Ein Magdeburger Original. Kristian ›Koli‹ Reinhardt ist der Gründer des angesagten Tattoo- und Piercingstudios Eisenherz. Wir treffen uns kurz vor Weihnachten bei vollem Betrieb im Studio des 45-Jährigen und sprechen mit ihm über Tätowierungen, politische Haltung, Veganismus und wie er die Magdeburger Tattoo-Kultur sieht.
Interview: Niclas Fiegert | Fotos: Juliane Schulze
Egal wo man nach Dir sucht, man findet immer Deinen Spitznamen ›Koli‹. Woher kommt der eigentlich?
1990, an irgendeinem Mittwoch bekam ich den. Ich hatte so bunte Haare, Kolibristyle. Damals legte in der Düppler Mühle in Olvenstedt immer mittwochs DJ Alex Punkrock auf, so kurz nach der Wende.
Und woher stammt der Name Eisenherz?
Zuerst waren wir ein reines Piercingstudio, damals noch in der Heidestraße. Koli̕s Bodypiercing- und Hardcoreshop, weil ich damals auch T-Shirts von Hardcorebands verkauft habe. Anfang 2000 änderten wir es dann in Eisenherz. Eisen steht für das Metall, das wir einsetzen und das Herz, weil wir mit Herz arbeiten.
Wann habt Ihr Euch dazu entschlossen auch zu tätowieren?
Von Anfang an fragten die Leute oft wegen Tätowierungen nach. Damals gaben wir jeden Tag fünf oder sechs Visitenkarten von einem befreundeten Tätowierer raus. Die Leute wollten wissen, ob wir nicht selbst damit anfangen würden, auch meine Kollegen hatten schon gedrängt. Aber ich habe immer gesagt, dass ich es nicht mache. Ich wollte keine Konkurrenz zu meinen Freunden aufbauen. Die Nachfrage war allerdings so groß, dass wir uns 2010 dazu entschieden, Tätowieren mit anzubieten. Das war sozusagen Glück im Unglück. Freunde von mir gaben ein Tattoo Studio in Ilmenau auf und ihre damalige Kollegin, die dort Tätowiererin war, kam zu uns nach Magdeburg. Wir fingen relativ klein an, bis nach und nach immer mehr Kunden zu uns kamen. Wir mussten einfach ran und loslegen.
»Ich bin nicht der Typ, der Parteiarbeit leistet, aber Flagge zeigen möchte ich auf jeden Fall.«
Jetzt gibt es Eisenherz schon seit 22 Jahren. Piercst Du noch selbst?
Ich habe den Laden damals aufgemacht und die ersten sechs oder sieben Jahre nur alleine gepierct. Jetzt ist es so, dass ich als Chef alles im Hintergrund mache. Ich kümmere mich um das ganze Drumherum und wenn Not am Mann ist, sitze ich auch vorn und mache den Shop-Boy. Wir haben einige Angestellte und viele Freie im Laden. Da gibt es jede Menge Arbeit im Hintergrund.
Wie viele Leute seid Ihr jetzt?
An Festangestellten habe ich mit der Buchhaltung fünf Mitarbeiter und dann noch unsere drei festen Tätowierer: Aleksy, Basti und Äxel. Außerdem gibt es jede Woche ein oder zwei Gast-Tätowierer, aus allen möglichen Ländern. Wir waren schon mal mehr, aber so wie es jetzt ist, finde ich es gut.
Fehlt Dir das Piercen?
Gar nicht. Ich habe aufgehört, weil ich einen Bandscheibenvorfall und irgendwann auch keinen Bock mehr hatte. Ich habe wirklich jeden Tag gepierct und irgendwann war das nur noch Massenabfertigung. Es gab Tage, an denen waren es 40 oder 50 gestochene Piercings und das ist dann auch nicht mehr cool.
Früher hattest Du auch ein Streetwear-Geschäft namens Never Ending. Warum hast Du Dich nach 19 Jahren dazu entschlossen, den Laden zu schließen?
Weil es einfach nicht mehr lief. Das funktioniert nur, wenn man entweder sehr günstige oder zu teure Klamotten anbietet. Alles was im mittleren Segment stattfindet, läuft in Magdeburg leider gar nicht. Die Kids rennen alle zu H&M oder bestellen im Internet. Zum Schluss ist nur noch zu viel Herzblut rein geflossen und nichts mehr dabei rumgekommen.
Würdest Du von Dir behaupten, dass Du ein SneakerHead bist?
Jein. Ich habe durch Never Ending viele Sneaker gekauft und auch ein paar limitierte Sachen. Was das anbelangt bin ich aber durch meine Lebensweise ein bisschen eingeschränkt. Ich lebe seit acht Jahren vegan. Ich kaufe zwar gerne mal einen schönen Schuh, aber er darf nicht aus Leder sein. Früher hatte ich richtig viele Schuhe und bei mir stehen immer noch einige Raritäten zu Hause.
Warum hast Du Dich dazu entschieden, vegan zu leben?
Durch die Hardcore-Szene hatte ich damit schon lange Kontakt. Da gibt es viele Straight Edger. Also kein Alkohol, keine Zigaretten oder kein Fleisch. Ein Kumpel von mir war zum damaligen Zeitpunkt schon zehn Jahre Veganer. Nachdem ich mich ein bisschen belesen hatte, wurde ich innerhalb kurzer Zeit vom wirklich schlimmen Fleischfresser zum Vegetarier und ungefähr einen Monat später zum Veganer.
Kommen wir zurück zum Tätowieren. Du hast selbst jede Menge Körperkunst. Was war Deine erste?
Das war ein Piercing-Ring oben an der rechten Schulter. Ganz hässlich. Das ist auch die einzige, die ich nicht mehr habe. Es ist aber auch 25 Jahre her, dass ich mir den Ring stechen ließ. Damals war es extrem cool. Irgendwann konnte ich ihn nicht mehr sehen. Ich habe viele Tätowierungen und weil wir so viele Gastkünstler haben, auch verschiedenste Stilrichtungen. Ein ziemlicher Luxus.
Ihr habt immer verschiedene erfolgreiche Künstler hier, das TätowierMagazin hat Eisenherz über den grünen Klee gelobt. Hattest Du jemals die Idee aus Magdeburg wegzugehen?
Es stand für mich nie zur Debatte wegzugehen. Ich habe hier meine Familie, den Laden, meine Freunde und meine Tochter. Wenn wir nach Berlin oder in eine andere Großstadt gehen würden, dann wären wir einer von vielen. Hier haben wir ein schönes Einzugsgebiet von Leuten, die herkommen. Es stand nie im Raum, die Stadt zu verlassen.
Was macht die Tätowier-Szene in Magdeburg aus?
Schwer zu sagen. Wie bieten das an, was in anderen Städte auch angeboten wird, haben aber auch viele gute Künstler, die geile Arbeiten machen. Unser Glück ist, dass wir durch die vielen internationalen Tätowierer und Tätowiererinnen alle Stilrichtungen abdecken können. Es ist schon breit gefächert, was die Leute wollen. Auch unsere Resident Artists sind vielseitige Künstler, mit eigenem Stil, den sie auch nur bei uns tätowieren. Natürlich können sie im normalen Tagesgeschäft nicht immer nur ihre Stilrichtungen umsetzen.
Was muss man mitbringen, wenn man bei Eisenherz arbeiten möchte?
Für mich ist ganz wichtig, dass die Person ein cooler Mensch ist. Wir hängen hier ja auch jeden Tag acht oder neun Stunden aufeinander. Teamgeist ist da ganz wichtig. Außerdem muss die Person gut tätowieren können, sehr hygienisch und respektvoll sein. Wir bringen hier täglich Farbe unter die Haut von Menschen. Ich habe schon Tätowierer auf Conventions kennen gelernt, bei denen würde ich mich nie hinsetzen. Respektvoller Umgang mit den Kunden ist einfach eine Grundvoraussetzung.
Zu Halloween gab es bei Euch einen Walk-In Day, an dem sich Leute ohne Termin vorgegebene Motive stechen lassen konnten. Das gesammelte Geld wurde für wohltätige Zwecke gespendet. Wie lief das ab?
Das war super. Einmal im Jahr machen wir solche Spendenaktionen für Vereine oder Stiftungen, bei denen wir der Meinung sind, dass ihre Arbeit wichtig und gut ist. Dieses Mal haben wir das Geld an das Elternhaus der Kinderkrebshilfe im Uniklinikum gespendet. Um 12 Uhr machten wir auf, 10.30 Uhr saßen bereits die ersten Leute draußen und 12.30 Uhr waren alle Termine vergeben. Wir mussten um die 40 Leute mit einem Gutschein nach Hause schicken, weil sie nicht drankommen konnten. Viele die keinen Termin mehr bekamen, haben trotzdem Geld in die Kasse geschmissen. Darauf gab es wirklich extrem gute Resonanz. Wir haben 2.000 Euro in nur sechs Stunden gesammelt.
»Wir bringen hier täglich Farbe unter die Haut von Menschen.«
Tätowierst Du dann zu solchen Anlässen auch mal selbst?
Nein, ich tätowiere gar nicht. Ich habe es einmal probiert und den Stiefel eines Pin-Up-Girls ausgemalt. Aber Grundvoraussetzung für das Tätowieren ist, zeichnen zu können und damit habe ich mich nie beschäftigt. Man könnte das sicherlich lernen, aber ich bin mittlerweile zu alt und habe keine Lust mehr.
Auf einem Deiner Facebook Profilbilder hast Du einen FCK AfD-Sticker und hier im Laden gibt es auch welche. Sind Dir politische Statements wichtig?
Ja, das spielte schon immer eine große Rolle bei mir. Ich komme aus der Punk-Bewegung Anfang der Neunziger. Da war uns Politik immer extrem wichtig. Ich bin nicht der Typ, der Parteiarbeit leistet, aber Flagge zeigen möchte ich auf jeden Fall. Im Never Ending hatte ich das oft. Wenn irgendwelche Hip-Hop Kids reinkamen und das N-Wort benutzten, habe ich schon versucht, sie aufzuklären. Im Eisenherz ist es das gleiche.
Können Tätowierungen auch politisch sein?
Ja klar, das gibt es auch. Logisch ist, dass wir hier keine rechten Symbole oder irgendeinen Mist tätowieren. Solche Anfragen haben wir natürlich auch, aber dann muss man die Leute halt rausschmeißen. Ich bekam auch schon eine Anzeige, weil ich hier Leute rausgeschmissen habe, die mit einem Ku-Klux-Klan-Pullover reinkamen. Auf solche Menschen habe ich einfach keine Lust. Die werden sofort rausgeschmissen.
Kommt es oft vor, dass sich Leute solche Symbole bei Euch stechen lassen wollen?
Nein, zum Glück nicht mehr so häufig. Als wir anfingen, kam es ab und zu mal vor, dass Leute eine Panzerdivision oder so einen Scheiß haben wollten. Mit Hakenkreuzen kam aber nie jemand. Entweder ebbt es ab oder sie haben alle ihre eigenen Nazistudios, in denen sie sich tätowieren lassen.
»Es stand nie im Raum, die Stadt zu verlassen.«
Was ist das absurdeste Motiv, das jemand haben wollte?
Das kommt auf den Blickwinkel an. Ich persönlich finde es absurd, wenn wir jeden Tag Leute haben, die sich ein Unendlichkeitszeichen tätowieren lassen wollen. Egal ob Datum, Feder oder Herz, alle wollen das Gleiche. Aber das war schon immer so und gerade Magdeburg ist dafür prädestiniert. Auch bei Klamotten. Ende der neunziger Jahre gab es hier den einzigen Laden, der noch diese hohen Buffalo-Schuhe verkaufte. Als ich noch im Never Ending arbeitete, ist mir das immer extrem aufgefallen. Wenn eine Welle kam, sahen alle ein Jahr lang gleich aus. Magdeburg war schon immer ein bisschen Uniformstadt. Genau das gleiche gilt für Tätowierungen. Es fehlen ein paar Typen, die eher auf abgefahrene Stilrichtungen stehen, aber da bringen wir die Leute schon noch hin.
Dezember 2018
Interview aus INTER.VISTA 7
Vista.Schon?
Kristian Reinhardt ist 1973 in Magdeburg geboren. Er hat eine fünf jährige Tochter, die er versucht, möglichst ohne stereotype Geschlechtsbilder zu erziehen. Kristian versucht nicht online zu shoppen, um den hiesigen Handel zu unterstützen. Nach der Schule schloss er eine Ausbildung zum Möbeltischler ab. ›Koli‹ wünscht sich für die Stadt, dass sie weiterhin wächst, sich viele verschiedene Kulturen in der Stadt vereinen können und dass auch Magdeburgs kulinarisches Angebot ausgebaut wird. Am liebsten wäre ihm ein libanesisches Restaurant.
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