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Pascal Begrich

Wo andere nur von Verbesserung reden, lässt er Worten Taten folgen. Pascal Begrich leitet seit 2009 Miteinander e.V., das Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt. Im Interview mit Inter.Vista erzählt er von dem Schlüsselerlebnis, das ihn dazu bewegte sich sozial zu engagieren, wie nah ihm seine Arbeit geht und wie er es schafft, abzuschalten.

Interview und Fotos: Marie Wintgen

Ist Magdeburg weltoffen?
Einerseits: Ja, Magdeburg ist eine weltoffene Stadt. Es gibt viele engagierte Menschen, die sich für Demokratie und Weltoffenheit einsetzen. Und andererseits: Nein, Magdeburg ist keine weltoffene Stadt, weil es noch viele gibt, die sich eine rein deutsche Stadt wünschen. Es gibt Rassismus, es gibt Mobilisierungen gegen Flüchtlinge und insofern bleibt die Weltoffenheit eine Herausforderung. Aber eine, die man angehen kann.

Was bedeutet Weltoffenheit genau?
Weltoffenheit bedeutet für mich Vielfältigkeit. Eine Vielfalt an Menschen und Lebenseinstellungen. Und es bedeutet ein gesellschaftliches Klima, in dem man hier angstfrei leben kann, egal mit welcher Hautfarbe, Religion, sexueller Einstellung oder welcher Lebensgestaltung auch immer.

Was müsste Magdeburg in Sachen Weltoffenheit und Demokratie noch verbessern?
Magdeburg ist ja kein homogener Block, dem man raten könnte dies oder das zu tun. In den Jahren seit der Wende hat sich hier vieles verändert, die Stadt ist weltoffener als in den Neunzigern. Wichtig ist und bleibt das Bekenntnis zur Weltoffenheit durch die Bevölkerung, das ist immer ausbaufähig. Des Weiteren bleibt auch die Auseinandersetzung mit denjenigen, die ihre Ängste und Vorurteile in Hass gegenüber bestimmten Menschengruppen umschlagen lassen, von höchster Priorität.

Sind Sie gebürtiger Magdeburger?
Nein, ich bin gebürtig aus Erfurt. Ich habe lange Zeit in Genthin gelebt, aber seit mehr als der Hälfte meines Lebens ist Magdeburg meine Heimat.

Wie kamen Sie nach Magdeburg?
Ich kam 1990 mit meinen Eltern her, da war ich 16 Jahre alt. Sie haben hier beruflich neu angefangen und ich habe dann Geschichte, Anglistik und Germanistik studiert. Nach meinem Studium konnte ich mich hier beruflich sehr gut entwickeln.

»Manchmal ist Ferne hilfreich, um zu erkennen, was in der Nähe wichtig ist.«

Was gefällt Ihnen an der Stadt?
Mir gefallen die Lage an der Elbe und die vielfältige Geschichte mit all ihren Brüchen, Problemen und Herausforderungen. Magdeburg ist oft erst auf den zweiten Blick eine schöne Stadt. Das finde ich spannender als andere Orte, die diese Brüche nicht aufweisen.

Und was gefällt Ihnen nicht?
An der Stadt fehlt mir ein bisschen die großstädtische Atmosphäre. Das mag jetzt widersprüchlich sein, weil Magdeburg ja eine Großstadt ist. Aber ich habe immer das Gefühl, dass man das studentische und kulturelle Leben hier stärker ausbauen könnte. Das hat auch viel mit fehlenden Plätzen zu tun, wo sich dieses großstädtische Leben konzentrieren könnte. Außerdem kommt mir die Auseinandersetzung mit den schwierigen Epochen der Stadtgeschichte, bei der Fokussierung auf Otto den Großen, Otto von Guericke und all den anderen Ottos zu kurz (lacht).

Was denken Sie über die derzeitige politische Situation in Magdeburg?
Es gibt leider eine große Minderheit an Menschen, die ein Problem mit Vielfalt hat, sich nicht damit arrangieren will oder kann und das auch offen auf der Straße zeigt. Das drückt sich in Demonstrationen, Diskriminierung, Gewalt, aber auch im Wahlverhalten aus, zum Beispiel im Aufstieg einer Partei wie der AfD, die ein explizit 
nicht weltoffenes Modell der Gesellschaft verfolgt. Das ist natürlich eine große Herausforderung und betrifft nicht nur Magdeburg sondern ganz Sachsen-Anhalt.

Inter.Vista, Pascal Begrich, Foto: Marie Wintgen

Inter.Vista, Pascal Begrich, Foto: Marie Wintgen

Sie haben gerade schon angesprochen, dass die negativen Dinge immer ein bisschen unter den Tisch fallen. Denken Sie, dass Rechtsextremismus und Rassismus hier genug Aufmerksamkeit zuteilwird?
Wie soll man feststellen, wie viele Maßnahmen und Aktivitäten genug sind? Es wird eine Menge getan, die Stadt engagiert sich sehr, sowohl finanziell, als auch personell. Manchmal wünsche ich mir aber deutlichere Worte der Stadtoffiziellen nach Vorfällen rechter Gewalt. Es ist gut, wenn sich der Oberbürgermeister dazu äußert und klarstellt, dass hier kein Platz für so etwas ist. Das passiert aber leider nicht immer, oder seltener als wir es uns wünschen.

Was wünschen Sie sich generell für die Zukunft Magdeburgs?
Ich wünsche mir eine Stadtplanung, die kulturelle und menschliche Aspekte stärker berücksichtigt und weniger die wirtschaftlichen Interessen in den Mittelpunkt stellt. Eine weitere Ausdifferenzierung und Förderung der kulturellen Landschaft in Magdeburg, gerade mit dem Blick auf die Ambitionen, Kulturhauptstadt zu werden.
Ich wünsche mir viele Initiativen, die auch alternative Geschichten zum Mainstream erzählen. Es gibt immer die eine große Kultur, die sehr wichtig ist, aber genauso bedeutend ist die Off-Kultur.

Was war früher Ihr Traumberuf?
Als ich Schüler war, hat sich das natürlich sehr oft verändert. Ich wollte sogar mal Apotheker werden, aber eigentlich möchte ich schon seit vielen Jahren als Historiker arbeiten. Da habe ich mit meinem Beruf als Geschäftsführer von Miteinander e.V. zwar nicht so ganz das Ziel erreicht, aber meine Arbeit hier hat viel mit Erinnerungskultur und der Geschichte der Stadt zu tun. Insofern bin ich damit ganz zufrieden.

Wie kamen Sie zu Miteinander e.V.?
Über mein Studium. Meine Magisterarbeit habe ich über das Außenlager von Buchenwald bei den Poltewerken hier in Magdeburg geschrieben und darüber auch referiert. Dort fragte man mich, ob ich nicht bei Miteinander e.V. auf Honorarbasis tätig sein möchte. Ich bekam eine Vertretungsstelle als Kollegen in Elternzeit gingen. Seit 2009 bin ich Geschäftsführer. Ich bin hier geblieben, weil mir die Arbeit sehr gefällt und ich hier viel selbst gestalten kann und weil ich an der Stadt hänge.

Gab es einen bestimmten Punkt, an dem Sie sich entschlossen haben, sich sozial zu engagieren?
Manchmal ist Ferne hilfreich, um zu erkennen, was in der Nähe wichtig ist. Ich bin 1992 nach der elften Klasse ein Jahr in den USA gewesen. Das war die Zeit der vielen Brandanschläge hier in Magdeburg und das Jahr des Mordes an Torsten Lamprecht, dem ersten Todesopfer rechter Gewalt in der Stadt. Es gab rassistische Diskurse und viele Menschen in der Stadt, die das nicht als Problem sehen wollten. Aus der Ferne kriegt man das auf einmal ganz anders mit, sieht alles mit anderen Augen. Man wird auch gefragt: Was ist da los in Deutschland, was ist euer Problem? Da kommt man in Erklärungsnot. Ich kam aus den USA mit dem Vorsatz wieder, irgendetwas tun zu müssen. Ich habe mich dann in Jugendinitiativen und im Studium engagiert. Das Thema spielte dann insofern im Studium auch eine Rolle, weil ich mich auf die Geschichte des Nationalsozialismus und der DDR fokussierte. Also speziell auf Zeiten, in denen Demokratie eine Herausforderung für die Gesellschaft darstellte.

Haben Sie in Ihrer Arbeit schon einmal resigniert?
Es gibt immer mal wieder diese Momente, in denen man sich fragt: Komme ich tatsächlich voran? Miteinander e.V. wurde 1999 gegründet, in Reaktion auf den Einzug der DVU in den Landtag von Sachsen-Anhalt mit 13 Prozent. Das war damals das höchste Wahlergebnis das jemals von einer rechtsextremen Partei erreicht wurde.17 Jahre später ist die AfD in den Landtag gewählt worden, sogar mit fast 25 Prozent. Insofern fragt man sich dann manchmal schon: Was ist in 17 Jahren an Arbeit geleistet worden? Was ist davon nachhaltig? Wie kann man so etwas verhindern? Die Antwort ist leicht: Das kann man nicht. Es wird immer diese Probleme geben. Man darf nur nicht aufhören, dagegen anzugehen.

Was war Ihrer Meinung nach das Wichtigste, das Miteinander e.V. bisher erreicht hat?
In Zusammenarbeit mit dem Bündnis »Gegen Rechts« haben wir einen neuen Umgang mit rechtsextremen Ereignislagen erreichen können. Ich mache das an den Aufmärschen fest, die Nazis lange Zeit im Januar hier durchgeführt haben. Es war sehr schwierig, die Stadt und ihre Bevölkerung davon zu überzeugen, dass dies ein Thema ist, mit dem man einen Umgang finden muss. Wie gehen wir damit um, wenn 1.000 Neonazis durch die Stadt laufen und Menschen Angst haben müssen? Heute gehen in jedem Januar viele Demonstranten auf die Straße und sagen: »Wir stehen nicht für diese Art von Geschichtsbetrachtung. Wir stehen nicht für den Aufmarsch von Neonazis.«

Was möchten Sie unbedingt noch erreichen?
Unser ehemaliger Vereinsvorsitzender Hans Jochen Tschiche hat immer gesagt, unser Ziel müsse es sein Miteinander e.V. abzuschaffen, so dass unser Tätigkeitsfeld nicht mehr gebraucht wird. Insofern wäre das Größte, was wir erreichen könnten, dass Rassismus und Gewalt so marginalisiert sind, dass sich Menschen dazu in der Lage sehen, allein damit fertig zu werden. Sicherlich ein utopisches Ziel, aber wenn wir es schaffen, dauerhaft Netzwerke in der Stadt zu verankern, dann haben wir viel erreicht.

»Magdeburg ist oft erst auf den zweiten Blick eine schöne Stadt.«

Wie nahe geht Ihnen Ihr Job?
Man entwickelt eine professionelle Distanz. Aber jedes Mal, wenn wir von neuen Angriffen auf Menschen erfahren, geht mir das sehr nahe. Auch aus persönlicher Erfahrung. In den Neunzigern habe ich selbst Gewalt erlebt, gegen mich und gegen Freunde. Insofern weiß ich sehr genau, was das heißt und was das mit einem machen kann. Was mir vor allem in letzter Zeit sehr nahe geht, ist die Verrohung der Sprache im Internet. Es ist unglaublich, wie bereitwillig Menschen drohen, beleidigen und keine Hemmungen haben, die wüstesten Fantasien von sich zu geben.

Was ist damals passiert?
Ich habe mich in Jugendinitiativen gegen Rechtsextremismus engagiert und bin auf vielen Demonstrationen und Kundgebungen gewesen. Scheinbar habe ich in das Feindbild der Neonazis gepasst. Damals hat nicht sehr viel dazu gehört, Opfer rechter Gewalt zu werden. Man musste nur zur falschen Zeit am falschen Ort sein, im falschen Stadtteil, oder auf die falschen Leute treffen, um Probleme zu bekommen. Das ist glücklicherweise nicht mehr so schlimm, jedenfalls nicht für jeden. Anders ist das natürlich für Geflüchtete heutzutage.

Was tun Sie denn, um von Ihrer Arbeit abzuschalten?
Manchmal gelingt es. Ich habe meine Bücher und meine historischen Themen, mit denen ich mich beschäftige. Wobei ich mich schon fragen muss, ob die Geschichte des Nationalsozialismus das ideale Mittel ist, um von Vorfällen rechter Gewalt abzuschalten. (lacht) Ich habe meine Familie, ich bin verheiratet und habe zwei kleine Kinder die mich auf Trab halten und durch sie habe ich auch keine Zeit um depressiv zu sein.

Wie alt sind Ihre Kinder?
Die sind jetzt fast ein Jahr alt. Ich habe Zwillinge, zwei Jungs. Wir waren vor Kurzem eine Woche an der Ostsee. Das war der erste Versuch, mit den zwei kleinen Kindern in den Urlaub zu fahren und es hat überraschend gut geklappt. Da konnte ich dann auch abschalten.

Wo würden Sie gern noch hinreisen?
Am liebsten nach Alaska, weil ich dort mein Austauschjahr verbracht habe. Dass es Alaska geworden ist, war ein Zufall. Ich wollte in die USA und habe über eine Austauschorganisation dort eine Familie gefunden. Wann hat man schon mal die Chance, zehn Monate in Alaska zu leben? Es war sehr schön und da würde ich gern wieder mal hin, auch mit den Kindern zusammen. Es war dort ganz anders als das großstädtische Leben, aber es ist gut, um mal eine andere Sicht auf die Dinge zu bekommen.

Was möchten Sie beruflich und privat noch erreichen?
Beruflich würde ich mich gerne wieder stärker mit Fragen der Erinnerungskultur und der Stadtgeschichte beschäftigen und auch mehr Freiraum haben, um das intensiver tun zu können. Also in Archive gehen, Menschen befragen und über Dinge nachdenken. Lange Zeit habe ich auch über eine Promotion nachgedacht, aber das lässt mein Job gerade leider nicht zu. In privater Hinsicht sind wir gerade am Überlegen, was man so als neue Familie noch an Träumen hat, die es zu erfüllen gilt.

Interview aus INTER.VISTA 2

 

Vista schon?
Pascal Begrich, Jahrgang 1974, wurde in Erfurt geboren und kam 1990 nach Magdeburg. Er studierte hier Geschichte, Anglistik, Germanistik und ist heute Historiker. Seit 2009 leitet er den Verein Miteinander  e.V., der sich für Weltoffenheit und Demokratie in Sachsen-Anhalt einsetzt. Am liebsten verbringt er seine Zeit mit seinen Kindern in Stadtfeld an der Schrote. Magdeburg beschreibt er als eine Stadt mit sprödem Charme, vernarbter Landschaft und Glück.

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