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Martin Otto

Eigentlich sollte es für Martin Otto die große Bühne in Hamburg werden. Doch der Familie wegen bleibt er in Magdeburg. Seinen Kiez findet er stattdessen in Stadtfeld, wo er mit seinen Bands und privat die Kneipen und Bars ›unsicher macht.‹ Heute musiziert er allerdings nur noch, wenn er Lust darauf hat, denn hauptberuflich ist er Lehrer. Was seine Schüler zu seiner anderen Karriere sagen, was ihn mit Modern Talking verbindet und warum er heute lieber im Studio sitzt, als aufzutreten, erzählt er im Interview.

Interview und Fotos: Jennifer Fiola

Du spielst heute mit Deiner Band im Rolandkeller in Burg. Bist Du nach 25 Jahren als Musiker noch aufgeregt?
Ja, immer. Meistens kommen wir eine halbe Stunde vor dem Auftritt zusammen und wollen keinen anderen sehen. Wir konzentrieren uns nochmal, gehen raus und dann bin ich auf den Punkt da.

Du hast mit Deiner Band Kosmos einen Preis als Beste Elektroband 2016 gewonnen. Was ist Dein nächstes Ziel?
Ich habe mehrere Projekte. Kosmos ist ein Projekt, das mir sehr wichtig ist. Aber noch mehr am Herzen liegt mir mein Projekt Martin Otto. Ich möchte es auch solo nochmal wissen.

In Magdeburg hört man überwiegend Techno und Electro. Was lief eigentlich, als Du mit der Musik angefangen hast?
Das war mit meiner ersten Band Excuse in den Neunzigern. Wir wussten nicht, in welche Richtung es gehen soll. Dirk Wellborn war Depeche Mode-Fan, ich fand U2 toll. Wir versuchten, alle möglichen Stilmittel miteinander zu vereinen. Zu der Zeit kam gerade Techno auf. Irgendwann sagte ich aus Spaß, dass ich so einen Scheiß in einer halben Stunde machen könnte. Das stimmte nicht ganz. (lacht) Als der Techno-Track fertig war, hat er uns nicht gefallen. Wir haben aus Spaß dazu gesungen. Heraus kam die Band Gregory̕s Return.

Wie ist die Magdeburger Musikszene?
Das hört sich vielleicht arrogant an, aber Magdeburg hat mich nie wirklich interessiert. Die Magdeburger Musikszene soll ganz toll sein. Es gibt gute Musiker. Ich arbeite aber in letzter Zeit lieber mit Hamburgern zusammen. Tokio Hotel war die einzige Band, die ich in Magdeburg gesehen habe. Ich fand sie damals schon klasse, da hießen sie noch anders. Ansonsten kenne ich noch Stephan Michme. Guter Mann. Toll, was er macht.

Du hast in Magdeburg Gesundheitsmanagement studiert. Ein ziemlicher Kontrast zum Musiker-Dasein. Wieso hast Du Dich für das Studium entschieden?
Alle sagten, ich müsse noch etwas anderes machen. Diese ›brotlose Kunst‹ könne mich nicht ernähren. Ich studierte dann parallel zur Musikkarriere. Was, das war mir damals völlig wurst. Gesundheitsmanagement klang irgendwie gut.

»Tokio Hotel war die einzige Band, die ich in Magdeburg gesehen habe.«

Nach dem Studium hast Du im Stadtteilbüro in Olvenstedt gearbeitet, um Praxiserfahrung zu sammeln.
Dafür brannte ich genauso, wie für die Musik. Mich interessierte das Thema lokale Ökonomie, also wie mit sozial benachteiligten Menschen gearbeitet werden kann. Da sammelte ich teilweise bittere Erfahrungen. Es war trotzdem eine interessante Zeit.

Was für bittere Erfahrungen waren das?
Zum Beispiel veranstalteten wir einen Weihnachtsflohmarkt mit dem Ziel, dort eine alternative, komplementäre Währung einzuführen. Aber auch, um Menschen mit wenig Geld die Möglichkeit zu bieten, Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder zu kaufen. Die haben sich aber lieber am Glühweinstand für 50 Cent volllaufen lassen. Das war ein Praxisschock für mich.

Du bist dabei vielen Menschen begegnet. Wie würdest Du die Magdeburger beschreiben?
Sie sind das, was man Hamburgern nachsagt: ein stures und skeptisches Volk. Es dauert eine Weile, bis sie mit jemanden warm werden. Einmal aufgetaut, sind Magdeburger herzliche Menschen.

Inter.Vista, Martin Otto, Foto: Jennifer Fiola

Inter.Vista, Martin Otto, Foto: Jennifer Fiola

Du bist heute Berufsschullehrer. Was sagen Deine Schüler dazu, dass Du Musik machst?
Ich versuche es nicht zu thematisieren. Es wissen aber mittlerweile alle Schüler, woher weiß ich auch nicht. Ich denke, sie finden das cool. Wenn ich im Unterricht bin, sind es aber trotzdem meine Schüler. Vielleicht ist es für mich ein Bonus. Da müsstest du die Schüler fragen.

Was für eine Art von Lehrer bist Du?
Einer, der seinen Job liebt. Beschreiben würde ich mich als geordneten Chaoten. Ordnungsliebhaber als Lehrer, Chaot als Musiker.

Bleibt neben Deinen Tätigkeiten noch Zeit für die Familie?
Ja, viel Zeit, weil ich meine Musik weitestgehend zuhause mache und nur wenn ich Bock drauf habe. Ohne meine Familie würde ich das nicht hinkriegen, sie unterstützt mich bei der Musik.

Was machst Du in Deiner Freizeit?
Ich spiele am liebsten mit meinen Kindern. Wenn ich Zeit für mich brauche, gehe ich gern wandern. Dabei kann ich nachdenken. Oder ich trainiere mit meinem Boxsack im Keller.

»Einmal aufgetaut, sind Magdeburger herzliche Menschen.«

Wo gehst Du wandern?
An den Elbauen durch den Wald, wo kaum andere Menschen sind. Ich will meine Ruhe haben und keinen sehen.

Du wirkst sehr bodenständig. War das immer so?
Nein. (lacht) Bodenständig war für mich immer ein Fremdwort. Ist es das, was sich irgendwelche spießigen Beamten in ihren Träumen erhoffen, also wie ein Mensch zu sein hätte? So war ich nie. Ich bin nur ein bisschen gereifter.

Bist Du lieber Lehrer oder Musiker?
Oh, gute Frage. Die sitzt. Wenn ich das eine nicht hätte, könnte ich das andere nicht machen.

Wieso?
Ich brauche beides. Ich kann entspannt sein. Ich verdiene meine Kohle. Finanziell gesehen bräuchte ich die Musik nicht mehr. Vorher war es teilweise Zwang., also die Vorgaben der Plattenfirmen, wie wir etwas zu machen hätten, um in die Charts zu kommen. Jetzt bin ich frei, weil ich das Geld habe. Ich brauche die Musikindustrie nicht mehr. Die kann mich mal.

Warum bist Du Lehrer geworden?
Die Idee ist ein bisschen aus der Not geboren. Ich wusste einfach nicht mehr so richtig, was ich machen soll. Meine Schwester gab mir den Tipp, dass in Burg Lehrer gesucht werden. Dazu holte ich in Halle ein paar Sachen, wie die Lehrbefähigung und Berufspädagogik, nach. Ich studierte also nochmal, um Lehrer zu werden.

Du bist seit 1992 Musiker. Was hast Du seitdem dazugelernt?
Früher war ich ein sehr ehrgeiziger Mensch. Mein Ziel war, in die Charts zu kommen, im Radio und Fernsehen gespielt zu werden. Ich war fokussiert, aber auch verbissen. Selbst, als ich die Sachen geschafft hatte, wollte ich noch mehr. Ich ging durch die Plattenfirmen viele Kompromisse ein und stand nicht mehr hinter meinen Songs. Jetzt mache ich, was ich will. Ich bin geerdet. Außerdem bin ich effizienter geworden. Früher arbeitete ich an einem beschissenen Song fünf bis 14 Tage. Jetzt merke ich relativ schnell, wenn es keinen Sinn hat.

Unter welchen Umständen würdest Du mit der Musik aufhören?
Gar nicht. Das ist wie eine Droge, von der ich abhängig bin. Ich bin musiksüchtig.

Du bist nicht nur Sänger, sondern auch Songwriter. Hast Du auch schon für andere Künstler Songs geschrieben?
Ich habe den Titelsong für das Album des jungen Star-Search-Gewinners Daniel geschrieben und komponiert. »Luckystar« war auch in den Charts. Darauf bin ich ziemlich stolz. Für Senta Sophia habe ich auch einen Song geschrieben.

Für wen würdest Du noch gerne einen Song schreiben?
Die sind leider schon tot. (lacht) Nein, einen richtigen Wunsch habe ich nicht. Wer einen Song möchte, für den versuche ich einen zu schreiben.

Wie schreibst Du einen Song?
Songwriting ist Handwerk. Ich arbeite immer mit einem Slogan und versuche, zu einem bestimmten Thema etwas zu schreiben. Wie der Song klingen soll, also eher mystischer oder lustiger, ergibt sich oftmals mit dem Thema. Und dann dauert es ewig, bis ich damit zufrieden bin.

Was inspiriert Dich?
Begegnungen. Dabei geht es nicht um den Menschen, sondern um die Themen, über die wir gequatscht haben. Inspirationen habe ich viele: meine Tochter, die Söhne oder wenn ich wandern gehe. Das kommt dann einfach.

Gibt es Künstler, die Einfluss auf Deine Musik haben?
Gregor Meyle inspirierte mich. Was er von sich gibt, kann ich gut mitfühlen. Auch als Typ finde ich ihn genial. Ich höre viel elektronische Musik, wie Depeche Mode und Erasure. Diese Ikonen der achtziger Jahre lassen mich bis heute nicht los. Die Foo Fighters finde ich auch mega. Das ist komplett andere Mugge, aber die haben unglaublich viel Gefühl und Seele in den Songs. Zurzeit inspirieren mich auch die Chainsmokers.

Inter.Vista, Martin Otto, Foto: Jennifer Fiola

Inter.Vista, Martin Otto, Foto: Jennifer Fiola

Bist Du lieber Songwriter oder Sänger?
Ich glaube, lieber Songwriter. Aber ich singe auch gern. Manchmal habe ich noch Angst vor Auftritten. Früher habe ich das geliebt, aber heute bin ich lieber in meinem Studio und in der Nähe meiner kleinen Familie. Dieses Herumgereise will ich nicht mehr.

Man sagt über Musiker, sie könnten ›keine Kritik ab‹. Wie sieht’s bei Dir aus?
Mit Kritik konnte ich früher nicht umgehen. Wenn jemand meinen Song verriss oder harte Kritik übte, ging für mich eine Welt unter. Ich musste lernen, Kritik anzunehmen, um mich weiter zu entwickeln. Natürlich kränkt mich das immer noch. Neulich meinte jemand zu mir: Martin, das ist zwar cool, aber es klingt ein bisschen wie Schlager. Da hat er schon recht, aber was spricht eigentlich dagegen?

Und was ist mit dem Klischee, dass Musiker immer lange schlafen?
Habe ich erfüllt. Jahrelang. Ich war quasi ein Nachtmensch. Im Studium ging ich ab und zu nicht zur Vorlesung, weil ich zu müde war. Früher fühlte ich mich nachts am wohlsten. Da sind die Menschen entspannter. Das ist viel schöner, als die gestressten, hektischen und bodenständigen Leute. Ich war viel in Hamburg und Flensburg unterwegs, weil meine Produzenten da wohnten. Egal wo ich war, die Nacht war meins. Jetzt ist es anders. Um zehn bin ich müde.

Welche Clubs kannst Du in Magdeburg empfehlen?
Früher war ich oft in Stadtfeld. Das war mein Kiez. Heute sind die ganzen Kneipen leider nicht mehr da. FeuerwacheKlausener in Sudenburg, FactoryPrinzzclub. Alle Clubs, die es mal gab, habe ich ausprobiert, je nach Laune. Am meisten war ich aber in der Baracke. Das war unser Dienstagsritual. Heute bin ich am liebsten zuhause bei meiner Familie oder mache irgendwas für mich. Man sieht mich nirgendwo mehr, außer vielleicht bei Facebook. (lacht)

Du warst mit der Band Eisleben Supporter von Modern Talking. Wie kam es dazu?
Die Produzenten von Eisleben hatten auch die Comebackplatte von Modern Talking gemacht. Dann hieß es, wir werden Vorband von Modern Talking. Wir, mit elektronischer Mugge, die gar nicht zu Modern Talking passte. Wir hatten immer Schiss, weil die Fans natürlich wegen Modern Talking da waren. Aber wir haben sie immer gekriegt. Genial. Und es hat Spaß gemacht. Zu Dieter Bohlen oder Thomas Anders hatten wir aber keinen Kontakt.

»Egal wo ich war, die Nacht war meins. Jetzt ist es anders. Um zehn bin ich müde.«

Gibt es etwas, das Du immer dabei hast, wenn Du unterwegs bist?
Eine Platte mit dem Relief eines kleinen Engels in meinem Portemonnaie. Ich bekam ihn als Glücksbringer irgendwann geschenkt. Ich weiß aber nicht mehr von wem.

Warum bist Du hier geblieben und nicht in eine Großstadt gezogen, wie man es von einem Musiker erwarten könnte?
Ich wollte immer nach Hamburg, habe da auch ganz viel in Studios gearbeitet. Ich mag die Leute, die Mentalität. Als ich Papa wurde, entschloss ich mich, hier zu bleiben. Ich hatte irgendwie nicht den Arsch in der Hose, das durchzuziehen. Jetzt habe ich hier einen sicheren Job. Es  ist aber nicht ausgeschlossen, dass ich das irgendwann nochmal mache.

Inter.Vista, Martin Otto, Foto: Jennifer Fiola

Inter.Vista, Martin Otto, Foto: Jennifer Fiola

Du arbeitest an Deinem Soloalbum. In welche Richtung geht es?
Ich glaube, meine Platte wird total chaotisch. Textlich ist es eine Mischung aus sehr nachdenklich, depressiv und ein bisschen zu lustig. So ist auch die Musik. Von Happy-Joy-Pop bis sehr nachdenklich. Das ist das Verrückte. Ich mag harte Gitarren, elektronische Musik, aber auch mal was ganz Softes.

Wieso erst jetzt?
An meinem Soloalbum arbeite ich schon lange. Zwischendurch hatte ich keinen Bock mehr. Ich nenne es Musikallergie. Früher habe ich bis drei Uhr nachts gearbeitet und fuhr dann auf zwei ›schlafenden Schuhen‹ zur Schule. Irgendwann wollte ich das nicht mehr. Auch gesundheitlich kam ich an meine Grenzen. Mittlerweile kriege ich es mit, wenn es nichts bringt. Ich arbeite erst an der Musik weiter, wenn von innen der Wunsch kommt. Dann wird es meistens auch gut.

Kannst Du Dich an Deinen ersten Auftritt erinnern?
Das war 1992 im Metropol in Magdeburg mit meiner Gruppe Excuse. Ein ganz kleiner Club. Die Bude war immer voll, wenn wir gespielt haben.

Wann war Dir klar, dass Du Musiker werden möchtest?
Schon als junger Bengel. Gitarre habe ich wie ein Verrückter geübt, zwischen vier und acht Stunden am Tag. Komischerweise habe ich nie was nachgesungen, sondern mich schon früh am Songwriting versucht. Furchtbare Songs, aber das war egal. In der Schule war ich aber ein guter Musikschüler.

Auf Deiner Facebook-Seite steht: »Ich möchte am Ende meines Lebens sagen, ich habe alles so gewollt.« Wie ist der Zwischenstand?
Ich arbeite dran. Es gibt viele Sachen, die ich so nicht wollte. Aber im Großen und Ganzen kann ich das schon bejahen.

Was möchtest Du noch erreichen?
Hört sich ein bisschen platt an, aber ich möchte glücklich und gesund bleiben. Das gilt auch für meine Kids. Glücklich sein impliziert eigentlich alles. Ich will keinen Stress mehr haben.

Juni 2017
Interview aus INTER.VISTA 5

Vista.Schon?
Martin Otto ist 1972 in Burg geboren. Er war Mitglied der Bands Excuse, Gregory´s Return, Highland und Eisleben. An der Hochschule Magdeburg-Stendal studierte er Gesundheitsmanagement und machte einen Master in Soziale Arbeit und Gerontologie. Seit 2013 arbeitet der dreifache Vater in Burg als Lehrer an der Berufsbildenden Schule »Conrad Tack«. Dort unterrichtet er Musik, Psychologie und sozialwissenschaftliche Themen im Bereich Gesundheit und Pflege. Zurzeit arbeitet er an seinem ersten Soloalbum und ist Mitglied der Band Kosmos. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist der Hasselbachplatz. Er beschreibt Magdeburg als klein, aber fein und grün.

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