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Hans-Günther Pölitz

Wenn es um politisch-satirisches Kabarett geht, ist die Magdeburger Zwickmühle seit 20 Jahren eine der Top-Adressen in Magdeburg. Fast jeden Abend steht Hans-Günther Pölitz mit seiner Spielpartnerin Marion Bach dort auf der Bühne. Über 40 Jahre ist der Gründer des ersten privaten Kabaretts Magdeburgs nun schon im Geschäft. Mit Inter.Vista spricht er über seine Kabaretterfahrungen in der DDR, seine erste Begegnung mit Magdeburg und erzählt, warum der MDR seine Kolumne zum »Fall Böhmermann« nicht sendete.

Interview und Fotos: Tobias Barthel 

Herr Pölitz, die Zwickmühle feierte in diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum. Geraten Sie persönlich auch des Öfteren in die Zwickmühle?
Wenn wir keine Erfahrung mit diesem Begriff gemacht hätten, hätten wir ihn sicherlich nicht gewählt. Jeder gerät in seinem Leben mal in eine Zwickmühle, also in eine schier ausweglose Situation. Außerdem haben wir bereits das Studentenkabarett in Zwickau Zwickmühle genannt. Daher entschieden wir uns bewusst für diesen Namen und ich habe meine Wurzeln sozusagen mit nach Magdeburg genommen.

1972 begannen Sie mit dem Studentenkabarett an der Pädagogischen Hochschule Zwickau. Wann kam bei Ihnen das Interesse für politische Themen auf?
Zu der Frage, wie ich überhaupt zum Kabarett gekommen bin, muss ich sagen: durch Faulheit. Ein Begriff, der ja bei Studenten nicht ganz unbekannt ist. (lacht) Damals war es im ersten Studienjahr Pflicht, ein Testat in einem kulturell künstlerischen Fach abzulegen. Irgendwo, ziemlich weit unten auf der Anmeldeliste, stand auch Kabarett. Ich dachte mir, dass man da in dem einen Jahr schon nicht so viel machen müsste. Da schnappte die Falle zu. Es hat mich mehr und mehr in Beschlag genommen, weil das Kabarett die Möglichkeit bot, Denkanstöße für gesellschaftliche Probleme zu geben. Das war ja in der DDR nicht unbedingt allgegenwärtig.

Wie hat sich das Kabarett seit Ihrer Anfangszeit verändert?
Kabarett verändert sich immer. Es muss in der Zeit betrachtet werden, in der es gemacht wird. In der DDR war eine ganz andere Art des Kabaretts an der Tagesordnung. Man wusste nicht wirklich viel über Politiker und ihre Namen kamen beispielsweise gar nicht direkt vor. Vielmehr hat man sich einiger Hilfskonstruktionen bedient. So erwähnte man zum Beispiel den Namen Erich, indem man in einem Satz die Worte ›Er‹ und ›ich‹ einanderfolgen ließ. Da das damalige Publikum ein sehr sensibles Hör- und Sehverhalten hatte, konnte es mit diesen Anspielungen viel anfangen. So konnten wir an der Zensur, die damals natürlich nicht so genannt wurde, vorbeiagieren. Zumindest hier in Magdeburg machten wir den Funktionären deutlich, dass es keinen Sinn macht, ein Textbuch zu beurteilen, ohne das gesprochene Wort auf der Bühne zu erleben. Als Kabarettist kannst du auch das Telefonbuch so vorlesen, dass es hinterher verboten wird.

Inter.Vista, Hans Günther Pölitz, Foto: Tobias Barthel

Inter.Vista, Hans Günther Pölitz, Foto: Tobias Barthel

Gab es einen Fall, bei dem die Politik durch Einschränkungen eingriff?
Ein Jahr vor der Wende planten wir, gemeinsam mit der Herkuleskeule in Dresden ein Programm mit dem Titel »Der Fortschritt ist hinter uns her« herauszubringen. Premierentermin war im November 1988. Das Programm durfte jedoch, außer bei einer öffentlichen Generalprobe, nicht aufgeführt werden. In einer Phase, in der die Zeitschrift Sputnik aus dem Postzeitungsvertrieb der DDR entfernt wurde, da sie nach Meinung der politischen Führung zu sehr von Gorbatschows Glasnost und Perestroika geprägt war, hatte sich absolute Eiszeit eingestellt. Mit den SED-Funktionären war zu diesem Zeitpunkt keine Diskussion mehr möglich, während es in früheren Gesprächen durchaus ab und zu noch gelungen war, unsere Meinung durchzusetzen.

Im Jahr 1984 kamen Sie als künstlerischer Leiter des Kabaretts Zange nach Magdeburg. Was war Ihr erster Eindruck von der Stadt?
Bereits Ende der siebziger Jahre hatten wir mit dem Hochschulkabarett mehrere Gastspiele an der Pädagogischen Hochschule in Magdeburg. Meine erste Begegnung mit der Stadt war deprimierend. Wir kamen hier an einem kalten, verregneten Novembertag an. Hier willst du nicht begraben sein, dachte ich mir. Das ändert sich aber, wenn man erst einmal länger hier lebt und auch die Magdeburger kennenlernt. Die Menschen waren anfangs skeptisch, aber jetzt verspüren wir eine derartige Treue und Herzlichkeit, die ihresgleichen sucht.

»Mit so einer Haltung werden wir keine Kulturhauptstadt werden.«

Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Stadt?
Magdeburg leidet an der schlimmen Tatsache, dass es nach der Zerstörung im Krieg nicht wieder originalgetreu aufgebaut wurde. Stattdessen versuchte man, eine ›sozialistische Großstadt‹ zu schaffen. Das äußerte sich zum Beispiel in großen Magistralen, die parallel durch die Stadt verliefen. Dadurch konnte kein urbanes Stadtzentrum entstehen. Was hier nach der Wende an Einkaufszentren errichtet wurde, zählt mit Sicherheit nicht zu den Highlights der deutschen Baukunst. Offensichtlich kennen die Architekten nur den rechten Winkel und dazugehörige Glasverblendungen. Auch bei den zukünftigen Projekten kann bezweifelt werden, ob das wirklich das Optimale für Magdeburg ist. Aber da heutzutage alles eine Frage des Geldes ist, kann man sich hinter dem Argument, dass alles andere zu teuer wäre, verschanzen.

1996 gründeten Sie die Zwickmühle als das erste private Kabarett Magdeburgs. Was bewog Sie dazu?
Mitte der Neunziger war ich als Kabarettist und Autor bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft tätig. In der Presse erschien damals ein Ranking, das deutsche Städte unter anderem nach ihren kulturellen Möglichkeiten auflistete. Magdeburg war ziemlich weit hinten. Da ich die Idee hatte, etwas Eigenes zu machen, bot sich dafür Magdeburg an. Ich war ja schon vor meiner Zeit in München vom Publikum gebeten worden, hier in der Stadt zu bleiben und hatte versprochen, dass man zu gegebener Zeit wieder etwas von mir hört. Das Versprechen habe ich damit eingelöst.

»Jan Böhmermann hat aus meiner Sicht der Satire eher geschadet als sie zu revolutionieren.«

Magdeburg bietet mittlerweile ein breit gefächertes Kulturangebot. Hat die Stadt das Zeug zur Kulturhauptstadt 2025?
Da sehe ich noch großen Entwicklungsbedarf. Als Ganzes betrachtet, sind wir vielleicht im ersten Drittel des ersten Drittels angekommen.

Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Auf allen Gebieten. Kultur ist ja mehr als nur Kunst. Das geht schon bei der Kultur des Umgangs mit den Kultureinrichtungen untereinander los. Von München, Dresden und anderen Städten kenne ich es, dass in der Stadt ein gemeinsamer Spielplan hängt. Alle Einrichtungen gehören da zum kulturellen Aushängeschild der Stadt und werden beworben. Hier werden eklatante Unterscheidungen zwischen privaten und kommunalen Einrichtungen gemacht. Mit so einer Haltung werden wir keine Kulturhauptstadt werden.

Beim MDR läuft Ihre wöchentliche Radio-Kolumne Pölitz-Frühstück, in der Sie samstags die aktuellen Themen der Woche satirisch aufbereiten. Wie ist die Idee entstanden?
Ein MDR-Redakteur trat 1997 mit der Idee an mich heran. Mittlerweile sind wir damit im 19. Jahr.

An welchem Wochentag schreiben Sie Ihre Texte für die Kolumne?
In der Regel am Freitag. Nach dem Frühstück setze ich mich hin und rekapituliere, was ich ab Montag in der Zeitung gelesen habe. Ich mache mir nicht akribisch Notizen. Ich denke, was bei mir von der Woche im Gedächtnis hängen blieb, das wird auch beim Hörer hängen geblieben sein. Satire kann man nur über etwas machen, was bekannt ist. Dabei führen Sie immer ein scheinbares Gespräch mit ›Muttilein‹.

Wen meinen Sie damit?
Mit ›Muttilein‹ ist nicht die Mutter gemeint. Das könnte man ja vermuten. Im sächsischen Sprachraum, aus dem ich ja komme, ist es durchaus üblich, dass sich Eheleute untereinander mit ›Mutti‹ und ›Vati‹ ansprechen. Also rede ich in der Kolumne mit der Ehefrau.

Sie sprechen dabei auch kontroverse Themen an. So beispielsweise Böhmermanns Schmähkritik am türkischen Präsidenten Erdoğan. Ihre Kolumne dazu wurde vom MDR nicht gesendet. Wie lautete die Begründung des Senders?
Ich durfte die Kolumne gar nicht erst einsprechen. Die Begründung des MDR war, dass es eine Familiensendung wäre, in der solche Begriffe nicht angebracht wären. Außerdem wolle sich der MDR mit diesem Thema nicht bundesweit profilieren. Dabei habe ich die originalen Formulierungen aus Böhmermanns Gedicht nur verwendet, um diese in einen wirklich politischen Kontext zu stellen.

Wie stehen Sie zum »Fall Böhmermann«?
Satire sollte nicht in Beleidigung ausufern. Egal ob Staatsoberhaupt oder ganz normaler Bürger, man kann nicht ohne Anhaltspunkt Unterstellungen machen. Man muss den politischen Aspekt in den Mittelpunkt zu stellen. So wie es eine Woche vorher bei extra3 gemacht wurde. Jan Böhmermann hat aus meiner Sicht der Satire eher geschadet als sie zu ›revolutionieren‹, weil dadurch ein vorauseilender Gehorsam entstanden ist. Es wird nun schon wieder vorher hinterfragt, ob man Dinge darf oder nicht.

Was darf Satire?
Da halte ich es mit Kurt Tucholsky: Satire darf alles – füge aber noch hinzu – wenn sie gut gemacht ist. Nur irgendetwas in die Welt zu posaunen oder jemanden zu beleidigen, ist noch keine Satire.

Die Magdeburger Zwickmühle bietet jeden Mittwoch vergünstigten Eintritt für Schüler und Studenten an. Stößt dieses Angebot auf große Resonanz?
Sie könnte größer sein. Die Zuschauer beim politischen Kabarett sind eher mittleren Alters und aufwärts. Um am politisch-satirischen Kabarett Spaß haben zu können, sollte man vorher auch mal die Zeitung gelesen oder Nachrichten geschaut haben. Wenn man die politischen Abläufe nicht verfolgt und bestimmte Namen nicht kennt, kann ich im Kabarett auch nicht darüber lachen. Viele Jugendliche verschreiben sich deshalb doch eher der Comedy, weil man da weniger Vorwissen benötigt. Aber es gibt in Magdeburg einige sehr engagierte Lehrer, die mit ihren oberen Klassen zu uns kommen und anschließend berichten, dass die anfängliche Skepsis der Jugendlichen in Interesse und der Frage nach einem nächsten Besuch umgeschlagen ist.

Bietet Satire die Chance, auch junge Menschen für politische Themen zubegeistern?
Auf jeden Fall. Voraussetzung ist aber, wie gesagt, ein bisschen Interesse an der Politik und am gesellschaftlichen Leben zu haben. Um das oben Gesagte zu ergänzen: Es ist schön zu sehen, wenn die Schüler in der Pause, mit ihrer Freundin telefonierend, durch das Foyer laufen und dabei Sätze fallen wie: »Eh, das is cool hier, da musste mal mitkommen.«

Wie beurteilen Sie die aktuelle politische Situation in Sachsen-Anhalt?
Sehr kompliziert und besorgniserregend. Das gilt nicht nur für Sachsen-Anhalt. Es geht wieder um existenzielle Probleme, teilweise sogar um Krieg. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich in meinem Leben noch mal ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen muss. Wenn jetzt schon die ersten Politiker Worte wie ›Dritter Weltkrieg‹ nutzen, tanzen wir ganz nah am Kraterrand des Vulkans.

»Wir kamen hier an einem kalten, verregneten Novembertag an. Hier willst du nicht begraben sein, dachte ich mir.«

Was sagen Sie zum Thema AfD?
Die AfD schaffte es bis jetzt nicht, auch nur eine einzige politische Sache ins Rollen zu bringen. So eine Partei, die nachweislich Verbindungen zu rechsradikalen Kräften hat, soll die politische Situation als zweitstärkste Partei im Landtag mitbestimmen? Sie nur zu verteufeln, macht aber keinen Sinn. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen und dem Zuschauer klar machen, was er da eigentlich gewählt hat. Und das versuchen wir mit unseren Programmen auf der Bühne.

Ihr Schaffen wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Gibt es eine Auszeichnung, die Ihnen besonders viel bedeutet?
1990 bekam ich gemeinsam mit Michael Rümmler den Salzburger Stier (Kleinkunstpreis der deutschsprachigen Rundfunkanstalten; Anm. d. Red.) verliehen. Das war die erste und wohl auch internationalste Auszeichnung, neben dem schweizerischen Kabarettpreis Cornichon oder dem Leipziger Löwenzahn. Jeder verliehene Preis zeugt davon, dass andere unsere Arbeit schätzen. Das ist natürlich für uns auch Verpflichtung, an unserem Motto festzuhalten: Wo Magdeburger Zwickmühle drauf steht, ist auch politisch-satirisches Kabarett drin.

Inter.Vista, Hans Günther Pölitz, Foto: Tobias Barthel

Inter.Vista, Hans Günther Pölitz, Foto: Tobias Barthel

Seit Anfang Juli ist die Magdeburger Zwickmühle in der jährlichen zweimonatigen Spielpause. Wie verbringen Sie die freie Zeit?
Frei habe ich nur ›von der Bühne‹, aber nicht vom Schreibtisch. Da sitze ich und arbeite am neuen Programm mit dem Titel »Kommt Zeit, kommt Tat«, das am 14. August in die Proben gehen soll. Mein Urlaub findet also im Dachgeschoss vor meinem Computer statt. (lacht)

Das hört sich an, als würden Sie nie ganz abschalten können.
Ganz abschalten kann man in diesem Beruf sowieso nicht. Da beneide ich jeden Tischler oder Schlosser, der zu einem festen Zeitpunkt mit der Arbeit aufhören kann.

Gab es Momente, in denen Sie es bereuten, Kabarettist geworden zu sein?
Vor jeder Premiere. (lacht) Nein, ich darf nicht vergessen, dass ich einen privilegierten Beruf habe, in dem Hobby und Beruf zusammenfallen. Es gibt so viele Menschen, die ihr Leben lang einer ungeliebten Tätigkeit nachgehen müssen, um ihr täglich Brot zu verdienen. Von daher kann ich mich nicht beklagen, auch wenn ich wenig Freizeit habe.

»Viele Jugendliche verschreiben sich doch eher der Comedy, weil man da weniger Vorwissen benötigt.«

Am 13. September feiert Ihr neues Programm »Kommt Zeit, kommt Tat« Premiere. Können Sie einen kleinen Ausblick geben?
Nein, die Tat kommt erst, wenn die Zeit ran ist. Im Grunde genommen bleiben die politischen Themen und Probleme ja stabil, so dass die jetzigen Programme eigentlich nichts an Aktualität verloren haben. Jedoch ist nach einer Spielzeit nahezu das komplette Zuschauerpotenzial abgespielt. Unsere Aufgabe ist es, die Erkenntnisse neu zu reflektieren und sie so zu interpretieren, dass der Zuschauer glaubt, er hätte noch nie etwas zu diesem Thema gehört.

Wo sehen Sie die Magdeburger Zwickmühle in fünf Jahren?
In meinem Alter sollte man nicht mehr in zu großen Abständen denken. Ich hoffe, dass sich die Zwickmühle dann ›noch am Markt befindet‹, wie man heute sagt. Eine zentrale Aufgabe für die Zukunft ist es, jemanden zu finden, der die Zwickmühle auch nach meiner Zeit weiterführen möchte.

Interview aus INTER.VISTA 2

Vista.schon?
Hans-Günther Pölitz, Jahrgang 1952, wurde im sächsischen Waldheim geboren. Nach Stationen in Zwickau und Dresden kam er 1984 nach Magdeburg und war im Kabarett Zange und bei den Kugelblitzen als Autor, Kabarettist, künstlerischer Leiter´und Direktor tätig. 1994 und 1995 war er Mitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, bevor er 1996 das Kabarett Magdeburger Zwickmühle gründete, das er selbst als seinen Lieblingsort in der Stadt auserkoren hat. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Magdeburg in drei Worten, das heißt bei ihm: quadratisch, praktisch, gut.

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