Posted by on

Flavia Hollburg

Sie ist die aufgeweckte und quirlige Geschäftsinhaberin von Flavia Wilde Feinkost. Ihr Laden ist eine Hommage an heimische Hausmannskost und an die Familie. Im Interview erzählt sie darüber, wie sie ihren Traum lebt, sich in einer Männerdomäne durchquatscht und wie das mit der Rückkehr zu den ›Bördemuffeln‹ und ›Machdeburjern‹ so läuft.

Interview und Fotos: Luisa Hensel

Flavia, Dein Laden heißt Flavia Wilde Feinkost. Bist Du so wild, oder hast Du besonders wilde Ware?
Das Logo ist ja Flavia Wilde Feinkost. Viele denken deshalb, wir hätten nur Wild im Sortiment. Aber Wild bezieht sich auf beides: Die wilde Flavi und das wilde Fleisch. Es gibt zudem traditionelle Hausschlachtwurst und viele Spezialitäten.

Es gibt dieses Sprichwort: Steht eine dünne Frau hinter der Verkaufstheke, dann brauchst du da nicht einkaufen! Würde es schmecken, wenn sie viel mehr auf dem Leib hätte? Wirst Du darauf angesprochen?
Die Vorurteile gibt es auf jeden Fall. Aber jeder, der hier in den Laden kommt, wird ganz schnell vom Gegenteil überzeugt. Spätestens wenn sie sehen, wie wir uns gerade eine Scheibe Stichfleisch in den Mund schieben.

Wie bleibst Du denn bei den vielen leckeren Speisen schlank?
Das sind meine Gene. Zudem bin ich wie ein Duracellhase.

»Diese ›Bördemuffel‹ und diese ›Machdeburjer‹, damit musst du erstmal wieder klar kommen.«

Du bietest täglich ein Mittagsmenü an und hast eine große Auswahl an Leckereien. Du sagst, dass Du immer hungrig bist. Wie passt das zusammen?
Ich habe immer Hunger auf alles. Aber mittags immer mein eigenes Essen essen,

das mache ich nicht. Ich esse einfach nicht gern zweimal dasselbe. Und dann habe ich meistens auf das Hunger, was ich nicht habe. Manchmal leckste halt Fett in so einem Laden. Das kennt auch jeder Gastronom. Bevor du es isst, verkaufst du es lieber.

Inter.Vista, Flavia Hollburg, Foto: Luisa Hensel

Inter.Vista, Flavia Hollburg, Foto: Luisa Hensel

Du bist leidenschaftliche Hobbyköchin. Darüber hinaus hast Du Dein Können als Gewinnerin in Das perfekte  Chaos-Dinner unter Beweis gestellt. Von wem hast Du das Kochen gelernt?
Das Kochen liegt bei uns in der Familie. Ich habe es von meiner Oma und Mutter gelernt. Ich war als Kind viel bei ihr. Von ihr habe ich auch das Rezeptbuch. Das ist ein großer Schatz für mich.

Was ist dein Lieblingsessen?
Ente, in allen Varianten. Ente und Gans könnte ich immer essen. Mein zweites Lieblingsessen ist ›Kirschsuppe mit Klump‹ von meiner Oma. Aber ich esse eigentlich alles gern. Außerdem mag ich Kotelett mit Salbei und Frühlingszwiebeln von Horst Lichter. Total geil. Das habe ich gerade neulich gemacht. Dazu Kartoffel-Karotten-Stampf und glasierte rote Zwiebeln mit Honig und viel Butter.

Du erwähntest gerade Horst Lichter und postest Rezepte von Tim Mälzer auf Deiner Facbookseite. Wer ist Dein Lieblingsfernsehkoch?
Tim Mälzer war für mich der erste große Fernsehkoch. Dann verfolgte ich alles, was Gennaro Contaldo und Jamie Oliver so machten. Die haben gute Produkte und kreieren ganz einfache und unkomplizierte Sachen damit. So wie zuhause auch gekocht wird. Man haut alles einfach irgendwo rein und fertig! Ich habe zwar ganz viele Kochbücher und lese sie auch, koche aber nicht nach Rezept. Ich mache da immer mein eigenes Ding.

Kann Feinkost auch vegetarisch sein?
Na klaro! Es gibt viele tolle Gerichte und Produkte. Oliven, gegrillte Paprika, vegane Aufstriche, Bulgur und auch Quinoasalat. Zum Beispiel habe ich letzte Woche einen Tomaten-Fenchel-Salat als Mittagsgericht gemacht.

Tofu statt Fleisch, eine Alternative für Dich?
Da bist Du hier definitiv bei der Falschen. (lacht) Ich habe schon Tofu und Würmer in Thailand gegessen und mache auch allen Mist mit. Aber Fleisch könnte ich nicht gänzlich weglassen. Ich esse sehr ausgewogen und halte diesen vegan-vegetarischen Trend für totalen Quatsch. Das machen jetzt alle eine Weile mit und dann hört die Welle wieder auf. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass Massenfleischwaren und das Einkaufen von günstigen Nahrungsmitteln der absolut falsche Weg sind.

Welches Rezept empfiehlst Du unseren Lesern?
Auf jeden Fall Wildschweinrücken. (lacht) Wildschwein ist das am wenigsten streng schmeckende Wild und es ist nicht fettig. Außerdem ist es ganz einfach zuzubereiten. Das kann jeder.

»Mit Kirche habe ich nichts am Hut.«

In einem Interview las ich, dass Du »Fleisch-Aufklärungsarbeit« leisten möchtest. Was gibt’s denn aufzuklären?
Beispielsweise, dass Eltern ihren Kindern gerne Wienerwürstchen geben, aber kein Wild, weil ihnen Bambi so leid tut. Aufklärung ist für mich, wenn ich ihnen erkläre, was in so einer Wiener eigentlich drin ist.
Denn Wiener bestehen aus Kuttermasse. Wenn argumentiert wird, Wild oder Lamm schmecke nicht, dann ist das eine Sache des Geschmacksorgans. Es ist etwas Unbekanntes. Viele Leute, die hier in den Laden kommen, können Lamm nicht von Kalb unterscheiden. Sie haben sich damit noch nicht befasst, sind aber neugierig und hören gerne zu. Wir informieren oder geben Rezepte raus. Die Leute sind dankbar. Auch die Informationen zur Herkunft des Fleisches und der Weiterverarbeitung gehören zur Aufklärung.

»Aber ich habe Charakter und eine große Klappe.«

Wer freitags zur Mittagszeit in Deinen Laden kommt, entdeckt als Tagesmenü Fisch. Freitag ist Fischtag. Woher kommt’s?
Mit Kirche habe ich nichts am Hut. Den fleischlosen Freitag habe ich mir in meinen zwölf Jahren in Österreich angewöhnt. Freitagmittag, Feierabend, da haben die Leute nur Bock auf etwas Schnelles auf die Hand oder was Leichtes.

Unterstützt Du den Bio-Trend?
Ich finde, dass dieser Bio-Trend extrem überbewertet wird. Es gibt auch viele Fakes. Da bin ich vorsichtig. Wenn ich die Möglichkeit habe, dann kaufe ich lokale Produkte bei meinem Gemüsehändler oder bei der Eierfrau um die Ecke. Die kenne ich, das ist Bio. ich entscheide, ob ich etwas kaufe, nachdem ich es gesehen oder probiert habe. Dieser momentane Bio-Hype ist für mich vor allem Kommerz und davon war ich noch nie ein Freund.

Auf einem Familienfoto auf Facebook trägst Du eine Tracht. Sehr ungewöhnlich für die platte Börde.
Die Tracht stammt aus Österreich, aus dem Jagdbereich. Jagdbekleidung ist auch sehr speziell. Außerdem fahre ich gefühlt seit tausend Jahren nach München auf die Wies’n. Ich liebe das Oktoberfest. Dazu braucht man halt ein Dirndl. Ich ziehe auch sehr gerne ein Tracht an, damit ist man einfach gekleidet. Wenn das meine Berufskleidung wäre, fände ich das richtig cool.

Apropos Jagd: Hast Du einen Jagdschein und schießt Du selber?
Den Jagdschein mache ich gerade. Das sogenannte ›grüne Abitur‹ ist anspruchsvoll. Ich gehe schon seit der Kindheit mit zur Jagd. Natürlich würde ich gern selber mein Vieh schießen und es dann hier verkaufen, aber dafür muss ich erstmal die Prüfung schaffen.

Mit der Jagd hättest Du in Österreich womöglich mehr Glück gehabt. Warum bist Du nach so langer Zeit nach Magdeburg zurückgekehrt?
Ich hatte schon länger den Plan, mich selbstständig zu machen. Außerdem wegen meiner Familie. Zu diesem Zeitpunkt brauchte mich meine Familie hier. Meine Eltern sind sehr dankbar, dass ich wieder zurück bin. Sie hätten es aber nie von mir verlangt. Sie sagten mir immer, ich solle mein eigenes Ding machen. Für mich steht aber auch fest, dass ich irgendwann wieder zurück nach Österreich gehe. Spätestens zur Rente. Dort ist eben auch Heimat für mich.

Wie war die erste Zeit nach Deiner Rückkehr? Wurdest Du mit offenen Armen empfangen?
Die erste Zeit habe ich nur geweint. Drei Monate lang. (lacht) Ich hatte ganz furchtbares Heimweh. Hier war Oktober. Es war grau und schneeig. In Österreich ist immer blauer Himmel und schöner Sonnenschein. Aber ich habe hier Freunde, die mich ganz lieb aufnahmen. Es war aber eben alles anders. Diese ›Bördemuffel‹ und diese ›Machdeburjer‹, damit musst Du erstmal wieder klar kommen.

2016 wurdest Du mit dem Sonderpreis Erfolgreichste Rückkehrerin nach Sachsen-Anhalt ausgezeichnet. Was bedeutet Dir das?
Eigentlich bewarb ich mich für den Preis Unternehmer des Jahres. Dann bekam ich die Einladung zur Veranstaltung. Ich dachte, dass mich das eigentlich nicht interessiert. Dann fragte man mich, ob ich denn zur Vergabe des Unternehmerpreises käme. Es hieß, dass es schon gut wäre, wenn ich käme. Da hatte ich schon das Gefühl, dass ich nominiert bin. Ich wusste, dass vorher eine Jury kommt und mich inkognito bewertet. Eine Woche vor der Preisverleihung hielt ich jeden, der in den Laden kam für die Jury und war besonders freundlich. Letztendlich war es der Chef der Stadtsparkasse, der bei mir im Laden inkognito einkaufte. Der hielt auch die Laudatio. Die Preisverleihung war ziemlich cool. An dem Abend erzählte er über Editha, und dann kam er mit einem Schwenk auf mich. Mir liefen die Freudentränen. Das war alles sehr beeindruckend. Ich war stolz. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Bereust Du Deine Rückkehr ins Land der Neider?
Ich habe noch nie etwas bereut. Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich erarbeiten. Hier ist es schwerer als in Österreich. Dort hat man eine ganz tolle Mentalität, eine Lockerheit und Zusammenarbeit trotz des Umstandes, dass jeder an seinem Strang zieht. Aber ich dachte, was ich in Österreich kann, das geht hier auch. Hier ist meine Heimat und ich probiere das jetzt. Bisher funktioniert es ganz gut. Manchmal muss man sich halt Kopfhörer aufsetzen.

Als Teenie wolltest Du Moderatorin werden. Jetzt bist Du Geschäfts führerin eines Feinkostladens. Lebst Du deinen Traumjob?
Meinen Traumjob lebe ich jeden Tag. Ich moderiere hier hinter der Theke. (lacht) Ich muss so viel quatschen, das reicht für eine ganze Bühne. Das Erste, was ich zu hören bekam, als ich wieder hier war: Da kommt sie nun wieder, Frau ›Marketingleiterin‹, und steht jetzt hinter der Wursttheke. Was mir eigentlich völlig Wurst ist. Ich verdiene damit meine Brötchen und es macht Spaß. Ich bin der Star in meinem eigenen Laden. (lacht)

»Ich muss so viel quatschen, das reicht für eine ganze Bühne.«

Waren Deine Eltern dafür das Vorbild?
Ich habe es nicht so mit Vorbildern. Der Mensch ist ein Individuum und er soll so leben wie er es sich denkt. Stolz auf seine Eltern ist man ja immer. In beruflichen Sachen oder wenn es um Fachwissen geht, dann ist mein Vater das Vorbild. Er hat eine Firma aus dem Boden gestampft. Er hatte nicht ursprünglich Fleischermeister gelernt. Davor war er in der Kranmontage tätig und Fußballer beim FCM. Kurz nach der Wende war er Hausschlächter. Er hat das von meinem Onkel und meinem Opa gelernt. Aus der Not heraus machte er seinen Meister und konnte so seinen Laden eröffnen. Wenn es um Lebenserfahrung geht, dann ist meine Mutti mein Vorbild. Weil, sie ist irgendwie … (Pause) Ach, das kann man gar nicht beschreiben. (lächelt mit Tränen in den Augen)

Inter.Vista, Flavia Hollburg, Foto: Luisa Hensel

Inter.Vista, Flavia Hollburg, Foto: Luisa Hensel

Eine Firma gründen ist nicht schwer, Unternehmerin sein dagegen sehr! Früher war das eine reine Männerdomäne. Wie behauptest Du Dich?
Durchsetzungsvermögen, Fachwissen und zu viel Energie.

Frau und Wurst, das ist kein klassisches Bild. Fühlst Du Dich als Frau benachteiligt?
Nein. Ich hatte das schon zwei oder dreimal, dass Männer komisch guckten und staunten: Was, du bist Fleischer? Aber ich habe Charakter und eine große Klappe. Dazu überzeuge ich mit Fachwissen.
Ich habe sehr viele Männer und Köche als Kunden. Die nehmen mich ernst in meinem Job. Und ein wenig Übung hab ich auch. Ich habe sechs Jahre als Projektleiterin im Holzbau gearbeitet.

Du sagst über Dich selbst, dass Du oft auf Dein Bauchgefühl hörst und ein ›Chaotenkind‹ bist. Redest Du dabei über Dich als Geschäftsfrau?
Nein, das bin ich privat. Als Geschäftsfrau bin ich eine Planerin, aber hinter den Handlungen steckt ein gewisses Kalkül und Bauchgefühl. Das erste Geschäftsjahr ist um. War es ein Erfolg? Ich würde sagen, ich habe das erste Jahr überlebt. Ich bin ein bisschen bekannter geworden. Mittlerweile funktioniert die Mundpropaganda sehr gut. Ich freue mich jeden Tag mehr, wenn die Tür aufgeht und die Kunden sagen, dass sie erstmal
gucken wollen, weil sie von mir gehört haben. Das ist schon ein kleiner Erfolg.

Man sagt, selbstständig sein heißt vor allem selbst und ständig arbeiten. Wie viel Zeit bleibt noch für Dein Privatleben?
Von September bis Mai habe ich Sonntag frei. Das restliche Jahr habe ich auch sonntags geöffnet. Aber ich bin ein großer Freund von Work-Life-Balance. Würde das nicht funktionieren, liefe es auch im Job nicht richtig. Ich nehme mir frei, wenn ich es brauche und mache den Laden auch schon mal drei Tage zu. Wenn man seine Kunden gut erzieht, dann funktioniert das alles. Die haben dafür Verständnis und freuen sich, wenn ich wieder da bin.

»Meinen Traumjob lebe ich jeden Tag.«

Was ist das Verrückteste, was Du in Deinem Leben gemacht hast?
Ich war Galionsfigur auf einem Wagen der Loveparade. Außerdem habe ich beim Perfekten Dinner mitgemacht. Das war recht chaotisch. Aber man hat ja gesehen, dass man auch damit zum Ziel kommt.

Nimmst Du das (Kultur-)­Leben in Magdeburg wahr?
Kultur? Gibt es hier? Keine Ahnung. Die Leute zwischen 30 und 40 haben keine Ahnung, was kulturell in Magdeburg läuft. Natürlich bekomme ich das Nachtleben in Magdeburg mit und ich gehe am Wochenende ein bisschen weg. Im Theater war ich aber noch nicht.

Magdeburg als Kulturhauptstadt? Ist da was drin?
Ich habe keine Ahnung. Aber wir werden uns bewerben und man wird irgendwo investieren und was dafür tun, den Titel zu bekommen. 

Januar 2017
Interview aus INTER.VISTA 4

Vista.Schon?

Flavia Hollburg, Jahrgang 1983, ist ein echtes Bördekind. Nach ihrer Ausbildung lebte sie zwölf Jahre in Österreich bis sie 2015 nach Magdeburg heimkehrte. Für die Gründung ihres Feinkostladens Flavia Wilde Feinkost erhielt sie 2016 den Editha-Preis. Ihr Lieblingsort ist das Dach über ihrem Laden im Hundertwasserhaus. Nach eigenen Aussagen beschreiben die Filme Das Leben des Brian und Pippi Langstrumpf ihr Leben treffend.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen