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Madeleine Linke

Ist die Zeit der Studentenbewegungen vorbei? Sind nur noch Partys und Regelstudienzeit angesagt? Auf keinen Fall. Madeleine Linke zeigt, was Studierende auch heute noch alles bewirken. Inter.Vista erzählt sie, warum sie unbedingt nach Magdeburg wollte, warum gendergerechte Sprache wichtig ist und wie sie als junge Ingenieurin und Politikerin auch mit Sexismus zu kämpfen hat. Außerdem erfahren wir, was es bedeutet, 3.000 Kilometer zu Fuß zu gehen.

Interview und Fotos: Marco Starkloff

Wie sieht eine normale Woche bei Dir aus?
Ich studiere in Teilzeit und habe daher nicht so viele Lehrveranstaltungen wie meine Kommiliton*innen. Nach dem Mittag habe ich öfter Sprechzeit im StuRa oder im Nachhaltigkeitsbüro der Uni. Abends dann oft Kommissionen, Sitzungen, Ausschüsse oder Stammtische. Wenn ich dann noch Zeit finde, mache ich Sport.

Was macht eigentlich der Studierendenrat? Partys und Feste veranstalten?
Nein, das machen eher die Fachschaftsräte. Wir sind tatsächlich kein Partyverein. Der StuRa ist ein Gremium, das vom Landeshochschulgesetz vorgeschrieben und demokratisch gewählt ist. Wir sind eher Servicedienstleister für die Studierenden. Vor allem aber sind wir ein demokratisches, selbstverwaltetes Organ. Wir vertreten die Interessen der Studierenden und äußern uns zu hochschul- und allgemeinpolitischen Themen. Mit unserem Geld fördern wir zum Beispiel Kulturveranstaltungen und studentische Projekte.

Wie viel kann der StuRa bewirken?
Wir haben viele Mitbestimmungsrechte und studentische Vertreter*innen in den meisten Gremien. Die sind jedoch nicht paritätisch besetzt. Wir sind nie in der Mehrheit. Im Senat können wir zwar unsere Meinung äußern, aber am Ende haben wir nur vier von 23 Stimmen.

Ist das nicht demotivierend?
Auf jeden Fall. Man kann leider nicht so viel beeinflussen und das wird uns auch immer wieder vermittelt. Da hört man öfter, dass wir doch noch gar keine Lebenserfahrung besitzen. Es ist schon krass, wie groß die Kluft zwischen Professor*innen und Studierenden sein kann.

Ist es nicht merkwürdig, wenn man dann ein Seminar von Dozent*innen besucht, mit denen man im Senat stritt?
Definitiv. Schade, dass diese Hierarchien an Hochschulen noch existieren. Natürlich ist es wichtig, dass man sich einbringen und beschweren kann, aber man hat auch immer Angst, bei einer Prüfung oder generell schlechter behandelt zu werden.

»Wer bekannt ist, wird gewählt.«

Hast Du das persönlich schon zu spüren bekommen?
Mich kennen viele Dozent*innen. Es gab schon Momente, in denen ich die Hierarchien spürte und wusste: Okay, jetzt sollte ich leise sein, sonst hätte das Auswirkungen auf mein Studium.

Wie überzeugst Du die Studierenden davon, Dich zu wählen?
Durch das Programm, das wir als Grüne Hochschulgruppe vertreten. Inzwischen kennen mich viele Leute und wissen, dass ich gute Arbeit mache. Am Ende will keiner 1.000 Prüfungen in einer Woche schreiben, oder dass ein Studiengang abgeschafft wird. Sie wissen, dass ich mich für diese Belange einsetze. Oft ist es aber eine Beliebtheitswahl. 
Wer bekannt ist, wird gewählt.

Was ist das Skurrilste, was du im Umgang mit Studierenden erlebt hast?
Häufig kommen sie mit Problemen zu uns. Wir vergeben Sozialdarlehen an Studierende, die sehr tief in der Klemme sitzen. Manche haben zwar Geld auf ihrem Konto im Ausland, aber kommen nicht ran. Andere bekommen ein Kind, aber die Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Entbindung nicht. Einfach unvorstellbar. Das macht mir immer wieder bewusst, wie privilegiert wir hier eigentlich leben.

Inter.Vista, Madeleine Linke, Foto: Marco Starkloff

Inter.Vista, Madeleine Linke, Foto: Marco Starkloff

Wärst Du manchmal gerne einfach nur eine ›normale‹ Studentin?
Das werde ich oft gefragt. (lacht) Nein, ich bin sehr zufrieden und heilfroh, dass mich das Studium politisiert hat. Es macht mir Spaß, mich für solche Themen zu engagieren. Es ist mein Lebensinhalt, Sachen zu verbessern, Probleme zu beheben und mein Lebensumfeld positiv mitzugestalten.

Was ist richtig: Studentenrat oder Studierendenrat? Studierendenrat. Schon seit sehr langer Zeit. Für mich ist das sehr wichtig, das gebe ich zu.

Wieso ist gendergerechte Sprache so wichtig?
Ich bin mir bewusst, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Es ist auch wissenschaftlich belegt, dass sich Frauen nicht angesprochen fühlen, wenn man sie mit männlichen Bezeichnungen konfrontiert. Das verstärkt Strukturen. Sprache soll alle inkludieren.

Bist Du Feministin?
Auf jeden Fall. Es hat mich anfangs etwas Überwindung gekostet, das so zu sagen. Ich hatte das Gefühl, dass es mich stigmatisiert. Heute kann ich mich frei dafür einsetzten.

»Lasst euch von den vielen kleinen und unkommerziellen Veranstaltungen inspirieren.«

Hast Du persönlich schon Sexismus erlebt?
Ja. Hier vor Ort ist es nicht so schlimm, aber ich bin ja auch bundesweit unterwegs. Dort bekomme ich häufig zu spüren, dass ich jung und eine Frau bin. Wenn ich über Energiepolitik rede, denken viele, dass das ›Hippiemädchen‹ sowieso keine Ahnung hat. Wenn sie merken, dass ich Ingenieurin bin, sind alle erstmal geschockt. Ich habe im Bachelor Maschinenbau studiert.

Wie revolutionär sind die Unis und die Studierenden heute noch?
Ich lebe natürlich in einer Blase, in der viel passiert. Aber nach wie vor sind Studierende verantwortlich für kritische Töne in der Gesellschaft. Es gibt viele Proteste, sei es in Berlin mit dem Tarifvertrag Stud, bei dem es darum geht, dass die studentische Bezahlung verbessert wird oder hier vor Ort, als wir uns gegen die Schließung der Fakultät für Humanwissenschaften einsetzten. Natürlich tragen das nicht alle mit von den über 13.000 Studierenden. Es ist nur ein kleiner Teil, der wirklich aktiv ist. Wenn Studierende sich jedoch wirklich bedroht fühlen, dann gehen sie auch auf die Straße.

»Ich wusste eigentlich nicht, was es heisst, zu studieren.«

Warum willst Du 2019 für den Stadtrat kandidieren?
Weil ich Sachen positiv beeinflussen möchte und das Gefühl habe, dass es noch zu wenig Menschen im Stadtrat gibt, die wirklich für ihre Überzeugung einstehen. Ich möchte diese Stadt, die ich sehr lieb gewonnen habe, mitgestalten.

Ist es schon lange Dein Wunsch, Dich so zu engagieren?
Tatsächlich habe ich mich erst spät politisiert, als Kind wollte ich aber schon Ingenieurin werden. Ich war kein 08/15- Kind. Aufgewachsen auf dem Dorf, war ich viel spazieren und sammelte Müll auf. Oft fühlte ich mich dort auch eingeengt. Es gab keine Kultureinrichtungen, nichts wo man sich treffen konnte. Hier dagegen gibt es alles. In Magdeburg kann ich mich frei entfalten, das finde ich super.

Welche Rolle spielt Natur für Dich als Stadtmensch im Alltag?
Eine ziemlich große. Ich verbringe viel Zeit draußen. Auch wenn es so klingt, als wäre ich nah am Burn-Out, ich bemühe mich, sehr achtsam mit mir umzugehen. Oft gehe ich spazieren und bin in einem Gemeinschaftsgarten aktiv. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, fahre ich mit dem Fahrrad raus ins Umland.

Wie ökologisch lebst Du privat? Ist bei Dir alles vegan, bio und lokal?
Ich sehe mich als Multiplikatorin, die nicht versucht, die Leute lange zu überreden, sondern durch ›Vorleben‹ zu überzeugen. Privat lebe ich tatsächlich sehr minimalistisch. Das heißt Zero Waste, Bio und Vegan. Abgesehen davon, dass ich manchmal Käse esse. (lacht) Das meiste Geld gebe ich daher für Essen aus.

Ist es schwierig, das in Magdeburg umzusetzen?
Früher hatten wir Webseiten, auf denen wir uns absprachen, wo man unverpackten Kaffee bekommt. Das ist mit den zwei Unverpacktläden in Magdeburg nun einfacher geworden. Ich mache zum Beispiel auch Crèmes und Shampoo selbst. Außerdem gärtnere und sammle ich viel.

Inter.Vista, Madeleine Linke, Foto: Marco Starkloff

Inter.Vista, Madeleine Linke, Foto: Marco Starkloff

Wie verbringst Du Deine Freizeit?
Mein Leben besteht überwiegend aus Politik und ein bisschen Sport, was sich gut kombinieren lässt. Viele Wochenenden bin ich zu Sitzungen oder Weiterbildungen bundesweit unterwegs. Manchmal bleibe ich auch noch einen Tag länger und gucke mir die Stadt an.

Die meisten Studierenden gehen oft feiern. Du auch?
Ich bin nicht so der Party-Typ. Ich treffe mich viel mit meinen Freund*innen, wir kochen und unternehmen Dinge gemeinsam. Viele sind auch im politischen Kontext aktiv und wir organisieren dann gemeinsam die Veranstaltungen, zum Beispiel das Vakuum-Festival. Das entspricht schon eher einer Party. Da bleibe ich auch lange, obwohl ich kein Nachtmensch bin.

Wenn Du eine Woche frei hättest, was würdest Du tun?
So richtig hört die Arbeit nie auf. Auch wenn ich mal eine Woche frei habe, führe ich Gespräche mit Entscheider*innen oder schreibe Positionspapiere. Gerade sind ja Semesterferien und ich genieße es, auszuschlafen. Oder ich sortiere Sachen aus, so dass ich noch weniger Dinge in meiner kleinen Wohnung haben kann. (lacht)

Was hat Dich dazu bewogen, aktiv zu werden?
Einen konkreten Auslöser gab es nicht. Es begann damit, dass ich zur Grünen Hochschulgruppe ging. Dort fing ich an, kleine Veranstaltungen zu organisieren und zu moderieren. Dann waren Gremienwahlen und ich kandidierte vor vier Jahren das erste Mal für den StuRa und den Senat.

Du hast Maschinenbau im Bachelor und Nachhaltige Energiesysteme im Master studiert. Wie kam es dazu?
Ingenieurin für erneuerbare Energien wollte ich schon immer sein. In der Schule war ich sehr gut in Mathe und Physik. Ich wusste eigentlich nicht, was es heißt, zu studieren. (lacht) Niemand in meiner Familie hat studiert. Ich wollte unbedingt nach Magdeburg. Mit Maschinenbau studierte ich erstmal was Allgemeines, konnte mir aber darunter zunächst wenig vorstellen. Ich redete mir ein, dass es total cool sei. Allerdings musste ich dann einsehen, dass es mit meinen Moralvorstellungen nicht ganz übereinstimmte. Durchgezogen habe ich es dann trotzdem. In meiner Bachelorarbeit ging es dann schon in Richtung Nachhaltigkeit. Nach einem Brückensemester fing ich an, Nachhaltige Energiesysteme im Master zu studieren. Damit bin ich glücklich und bald fertig.

Warum wolltest Du unbedingt nach Magdeburg?
Mein Onkel wohnte hier und immer, wenn wir ihn besuchten, war es sehr schön. Viele Parks, viel Grün. Es war auch ein guter Kompromiss zwischen weit weg genug von zu Hause, aber noch ausreichend nah dran, um preiswert und kurz hinzufahren. Außerdem ist die Stadtgröße perfekt für mich. In Berlin wären mir zu viele Menschen, zu viele Optionen. Wahrscheinlich gäbe es da auch nicht so viele Einflussmöglichkeiten wie hier.

Vermisst Du manchmal Dinge aus Deiner alten Heimat?
Meine Freund*innen werden jetzt lachen. Pferde. Die Natur vermisse ich schon. Einfach aus dem Fenster in die Weite gucken und nur Tiere und Bäume zu sehen.

Wie waren Deine ersten Tage an der Uni?
Die Einführungstage bestanden traditionell aus sehr viel Alkohol, Kennenlernen und chaotischem Einschreiben für Kurse. Ich war davon total überfordert, was mich nachhaltig prägte, so dass ich jetzt die progressiven Einführungstage mitorganisiere. Ich versuche Studierenden einen anderen Start zu ermöglichen, abseits von Alkoholexzessen und Zwängen.

Wo ist Dein Lieblingsort in Magdeburg?
Die Schrote und die Goethestraße in Stadtfeld. Ansonsten bin ich gern einfach an den Gewässern. Manchmal fahre ich mit dem Fahrrad ganz ohne Plan und lasse mich überraschen.

Was sollten Studierende in Magdeburg unbedingt gesehen haben?
Ich empfehle eine Fahrradtour zum Wasserstraßenkreuz. Aber der beste Tipp ist: Wartet den Sommer ab und lasst euch von den vielen kleinen und unkommerziellen Veranstaltungen inspirieren. Es gibt viel Subkultur, so viele Sachen, die man erleben kann, einfach treiben lassen. Viele Veranstaltungen, die stattfinden, weil Menschen Bock drauf haben, sie zu machen.

Welche Vision hast Du für Magdeburg?
Eine Stadt, in der Menschen sich gerne aufhalten und leben. Alle Wege sollten zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Nahverkehr einfach zu erledigen sein. Wir brauchen Orte mit Aufenthaltsqualität und weiterhin bezahlbaren Wohnraum für alle.

Gibt es was, dass die Welt über Dich wissen sollte?
Nach dem Abitur habe ich einmal Neuseeland 3.000 Kilometer zu Fuß durchquert. Das war eine krasse Erfahrung für mich. Mit 19 Jahren jeden Tag seine Kilometer machen, den Berg hoch kraxeln, Flüsse durchqueren – das war schon ziemlich anstrengend. Das hat mein Durchhaltevermögen und die Liebe zur Natur weiter gestärkt.

März 2018
Interview aus INTER.VISTA 5

Vista.Schon?
Madeleine Linke, Jahrgang 1992, wuchs in einem kleinen Dorf in der Nähe von Braunschweig auf. Sie sitzt als sachkundige Einwohnerin im Ausschuss Umwelt und Energie der Stadt Magdeburg und will bei der Kommunalwahl 2019 selbst in den Stadtrat einziehen. Als Mitglied des Studierendenrats der Otto-von-Guericke-Universität setzte sie sich jahrelang für die Rechte der Studierenden ein. Unter anderem organisierte sie die Ökosozialen Hochschultage und das Vakuum-Festival.

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