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Reinhard Bolewski

An Reinhard Bolewski kommt keiner vorbei. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet der Filmvorführer im Magdeburger Cinemaxx. Seit der Umstellung auf den Digitalbetrieb steht er am Einlass und entwertet die Tickets. Mit seiner herzlichen Art zaubert er oft den Besuchern ein Lächeln ins Gesicht. Im Interview mit Inter.Vista spricht er über Superhelden, brennende Bärte und wie man seine Zeit als Filmvorführer gut nutzen kann. Außerdem erfahren wir, was er von Fifty Shades of Grey hält.

Interview und Fotos: Laura Rittler

Manche Kinder möchten eines Tages Polizisten oder Feuerwehrmänner werden. Wollten Sie schon immer mit Filmen oder im Kino arbeiten?
Ich glaube wir alle haben als Kinder gern Märchenfilme geguckt und wir alle sind ja auch sicher gern ins Kino gegangen. Der erste Beruf, den ich erlernt habe, war aber Fernsehmechaniker. Und als sich für mich dann später die Möglichkeit bot, Leiter eines Filmclubs in Staßfurt zu werden, beschloss ich, Nägel mit Köpfen zu machen und richtig zum Kino zu gehen. Sehr zum Unwohl meines Vaters, der der Meinung war, ich würde gesellschaftlich abstürzen. »Wie kann man denn nur beim Kino arbeiten«, hat er gefragt. Für ihn war das eine riesige Enttäuschung, dabei habe ich mich sogar noch der Mühe unterzogen und ›Kino‹ richtig als Facharbeiterberuf gelernt und die Meisterprüfung für die Reparatur von Kinomaschinen abgelegt. Aber man darf nicht vergessen, dass das Kino eigentlich seinen Ursprung im Jahrmarkt hat. Vielleicht wurde deshalb die Arbeit dort früher abwertend betrachtet. Ich sehe das aber überhaupt nicht so, ganz im Gegenteil. Wenn man beruflich Filme gucken kann, dann ist das doch eigentlich der Traum eines jeden Kindes!

»Es macht natürlich auch Spass, in einer großen Gruppe kollektiv zu lachen oder zu schmunzeln oder zu weinen.«

Wann haben Sie denn angefangen, im Kino zu arbeiten?
Das war 1985 beziehungsweise 1984. Damals habe ich mit dem Gedanken gespielt im Kino zu arbeiten. Und am 3. Januar 1985 war dann mein erster offizieller Tag als Filmvorführer. Damals habe ich den Film Das fliegende Auge mit Roy Scheider vorgezeigt.

Als Filmvorführer trugen Sie die Verantwortung dafür, dass die Zuschauer einen Film fehlerfrei sehen konnten. Sind Ihnen jemals Pannen passiert?
Ja, das kam einige Male vor. Damals wurde ein Film in einzelnen Akten gespielt und immer nach etwa 17 bis 18 Minuten war ein Akt zu Ende. Dann musste der Filmvorführer den einen Akt ausblenden und den neuen aufblenden. Dieser Übergang, den man ›Überblendbetrieb‹ nannte, hat natürlich eine gewisse Aufmerksamkeit seitens des Vorführers erfordert. Aber wenn der Filmvorführer verpennt hat, dann ging der erste Akt zu Ende ohne, dass der darauffolgende begann – und die Zuschauer sahen kein Bild. Peinlich.

Inter.Vista, Reinhard Bolewski, Foto: Laura Rittler

Inter.Vista, Reinhard Bolewski, Foto: Laura Rittler

Kam das oft vor?
Es ist mir nicht oft passiert, aber es ist mir passiert. Es gibt einen merkwürdigen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass das immer sonntags passiert ist, und der Tatsache, dass am Samstagabend immer Disko war. (lacht) Ich muss dazu sagen – und jetzt, wo ich kein Filmvorführer mehr bin, darf ich das ruhig zu geben – ich bin eine große Leseratte und die meisten Bücher meines Lebens habe ich während meiner Arbeitszeit gelesen. Immer dann, wenn meine Kinomaschine lief und ich den Film schon kannte oder er mich nicht interessierte, habe ich ein Buch aufgeschlagen. (lacht)

Wie unterscheiden sich die Filme der DDR-Zeit von modernen Produktionen?
Früher wurden viele Versuche unternommen, Gesellschaftskritik im Film und im Kino unterzubringen, indem man das Medium nutzte, um Kritik zu äußern. Dadurch ist es aber auch passiert, dass Filme nur eine Woche liefen und dann ohne Begründung aus den Kinos verschwanden. Heute ist das Medium ›Film‹ weniger Aufklärungsgut als vielmehr reine Unterhaltung. Aber das meine ich nicht abwertend. Unterhaltung ist schließlich ein wertvolles Gut. Das Kino bringt nach wie vor Menschen zusammen. Es macht natürlich auch Spaß, in einer großen Gruppe kollektiv zu lachen oder zu schmunzeln oder zu weinen.

»Ich wurde in dem Jahr geboren, als der erste Sputnik ins All flog. Als kleiner Junge sah ich die Mondlandung im Fernsehen.«

Von welchen Filmen fühlen Sie sich besonders gut unterhalten?
Ich war schon als kleiner Junge sehr begeistert von Filmen wie etwa 20.000 Meilen unter dem Meer, Reise zum Mittelpunkt der Erde oder Spartakus. Das waren die Filme in den sechziger Jahren, die mich prägten. Ich bin allerdings ein großer Fan von Science-Fiction-Filmen. Ich wurde in dem Jahr geboren, als der erste Sputnik ins All flog. Als kleiner Junge sah ich die Mondlandung im Fernsehen. Ich bin also in einer Zeit groß geworden, in der das Weltall langsam und vorsichtig erobert wurde. Und wahrscheinlich, wie bei fast jedem kleinen Jungen, gehörte zu meinen Berufswünschen der Kosmonaut. Naja, mit dem Kosmonauten ist es nichts geworden, aber Fernsehmechaniker und Filmvorführer waren auch eine schöne Alternative.

Gibt es auch Filme, deren Erfolg Sie nicht nachvollziehen können?
Ja. Diesen Rummel um Fifty Shades of Grey verstehe ich zum Beispiel überhaupt nicht. Warum spielen bei diesem Film alle so verrückt? Haben die Leute etwa Angst, ihren Partnern zu sagen, was ihnen gefällt? Am Abend der Premiere haben etwa 1.200 völlig aus dem Ruder gelaufene Frauen das Kino gestürmt. Ich habe an dem Abend als Kartenabreißer gearbeitet, und in der Menge fünf einzelne Männer gesehen, die aussahen, als hätte
man sie mit der Peitsche hergezwungen. Auf jeden Fall saßen sie wie ein verlorenes Trüppchen in der Menge. (lacht)

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie viel lesen. Gab es jemals eine Buchverfilmung, die Sie unglaublich enttäuscht hat?
Ich glaube, das ist nicht die richtige Herangehensweise. Es muss einem bewusst sein, dass das zwei unterschiedliche Medien sind. In einem Buch spielt ja unser Kopf mit, wir basteln uns da etwas zusammen, während wir es im Film präsentiert bekommen.

Ist Film dann nicht eigentlich ein Medium für Faule?
(lacht) Nein, denn es gehört auch zur Kunst des Kinos, Dinge nicht zu zeigen, sondern anzudeuten – man nennt es ja nicht umsonst Kopfkino. Dass es dann in den Gedanken des Zuschauers zu dem wird, was der Regisseur mit Bedacht vermieden hat zu zeigen. Das ist Kunst.

Inter.Vista, Reinhard Bolewski, Foto: Laura Rittler

Inter.Vista, Reinhard Bolewski, Foto: Laura Rittler

Vermissen Sie manchmal die analogen Zeiten?
Nein. Die Sache ist doch so: Vermisse ich meine Jugend? Ja. (lacht) Vermisse ich die Zeiten, die mich an meine Jugend erinnern? Ja. Die Digitalisierung hat mich eben überrumpelt. Ich hätte gerne noch ein paar Jahre analog gehabt. Vielleicht, so egoistisch bin ich, bis ich Rentner bin. Nach mir die Sintflut! (lacht) Aber ich möchte mich nicht beschweren. Mir geht es doch gut. Jeden Tag strömen bei mir am Einlass eine Menge Menschen vorbei, die oft nicht so glücklich aussehen. Und dann gebe ich mir Mühe, dafür zu sorgen, dass sie, sobald sie an mir vorbeigegangen sind, zumindest ein leichtes Lächeln auf den Lippen haben. Mit dem, was ich tue, kann ich Menschen glücklich machen. Egal, ob analog oder digital.

Sie sind nicht nur Filmfan und Büchernarr, sondern sammeln auch Comichefte. Erinnern Sie sich denn noch an Ihr allererstes Heft?
Das weiß ich zufällig tatsächlich noch, weil es in der DDR keine allzu große Auswahl gab. Mein erstes Comicheft hieß Mosaik und es war die Nummer 99. Dig, Dag und Digedag [die Protagonisten der Comicreihe, Anm. d. Red.] waren die Helden meiner Kindheit.

War es schwer, an Comichefte ranzukommen? Insbesondere an solche aus dem Westen?
Ja, das war gar nicht so einfach. Manche Ausgaben konnte man nicht immer am Kiosk kaufen, weil sie aufgrund des begrenzten Papierkontingents nur in kleiner Auflage gedruckt worden waren. Andere kamen nicht durch den DDR-Zoll. Wenn ein Junge in der Schulklasse ein solches begehrtes Heft hatte, dann war er für alle anderen der Held. Insbesondere Hefte aus der Bundesrepublik brachten noch weitere Probleme mit sich, aber das war mir damals gar nicht klar: In den meisten Comics gab es Leser-Kontaktseiten, auf denen Kinder nach Brieffreunden gesucht haben. Als ich noch ein Kind war, habe ich tatsächlich ab und zu auf diese Anzeigen geantwortet. Mir war gar nicht klar, dass ich mich damit auf sehr dünnem Eis bewegte. Jahre später habe ich dann in meiner Stasi-Akte gelesen, dass einige dieser Briefe wohl der Stasi in die Hände gefallen sind. Mit dem Erhalt meiner Akte habe ich diese alten Briefe noch einmal wiederbekommen. Inzwischen kann ich darüber eigentlich nur noch schmunzeln.

Sie besitzen eine recht stattliche Comic- Sammlung. Werden die Ausgaben tatsächlich gelesen, oder schließen Sie Ihre Bücher und Comics lieber in Glasvitrinen ein?
Nein, nein, um Himmels Willen! Ich tüte meine Hefte zwar auch mal ein, wenn ich sie vor Staub schützen möchte. Eselsohren in Büchern sind für mich ein Grund, Freundschaften zu kündigen. Ich lese meine Bücher und Hefte aber durchaus und bin auch keiner dieser Sammler, die Dinge nur kaufen, wenn sie in perfektem Zustand sind. Wenn Gegenstände ein gewisses Alter erreichen, dann haben sie eben häufig Gebrauchsspuren. Das ist ganz normal und es stört mich nicht – bei Menschen ist es schließlich genauso. (lacht)

Manche Städte haben ihre eigenen Superhelden – New York hat Spiderman, Gotham hat Batman. Braucht auch Magdeburg einen Helden und welche Superkraft müsste er haben?
Er müsste die Fähigkeit haben, die Farbe Braun aus seinem Sehvermögen zu streichen. Und auf seinen Stiefeln sollte stehen: »Damit trete ich braun«. Ich möchte mich nicht als extrem links bezeichnen, aber ich finde es furchtbar, dass man Magdeburg ständig nur mit all diesen Vollidioten verbindet, die in Geschichte nicht aufgepasst haben und die sich wünschen, wir hätten hier noch immer Verhältnisse, die zum Glück lange vorbei sind.

»Die meisten Bücher meines Lebens habe ich während meiner Arbeitszeit gelesen.«

Sie wohnen nicht in Magdeburg, sondern arbeiten nur hier. Verbringen Sie auch Ihre Freizeit in der Stadt?
Ich besuche sehr gern das Comic-Kombinat. Und natürlich gehe ich viel ins Kino. (lacht) Ansonsten weiß ich es gar nicht so genau, um ehrlich zu sein. Ich habe beispielsweise kein Lieblingsrestaurant – aber eine Vorliebe für Döner.

Wo gibt es denn den besten?
Direkt hier im City Carré.

Wie hat sich die Stadt im Laufe der Zeit verändert?
Ich habe die Kinoszene der Stadt bereits zu DDR-Zeiten kennengelernt. Damals gab es in fast jedem Stadtteil ein eigenes Kino. Ich vermisse diese kleinen Kinos. Es gibt inzwischen eigentlich nur noch den Moritzhof und das Studiokino; der Rest wird von diesen großen Häusern abgedeckt. Diese können bestimmte Filme, die künstlerisch besonders wertvoll sind, leider nicht spielen, weil sie davon ausgehen müssen, dass nicht genügend Besucher kommen. Die kulturelle Vielfalt der Stadt hat damit also leider etwas abgenommen. Wer sich Idealismus leisten will, der muss entweder über ein großes Portemonnaie verfügen oder ein hoffnungsloser Träumer sein.

Seit 1980 schlüpfen Sie einmal im Jahr in die Rolle des Helden vieler Kinder: in die des Weihnachtsmannes. Wie kam es dazu?
Zum ersten Mal als Weihnachtsmann verkleidet habe ich mich schon 1979. Damals war ich noch Soldat bei der Nationalen Volksarmee in Potsdam. Unsere Kaserne wurde gebeten, einen Weihnachtsmann für den Potsdamer Weihnachtsmarkt zu stellen und ich wurde ausgewählt. Ich habe entdeckt, dass das etwas für mich ist – auch, weil ich Kindern sehr gerne Geschichten erzähle. Ich muss allerdings auch sagen: Weihnachtsmann spielen ist in meinem Fall auch eine Art ›Familienbewältigung‹. Ich habe selbst keine Familie bei mir zuhause und möchte den Heiligabend mit etwas angenehmem verbringen, statt mit einer Flasche Whiskey unterm Baum zu sitzen – und die Gefahr besteht. (lacht) Ich muss natürlich auch sagen: Ein bisschen Schuld an meinem Junggesellenstatus ist auch mein Beruf. Wenn man so viele Jahre im Kino arbeitet und abends nie zuhause ist, ist das nicht gerade förderlich für eine Beziehung, wenn die Frau mindestens fünf Tage pro Woche alleine zuhause sitzt. Das war irgendwann abzusehen, dass das auf lange Sicht nicht funktionieren wird.

Sind Kinder dem Weihnachtsmann früher anders begegnet als heute?
Das nicht, aber der Job hat sich trotzdem verändert. Ich stelle mit Erschrecken fest, dass Eltern oft völlig verpeilen, dass Weihnachten das Fest der Liebe ist. In manchen Familien versuchen die Eltern, Omas, Opas, Tanten und Onkels sich in der Größe der Geschenke gegenseitig zu übertrumpfen. So, als müssten sie mit besonders teuren Geschenken beweisen, dass sie das Kind wirklich lieben. Und dann hat ein Kind letztendlich einen Berg von Geschenken, was mich nur den Kopf schütteln lässt. Aber es gibt natürlich auch sehr schöne Momente: Ich mache das schon seit 37 Jahren. Besonders toll finde ich, dass ich inzwischen auch Weihnachtsmann bei Kindern bin, bei deren Eltern ich das bereits gemacht habe. Das ist etwas ganz besonderes.

»Mit dem, was ich tue, kann ich Menschen glücklich machen. Egal , ob analog oder digital.«

Gerade Kinder sind ja etwas unberechenbar. Sind denn mal irgendwelche merkwürdigen oder lustigen Dinge passiert, während sie Weihnachtsmann gespielt haben?
Ja, da gibt es schon die eine oder andere Anekdote. Einmal habe ich mit dem Papa einer Familie in der Küche gesessen und wir haben ein Glas Schnaps getrunken. Ich rauchte einen Zigarillo und habe es dabei geschafft, meinen Bart anzuzünden. Weil er selbstgebaut aus Watte war ist er nicht einfach nur abgebrannt, sondern regelrecht verpufft. Tja, plötzlich saß ich da, mit einem verkohlten Zigarillo im Mund, einem völlig verbrannten Stück Watte vor meinem Mund, einer rot verbrannten verbrannten Nase und ohne Augenbrauen. In dem Moment war ich geschockt, aber jetzt im Nachhinein kann ich darüber lachen.

Februar 2017
Interview aus INTER.VISTA 4

 

Vista.Schon?

Reinhard Bolweski, Jahrgang 1957, ist gelernter Fernsehmechaniker und sagt von sich selbst, er habe mit seinen Schraubenschlüsseln in der Vergangenheit bereits so manche Ehe vor dem Scheitern bewahrt. Der Batman-Fan sammelt seit seinem zwölften Lebensjahr Comics und Filme; seine Sammlung umfasst inzwischen mehr als 5.000 Stücke. Erste Erfahrungen als Filmvorführer sammelte er während seiner Zeit bei der Nationalen Volksarmee, bevor er beschloss, sein Hobby zum Beruf zu machen. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet Bolewski im Cinemaxx. Ursprünglich als Filmvorführer eingestellt, entwertet er seit der Umstellung auf den Digitalbetrieb Karten und führt Reparaturen durch. Ganz besonders freut er sich über die diesjährige Fortsetzung des Science-Fiction-Films Blade Runner.

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