Erotik-Shop oder ›Fachgeschäft für Ehehygiene‹. (lacht) Ich bin Beate-Uhse-Fachgeschäft, das finde ich am unverfänglichsten.

Wieso Beate Uhse? Zahlen Sie den Namen mit?
Ich zahle den Namen, das ist leider das einzige, was von dieser Firma noch übrig geblieben ist. Darüber hinaus gibt es nicht mehr sehr viel. Die Firma Beate Uhse wurde durch Scala, eine holländische Firma, aufgekauft.

Also gibt es auch keine Eigenproduktionen mehr?
Schon ewig nicht. Wirklich bitter. Es gibt auch nicht mehr viele Beate-Uhse-Lizenznehmer. Ich bleibe dabei, weil ich den Namen sehr gut finde. Die Ware bekomme ich zu 90 Prozent von Orion.

Der Name Beate Uhse, was verbinden Sie damit?
In erster Linie Seriosität, dem will ich gerecht werden. Ich habe diese Lizenz zu Zeiten erworben, als Beate Uhse noch lebte. Ich stehe zu dem Namen und habe ihm viel zu verdanken. Hätte ich einen Wischiwaschi Namen am Laden, wer weiß, ob es ihn noch gäbe. 

Inter.Vista, Andreas Schwarzbach, Foto: Sarah Götz

Inter.Vista, Andreas Schwarzbach, Foto: Sarah Götz

Sie geben eine Kontaktanzeige von sich auf. Was würde drin stehen?
Ich suche eine Frau auf Augenhöhe. Ich brauche kein Puttchen, dem ich sagen muss, wo es lang geht. Ich lehne mich auch selbst gern mal zurück und lass mir sagen, wo es langgeht. Für mich ist Sport eine ganz wichtige Sache, genauso wie Sex. Das liegt ja nahe. Ich bin unternehmenslustig. Freunde braucht jeder Mensch, sonst wäre das Leben langweilig. Ich muss auch gestehen, ich bin schon eine ›linke Socke‹.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen freien Tag und 1.000€ zur freien Verfügung. Wie wäre Ihr perfekter Tag in Magdeburg? 
Perfekt wäre ausschlafen, schön essen, Sport machen, schön essen [sic!] und ins Solebad gehen zum Entspannen. Das ist zwar in Schönebeck, aber es ist schön dort. Ganz einfach.

 

November 2017
Interview aus INTER.VISTA 5

Vista.Schon?
Andreas Schwarzbach wurde 1961 in Gardelegen geboren. Er hat Maschinenbau in Magdeburg gelernt und studiert. Doch in seinem eigentlichen Beruf hat er nie gearbeitet. Als Unternehmer probierte er in Magdeburg vieles aus. 1991 eröffnete er in Buckau sein Erotikgeschäft. Er war verheiratet und hat eine erwachsene Tochter, die Polizistin ist.

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