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Knut Brandstädter

In TV-Krimis können Rechtsmediziner durch genaue Untersuchungen unglaubliche Dinge herausfinden. Schon am Tatort lassen sie Spuren sichern und begutachten genau die aufgefundene Leiche. Aber wie sieht die Rechtsmedizin in Wirklichkeit aus? Stimmt das Bild, das wir aus Film und Fernsehen kennen? Inter.Vista sprach mit dem Rechtsmediziner Knut Brandstädter über seine Arbeit und das Leben in seiner Heimatstadt Magdeburg.

Interview und Fotos: Philipp Schöner und Franziska Seibert

   

Wie wäre es für den Anfang mit einem Witz? Worin unterscheiden sich Internisten, Chirurgen, Psychiater und Pathologen? Der Internist weiß alles, kann aber nichts. Der Chirurg kann alles, weiß aber nichts. Der Psychiater kann nichts, weiß nichts, hat aber für alles Verständnis. Und der Pathologe, der kann alles und weiß alles, kommt aber immer zu spät.
Den habe ich schon mal gehört (schmunzelt). Der fasst Klischees ganz gut zusammen. Ein ganz wichtiger Punkt hierzu: Pathologen sind nicht das Gleiche wie Rechtsmediziner. Pathologen befassen sich auch mit postmortalen Symptomen und Todesursachen. Allerdings hauptsächlich aus Sicht der Krankheitslehre. Ich aber bin Rechtsmediziner. In der Sparte gibt es in Deutschland insgesamt nur 280 bis 300 Kollegen. Aber um nochmal auf den Witz zurückzukommen, ich kenne da eine nette Karikatur. Drei Ärzte stehen nebeneinander. Ein Urologe, der hat Urinflecken auf dem Kittel. Ein Chirurg, der hat Blutflecken auf dem Kittel. Und ein Anästhesist, der hat Kaffeeflecken auf dem Kittel (lacht).

Können Sie also über den Tod noch lachen?
Nein, über den Tod lacht man nicht. Das ist so, als würde man mich fragen, ob mir meine Arbeit Spaß macht. Man kann nicht sagen, dass es mir Spaß macht, Leichen zu öffnen. Oder dass ich mich mit Überlebenden von Straftaten befassen muss, die schwerste Verletzungen davongetragen haben. Es ist eine interessante Tätigkeit, die mich ausfüllt. Aber Spaß? Nein. Vielleicht müsste man noch ein Wort dafür erfinden.

Inter.Vista, Knut Brandstädter, Foto: Philipp Schöner, Franziska Seibert

Inter.Vista, Knut Brandstädter, Foto: Philipp Schöner, Franziska Seibert

Aber Sie machen Ihre Arbeit gerne?
Ich gehe jeden Tag gerne zur Arbeit, in der Erwartung, dass immer neue, interessante und vielfältige Sachverhalte auf mich warten und mich herausfordern.

Wie sind Sie Rechtsmediziner geworden?
Zunächst habe ich in Magdeburg Medizin studiert. Dann habe ich die Richtung Anästhesie- und Intensivtherapie eingeschlagen und dort einige Jahre gearbeitet. Durch Zufall habe ich erfahren, dass am Institut für Rechtsmedizin eine Stelle frei ist. Da ich zwei Praktika in der Rechtsmedizin absolviert hatte, kannte ich die Arbeit und habe mich beworben. Es war keine leichte Entscheidung, aber ich habe es bisher keinen Tag bereut.

»Religiosität und Spiritualität spielen in meinen Gedanken keine Rolle.«

Gibt es etwas, dass Ihnen an Ihrem jetzigen Beruf nicht gefällt?
Schwierigkeiten gibt es, wenn man Probleme mit nach Hause nimmt. Das kommt selten vor, aber es gibt knifflige Fälle, die einen noch nach Feierabend bewegen. Berührend sind ganz harte menschliche Schicksale. Wenn Menschen, wie auch immer, durch Fremdverschulden zu Tode kommen. Das fällt nicht so schnell von einem ab und wirkt noch eine Weile nach.

Wenn Sie einen ganz normalen Arbeitstag beschreiben müssten, wie sähe der aus?
Ein Arbeitstag beginnt oft mit Leichenöffnungen. Dafür gibt es feste Zeiten. 8.30 Uhr, 11 Uhr, 13 Uhr. Man weiß ungefähr wie lange das dauert, im Schnitt etwa eineinhalb bis zwei Stunden. Hinterher verbringt man viel Zeit am Schreibtisch. Alle Ergebnisse müssen dokumentiert und interpretiert werden. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Ein fester Feierabend ist deswegen, wie in vielen anderen Berufszweigen, eine Illusion.

Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt mit einer Leiche. Im Studium?
Nein, das war früher. In meinem ersten Leben habe ich eine Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht und auch einige Jahre in dem Beruf gearbeitet.

Der Tod wird häufig auch mit dem Gedanken an ein Leben danach verbunden. Wie stehen Sie zum Glauben?
Religiosität und Spiritualität spielen in meinen Gedankengängen und im Bezug zu meiner Arbeit keine Rolle. Ich kann mein Verständnis von Medizin und Naturwissenschaft nicht in Einklang bringen mit dem, was Religion oder Spiritualität dazu sagen können. Ich gehöre keiner Konfession an.

Haben Sie schon mal über Ihren eigenen Tod nachgedacht?

Ja, wie jeder andere Mensch wahrscheinlich auch. Ganz rational gesehen bringt es aber nichts. Wie wird der Tag X aussehen? Keiner weiß es! Und das ist auch gut so.

Sie erwähnten bereits, dass Sie in Magdeburg studiert haben. Sind Sie auch gebürtiger Magdeburger?
Ja, ich bin hier im Jahre 1970 auf die Welt gekommen und in Sichtweite des Uniklinikums zur Schule gegangen. Ich habe hier Abitur gemacht, studiert, gearbeitet und bin dem Sektor Magdeburg immer treu geblieben.

»Pathologen und Rechtsmediziner sind nicht das Gleiche.«

Welche Klischees kennen Sie über Magdeburg?
Ich muss Klischees in den Medien wahrnehmen. Neulich gab es diese Werbeanzeige für einen Bitterlikör. Da wurde mit dem Spruch geworben: »Du wirst befördert. Und versetzt nach Magdeburg. Life is bitter.« Man ist ja immer zu einem Späßchen aufgelegt, aber das war an der Grenze zur Herabwürdigung einer ganzen Region und deren Menschen.

Und wie ist Magdeburg Ihrer Meinung nach wirklich?
Magdeburg hat eine schöne Umgebung, hat einen großen Flusslauf in sich. In den Jahren nach der Wende gab es eine wahnsinnige Entwicklung. Ich erinnere mich da an Straßenzüge, vor allem in der Gegend um den Hasselbachplatz. Völlig verkommene Gegenden sind zu Top-Wohnadressen geworden.

Wie haben Sie die Wendezeit erlebt?
Ich habe zu dieser Zeit im Krankenhaus Altstadt als Pfleger gearbeitet. Ich war Neuling in dem Beruf und geplättet von dem anstrengenden und neuen Alltag. Das hört sich jetzt komisch an, weil man erwarten würde: ›die Wende, ein Wahnsinnsereignis.‹ Aber ich musste jeden Tag dort stehen und meinen Dienst verrichten – ob Wende oder nicht. Viele sind zu der Zeit in den Westen übergesiedelt und waren von heute auf morgen nicht mehr da. Die Arbeit musste aber trotzdem gemacht werden. Meine Chefin war nicht zu beneiden. In der Presse habe ich gesehen, dass viele Menschen auf den Straßen waren. Es war wie im freien Fall und keiner wusste, wie es ausgeht. Ob geschossen wird, Leute zu Tode kommen, es Krieg gibt. Dass es sich in so eine positive Richtung entwickeln würde, konnte da noch keiner ahnen.

In welchem Stadtteil leben Sie heute und was gefällt Ihnen da besonders gut?
Im Hopfengarten. Da habe ich schon immer gewohnt. Das ist ein vertrautes Areal. Ich habe dort meine Kindheit und Jugend verbracht. Meine Eltern wohnen dort. Das ist für mich eine gewisse Wohlfühlgegend, etwas Konstantes.
Klischees über Magdeburg kamen bereits zur Sprache. Auch über Ihren Beruf gibt es einige Ressentiments.

»Die Wende war wie ein freier Fall. Keiner wusste, ob geschossen wird oder ob es Tote gab.«

Wurden Sie schon mal mit so etwas konfrontiert?
Sinngemäß kann man gelegentlich hören: Ist ja eklig, nur mit Toten, schrecklich, du musst ja ein ganz trauriger Mensch sein. Oder so ähnlich. Das sind Klischees, die man relativ schnell ausräumen kann. Es gilt aufzuklären, dass es eben nicht nur Tote sind, mit denen Rechtsmediziner zu tun haben. Es reicht von Lebenduntersuchungen über Beratungstätigkeiten zu Auswirkungen von Drogenkonsum bis hin zu Expertisen zu unfallanalytischen Fragestellungen. Die Klischees stammen hauptsächlich aus dem Vorabendprogramm.

Sind Rechtsmediziner eigentlich schweigsam?
Das wäre nicht sehr förderlich. Wir kommunizieren tatsächlich viel während der Arbeit in unserem kleinen Kollegenkreis. Das muss so sein, damit man auch auf einer Wellenlänge miteinander redet und dann letzten Endes gemeinsam Befunde und Schlussfolgerungen formuliert.

Apropos Vorabendprogramm. Gucken Sie selbst Krimis?
Ich gucke gerne Krimis. Aber ich habe keine Lieblingsserie.

Wie viel hat die Realität mit der zumeist dramatisch dargestellten Tätigkeit des Rechtsmediziners in Filmen und Serien zu tun?
Ziemlich authentisch finde ich die Polizeiruf-Folgen der siebziger und achtziger Jahre. Zumindest im Bezug auf die Darstellung des Rechtsmediziners, seinerzeit noch Gerichtsmediziner. Es tritt jemand fachkompetent und trotzdem zurückhaltend in Erscheinung, ohne große Show-Effekte, und fungiert als ein Rädchen im Getriebe. Man verabredet sich mit den Kriminalisten beispielsweise für die Leichenöffnung und dann wird etwas gesagt, was konkret mit dem Sachverhalt zu tun hat und zur Lösung des Falles beiträgt. Das ist überschaubar und trifft die Realität, weil es genau das ist, was der Rechtsmediziner im Ermittlungsverfahren mitzuteilen hat. Das Medizinische. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Rechtsmediziner selbst ermitteln. Das hat Unterhaltungswert und hübscht Filme auf, hat aber ziemlich wenig mit dem wahren Leben zu tun.

»Man sollte sich also nicht zu Phantasiegebilden hinreissen lassen.«

Inter.Vista, Knut Brandstädter, Foto: Philipp Schöner, Franziska Seibert

Inter.Vista, Knut Brandstädter, Foto: Philipp Schöner, Franziska Seibert

Sie haben eben schon angedeutet, dass Sie nicht nur mit Todesfällen zu tun haben. Was haben Sie sonst noch für Aufgaben?
Nehmen wir beispielsweise an,
ie Polizei findet eine Person mit schweren Verletzungen. Es ist nicht bekannt, was passiert ist. Ich muss dann versuchen, das abzuklären. War das ein Sturzgeschehen? Kommt hier Fremdverschulden in Betracht? Ein weiteres Feld sind Kindesmisshandlungen. Kinder kommen aus Gründen von Durchfall, Husten zum Kinderarzt. Der macht eine Untersuchung am entkleideten Kind und stellt viele unterschiedlich alte blaue Flecken fest. Da bin ich als Rechtsmediziner dann gefordert. Auch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehören dazu. Das betrifft beide Geschlechter und ist relativ häufig. Ferner spielen auch Delikte im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogeneinfluss zunehmend eine größere Rolle.

Welche Dinge fordern Sie bei Ihrer Arbeit besonders heraus?
Besondere Herausforderungen sind Fälle, bei denen man mit einer an Leib oder Leben geschädigten Person zu tun hat und wenig oder nichts zum Geschehensablauf weiß, der für die Verletzungen ursächlich war. Oder zum Beispiel eine besonders komplizierte Befunderhebung, wie bei fauligen oder verwesten Leichen. Noch mal ein Schlenker zum Vorabendkrimi: Da geht es immer um verweste Leichen. Verwesung ist ein ganz spätes Leichenstadium, das erst nach Monaten oder Jahren eintreten kann. Mit Leichenfäulnis hat man besonders im Sommer zu tun. Dann sind Befunde oftmals verdeckt und fordern ein besonders waches Auge.

Wie lange können eigentlich DNA-Spuren nachgewiesen werden?
Das kommt darauf an, was es für ein Material ist. Ob es freiliegt, wie die Umweltbedingungen sind. Unter geeigneten Bedingungen ist DNA-fähiges Material über Jahrhunderte hinweg haltbar. Zum Beispiel die Pulpa, ein Gewebe im Inneren der Zähne. Ebenso in der Markhöhle von langen Röhrenknochen.

Fallen Ihnen besonders bizarre oder markante Fälle ein?
Markante Fälle sind aus meiner Sicht diejenigen, die mit sehr viel Untersuchungsaufwand verbunden sind und nach langer und geduldiger analytischer Arbeit zu einem Ergebnis führen, das wesentlich zur Aufklärung eines Falles beiträgt.

Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus? Sind Sie eher ein rational denkender Mensch oder haben Sie auch eine weiche Seite?
Die Rechtsmedizin ist eine rationale Disziplin, die sich nur auf Fakten und Tatsachen stützt. Aber ich wäre kein Mensch, wenn ich nicht auch eine emotionale Seite hätte. Natürlich tritt das auch im Zusammenhang mit gewissen Fällen zutage. Wenn beispielsweise Leute am Ende des sozialen Abstieges, irgendwo alleine sterben und das nicht einmal jemand merkt. Das ist traurig und möge jedem erspart bleiben.

Der Fall der kleinen Emily aus Stendal war in der Presse sehr stark vertreten. Ein elf Monate altes Baby wurde von der Stiefmutter so lange geschüttelt, bis es starb. Ihre Arbeit führte zu einer Verurteilung. Was muss man in so einem Fall tun, dass es auch wasserdicht ist?
Man weist ganz klare medizinischen Tatsachen nach, die keine andere Deutung zulassen. Darauf basiert dann auch die Urteilsfindung vor Gericht. Das ist gut so, denn es sollte nicht der kleinste Hauch an Spekulation bei so etwas vorhanden sein. In diesem genannten Fall war die Befunderhebung sehr eindeutig.

Ist es Ihnen schon passiert, dass Sie einen Schluss gezogen haben, und später stellte sich heraus, dass er falsch war?
Zum Glück nicht. Es sind viele Sicherungsmechanismen eingebaut, damit so etwas nicht passiert. Leichenöffnungen werden immer von zwei Ärzten durchgeführt, die gemeinsam eine Position formulieren. Die nächste Instanz ist der Institutsleiter, mitdem jeder einzelne Fall besprochen wird. Vor einer falschen Schlussfolgerung ist niemand gefeit. Wenn man sich die Tragweite der Arbeit vor Augen hält, wird man auch darin geübt, sich vorsichtig auszudrücken. Wenn man nicht genau weiß, in welche Richtung die Reise geht, dann sollte man das auch einräumen. Man sollte sich also nicht zu Phantasiegebilden hinreißen lassen. Damit wäre keinem gedient.

Im Wort Rechtsmedizin steckt ja auch das Wort Recht oder Gerechtigkeit. Hoffen Sie, mit Ihrer Arbeit einen Teil zur Gerechtigkeit in unserer Welt beitragen zu können?
Wie schön wäre das! Aber ich glaube, das kann man in den Bereich der Illusionen verbuchen. Ich stelle mir gerne vor, dass man Leute vor möglichem zukünftigen Schaden bewahrt, indem man etwas dazu beiträgt, Täter dingfest zu machen. Das wäre etwas, worauf man berechtigtermaßen hoffen kann.

November 2016
Interview aus INTER.VISTA 3

Vista.Schon?
Knut Brandstädter ist Rechtsmediziner am Institut für Rechtsmedizin Halle und arbeitet in der Außenstelle Magdeburg am Uniklinikum. Er ist im Jahr 1970 in Magdeburg geboren und absolvierte auch sein Medizinstudium hier. Zuerst war er einige Jahre als Anästhesist tätig, bis er sich 2010 für die Stelle als Rechtsmediziner bewarb. Seine Freizeit verbringt Knut Brandstädter gerne in der Natur, sein Lieblingsort in Magdeburg ist der Rotehornpark.

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