Er ist einer der drei Sänger der Band The Baseballs. Mit den Jungs reiste er um die ganze Welt und gewann zahlreiche Musikpreise. Im Interview mit Inter.Vista erzählt er, warum er kein hundertprozentiger ›Rockabilly‹ ist, ob er schon als Kind der ›coole Rocker‹ war und woher seine Leidenschaft für Elvis rührt. Außerdem erfahren wir, wie es bei der Band zugeht, wenn sie auf Tournee ist.
Interview und Fotos: Vera Reinicke
Du warst vor kurzem in Memphis, der Stadt des Rock‘n‘Roll. Was hast Du da gemacht?
Wir haben dieses Jahr zehnjähriges Bandjubiläum. Anstelle eines einfachen Best-Of-Albums wollten wir unsere Songs nochmal neu aufnehmen. Das machten wir im Sun Studio in Memphis, in dem auch Elvis anfing. Das ist quasi der ›Birthplace of Rock‘n‘Roll‹.
»Ich bin froh über alles was passiert ist, auch über das Negative.«
Apropos Elvis. Warum magst Du ihn so sehr?
Ich bin relativ früh zu Elvis gekommen, da war ich acht oder sogar noch jünger. Samstagnachmittags liefen im Ersten immer die Elvis-Filme. Da war ich schon richtig begeistert von dieser Persönlichkeit und der Ausstrahlung, von der Stimme natürlich auch. Irgendwann war ich dann schon der ›kleine Elvis‹ in der Schule. Im frühen Teenageralter, so mit elf oder zwölf, hab ich eigentlich nur Elvis gehört. Er prägte maßgeblich einen Musikstil, auf dem bis heute alles aufbaut. Das faszinierte mich immer und deswegen ist es schön, dass mich mein Weg in diese Musik führte.
Du wurdest sechs Jahre nach Elvisʼ Tod geboren. Wenn Du einen Nachmittag mit Ihm verbringen könntest, was würdest Du mit ihm machen?
Einfach nur zusammen Musik machen. Das wäre das Großartigste.
Hast Du dich schon immer gern im Fünfziger-Look gekleidet?
In der Schule hatten wir so eine Art Miniplayback-Show und da hab ich »Love Me Tender« aufgeführt. Schon früher versuchte ich, mir die typische Tolle zu machen. Insofern war es immer ein Teil von mir. Aber ich bin kein Rockabilly oder jemand, der zu 100 Prozent wie in den Fünfzigern leben will. Aber ich mag den Stil sehr.
»Es ist schöner, sich an eine Zeit zu erinnern, als sie noch einmal zu erleben.«
Was sind die Fünfziger für Dich?
Entschleunigung. Permanent ›erreichbar sein‹ gab es damals nicht. Wenn eine Band für drei Monate auf Tour ging, konnte man froh sein, wenn einmal die Woche angerufen wurde. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Oder einen ganzen Nachmittag mit Freunden in einem Diner sitzen und Milchshakes trinken. Natürlich weiß ich, dass zu dieser Zeit nicht alles einfach war, vor allem auch im politischen Bereich. Aber der Lifestyle ist schon ziemlich cool.
Ihr seid immer sehr gut gestylt. Bist Du eitel?
Eitel vielleicht nicht, aber ich lege schon Wert auf mein Aussehen. Es gehört einfach zum Beruf des Musikers dazu, gut auszusehen. Das Wichtigste ist dabei aber, dass man sich selbst wohlfühlt und nicht nur darüber nachdenkt, was die anderen von einem denken.
Was fasziniert Dich an der Musik?
Ich habe schon immer gern gesungen. Meinen ersten Auftritt hatte ich mit vier Jahren beim Geburtstag meines Opas. Zuhause habe ich mein eigenes Studio und da setze ich mich abends gerne mal an mein Klavier und spiele einfach nur für mich. Musik ist Balsam für die Seele. Ich kann mir ein Leben ohne musik nicht vorstellen. Sie wird immer ein Teil von mir sein.
Wann hast Du Klavier spielen gelernt?
Ich hab’s mir selbst beigebracht. Das fing mit 13 Jahren an. Ich wollte mich selbst begleiten können. Wahrscheinlich würde sich jeder Pianist an den Kopf fassen, wenn er mich spielen sieht, aber für mich und das Komponieren reicht es. in der Schule hatte ich auch mal Geigenunterricht, aber das war eine Quälerei für mich und meine Umwelt. (lacht)
Wie sieht das Rockerleben bei Euch aus? Feiert Ihr viele Partys?
Ja klar, wir feiern auch. Aber das hat abgenommen. Wir sind jetzt seit zehn Jahren dabei und man kann nicht jeden Abend, wenn man auf Tour ist, eine wilde Party feiern. Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber dem Publikum. So ein Konzert ist für einige Leute ein Highlight des Jahres. Da sind wir einfach verpflichtet, jeden Abend das Bestmögliche zu geben.
Wie ist es für Dich, auf Tour zu sein?
Ein bisschen wie Klassenfahrt. Man lebt im Bus, das hat was von Camping. Abends schläft jeder in seiner Koje ein, man wacht am nächsten Tag in einer anderen Stadt auf, geht dann Backstage in den Club und duscht sich erstmal. Das hat nicht viel von Glamour, wenn man morgens mit verstrubbelten Haaren aus dem Bus steigt. Außerdem entwickelt sich in der Gruppe immer eine Eigendynamik. Manchmal entsteht dabei ein kruder, interner Humor. Da muss man aufpassen, den nicht auf die Bühne zu tragen. Den verstünden die Leute gar nicht.
Ihr habt schon einige Preise abgeräumt. Welcher ist Dir am wichtigsten?
Preise sind eine schöne Sache und eine Bestätigung der Arbeit. Aber sie sind nicht entscheidend. Der erste Echo, den wir als Bester Newcomer National gewannen, war natürlich ein riesiges Ding. Wir waren zum Beispiel in Neuseeland und Australien – das sind einfach Erlebnisse, die wir sonst nie gehabt hätten. Die sind schöner als jeder Preis.
»Wahrscheinlich würde sich jeder Pianist an den Kopf fassen, wenn er mich spielen sieht.«
Wie und wo hast Du deine Bandkollegen kennengelernt?
Wir lernten uns im Sommer 2007 in einem Proberaum in Berlin kennen. Ich probte dort mit meiner vorherigen Band. Wir sahen uns und erkannten schnell an unseren Frisuren, dass wir wohl einen ähnlichen Musikgeschmack haben. Darüber kamen wir ins Gespräch und machten an dem Abend noch gemeinsam Musik. Ein paar Monate später war uns klar, dass wir eigentlich was zusammen machen müssen. Als erstes fingen wir mit »Umbrella« an, weil das zu der Zeit ein Nummer Eins Hit war. Ein halbes Jahr später hatten wir unseren ersten Plattenvertrag.
Ist »Umbrella« deshalb auch Dein Lieblingssong?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Aber das war natürlich der eine besondere Song, mit dem alles losging. Wenn es ein Lied gibt, was für The Baseballs steht, dann ist es »Umbrella«.
Wie sehr hat sich Dein Leben verändert, nachdem Du so großen Erfolg hattest?
Man hat plötzlich von der Musik gelebt. Nach dem nationalen kam auch der internationale Erfolg. Gefühlt waren wir jeden Tag woanders. Das kann man erst gar nicht realisieren. Ich bin froh, dass das erst mit Mitte 20 passiert ist, weil man realistischer darauf guckt. Dadurch hatten wir auch keinen Höhenflug.
Würdest Du sagen, dass Du Dich verändert hast?
Natürlich. Wenn man so etwas zehn Jahre lang macht, verändert man sich. Ich bin vielleicht sogar noch ein bisschen bodenständiger als vorher, weil man vieles besser einzuordnen weiß und nicht jedes nette Wort zu ernst nimmt.
Du hast mit zwei anderen ein Lied für Helene Fischers neues Album komponiert. Wie kam es dazu?
Songwriting macht mir sehr großen Spaß. Irgendwann kam dann das Briefing für Helene Fischer raus. Ich dachte zunächst, dass ich da sowieso keine Chance habe. Ein Kumpel meinte zu mir, dass wir es einfach mal versuchen sollten. Wir haben das Lied »Nur mit dir« geschrieben. Danach holten wir noch einen Produzenten dazu. Im Mai letzten Jahres reichten wir es ein und dann passierte bis September nichts. Stille. Plötzlich erreichte uns eine E-Mail der Plattenfirma mit ein paar Änderungswünschen. Rund um Ostern hieß es dann, dass wir dabei sind. Als wir hörten, dass wir sogar der erste Song auf dem Album sind, freuten wir uns natürlich umso mehr. Helene Fischer ist auch eine herausragende Sängerin.
Bist Du ein Schlagerfan?
Auf jeden Fall. Ich bin generell offen. In jeder Musikrichtung gibt es gute und schlechte Lieder.
Die anderen aus deiner Band kommen aus den alten Bundesländern. Merkst Du manchmal noch Ost-West-Unterschiede?
Ja, ich bin der ›Quoten-Ossi‹. (lacht) Wenn ich »dreiviertel acht« sage, kommen wir schon in Schwierigkeiten. Deshalb haben wir uns auch angewöhnt, die genaue Uhrzeit zu sagen, nämlich »sieben Uhr fünfundvierzig«.
Gibt es irgendeine Zeit im Leben, zu der Du gerne nochmal zurückkehren würdest?
Eigentlich nicht. Ich bin froh über alles, was passiert ist, auch über das Negative. Weil es den Menschen prägt. Es ist schöner, sich an eine Zeit zu erinnern, als sie noch einmal zu erleben.
Wo bist Du hier zur Schule gegangen?
Ich war am Gymnasium Otto-von-Guericke, das gibt es ja leider nicht mehr.
Würdest Du lieber ein Jahr ohne Internet oder ohne Fernsehen leben?
Ohne Fernsehen, weil ich dann immer noch im Internet Fernsehen schauen kann. (lacht)
Warst Du schon in der Schule der › coole Rocker‹?
Nein, cool war ich nie und bin es bis heute nicht. Ich akzeptierte aber auch irgendwann, dass ich es nie sein werde. Das ist eine Sache, die das Leben leichter macht. (lacht) In meiner Jugend war es auch eher uncool auf Elvis zu stehen.
Du hast 2015 die schwul-lesbische Fußballeuropameisterschaft gewonnen. Was hat das für Dich bedeutet?
Das war ein super Wochenende. Wir hatten eine tolle Mannschaft. Ein großer Erfolg, den wir im Anschluss ordentlich gefeiert haben. Ich weiß auch immer noch nicht, wo der Pokal gerade rumliegt. (lacht)
Gibt es Unterschiede zu ›normalen‹ Turnieren?
Nein. Eigentlich geht es bei solchen Turnieren auch darum, zu zeigen, dass gar nichts anders ist. Da heult auch keiner, wenn mal gefoult wird. Da gibt es eher mal einen witzig gemeinten Spruch, wie zum Beispiel »So’n schwuler Pass!«. Aber ich wünsche mir, dass irgendwann soviel Akzeptanz erreicht wird, dass solche Extraveranstaltungen nicht mehr nötig sind.
Hattest du schon einmal Probleme aufgrund Deiner Homosexualität?
Anfeindungen hat jeder schon mal erlebt. Zum Beispiel, wenn ich in Berlin mit einem Partner händchenhaltend durch die Stadt gelaufen bin. Da kamen auch mal dumme Sprüche. Mehr ist mir zum Glück noch nicht passiert.
Auf deinem Instagram-Profil sieht man, dass Du sehr gern Eis isst. Was ist denn Deine Lieblingssorte?
Am liebsten mag ich Joghurteis-Variationen. Wer isst nicht gerne Eis? (lacht)
Vinyl oder mp3?
Ich müsste jetzt klischeemäßig Vinyl sagen. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es doch unglaublich unpraktisch mit einem Schallplattenspieler durch die Straße zu laufen. Dann lieber doch mp3.
»Das hat nicht viel von Glamour, wenn man morgens mit verstrubbelten Haaren aus dem Bus steigt.«
Was hat Magdeburg, was Berlin nicht hat?
Begeisterungsfähigkeit, vor allem für Sport. Keinen ICE-Anschluss. Mehr Einkaufsfläche pro Kopf. Aber eigentlich ist Berlin für mich nur das größere Magdeburg. Von der Mentalität sind die beiden Städte gar nicht so unterschiedlich. Außerdem gibt es in beiden Städten sehr viel Grünfläche, was ich sehr mag.
Meinst Du, das Image von Magdeburg hat sich schon etwas gebessert?
Definitiv. Ich glaube, es kann immer noch besser werden. Aber das negative Bild beruht meistens auf Unkenntnis. Manche Freunde, die zum ersten Mal hier waren, meinten, dass Magdeburg eine sehr schöne Stadt ist.
Hast Du hier einen Lieblingsort?
Ich bin in der Stadtfelder Ecke groß geworden, weswegen ich dort am liebsten bin. Das ist immer wie eine Reise durch die Vergangenheit.
Kannst Du Dir vorstellen, später wieder nach Magdeburg zu ziehen?
Vielleicht irgendwann einmal. Aktuell nicht. Ich fühle mich super wohl in Berlin. Das hat aber auch mehr was damit zu tun, dass ich meinen ganzen Freundeskreis dort habe. Aber ein- bis zweimal im Monat bin ich schon hier in Magdeburg.
Was ist Deine schönste Erinnerung an Magdeburg?
Ein tolles Erlebnis war das Domplatz Open Air 2001. Da wurde ein Theaterstück aufgeführt und ich arbeitete zu der Zeit als Statist. Es war so ein schöner Sommer, weil man jeden Abend unter’m Dom auf der Bühne stand. Ich hatte hier viele tolle Erlebnisse.
Was möchtest Du in zehn Jahren erreicht haben?
Immer noch hauptberuflich in der Musik sein. Aber ich bin offen für das, was passiert. In den nächsten zehn Jahren wäre auf jeden Fall eine eigene Familie fällig. Es wäre schön, privat mein Glück zu finden und vielleicht auch eigene Kinder zu haben.
Juni 2017
Interview aus INTER.VISTA 4
Vista.Schon?
Sebastian Rätzel ist 1983 in Magdeburg geboren und lebte dort bis 2005. Vor seiner Musikerkarriere absolvierte er eine Ausbildung zum Kaufmann für audiovisuelle Medien bei der ProSiebenSat.1 Media AG in Berlin. Er ist ein Langschläfer und mag keine engstirnigen und undankbaren Menschen. Sein Lebensmotto: Nimm Situationen so an, wie sie sind und bleib flexibel. Magdeburg beschreibt er als grün, blau-weiß und als Heimat.
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