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Paula Günnisdóttir

Tagsüber seziert sie Organe und Innereien, aber wenn die amtierende Stadtmeisterin abends auf der Bühne steht, ist sie laut, überdreht und nimmt kein Blatt vor den Mund. In Magdeburg gilt die 24-Jährige mittlerweile als Urgestein des Poetry-Slams. Inter.Vista verrät sie, wie inspirierend Aufkleber sein können, was es mit ihrem Künstlernamen auf sich hat und mit welcher Eigenschaft ihr absoluter Traummann überrascht.

Interview und Fotos: Lisa Marie Felgendreff

Lisa Marie Felgendreff, Inter.Vista

Du bezeichnest Dich als der Gunter Gabriel unter den Poetry­-Slammerinnen. Wie kamst Du zu diesem Vergleich?
Den gibt es seit einem Frauen-Slam hier in Magdeburg. Daran nahmen viele Mädchen mit ihren Tagebuchtexten über Herzschmerz und Gefühle teil. Damals bezeichnete ich mich noch als Lemmy Kilmister der Slammerszene. An dem Abend fiel mir auf, dass Gunter Gabriel besser zu mir passt. Ein alter Mann, ein bisschen ranzig, oll und etwas too much. Damit konnte ich mich gut identifizieren. Außerdem polarisiert er und ist sich treu geblieben. 

Du stehst seit über acht Jahren als Poetry­-Slammerin auf der Bühne. Wie kam es dazu?
Wie bei den meisten Slammern fing es auch bei mir mit einem alter nativen Ethiklehrer an. Der meinte, wir müssten Poetry-Slam in unserem kleinen Kaff groß machen. Er organisierte eine Veranstaltung, bastelte Plakate. Damals befasste ich mich erstmals näher mit dem Thema und sah ein Poetry-Slam-Video von Andy Strauß. Übrigens, immer noch mein Lieblingsslammer. Er hatte einen so ergreifenden Text, dass ich es auch probieren musste. Seitdem nahm ich an kleineren Slams teil. Erst als ich nach Magdeburg zog, schlitterte ich in die richtige Szene rein. Mittlerweile werde ich als Urgestein bezeichnet. 

Kannst Du Dich an Deinen ersten Slam noch erinnern?
Ich habe davon sogar noch eine DVD. Das Ganze wurde von unserem kleinen Dorf­Internetsender gefilmt und übertragen. Damals war ich noch eine richtige Kleinstadtzecke, die dachte: Jetzt verändere ich die Welt mit meinem Text. Ich schrieb über Werbung und Krieg, weil niemand besser darüber Bescheid weiß, als eine sechzehnjährige Kleinstadtpunkerin. Den Slam habe ich tatsächlich gewonnen, das war sehr cool. Vor kurzem las ich den Text nochmal in der Sternbar. Mir fiel auf, wie stark sich die Qualität meiner Texte seitdem verbessert hat.

Hattest Du schon vor Deinem Studium einen Bezug zu Magdeburg?
Meine Heimat Staßfurt liegt in der Nähe und ich hatte schon immer meinen Freundeskreis in Magdeburg. Ich kannte die Leute, die Stadt und ich fühlte mich hier wohl. Selbst als ich mein Abi in Niedersachsen machte, wollte ich unbedingt zurück. Das liegt auch ein bisschen an der Ost-West-Geschichte. Der Osten war mir immer sympathischer. 

Inter.Vista, Foto: Lisa Marie Felgendreff

Inter.Vista, Foto: Lisa Marie Felgendreff

Was warst Du für eine Studentin?
Ich war das eine alkoholisierte Girl unter den Informatikern. Zum Frühstück Kaffee und Kippe und dienstags in die Baracke. Ich freundete mich mit ein paar Leuten an, mit denen ich viel feierte und Blödsinn anstellte. Aber so richtig studiert haben wir nicht. Deshalb war es nach zwei Semestern auch vorbei, als ich merkte, dass Informatik nicht das Richtige für mich ist.

Du arbeitest als medizinische Laborantin. Wie bist Du zu Deinem Beruf gekommen?
Mich interessierten schon immer Naturwissenschaften, ich lese viel dazu. Die Arbeit im Klinikum sagte mir sehr zu. Vor allem in der Pathologie ist es total interessant. Es ist abgedreht, was Patienten alles haben können, wie das aussieht und wuchert. Das Kreative brauche ich aber als Ausgleich. Beides ergänzt sich großartig. Texte über Pathologie gehen gut. Beim letzten großen Hörsaal-Slam habe ich so einen in der Uni vorgetragen, das kam sehr gut an. Ein paar Leute aus der Pathologie waren auch da, die fanden den Text wirklich witzig.

»Meine größte Angst ist, auf der Bühne ohnmächtig zu werden.«

Wie können sich unsere Leser Deinen Arbeitsalltag in der Pathologie vorstellen?
Fast alles, was aus einem menschlichen Körper geschnitten wird, kommt zu uns ins Labor. Eine abgenommene Brust eines Krebspatienten oder ein Meter Darm, da ist alles dabei. Dann wird das vom Arzt zugeschnitten und wir bearbeiten es weiter, damit es diagnostiziert werden kann. Für die meisten Leute sind Organe einfach so weit weg. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass ich eine fünf Kilo schwere Niere auf dem Tisch hatte.

Was war das Interessanteste bisher?
Tatsächlich ein vierzehneinhalb Kilo schwerer Tumor, der aus einem Bauch geschnitten wurde. Ich hörte auch von einem vier Kilo schweren Hoden. Zu der Zeit hatte ich leider Urlaub und konnte ihn mir nicht selbst ansehen.

Blut und Innereien sind Dein Ding. Gilt das auch für Horrorfilme?
Null. Da kann ich nicht hinsehen, mir wird schlecht oder ich werde ohnmächtig. Ich bin im Kino ein richtiger Popcornwerfer, wenn man mit mir unbedingt in so einen Film gehen muss. Ich schaue hauptsächlich Kinderfilme. Disney ist meine Welt, sowas wie König der Löwen oder Mulan. Da kann ich alle Lieder mitsingen. Ich weiß, das ist ein krasser Gegensatz, aber Blut kann ich wirklich nur im echten Leben sehen.

Gemüse, Krieg, Neunziger-Partys, die Themen Deiner Slams sind vielfältig. Was inspiriert Dich?
Am besten ein Hassthema, das ich nicht mag, aber anderen Leuten wichtig ist. Zum Beispiel Feminismus. Darüber kann man sich wahnsinnig gut lustig machen. Gerade weil es momentan so ein großes Thema ist. Das ganze Genderzeug, das so super aufgebauscht wird. Ich finde das furchtbar anstrengend. Oder Themen die polarisieren, wie Rote Beete. Ich bekam noch nie so kontroverse Reaktionen, wie auf diesen Text. Jetzt überlege ich, an einem Weihnachtstext zu arbeiten. Das Blöde an saisonalen Texten ist, dass ich sie nur einmal im Jahr bringen kann. Aber dann kommen sie besonders gut an. Da ich überhaupt kein Fan von Weihnachten bin, dachte ich, ich könnte das schön breitlatschen. 

Wie entstehen Deine Texte?
Meistens trifft mich ein ›Schlag‹, ob bei der Arbeit oder in der Bahn. Besten falls kommt kurz vorm Einschlafen eine Idee, die sich festsetzt. Die schreibe ich dann auf. Ich habe zig Bruchstücke von Worten und Sätzen in meinem Handy. Irgendwann spinnt sich die Idee weiter und ich mache einen Text daraus. Bei einer Auftragsarbeit mit vorgegebenem Thema setze ich mich an den Laptop und schreibe erstmal einen Text runter. Später gucke ich nochmal drauf und denke: Reicht zum Vorlesen. (lacht)

Ist Dir auf der Bühne schon mal etwas richtig misslungen?
Noch nicht. Ich habe immer krasses Lampenfieber, mir wird schnell schwindelig. Meine größte Angst ist, auf der Bühne ohnmächtig zu werden. Das wäre so unnötig. Ich bin mir fast sicher, dass es noch passieren wird. Aber so viel kann man auf der Bühne gar nicht falsch machen. Ich sah mal, wie eine Slammerin sich komplett aufs Maul gepackt hat, weil sie mit einem Teppich über die Bühne rutschte. Selbst das war lustig und kam gut an. Gab Sympathiepunkte.

Du erwähntest Andy Strauß. Warum ist er Dein großes Idol?
Er hat komplett ›ein Rad ab‹. Also wirklich komplett. Er lebt in seiner eigenen Blase, hat sehr spezielle Gedankengänge, wie ein Mensch, der an einer Pinnwand mit roten Fäden seine Verschwörungstheorien zusammenspinnt. Auf der Bühne strotzt er vor Selbstbewusstsein. Letztens schrieb er darüber, besoffen auf einem Pferd unterwegs zu sein, weil es da keine Promillegrenze gibt. Also wenn das kein Traummann ist, dann weiß ich auch nicht.

Inter.Vista, Paula Günnisdóttir, Foto: Lisa Marie Felgendreff

Inter.Vista, Paula Günnisdóttir, Foto: Lisa Marie Felgendreff

Gibt es einen Unterschied zwischen Deinem Bühnen­-Ich und Deinem privaten?
Auf der Bühne bin ich nach außen gerichtet, überdreht und aufmerksamkeitsbedürftig, in meinem Freundeskreis auch. Ich werde häufig als laut bezeichnet, da ich eine starke Persönlichkeit habe, die vielen Leuten auf die Nerven geht. 

Du liebst es, zu polarisieren. Wie reagieren die Leute auf Dich?
Beim Slam merke ich das vor allem an den Jurytafeln. Auf der einen Seite sieht man Zehnen, auf der anderen Seite nur Fünfen. Die einen erreicht man, die anderen nicht. Manche erzählen, dass sie meinen flachen Witz nicht gut fanden oder dass ich mich über ein heikles Thema lustig gemacht habe. Andere sprechen mich auf Partys an und finden die Texte super, da sie mal was anderes seien. Es gefällt mir zu polarisieren.

Wie bist Du zu Deinem Künstlernamen gekommen?
Der entstand zu der Zeit, als jeder bei Facebook einen anderen Namen brauchte. Da entdeckte ich die skandinavische Namensbildung. Dafür nimmt man den Namen seines Vaters und hängt entweder dóttir für Tochter oder son für Sohn hinten an. So wie bei Nils Holgerson, dem Sohn von Holger. Mein Vater heißt Günni und so wurde es dann Günnisdóttir. Für eine Slam-Anmoderation wurde ich mal nach meinem Facebook-Namen gefragt. Seitdem heiße ich Paula Günnisdóttir. Vermutlich bin ich unter diesem Namen sogar bekannter, als unter meinem echten.

»Ich bin im Kino ein richtiger Popcornwerfer.«

Als amtierende Stadtmeisterin kennst Du Dich bestens in der Magdeburger Slammer­-Szene aus. Was macht sie besonders?
Die Szene ist überschaubar, das gilt allgemein für Sachsen-Anhalt. Dafür kennen wir uns untereinander ganz gut. Fast alle in Magdeburg fingen bei den Regio-Slams in der Sternbar an. Dort sieht man immer mal wieder Newcomer. Momentan sind das sehr viele Mädchen. Es gibt hier relativ wenig Männer, die aber dafür sehr gute Texte schreiben. Wie der ehemalige Stadtmeister Leonard Schubert. Ich bin sein größter Fan. Viele Newcomerinnen orientieren sich zu oft an Slam-Videos oder an Sachen, wovon sie denken, das sei Poetry-Slam. Viel in die Richtung Julia Engelmann, mit Herzschmerz, Gefühlen und verflossenen Beziehungen. Davon bin ich kein großer Fan. Aber wir haben hier auch viele witzige und zynische Menschen, die ich sehr schätze. An denen orientiere ich mich selbst gern ein bisschen.

Gibt es jemand Neueren, den Du inspirierend findest?
Julian Raab, der den ersten Slam, an dem er teilnahm, direkt gewann. Er hat sich noch nie ein Slam-Video angeguckt. Er schreibt einfach drauf los und da kommen sehr gute Sachen raus. Bei den Frauen ist es für mich Katharina Herber. Mit ihr bin ich schon aufgetreten. Eine großartige Persönlichkeit, die extrem gute Texte mit überraschenden Wendepunkten und schönen stilistischen Mitteln schreibt. Da würde ich niemals herankommen.

Was müsste passieren, damit Du mit Poetry­-Slam aufhörst?
So richtig aufhören werde ich damit nie. Bis jetzt ist es keine Arbeit für mich, wenn ich ganze Wochenenden auf der Bühne stehe oder stundenlang im Zug sitze, um zu Auftritten zu fahren. Es ist immer pure Freude. Aber wenn ich mich zum Texteschreiben zwingen müsste, würde ich das wahrscheinlich zurückfahren. Oder falls ich meiner Linie nicht mehr treu bin. Aber so lange es mir Spaß macht, werde ich es durchziehen.

Du sprichst gerne Themen an, die politisch oder sozialkritisch sind. Bist Du selbst politisch aktiv?
In meiner Punkerphase war ich bei der Grünen Jugend. Natürlich versuchte ich, die Welt zu verändern und auf alle Missstände hinzuweisen. Ich war aber wahrscheinlich nicht genug informiert, um ganz oben mitzumischen. Auf Demonstrationen gehe ich noch regelmäßig. Ob Anti-AfD-Demos oder Tierrechte, wenn in Magdeburg etwas ansteht, dann gehe ich auch hin. Aber ich weiß nicht, ob ich die Zeit und das Durchhaltevermögen hätte, um selbst etwas Großes aufzuziehen. Ich werde niemals Facebook-Filter verwenden, um meine politische Meinung zu vertreten.

»Ich werde niemals Facebook-Filter verwenden, um meine politische Meinung zu vertreten.«

Du hast jede Menge Tattoos, erzählen die eigentlich auch eine Geschichte?
Die bisherigen versuchen eher meine Persönlichkeit in Farbe zu fassen. Aber ich ließ mir auch ein Tattoo stechen, weil ich den Aufkleber in der Dusche eines Kumpels cool fand. Ich dachte: wie geil, ein Taucher. Dann habe ich mir den Taucher und einen Astronauten stechen lassen. Die beiden ähneln sich und dann auch wieder nicht. Ich habe auch ein Tattoo zu meinem Lieblingsautor Dirk Bernemann. Auch ein interessanter und abgedrehter Mensch. Als ich frische 18 war, ließ ich mir sein Zitat »So dumm kommen wir nicht mehr zusammen« stechen und als Gegensatz dazu: »Wissen ist Freiheit, Wissen ist Macht«.

Inter.Vista, Paula Günnisdóttir, Foto: Lisa Marie Felgendreff

Inter.Vista, Paula Günnisdóttir, Foto: Lisa Marie Felgendreff

Vor kurzem hast Du an den deutschsprachigen Meisterschaften in Zürich teilgenommen. Wie hast Du sie erlebt?
Extrem, durch und durch. Schon die acht Stunden Zugfahrt hin und zehn zurück waren die Hölle. Das Hotel war irre und Zürich vor allem krass teuer. Die Leute waren wie eine Familie, in die ich erst mal hineinfinden musste. Ich war zum ersten Mal dabei, die meisten kannten sich schon untereinander. Außerdem haben sie so unendlich gute Texte geschrieben und waren so selbstsicher auf der Bühne. Jeder Text war einfach perfekt, vor allem auch die Team-Slams. Ich habe vor, demnächst ein kleines Team aufzumachen und gemeinsam aufzutreten. Mir wurde klar, wie viel Luft noch nach oben ist. Ich möchte mich mehr dahinterklemmen, um mich weiterzuentwickeln. 

Was hast Du persönlich daraus mitgenommen?
Viele Leute erzählten mir leider erst am letzten Abend, dass sie meinen Text cool fanden, meine Art oder mein Aussehen mochten. Mir fiel auf, wie wichtig es ist, Leute direkt auf etwas anzusprechen, bevor die Situation verflogen ist und die Chance nicht mehr besteht.

Wo siehst Du Dich in zehn Jahren?
Der Idealplan wäre 34 Jahre alt und glücklich. Das sind die Rahmenbedingungen.

Die Sternbar bezeichnest Du als Dein Slam­-Zuhause. Gibt es noch andere Orte, an denen Du Dich zu Hause fühlst?
Beim Poetry-Slam auf jeden Fall der Moritzhof und der große Uni-Hörsaal. Die Hörsaal-Slams sind einfach unübertroffen. Ansonsten bin ich sehr gern im Flower Power, ich kenne dort eine Menge Leute und es läuft genau meine Musik. Und in der WG von zwei Freunden, mittlerweile mein zweiter Wohnsitz, da verbringe ich jedes Wochenende.

Wenn Du spontan einen Text über Magdeburg schreiben müsstest, worum würde es gehen?
Ich würde entweder den Samstagabend aus Sicht eines Späti-Verkäufers erzählen oder eine längere Straßenbahnfahrt beschreiben. Wenn man im Späti am Hassel arbeitet, hat man alles gesehen, jeden Stress und jede Freude. Man ist immer mittendrin und lernt viele Personen unweigerlich kennen. Die Straßenbahn wäre bestimmt interessant, um einen Querschnitt der Leute aus Magdeburg zu haben. 

Wie würdest Du den typischen Magdeburger in drei Worten beschreiben?
Für mich ist das die neonrot gefärbte Magde-Mandy.

Dezember 2018
Interview aus INTER.VISTA 7

Vista.Schon?

Paula Michelmann ist 1994 in Staßfurt geboren und dort aufgewachsen. Nach einem begonnenen Computervisualistik-Studium an der OVGU machte sie eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Laborassistentin und arbeitet seit August 2018 in der Pathologie des Uniklinikums. Wenn sie nicht gerade selbst auf der Bühne steht, liebt sie es zu Konzerten zu fahren. Außerdem sammelt sie unfreiwillig Einhörner, die sie mittlerweile in jeder Größe, Farbe und Form besitzt. Außerdem war sie bei einem Tattoo-Cover-Up von taff im Fernsehen zu sehen.

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