In ihrer Rolle als Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal wirkt sie stets professionell. Inter.Vista lud die französische Professorin ein, um auch andere Seiten kennenzulernen. Wir wollten wissen, wie sie sich als Frau in einer Männerdomäne behauptet, wie die zweifache Mutter Familie und Beruf unter einen Hut bekommt und wie viel Frankreich nach zwölf Jahren Magdeburg noch in ihr steckt. Ganz nebenbei erfuhren wir auch eine Menge über unsere deutsche Kultur.
Interview: Larissa Jung und Anne Streicher
Fotos: Arlette Krickau
Als Rektorin brauchen Sie eine gewisse Autorität. Sind Sie eine strenge Mutter?
Französische Mütter sind vielleicht ein wenig anders als deutsche Mütter. Ich bin in einer Welt groß geworden, wo Erziehung durchaus wörtlich genommen wurde. Es ist wie bei einer Pflanze, die oft eine Stütze braucht, um gerade zu wachsen. Das französische System, in dem ich zwanzig Jahre lebte, legt Wert darauf, dass das Kind gesellschaftsfähig ist. In der Schule wird Wert darauf gelegt, dass sich das Kind integriert. Genauso wichtig ist, dass es intelligent wird und lernt. Instinktiv gehe ich so mit meinen Kindern um. Ich möchte meinen Kindern gerne viel bieten. Manchmal sagt mein Mann, dass ich sie doch mal machen lassen soll. Sich langweilen sei doch wunderbar. Das hätte ich als französische Mutter nie gesagt. Diese freie und spielerische Entfaltung ist dort weniger präsent.
Stellen Sie sich für Ihre Kinder eine akademische Laufbahn vor?
Da bin ich jetzt eher deutsch. Sie werden ihren Weg gehen mit uns als Eltern, die sie begleiten. Sie sind jetzt 12 und 14. Sie haben Appetit auf Wissen und lernen gerne. Aber kritisch sind sie auch. Das würde sie auf eine akademische Laufbahn gut vorbereiten. Aber wenn sie etwas Praktisches machen wollen, habe ich auch kein Problem damit. Meine Kinder sollen sich in ihrer Haut wohlfühlen.
Wie hat sich Ihr Leben verändert, seitdem Sie und Ihre Familie in der Öffentlichkeit stehen?
Auf Arbeit spreche ich selten über meine Familie und trenne Berufliches und Privates recht scharf. Meinen Mann sieht man kaum hier in der Hochschule. Er möchte das nicht. Er kümmert sich um viele andere Dinge unseres Alltags. Das Hochschulleben und die Öffentlichkeit sollen uns als Familie nicht zu sehr in Beschlag nehmen.
»Wir sind keine konservative, sondern eine progressive, fortschrittlich denkende Hochschule.«
Also bringen Sie mit Hilfe Ihres Mannes alles unter einen Hut?
Für das Familienleben stimmt das. Ich hätte ja auch kinderlos sein können, aber dann wäre ich nicht so ausgeglichen. Es ist eine gute Balance, doch dafür braucht man Zeit. Kinder auf die Welt zu bringen, ist zwar das Schönste, das es gibt. Aber die ganze Alltagsbetreuung und sich auf die Kinder einzulassen, das braucht Zeit und ist nur bedingt mit der Aufgabe einer Rektorin zu vereinbaren. Das geht nur mit einem Partner, der sehr viel zu Hause macht.
Inwiefern hat sich Ihr Berufsbild verändert, seitdem Sie Hochschulrektorin sind?
Professoren und Professorinnen, so wie ich, kommen nicht mit der Absicht an die Hochschule, das Rektorat zu übernehmen. Das ist nicht die Karriereplanung. Zumindest war es nicht meine. Zuerst war ich Studiendekanin, dann Prorektorin. So sammelte ich Erfahrungen und hatte nicht das Gefühl, dass ich das nicht schaffe oder dass der ›Anzug zu groß‹ ist. Es ist eine gewisse Arbeitslast sowie Verantwortung für Menschen, die man trägt. Aber es macht auch großen Spaß.
Sind Sie lieber Rektorin oder Dozentin?
Ich bin sehr gerne Rektorin und früher war ich sehr gerne Dozentin. Es bot sich einfach an. Gewählt bin ich für eine gewisse Zeit. Und falls ich nicht erneut gewählt werde, bin ich wieder Dozentin. Das ist für mich kein Scheitern, wie in der Politik oder in der Wirtschaft. Man ist dann immer noch Teil des Lehrkörpers und der Hochschule. Ich kann weiterhin gestalten, natürlich anders als jetzt, aber dafür mehr mit den Studierenden zusammen.
In Ihrer Position muss man Managementfähigkeiten mitbringen. Woher nehmen Sie die?
Diese Entwicklung, die ich vorhin skizzierte, ist ganz wichtig. Wäre ich sofort von der Hochschulprofessorin ins Rektorenamt gewechselt, hätte ich wahrscheinlich mehr Fehler gemacht. So konnte ich aber bei jeder Stufe sehen, wie die Komplexität steigt. Als Studiendekanin hatte ich mit verschiedenen Fachrichtungen aus demselben Fachbereich zu tun. Sozialwissenschaftler sind ›bunt‹ und divers, aber trotzdem für mich eine Fachkultur, die ich verstehe. Als Prorektorin ist man dann verantwortlich für eine Hochschule mit ca. 130 Professorinnen und Professoren aus vielen Fachbereichen. Ganz unterschiedliche: Ingenieurwissenschaften, Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Stendal, Magdeburg. Es ist wichtig, untereinander zu kommunizieren und die Leute miteinander reden zu lassen, damit keine Fronten aufgebaut werden. Wir sind eine Hochschule, wir haben einen Bildungsauftrag.
»Es ist wichtig zu kommunizieren und die Leute miteinander reden zu lassen.«
Ist es schwer, sich als Frau in einer Männerdomäne zu behaupten?
Jein. Nein, ich denke, dass ich in einem Umfeld lebe, in dem das respektiert wird. Wir sind keine konservative, sondern eine progressive, fortschrittlich denkende Hochschule. Es hätte vielleicht nicht an jeder Uni oder Hochschule geklappt, aber bei uns klappt es. Ja, weil es Situationen gibt, die ich tagtäglich erlebe. Nicht an der Hochschule, sondern eher draußen. Dass ich die einzige Frau in einer Runde bin, kommt ständig vor. Ich bin die einzige Rektorin in Sachsen-Anhalt, die einzige Frau, die eine wissenschaftliche Organisation in der Landeshauptstadt führt. Das heißt, wenn sich wieder die ›Elefantenrunde‹ trifft, bin ich die einzige Frau. Alle anderen sind Männer. Sie sind nett und toll, Freunde und Kollegen, aber sie haben oft per se eine andere Sozialisation. Aber nicht unbedingt andere Führungsstile. In drei Punkten bin ich exotisch: als Französin, als Frau und ich bin noch relativ jung.
Inwiefern sollte man als Frau in einer Führungsposition sich besonders dazu berufen fühlen, Frauen zu unterstützen?
Mir geht es weniger um die Frauen an sich, sondern um die Tatsache, dass sie oft eine Minderheit sind.Teams, Organisationen und Institutionen sind gut, wenn sie heterogen sind, das ist auch wissenschaftlich untersucht. Wir machen nun mal 50 Prozent der Bevölkerung aus. Ich bin der Meinung, wir sollten auch 50 Prozent aller Etagen in Institutionen besetzen, weil es eben die bessere Mischung ist. Wir sind keine besseren Menschen, aber es muss eine diverse Teamkultur geben.
Sie verfassten Ihre Doktorarbeit über schreibende Frauen in der DDR. Wie wichtig ist Ihnen Feminismus?
Immer noch sehr wichtig, aber ich bin nicht fokussiert auf diese Geschlechtersache. Wenn man sich mit Feministinnen unterhält, merkt man, dass sie in anderen Kategorien denken. ›Gender‹ ist eine Kategorie. Dann gibt es noch ›Age‹, ›Race‹ und ›Class‹ zum Beispiel. Dass man altersund herkunftsgemischte und gerne auch sozial gemischte Teams hat, das macht es wirklich besser. Feminismus ist der politische Ausdruck für den Kampf um mehr Diversität. Ein Beispiel sind die Frauen, aber es existieren ebenso die anderen Kategorien, die ich nannte.
Uns ist bei der Recherche aufgefallen, dass Sie während Ihrer Karriere verschiedene Frisuren hatten. Sind Sie denn eitel?
Puuh, das ist wahrscheinlich eine Frage, die Sie einem Mann so nicht gestellt hätten! Wissen Sie, fürs Eitelsein habe ich keine Zeit. (lacht) Ich würde auch anders aussehen, wenn ich wirklich eitel wäre. Aber, mehr denn je muss ich auf mein Äußeres achten, weil damit ein Image transportiert wird. Es ist eine politische Botschaft, die man schickt. Andererseits bin ich kein Model. Ich gucke, dass ich gesund bleibe und belastbar bin. Ich versuche genug zu schlafen. Ich bewege mich ein bisschen und ernähre mich einigermaßen gesund, so dass ich arbeitsfähig bleibe und zufrieden bin. So viel zu meiner Frisur. (lacht)
»Die Stadt ist nach wie vor unfertig und vieles lässt sich noch schön prägen.«
Welches französische Klischee erfüllen Sie?
Das kulinarische Klischee. Ich habe große Schwierigkeiten mit der deutschen Cuisine – nach wie vor. Ich bin 25 Jahre hier und kann mich immer noch nicht mit dem deutschen Abendbrot anfreunden. Wir haben zuhause ein Agreement. Wenn ich da bin, dann gibt es kein deutsches Abendbrot, sondern was richtiges. Das typisch deutsche Abendbrot ist für mich wie picknicken. Die Kinder sind aber auch manchmal froh, wenn sie Abendbrot essen können, weil sie das auch mögen. Es gibt noch etwas, das mich beim deutschen Essverhalten irritiert. In Frankreich stehen die Essenszeiten ziemlich fest. Da gibt es klare Zeiten, wann man isst. Dazwischen isst man nicht. Aber hier wird oft zwischendurch genascht. Mittlerweile bin ich in der Hinsicht eingedeutscht. Aber den ganzen Tag essen, das war mir am Anfang fremd.
Abgesehen vom Essverhalten, was würden Sie als typisch deutsch bezeichnen?
Ah! Da gibt es ein paar Wörter, die sehr viel über die deutsche Seele verraten. ›Abendbrot‹ habe ich schon genannt. Die Idee, ein Abendessen als ›Brot‹ zu bezeichnen, weil Brot so eine große Rolle spielt, das kennen die Franzosen nicht. Dann gibt es Wörter wie ›Feierabend‹, das kann man nicht übersetzen. Ich wünsche meiner Kollegin einen schönen Feierabend, weil sie dann im übertragenen Sinne feiern kann, dass sie mit der Arbeit fertig ist. Ein ganz interessantes Gebilde! Die Franzosen trennen nicht so scharf zwischen Arbeit und Leben. Sie leben auf der Arbeit und sie arbeiten in ihrer Freizeit. Sie nehmen Arbeit mit nach Hause oder gehen ausgiebig essen während der Arbeitszeit. Also gibt es in Frankreich keinen ›Feierabend‹. Oder ›Gemütlichkeit‹, das ist auch etwas sehr Deutsches. Das können sie nicht mit einem Wort ins Englische oder Französische übersetzen, es ist eher eine Atmosphäre. Eine typisch deutsche Atmosphäre, finde ich.
Würden Sie sagen, dass Sie sich davon schon etwas angeeignet haben? Beispielsweise sich nach der Arbeit freuen, Feierabend zu ›feiern‹?
Nein, in meinem Job geht das nicht. Es belastet mich auch nicht, die Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Oder nehmen wir die Gemütlichkeit. Ich sehe, wenn etwas gemütlich ist, ich genieße das auch, aber ich kann das selbst nicht herstellen. Zum Beispiel die Adventszeit, mit dem Adventskalender und dem Plätzchenbacken. Wir haben in Frankreich nur unseren Weihnachtsbaum und das war’s. Mittlerweile gibt es zwar in manchen französischen Städten Weihnachtsmärkte und es werden immer mehr Adventskalender gekauft. Aber die Weihnachtskultur und die Vorfreude auf Weihnachten bleiben etwas sehr Deutsches.
Sagen Ihre Freunde oder Familienmitglieder in der Heimat, dass Sie typisch deutsch sind?
Ja, ganz klar. Das fängt mit Kleinigkeiten an. Wenn wir uns treffen, gebe ich ihnen mittlerweile die Hand, das geht natürlich gar nicht. Die Franzosen begrüßen sich mit Küsschen. Es ist schwer für mich, immer wieder den Schalter umzulegen. Ich verliere mein Französisch ein bisschen. Ich suche Wörter und finde sie nicht mehr, weil ich sie nicht regelmäßig nutze. Auch wenn ich meine Muttersprache mit meinen Kindern spreche, ist es hier trotzdem eine Sprachinsel. Es ist nicht leicht, mein Französisch auf hohem Niveau beizubehalten.
Und wie oft fahren Sie noch nach Frankreich?
Nicht so oft. Meistens im Sommer und an Weihnachten, wenn es sich anbietet. Aber wissen Sie, es ist im Zeitalter von Internet kein Problem mehr, sich mit französischen News und Filmen zu versorgen. Ich habe ja alles hier vor Ort, was ich mir wünsche, bis auf einige Freundinnen von früher und die nahe Familie. Neulich sagten meine Kinder: Warum fahren wir in den Ferien schon wieder nach Frankreich? Wir wollen jetzt nach Australien oder Neuseeland!
Haben Sie in Magdeburg schon Ihr Stück Frankreich gefunden?
Es gibt hier eine ziemlich starke französische Szene. Wir haben einen Stammtisch und ein Französisches Institut. Mit den Verantwortlichen bin ich gut befreundet. Wir haben einen Newsletter, in dem wir uns über alle Aktivitäten und Angebote austauschen. Es ist mehr los, als man denkt. Es gibt in Magdeburg eine große frankophone und frankophile Community. Wenn wir uns treffen, dann ist es meistens an einem ganz großen Tisch.
Wie war denn Ihr erster Eindruck von Magdeburg und wie hat er sich verändert?
Das ist schon eine Weile her. Einmal war ich zur Wendezeit als Studentin für ein paar Monate hier. Alles wirkte recht grau. Das ist jetzt vollkommen anders. Die Stadt ist nach wie vor unfertig und vieles lässt sich noch schön prägen.
Wenn Sie die Wahl hätten, wo würden Sie am liebsten leben?
Unabhängig vom Beruf. Leben und Beruf, ich kann das im Moment nicht trennen. Ich würde wahrscheinlich naturnah leben wollen, aber das ist in Magdeburg nicht schwer. Auf einer einsamen Insel möchte ich nicht sein. Lieber ein Ort, an dem man gesund essen und leben kann. Ich fahre sehr gerne Rad und möchte nicht auf ein Auto angewiesen sein. Und ich hätte gerne meine Freunde und Familie dabei.
Denken Sie, dass Sie in Deutschland bleiben werden?
Es ist gut möglich. Allerdings mache ich jetzt keine Pläne für die nächsten fünfzig Jahre. Ich plane im Moment so fünf bis zehn Jahre. Für diesen Zeithorizont habe ich schon vor, in Deutschland zu bleiben, ja.
Und wie sehen Sie Magdeburg in zehn Jahren?
Also am 7. Dezember 2027? Dann sind wir hoffentlich Kulturhauptstadt geworden. Ich hoffe sehr, dass wir neben den abgeschlossenen Baustellen viele Bäume haben. Eine lebendige Kleinkunstszene wäre toll, nicht nur Sport als einziges Freizeitangebot. Sport ist etwas Schönes, aber eben auch nicht alles. Und ich würde mich freuen, wenn wir noch viele, kleine gemütliche Kinos haben.
Dezember 2017
Interview aus INTER.VISTA 5
Vista.Schon?
Prof. Dr. Anne Lequy ist 1971 in Montereau-Fault-Yonne in Frankreich geboren und lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Sie hat zwei Kinder und ist verheiratet. Als Studentin kam sie das erste Mal nach Magdeburg. Bis 2010 lehrte sie als Dozentin »Fachübersetzen für Französisch und Deutsch« an der hiesigen Hochschule. Sie übernahm dann das Amt der Prorektorin für Studium und Lehre. Seit 2014 ist sie Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal und wurde im Februar 2018 erneut für vier Jahre gewählt. Für sie ist Magdeburg formbar, naturnah und hat genau die richtige Größe.
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