Als Kunsterzieherin und Krankenpfleger zur Schauspielerei und Theaterdirektion: Ines Lacroix und Matthias Engel haben ihr Glück gefunden. Gemeinsam leiten sie das Theater an der Angel auf dem Werder. Inter.Vista erzählen sie, welchen Einfluss die Wende auf die Theaterlandschaft hatte, wie eine Premierenfeier abläuft und warum Finden besser ist als Suchen. Außerdem erfahren wir, was jeder angehende Schauspieler vorher wissen sollte.
Interview und Fotos: Amelie Uding und Franziska Ertelt
Woher kommt Ihre Leidenschaft für’s Schauspiel?
Lacroix: In der Schule hatte ich große Schwierigkeiten vor der Klasse zu stehen und frei zu sprechen. Richtige Berüh- rungsängste. Als ich in Deutsch mal was aufsagen musste, forderte ich, dass sich alle umdrehen sollten. Die Lehrerin hat das tatsächlich mitgemacht! Ich wurde später zunächst Kunsterzieherin, ein anständiger Beruf. Den habe ich aber nicht wirklich ausgeführt. Es kam die Wendezeit, wo es uns alle, die nicht so ganz mit dem System zurechtkamen, in die Nischen verschlagen hat. Ich wollte das Theater für mich erobern.
Was war Ihre erste Rolle?
Lacroix: Am Puppentheater habe ich tatsächlich ein Huhn gegeben, als Hand- puppe. Mein erster Bühnensatz war: »Bin ich schon auf Sendung?« (lacht) Das wurde dann programmatisch für mein Künstlerdasein.
Besuchen Sie das Puppentheater noch ab und zu?
Lacroix: Ja, sehr viel. Da gibt es einmal im Monat mittwochs eine schöne Reihe, das Café Monaco. Sehr amüsant! Tolle Leute, junges Ensemble, die alternative Theaterkunst machen. Mit Figuren, nicht mit Puppen im klassischen Sinne. Ich gucke mir das gerne an, weil das ein tolles Medium ist.
Wie haben Sie und Matthias sich kennengelernt?
Lacroix: Wir waren Kollegen am Puppentheater Magdeburg. Matthias ist ein studierter Puppenspieler, ich bin eine Quereinsteigerin. Daraus entstand eine kleine, persönliche Liaison. Und wie das bei Paaren so oft ist, man stürzt erstmal übereinander her. Das ging viele Jahre und später sind wir dann noch als Kollegen zusammengeblieben. Es war aber vor allem die Situation, in der wir uns befanden. Wende! Man diskutierte viel und wollte etwas bewegen.
Erzählen Sie mal, wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Lacroix: Vor der Wende zog es mich immer irgendwo hin. Irgendwie sind wir ja alle mehr oder weniger republik-flüchtiggewesen.Ich war unter anderem in Ungarn, dort wollte ich heiraten, damit ich hier wegkomme. Gott sei Dank erübrigte sich das und als sich die Dinge hier geebnet hatten, wollte ich wieder zurück. Ich bin gern wiedergekommen. Die Grenzöffnung selbst habe ich aber verpasst, ich war nämlich im Kino. Ich kam nachts um 11 Uhr aus dem Kino und fragte mich, warum die Straßen so leer sind. Offensichtlich saßen alle vorm Fernsehapparat. Zu der Zeit war ganz viel in Bewegung, es gab viele Demonstrationen.
Engel: Es war sehr überraschend, die Menschen haben sich dem Umbruch hingegeben. So ergaben sich neue Möglichkeiten, wie etwa öffentlich und frei Theater spielen, ohne dass man dazu eine Erlaubnis brauchte oder Papierevorweisen musste. Also fingen wir nebenunserem festen Engagement beim Puppentheater damit an, eigene Produktionen zu machen. Es gab damals noch viele kleine Klubs, in denen man was aufführen konnte. Das war eine große Chance, unsere Geschichten zu erzählen, von denen wir dachten, dass sie wichtig sind. Das Theater an der Angel gäbe es so nicht, wenn es diese Gesellschaftsform nicht gegeben. Insofern ist es ein Kind der Wende.
Wir haben kein Marketing-Geheimnis, das ist das Geheimnis.
Warum arbeiten Sie eigentlich nicht in einem normalen Theater?
Lacroix: Was ist normal?
Vielleicht ein bekannteres Theater. Dieses hier ist ja recht klein.
Engel: Ja, aber sehr bekannt. Gäste kommen auch aus Hamburg und Berlin. Es ist ein kleines Theater, man kann davon leben, aber nicht reich werden. Es ist ja auch eine spezielle Form in der Theaterlandschaft. Den Theaterbetrieb lernten wir von allen Seiten kennen: Bühne, Werkstattbereich, Intendanz und künstlerische Leitung. In einem Theater haben diese strukturierten Bereiche feste Pläne. Da wird fast alles Jahre vorausgeplant, wer mit wem, warum und welches Stück. Das fanden wir ziemlich schwerfällig. Wir waren einfach nicht ausgelastet, also machten wir unser Theater noch nebenbei.
Lacroix: Als Privattheater bestimmen wir den Spielplan und wer mit uns spielt. Wir bestimmen, ob es draußen stattfindetoder wie lange es dauert. Als Schauspieler in einem Angestelltenverhältnis ist das nicht möglich. Da kriegst du eine Rolle zugeschrieben. Diese Dinge haben wir mit unserer Arbeitsweise ausgeschaltet. Wir wollten es besser machen als die anderen!
Woher nehmen Sie Ihre Ideen für die Stücke?
Engel: Aus dem Leben. Das, was einem passiert. Künstler haben das Privileg, dass sie das in die Welt schreien, malen oder fotografieren dürfen, um sich auszudrücken. Und um mehr geht es ja eigentlich nicht. Wir haben das große Glück, dass Leute dafür Geld hinlegen. Es ist eine Art von Kommunikation mit anderen Menschen. Künstler und Gäste kommen ins Gespräch. Da gibt es viele Geschichten, die wir vielleicht aufgreifen, weil sie uns berühren.
Bei der Recherche im Internet fanden wir wenig über Sie. Warum gibt’s so wenig Infos im Netz?
Engel: Wir haben eine Webseite seit es dieses Theater gibt, aber wir haben ein bisschen Probleme damit, die neuen Medien zu pflegen. Unser Publikum erfährt vieles durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Leute genießen, dass sie nicht über- redet werden, hierher zu kommen. Unddeshalb findet man auch nichts im Netz.
Lacroix: Es gibt auch eine Facebook-Seite, die wir aber nicht wirklich pflegen.Das ist ja auch nicht so richtig unsere Generation. Außerdem sind wir nicht so berühmt. Theater ist eben doch eine kleine Nische. Es bringt mal die Lokalpresse was oder das Magdeburger Fernsehen. Wir sind nicht wirklich Berühmtheiten. Höchstens lokal berühmt.
Ihre Vorstellungen sind fast immer ausverkauft. Was ist Ihr Marketing- Geheimnis?
Lacroix: Wir haben kein Marketing- Geheimnis, das ist das Geheimnis. Alles, was wir machen, legen wir offen. Es gibt kein Rezept. Nichts ist künstlich. Es ist ein ganzheitliches Produkt. Bringen wir ein Stück auf die Bühne, dann schreiben wir fast immer ein kleines Buch dazu, das das Thema nochmal durchwalzt oder Vor- und Nebenprogramme dazu auflistet. Einen ganzheitlichen Moment schaffen wir von dem Moment an, wenn die Leute hier ins Haus kommen. Man kann sicher sein, dass man das Magdeburg von hier und jetzt verlässt und in eine andere Welt eintaucht. Aber das ist nicht geheim, sondern das erlebt man. Ein Geheimnis wäre es nur dann, wenn es keiner weiß.
Engel: Wir versuchen uns bei dem, was wir spielen, nicht zu verstellen oder so zu tun, als ob. Wenn für uns das Thema nicht mehr stimmt, dann müssen wir irgendwas an dem Abend ändern oder wir können das nicht mehr spielen.
Pippi Langstrumpf sagt, sie suche nicht,sondern finde immer alles. Das bringt viel Lebensqualität. Wir finden einfach sehr viel.
Sie haben bis zu 180 Aufführungen im Jahr. Frau Lacroix, Sie haben in einem Interview mal gesagt, Kunst sei immer ein Experiment, das könne auch mal schiefgehen. Gab es denn mal eine Vorstellung, die komplett aus dem Ruder lief?Engel: Die Leute beschreiben dann auch, was sie erlebt oder gesehen haben. In einem größeren Theater erfährt man das mitunter gar nicht. Also man misst vielleicht am Applaus, wie toll der Abend war, aber man kriegt nicht die direkte Reaktion mit.
Lacroix: Als 2010 die Fußball-WM in Südafrika stattfand, nahmen wir das zum Anlass und machten ein Stück über den Aufstieg und Fall eines berühmten brasilianischen Fußballspielers: Die Ballade von Garuma. Fußball war so ein großes Event geworden. Alle Welt war voller Jubel. Aber wir wollten zeigen, wie viel Korruption und Leid dahinterstecken. Also erzählten wir im Fußballstadion diese skurrile Geschichte, mit großen Bildern und einer fantastischen Musik. Aber das feiernde Deutschland wollte nicht so eine Armengeschichte sehen. Wir haben ja eine große und treue Anhängerschaft, auch Stammgäste, aber die standen reihenweise auf und gingen. Mitten in der Vorstellung!
Engel: Ines hat sogar während der Pause noch eine Figur erdacht. Sie ging in der Pause raus und versuchte die Menschen mit lustigen Kommentaren festzuhalten. Das hielt die Leute aber nicht davon ab, zu gehen. Wir haben das Gott sei Dank überlebt und die Zuschauer sind danach wieder zu anderen Stücken gekommen.
Am 24. November 2017 war ja die Premiere für das Stück Himmel und Hölle – Der Engel dritte Versuchung. Wie war denn die Premierenfeier?
Lacroix: Das ist immer ganz schön! Freunde sind da und wir haben eine kleine Theaterfamilie um uns herum, also engagierte Leute, die nicht unbedingt professionell mit uns verbunden sind. Die kochen uns immer was. Jedenfalls laden wir die Leute nach der Vorstellung ein und es bleiben in der Tat so etwa 50 bis60 Leute, die dann auch die Gelegenheitnutzen, mit uns zu sprechen. Ich mache dann einen Schallplattenspieler an und wir tanzen noch ein bisschen.
Engel: Die Leute beschreiben dann auch, was sie erlebt oder gesehen haben. In einem größeren Theater erfährt man das mitunter gar nicht. Also man misst vielleicht am Applaus, wie toll der Abend war, aber man kriegt nicht die direkte Reaktion mit.
Sie machen so gut wie alles selbst und leiten das Theater. Ist das nicht manchmal zu viel?
Lacroix: Wir machen nicht alles selbst. In der Regel haben wir einen Regisseur, einen Bühnenbildner und auch jemanden, der Kostüme anfertigt. Aber dennoch ist es ein Privattheater und benötigt einen großen, persönlichen Zeitaufwand. Die ersten 20 Jahre ist uns das leicht gefallen. Jetzt wird es etwas schwieriger, weil wir älter sind und weil sich unsere privaten Wege trennten. Aber wir sind dabei, einen neuen Modus zu finden. Das wird sich regeln.
Engel: Auch wenn wir die Arbeiten aufteilen, letztlich vertreten wir beide das nach außen und wenn wir was anderes wollen, dann müssen wir auch eingreifen. Das ist schon sehr zeitaufwändig und hat mit dem normalen Beruf des Schauspielers wirklich wenig zu tun. Wir hoffen, dass es Nachfolger geben wird.
Der Beruf des Schauspielers hat vornehmlich damit zu tun, sich an- und auszuziehen.
Sie verbringen beide viel Zeit hier im Theater an der Angel.
Engel: Ja, wir spielen fünf Tage die Woche und sind trotzdem auch montags und dienstags hier, weil es andere Arbeiten gibt. Aber das ist in Ordnung, solange es Freude macht. Man muss das mögen und wollen.
Das Theater liegt ja auch recht idyllisch auf der Insel Werder. Haben Sie denn noch andere Orte in Magdeburg, an denen Sie entspannen oder die Sie gerne mögen?
Lacroix: Heute Abend gehe ich in die Sauna. (lacht) Es ist eine Stadt, die in den letzten Jahren eine klare Entwicklung gemacht hat. Das sieht man im Stadtbild, es gibt immer wieder überraschende Blickwinkel. Ich kann mich überall wohl oder unwohl fühlen. Kommt drauf an, was drum herum ist. Aber Lieblingsorte? My home is my castle!
Was machen Sie sonst privat, wenn Sie mal nicht schauspielern?
Engel: Wir tun das, weil wir hier sein wollen. Insofern ist das auch ein Stück Freizeit. Nicht alles, aber vieles. Ich könnte mich jetzt hier anderthalb Stunden ans Klavier setzen und spielen. Aus reinem Vergnügen. Aber ich gehe dienstagabends auch noch zur Big Band. Das ist meine große Leidenschaft. Das sind insgesamt fast dreißig Leute, die das aus Lust und Laune machen. Auch Berufsmusiker sind dabei, aber die leben nicht davon. Die Band hat sich nämlich geschworen, damit kein Geld zu verdienen. Wir musizieren zusammen etwa anderthalb Stunden. Manchmal gehen wir danach auch noch ein Bier trinken, aber eher selten.
Lacroix: Ich treffe mich mit Freunden und wir machen nichts. Wir chillen.
Es ist ein schöner Beruf, auch als älterer Mensch. Es lohnt sich, bis dahin durchzuhalten.
Sie lernten beide zunächst andere Berufe bevor Sie zur Schauspielerei und Theaterdirektion kamen. Haben Sie Ihr Glück gefunden?
Lacroix: Jeden Tag aufs Neue! Das kann auch schnell Unglück werden, aber im Moment ist das noch so.
Engel: Gefunden ist das richtige Wort. Pippi Langstrumpf sagt, sie suche nicht,sondern finde immer alles. Das bringt viel Lebensqualität. Wir finden einfach sehr viel, beispielsweise tolle Leute, die uns bei der Arbeit unterstützen. Manchmal suchen wir auch, aber das endet meistens im Krampf. Wir finden lieber die Sachen.
Was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben, die Schauspieler werden wollen?
Lacroix: Was ich früher nicht wusste, der Beruf des Schauspielers hat vornehmlich damit zu tun, sich an- und auszuziehen. Wenn ich daran denke, wie oft ich mich am Tag umziehe, das habe ich unterschätzt.
Engel: Manchmal muss man sich innerhalb eines Stückes achtmal umzuziehen, vielleicht auch noch jedes Mal die Haare wechseln und sich irgendwas ins Gesicht schmieren. So etwas wird einem nicht wirklich gesagt. Manche denken die ersten Jahre, dass es ganz toll sei, sich zu verkleiden. Die ganzen Kostüme, super! Aber beim Stückelesen im Alter weißt du schon, was alles auf dich zukommt. An- und ausziehen, das mag man dann nicht mehr. Ich gehe privat am liebsten im Bademantel. Darum geht Ines in die Sauna und ich am liebsten nackt, aber die ›Nacktstrecken‹ in Magdeburg sind begrenzt. (lacht)
Lacroix: Ansonsten sage ich gern jungen Leuten, die sich für die Schauspielerei entscheiden, dass sie durchhalten sollen. Es ist ein schöner Beruf, auch als älterer Mensch. Es lohnt sich, bis dahin durchzuhalten. Viele geben so früh auf, vielleicht weil es nicht so toll bezahlt ist.
Engel: Diejenigen, die Schauspiel studierten und gut ausgebildet sind, tendieren oft stark zum Film. Erfolg, Durchbruch, irgendwann berühmt zu sein. Das hat auch mit Geld und Verträgen zu tun. Es geht schnell, dass junge, talentierte Schauspieler alle möglichen Jobs machen und in Berlin auf irgendein Angebot warten, was aber nicht kommt. Ich möchte den jungen Leuten also gerne mit auf den Weg geben, dass sie risikofreudiger sein sollen und sich mal öfter in eine Unternehmung stürzen, die vielleicht auch nicht nach oben oder unten, nach rechts und links abgesichert ist.
Dezember 2017
Interview aus INTER.VISTA 5
Vista.Schon?
Die gebürtigen Magdeburger Ines Lacroix und Matthias Engel leiten gemeinsam das Theater an der Angel, das auch ihr Lieblingsort ist. Von 1991 bis 2015 waren sie ein Paar. Ines Lacroix, gelernte Kunsterzieherin, ist 56 Jahre alt und beschreibt Magdeburg mit den Worten lebendig, Heimat und Verwirrung. Matthias Engel, Jahrgang 1963, ist gelernter Krankenpfleger und studierter Puppenspieler und mag keine Zahlen. Für ihn ist Magdeburg schön, grün und überschaubar lebendig.
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