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Stephan Michme

Michme ist Musik. Und Michme ist Magdeburg. Der 43-Jährige gehört zum Stadtbild wie das Hundertwasserhaus, die Elbe oder der Dom. Inter.Vista erzählt Stephan Michme, wo er sich auch blind zurecht finden würde, warum er die Radiosender Fritz und Sputnik verlassen hat und welcher Ort seine einzige Alternative zum Leben ist.

Interview und Fotos: Friederike Steemann 

Bist Du ein Frühaufsteher?
Definitiv! In meiner ersten Schulbeurteilung stand: »Stephan Michme möge im Frühhort nicht immer so lebhaft sein.« Ich habe damals alle Leute, die morgens mit mir zu tun hatten, fürchterlich genervt. Heute ist es natürlich von Vorteil. Als ich noch im Morgenprogramm von Fritz gesendet habe, waren alle vom Team immer traurig, wenn sie bis spät in die Nacht auf Konzerten waren und dann zur Morgenschicht mussten. Ich bin einfach raus. Das ist bis heute so.

Wie lang konntest Du denn heute schlafen?
Heute konnte ich extrem ausschlafen. Für mich ist Ausschlafen bis um fünf oder um sechs Uhr. Wenn du vier Tage ab drei wach bist, dann ist fünf Uhr plötzlich total großartig.

Inter.Vista, Stephan Michme, Foto: Friederike Steemann

Inter.Vista, Stephan Michme, Foto: Friederike Steemann

Also ich finde selbst um fünf Uhr aufstehen niemals großartig!
Ja, ich weiß. Aber morgens um 3.13 Uhr sieht die Welt vollkommen anders aus. Wie in Zeitlupe. Manche Menschen empfinden um die Zeit normale Toilettenbesuche und Kaffee kochen als harte Aufgabe. Mir fällt es leicht.

Beim MDR arbeitest Du schon, bevor die meisten überhaupt aufstehen. Beeinflusst das Dein Privatleben?
Meine Morningshow-Karriere ist jetzt 20 Jahre alt. Das ist echt irre. Ich habe dabei immer ganz normal am sozialen Leben teilgenommen. Das muss man, denke ich, auch wenn man morgens hinter dem Mikrofon sitzt. Selbst wenn ich ein Fußballspiel nur bis zur Hälfte sehen kann.

Als Du von Fritz und Sputnik zu MDR Sachsen-Anhalt gewechselt bist, dachten viele: »Oh, zu der Musik Laufen denn Songs im Programm, die Du überhaupt nicht magst?
Als ich bei MDR Sachsen-Anhalt angefangen habe, wurde ich das sehr oft gefragt, in Interviews und auch privat. Da habe ich immer gesagt, bei MDR Sachsen-Anhalt laufen mehr Songs, die ich mag, als früher bei Fritz.

Ist das wirklich so?
Damals habe ich das gesagt, um zu schocken. Es ist aber nicht gelogen: Ich kann mich mit einem Dreiviertel aller Songs, die bei MDR Sachsen-Anhalt laufen, zu 1.000 Prozent identifizieren. Damit verbinde ich Geschichten und Erinnerungen. Meinen privaten Musikgeschmack hat die Musik auf Fritz manchmal gar nicht angesprochen. Da liefen oft Songs, die mich nicht berührten. Das Schöne an MDR Sachsen-Anhalt ist, dass wir Musik aus fünf Jahrzehnten spielen. Natürlich laufen da auch Songs aus den Siebzigern, von denen ich kein Riesenfan bin. Aber das hatte ich bei Fritz mindestens dreimal die Stunde. Letztendlich ist Musik im Morgenprogramm das Werkzeug des Moderators wie Holz für einen Tischler. Der Tischler kann nicht nur mit teurem Mahagoni-Holz arbeiten, sondern muss mit allen Holzarten umgehen. So ist es auch beim Moderator mit der Musik.

»Musik im Morgenprogramm ist das Werkzeug des Moderators wie das Holz für einen Tischler«

Woher kam die Entscheidung, Fritz und Sputnik zu verlassen? Spielte da das Alter eine Rolle?
(Lacht) Kurz vor seinem 40. Geburtstag horcht man in sich hinein. Fritz ist nach wie vor die irrste, bunteste Zeit, die ich je im Radio haben durfte. Ich habe Fritz geliebt. Aber zehn Jahre lang bin ich am MDR-Funkhaus vorbeigelaufen, weil das meine Joggingstrecke ist. Da dachte ich immer, da drüben am Hasselbachplatz wohnst du und das ist ein wirklich schönes Funkhaus, man schaut auf die Elbe, der Park ist nah. Warum kannst du hier eigentlich nicht arbeiten? Und just in dem Moment, als für mich persönlich der Absprung klar war, rief der MDR mich an. Und dann ging es los. Witzig ist, dass mittlerweile mehr junge Leute im Morningshow-Team bei MDR Sachsen-Anhalt arbeiten, als ich es in der Fritz-Redaktion wahrgenommen habe.

Du bist in Magdeburg geboren und warst zwischendurch fast zehn Jahre weg. Jetzt bist Du wieder da. Was hält Dich hier?
Ich habe hier alles. Ich habe wunderbare Erinnerungen an meine Kindheit, einen treuen Freundeskreis. Ich habe hier zwei Sportvereine, die ich über alles liebe und unterstütze. Ich habe die Arbeit. Wenn ich in Magdeburg vor die Tür trete, weiß ich, wann ich hier mit wem mein erstes Eis gegessen habe, in der Hoffnung, den ersten Kuss zu kriegen. Manchmal hat das sogar geklappt. Ich habe permanent schöne Erinnerungen, wenn ich durch die Stadt laufe.

Du warst einige Jahre in Berlin. Wie war es für Dich, aus der Großstadt zurück nach Magdeburg zu kommen?
Weißt Du, Berlin ist auch nur eine Ansammlung von Kleinstädten. Die Kreuzberger gucken komisch auf die Friedrichshainer, die Friedrichshainer versuchen Neukölln zu umschiffen und so weiter. Natürlich pulsiert da das Leben. Aber wenn du das einmal durchlaufen hast, dann ist es genauso langweilig, wie man sich ein Kleinstadtleben vorstellt. Magdeburg ist nun nicht so klein. Hier passiert viel, es ist überschaubarer und eigentlich wie ein schöner Stadtteil in Berlin. Ich habe hier alles, was ich brauche.

Was macht denn Dein Magdeburg für Dich aus?
Magdeburg ist Heimat. Ich kann hier blind durch die Stadt gehen. Ich behaupte, wenn ich morgen blind werden würde, dann wäre das zwar fürchterlich traurig, am Hasselbachplatz bräuchte ich aber nicht einmal einen Blindenhund. Das macht für mich Magdeburg aus. Es ist meine Stadt. Ich weiß, wen ich hier anrufen muss. Ich gelte als jemand, der für seine Stadt steht. Es ist meine Stadt. Ich liebe sie. Mittlerweile gibt die Stadt mir auch viel zurück und liebt mich auch ein bisschen.

Du bist in Sudenburg groß geworden. In Deinem Song Das Gefühl bleibt singst Du: »Für alle andern war’s nur Sudenburg, für uns war es die Welt«. Wie hat sich diese Welt verändert?
In Sudenburg bin ich nicht mehr so oft. Der Fußballplatz, den ich in dem Song beschreibe, gibt es nicht mehr. Die kleinen »rumpeligen« Fußballplätze gibt es nicht mehr. Die Tore waren krumm, schief und wackelig. Sie waren teilweise mit den zerfetzten Netzen festgebunden, damit sie nicht umkippten. All die Villen, die es jetzt um die Klausenerstraße herum gibt, waren früher abgewrackt. Früher auf dem Weg zur Schule fanden wir die gruselig. Jetzt sieht man, wie schön sie eigentlich sind.

Wie siehst Du die Entwicklung von Magdeburg?
Als wir damals als Scycs in London bei MTV saßen, machten die große Augen, als wir sagten, dass wir aus Magdeburg kämen. Sie fragten: »Warum sagt ihr nicht, ihr seid aus Berlin? Das ist doch nur 100 Kilometer weit weg.« Ganz klar: Weil wir die Stadt geil finden. Magdeburg wurde kürzlich zur dynamischsten Stadt Deutschlands gewählt. Das ist toll. Der 1. FC Magdeburg hat als Fußballverein eine so unfassbare Strahlkraft entwickelt. Sogar englische TV-Teams kommen hierher. Sie vergleichen die Magdeburger Fankultur mit der englischen. Jeder, der schon einmal in einem englischen Fußballstadion mit einer gut funktionierenden Fankultur war, der weiß, was da für eine Macht unterwegs ist. Das vergleichen die Engländer, die Erfinder der Fankultur, mit Magdeburg. Das ist doch großartig! Und der SCM ist mein Herzensverein. Da arbeite ich seit ein paar Jahren mit.

»Einen Song zwanzig Mal hintereinander hören und dabei gar nicht merken, wie die Zeit vergeht.«

Du bist ja viel rumgekommen. Wie sehen Nicht-Magdeburger die Stadt?
Die meisten Menschen, die mich hier besucht haben, sagen tatsächlich: »So schön habe ich mir die Stadt gar nicht vorgestellt.« Immerhin sind wir die zweitgrünste Stadt Deutschlands! Es ist schade, dass der Breite Weg nie wieder in alter Pracht erstrahlen wird. Ein Teil der alten Häuser steht noch am Hasselbachplatz, deshalb bin ich dort so gerne. So sah einmal die ganze Stadt aus. Das ist das Glück von Halle: Dort ist die Innenstadt im Krieg stehen geblieben. Die Hallenser halten uns auch immer vor, dass wir keine schöne Innenstadt hätten. Da sage ich immer: »Ihr habt auch nicht zigtausend Tonnen Bomben auf die Nase gekriegt.«

Wo siehst Du Dich als Rentner? Immer noch an der Elbe?
Es gäbe einen Platz, für den ich mein Magdeburg verlassen würde. Das ist Hiddensee. Wenn es irgendwann finanziell und logistisch möglich wäre, dort ein kleines Häuschen zu haben, wäre ich wohl weg. Ansonsten sehe ich mich hier. Ich freue mich schon darauf alt zu sein, weil ich gemerkt habe, dass das eine gewisse Ruhe und Gelassenheit mit sich bringt.

Du hast an der Otto-von-Guericke-Universität Germanistik und Sportwissenschaften studiert, wolltest eigentlich Lehrer werden. Hast Du es jemals bereut, das Studium abgebrochen zu haben und zum Radio gegangen zu sein?
Nein! Ehrlich gesagt war das die geilste Idee meines Lebens. Wie mutig ich damals war, habe ich erst hinterher begriffen. Freunde haben gesagt, ich solle das Studium zu Ende machen. Doch da war ich schon zu tief in den Wunsch abgedriftet, irgendetwas mit Musik machen zu wollen. Radio schien mir der beste Nebenjob dafür (lacht). Es ist alles super, so wie es gelaufen ist.

Die Leben von Dir und Deinem Bruder Tom sind eng miteinander verknüpft. Ihr wart in den Neunzigern zusammen in der Band Scycs, führt heute gemeinsam das Label Heartdisco. Hattet ihr immer eine gute Beziehung zueinander?
Klar gab es mal Stress zwischen uns. Wir haben uns früher ein Zimmer teilen müssen. Es gab immer eine unordentliche Seite, das war meine. Es mag sein, dass es daran liegt, dass wir eine Art »falsche Zwillinge« sind. Denen sagt man eine enge Verbindung nach. Wir sind vom Alter nur elf Monate auseinander und haben immer alles zusammen gemacht.

Inter.Vista, Stephan Michme, Foto: Friederike Steemann

Inter.Vista, Stephan Michme, Foto: Friederike Steemann

Macht die Tatsache, dass ihr Brüder seid, die Zusammenarbeit einfacher oder schwieriger?
Beides! Es ist schwieriger, dem anderen zu sagen, dass er falsch liegt, weil man ihn in Schutz nehmen will. Leichter ist, dass du dem anderen an der Nasenspitze ansiehst, wie es ihm geht. Ich glaube, am Ende des Tages ist es mehr Positives.

Wer oder was ist – neben Deinem Bruder Tom – eine Konstante in Deinem Leben? Musik. Sport. Frauen (schmunzelt). Meine Freunde. Ich glaube, es ist das Bestreben, Dinge ständig zu hinterfragen: Ist es genug, was du gemacht hast oder geht hier irgendetwas besser? Das hat mich gut bis hierhin gebracht.

Du bist Moderator bei MDR Sachsen-Anhalt, Musiker, Fußballer, manchmal DJ. Was machst Du, wenn Du frei hast?
Wenig reden. Alle Filme dieser Welt gucken und alle guten Serien. Ich höre wahnsinnig viel Musik. Ich habe angefangen, mir alles was ich gut finde, auf Vinyl zu kaufen. Eigentlich wollte ich das erst mit 50 oder 60 machen.

Vervollständige den Satz: Ein Leben ohne Musik ist …
… nicht vorstellbar! Nicht möglich! Absoluter Schwachsinn!

Wann hast Du zuletzt ein Mixtape geschenkt bekommen?
Das kann ich gar nicht sagen. Vielleicht vor vier Jahren?

»Hier passiert viel, es ist überschaubarer und wie ein schöner Stadtteil in Berlin.«

Ist das ein Anzeichen dafür, dass man heute eher Spotify-Playlists verschickt?
Nein! Ich glaube, dass Leute Angst haben, mir solche Playlists zu schicken. Weil ich als Musiknerd gelte. Ich weiß gar nicht, ob ich mir eine schicken würde. Ich erstelle noch Mixtapes und verschenke sie zu Geburtstagen. Es gibt Leute, die wollen nichts anderes außer eine geile Musiksammlung!

Du bist Jury-Sprecher beim SWM-Talent-Verstärker. Was würdest Du Dir für den musikalischen Nachwuchs der Stadt wünschen?
Musik ist mittlerweile eine von vielen Sachen, die man machen kann, wenn man jung ist. Ich würde mir wünschen, dass viele Musik wieder so fühlen und so geflasht sind wie ich. So begeistert zu sein, ein Kribbeln auf der Haut zu spüren. Einen Song zwanzig Mal hintereinander hören und dabei gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Ich würde mir wünschen, dass dieses Virus viele erfasst. Wenn Du selbst Konzerte machst, wohin möchtest Du Deine Zuhörer mitnehmen? Ich will sie anstoßen nachzudenken, zu träumen, loszulassen. Einmal durch’s »Michme-Universum«. Was sich bei mir irgendwie in Bauch, Herz und Kopf hin- und herdreht. Einmal mitnehmen, wieder rauslassen und dann sollen sie schauen, was sie damit anfangen.

Ich habe gehört, dass es dieses Jahr eine neue Michme-Platte gibt. Was kannst Du darüber schon verraten?
Die wird geil (grinst)! Wir sind jetzt gerade bei einem Test-Produzenten. Ich hoffe, dass das Weihnachtskonzert dieses Jahr gleichzeitig das Release-Konzert für die Platte wird.

Interview aus INTER.VISTA 1

Vista.schon?
Stephan Michme, Jahrgang 1972, ist in Magdeburg geboren. Anfang der Neunziger gründete er die Rockband Scycs. Der größte Charterfolg war der Song Next November, mit dem die Band auch bei der RTL-Serie Unter uns auftrat. Michme absolvierte sein Volontariat bei Radio  SAW, wechselte 1998 zu Fritz nach Potsdam und moderierte unter anderem die Radiofritzen am Morgen. Nach einiger Zeit bei Sputnik ist er  seit 2011 Moderator bei Guten Morgen Sachsen-Anhalt vom MDR. Musikalisch ist er als Michme unterwegs und hat bereits drei CDs  herausgebracht. Gemeinsam mit seinem Bruder Tom Michme betreibt er das Label Heartdisco. Er spielt Fußball in der Alten-Herren- Mannschaft des MSV Börde und ist Hallensprecher vom SC Magdeburg.

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