Womit sich Bestatter beschäftigen, verdrängen die meisten Menschen. Marco Rotte ist ein Bestatter. Inter.Vista erzählt er, wie man in diesem Beruf quereinsteigt, warum es andere Berufe viel schwerer haben und wie seine ungewöhnlichste Trauerfeier war.
Interview und Fotos: Jennifer Fiola
Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit dem Tod?
Es ist über zwanzig Jahre her. Damals hatte ich einen Bereitschaftsdienst übernommen und sollte meine erste Überführung von einem Sterbeort durchführen. Natürlich ist man ein bisschen aufgeregt, ich hatte aber keine Angst.
Wie sind Sie Bestatter geworden?
Ich fing Anfang der neunziger Jahre an, auf den Friedhöfen als Organist Trauerfeiern zu begleiten. Nebenbei habe ich in verschiedenen Bestattungsinstituten ausgeholfen. Ich mochte meine Freiheit als freischaffender Organist. Leider konnte man nicht viel Geld damit verdienen. 1997 bekam ich vom Inhaber Helmut Schmidt das Angebot, in seiner Firma Mitarbeiter zu werden. Nach langem Für und Wider habe ich zugesagt. Heute kann ich sagen, es war die beste Entscheidung, die ich getroffen habe. Ich möchte nichts anderes mehr machen. Ich habe meine Berufung gefunden.
»Wir flaxen viel miteinander.«
Wie haben Freunde und Familie darauf reagiert, als es hieß, Sie werden Bestatter?
Meine Familie kennt mich und weiß, was ich für ein Mensch bin. Dass ich sehr gut in diesen Situationen mit den Menschen umgehen und mich darauf einstellen kann. Auch im Freundeskreis haben alle positiv reagiert. Es ist ja auch ein spannendes Thema.
Gab es schon mal negative Kommentare über Ihren Beruf?
Das nicht. Es hat eigentlich jeder bewundert. Aber es gab oft den Ausdruck, dass mein Beruf ja so schwierig sei. Andere das nicht könnten. Das höre ich noch heute, was aber völliger Unsinn ist. Die Berufe in der Pflege wie Ärzte und Krankenschwestern haben es viel schwerer. Sie haben mit leidenden Menschen zu tun, die Schmerzen haben. Wenn die Angehörigen zu uns kommen, sind die Menschen verstorben. Natürlich müssen wir die Trauer der Angehörigen aushalten können. Aber ich denke, das ist nicht so schlimm, wie das, was man vor dem Tod auch als Familie erlebt. Den geliebten Menschen sterben sehen.
Wie sieht ein ganz normaler Arbeitstag eines Bestatters aus?
Ich bin der Filialleiter in dieser Firma. Ich ziehe die Fäden so, dass die Firma läuft. Unser Arbeitsalltag besteht aus Trauergesprächen mit den Angehörigen, Trauerfeiern und Formalitäten hinsichtlich des Trauerfalls. Das ist ein sehr ausgefüllter Tag. Man ist manchmal auch froh, wenn man nach Hause gehen kann.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am meisten?
Dass ich den Menschen in ihrer Not helfen kann und bei den Entscheidungen, die sie hinsichtlich der Bestattung treffen müssen. Das ist für mich als Mensch primär das Wichtigste.
Wie haben Sie, bevor Sie Bestatter geworden sind, zum Thema Tod gestanden und wie ist es heute?
Bevor ich Bestatter wurde, hat mich der Tod nicht interessiert. Die ersten Gedanken zum Tod kamen, als ich mit dem Orgelspielen begann. Ich war dann oft bei Trauerfeiern und sah die Menschen leiden. Da denkt man über die eigene Familie nach und darüber, wie man selbst mit dem Tod umgehen würde.
Das Thema Tod und Sterben wird in der heutigen Gesellschaft verdrängt. Woran könnte das liegen?
Die Globalisierung macht es den Menschen schwieriger, eine Kultur zu leben. Schon in der DDR gab es kaum eine Bestattungskultur. Wenn man einen vernünftigen Sarg wollte, hatte man ein Problem. Und der Staat hat es einem auch nicht leicht gemacht. Vor allem, wenn es um kirchliche Trauerfeiern ging. Heute ist es hauptsächlich die Globalisierung und die Vereinsamung der Menschen. Es gibt viele Menschen, die keine Angehörigen haben und um die sich dann niemand kümmert. Es ist schon oft passiert, dass wir uns selbst hinterher in den Armen lagen und miteinander geweint haben.
»Es ist schon oft passiert, dass wir uns selbst hinterher in den Armen lagen und miteinander geweint haben.«
Der Umgang mit Trauernden gehört zu Ihrem Tagesgeschäft. Welche Fähigkeiten sollte ein Bestatter unbedingt haben, um diesen sicherlich schwierigen Situationen standhalten zu können?
Man muss zuhören können und man braucht ein gutes Einfühlungsvermögen. Darauf verlassen sich auch die Angehörigen. Wenn der Angehörige zu uns kommt, möchte er seinen Verstorbenen in professionelle Hände geben. Der Bestatter muss sein Handwerk verstehen, nett sein, aber auch auf einen eingehen und zuhören können.
Wie sieht das mit den Verstorbenen selbst aus? Wird der Umgang irgendwann alltäglich?
Bei der Versorgung der Verstorbenen natürlich. Es ist ein sich immer wiederholender Ablauf, den man macht. Es darf aber nie zur Routine werden. Man muss immer mit einem großen Maß an Respekt und Pietät mit den Verstorbenen umgehen. Das darf man auch nie verlieren, ansonsten ist man in diesem Beruf falsch.
Gruseln oder ekeln Sie sich vor manchen Verstorbenen?
Nein, es gibt nichts zu gruseln. Wir kommen in den verschiedensten Situationen mit Verstorbenen in Berührung, von einem ganz normalen Haussterbefall bis hin zum Freitod oder Verkehrsunfällen. Das ist kein schöner Anblick, ich habe das aber bis jetzt immer gut verarbeitet.
»Ich muss nicht alles mögen, aber ich muss es akzeptieren.«
Welche Beisetzungen fallen Ihnen persönlich besonders schwer?
Alle Bestattungen, die mit Kindern zu tun haben. Da stoßen auch wir an unsere Grenzen. Man assoziiert es immer mit der eigenen Familie. Es ist schon oft passiert, dass wir uns selbst hinterher in den Armen lagen und miteinander geweint haben.
Wie lenken Sie sich zu Hause vom Beruf ab?
Ich habe das große Glück, dass meine Frau auch in dieser Firma arbeitet. So können wir uns selber den notwendigen Trost geben und uns alles von der Seele reden. Oder gemeinsam froh sein, wenn wir unsere gesunden Kinder sehen. Man muss es trennen können. Es gibt aber bestimmte Sachen, die einem doch nah gehen und die man mit nach Hause nimmt.
Gab es einen Moment, an dem Sie an Ihrer Berufswahl zweifelten?
Nein.
Wie hat Ihr Beruf Sie geprägt? Leben Sie seitdem intensiver beziehungsweise bewusster?
An manchen Tagen ja. Wenn man etwas nicht so Schönes für sich selbst erlebt hat. Dann denkt man schon mehr über das Leben nach. Ansonsten lebe ich wie jeder andere Mensch auch. Ich lebe nicht extrem gesund, nur weil ich mit dem Tod zu tun habe und weiß, ich könnte früher sterben. Ich habe auch meine Hobbys und Tage, an denen man feiert und mal ein Gläschen Wein trinkt.
Was haben Sie für Hobbys?
Ich bin leidenschaftlicher Angler. Das ist für mich die beste Möglichkeit, vom Alltag abzuspannen. Ich fahre auch gerne Fahrrad. Das ist es, was mich glücklich macht.
Kochen Sie auch?
Sehr viel und sehr gern. Das sieht man. (lacht) Am liebsten durchforste ich die Kochbücher mit meiner Frau und koche mit ihr zusammen. Ich muss nicht alles mögen, aber ich muss es akzeptieren.
Gehen Sie auch gerne essen?
Seltener, aber wenn, dann genießen wir es sehr. Wir gehen gerne ins Steakhaus Bralo House am Domplatz, zum Italiener Piccolo Mondo in der Münchenhofstraße oder in das Restaurant Croatien in der Hegelstraße.
»Ich möchte nichts anderes mehr machen.«
Gibt es eine Bestattung, die Ihnen stark im Gedächtnis geblieben ist?
Ja, wir hatten in der Vergangenheit eine Trauerfeier von einem sehr bekannten Arzt in Magdeburg. Allein die Größe dieser Trauerfeier, die Bilder, die man gesehen hat, das Blumenmeer, welches in der Kapelle angehäuft war. Wenn man so etwas sieht, sagt man immer wieder: Wow. Das muss man sich im Leben erst mal verdienen, von so vielen Menschen auf seinem letzten Weg begleitet zu werden.
Kümmert sich der Großteil der Menschen schon zu Lebzeiten um ein Begräbnis oder wird das eher von den Angehörigen im Nachhinein erledigt?
Es wäre unser Wunsch, wenn alle Menschen vorher zu uns kämen und erzählten, was sie wollen. Wenn ich das vertraglich regele, nehme ich meinen Angehörigen schon so viele Entscheidungen ab und kann sie somit entlasten. Dann können meine Angehörigen sich wirklich um das Wichtige kümmern, und das ist das Trauern. Aber dieser Verdrängungsmechanismus sorgt natürlich dafür, dass meistens die Angehörigen dann entscheiden müssen, was wir machen.
Gibt es denn Leute, die noch zu Lebzeiten zu Ihnen kommen?
Ja, die gibt es schon. Wir wünschen uns natürlich, dass es viel mehr wären. Aber es kommen regelmäßig Menschen zu uns, die ihre einstige Bestattung selbst planen möchten. Die über Vierzigjährigen fangen an, sich Gedanken zu machen. Die meisten sind aber dann doch 50 oder 60 Jahre alt und älter.
Welche Bestattungsarten bieten Sie an?
Es gibt die Erd- und die Feuerbestattung. Bei der Erdbestattung sagt es schon der Name. Man lässt sich in einem Sarg auf einem Friedhof beisetzen. Bei der Feuerbestattung hat man mehr Möglichkeiten. Man kann sich ganz konventionell auf einem Friedhof in einer Grabstelle oder Gemeinschaftsanlage beisetzen lassen. Bei Naturverbundenheit kann der Friedwald oder die Seebestattung interessant sein. Auch die Almbestattung in den Bergen ist möglich.
Welche Bestattungsart wird bei Ihnen momentan am meisten nachgefragt?
Die Feuerbestattung. Mit einem sehr hohen Prozentsatz von bis zu 92 Prozent in unserer Region.
Glauben Sie, dass sich die Bestattungskultur weiter individualisieren wird?
Ja, auf jeden Fall. Bereits in den letzten Jahren kamen immer mehr Bestattungsformen dazu. Vor 20 Jahren hat noch keiner an einen Friedwald gedacht. Heute ist er fester Bestandteil der Bestattungskultur. Es werden immer neue Bestattungsformen dazu kommen, an die wir heute noch gar nicht denken. Das liegt auch an der Globalisierung der Menschen. Viele Familien sind in ganz Deutschland, ja sogar in der Welt verstreut. Ein Grab möchten sich deswegen manche Familien nicht mehr halten und suchen dann nach Alternativen.
Wie stellen Sie sich Ihre Bestattung vor?
Ich möchte eine Feuerbestattung. Hinsichtlich meiner neuapostolischen Konfession wird die Trauerfeier auf einer kirchlichen Basis stattfinden. Ich denke, das wird meine Familie aber mal sehr gut organisieren.
Bei einer Trauerfeier lachen – wie denken Sie darüber?
Gut, wenn es angemessen ist. Da sind wir beim Thema Trauerrede. Ein Trauerredner muss sich ganz viel Input von den Angehörigen geben lassen, was das Leben des Verstorben ausmachte. Und da sind auch Anekdoten und Momente im Leben dabei, die der Redner wiedergibt, und die ganze Trauergesellschaft fängt an zu lachen. Dann weiß auch der Trauerredner, dass er ganz viel richtig gemacht hat. Es ist also nicht so, dass Lachen nicht erlaubt ist. Im Gegenteil. Mein Anspruch als Bestatter ist es, wenn ich mit den Angehörigen im Beratungsgespräch zusammensitze, sie wenigstens einmal lachen zu lassen.
Welche Bestattungskulturen interessieren Sie?
Prinzipiell alle. Wir haben zwar nicht so ein multikulturelles Leben wie in Berlin, München oder Hamburg, aber es kommt schon mal vor, dass wir verstorbene Menschen aus anderen Kulturen wie Afrika, Griechenland, Asien oder Russland haben. Wir hatten zum Beispiel die Beisetzung eines chinesischen jungen Mannes, bei der das buddhistische Glaubensgut dazugekommen ist. Dies einmal organisieren zu dürfen, ist einerseits eine Herausforderung, andererseits lernt man viel über die Kulturen der Menschen. Es gibt aber auch Kulturen, in denen die Leichen alle paar Jahre wieder ausgegraben werden. Das ist zum Beispiel in Madagaskar so, wo dieser Kult gelebt wird. Das ist eine überlieferte Kultur, die sie dort mit viel Eifer und Freude leben, was für uns vielleicht skurril ist. Ich als Bestatter sage aber, es ist richtig, was sie machen. Jedes Land hat seine überlieferten Kulturen und die sollen sie ruhig leben. Ich muss nicht alles mögen, aber ich muss es akzeptieren.
Können Sie sich an eine ungewöhnliche Trauerfeier erinnern?
Einige Jahre nach der Wende, als ich als Organist tätig war. Da haben wir eine Trauerfeier gehalten, bei der ich dachte, ich sitze im SED-Kreistag. Die Trauerfeier war wirklich ›so rot‹. Der Redner stellte sich mit erhobener Faust hin und sagte, sie würden die Fahne weiter tragen. Ich dachte, wir hätten das Thema DDR hinter uns gelassen. (lacht) Das ist wirklich etwas, was ich heute noch vor Augen habe.
Wie ist Ihre Meinung zu Hospizarbeit?
Ich bin ein großer Fürsprecher. Hospizarbeit ist eine wichtige Aufgabe. Wir haben häufiger mit dem Hospiz zu tun. Da lernt man auch die Mitarbeiter und ihre Arbeit kennen. Die Betreuung ist einzigartig. Es ist keine primäre medizinische Versorgung, sondern ein wirkliches Begleiten in den letzten Tagen, Wochen, vielleicht auch Monaten. Es ist ein Segen, dass es diese Organisation gibt.
Beispiel Hirntod: Ethik und Medizin sind sich nicht einig. Die Ethik sagt, der Mensch ist nicht mehr am Leben, die Medizin sagt, der Mensch ist tot. Wann ist für Sie ein Mensch verstorben?
Wenn der Arzt den Tod an seinen Merkmalen feststellt, ist ein Mensch in meinen Augen verstorben.
Schlägt sich die doch eher traurige Stimmung des Themas auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Kollegen nieder?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir flaxen viel miteinander. Es gibt sicherlich auch Momente, in denen es ernst ist. Wir sind aber sonst eine lustige Truppe. Man darf den Bestatter nicht immer als den ernsten Mann betrachten.
November 2016
Interview aus INTER.VISTA 3
Vista.Schon?
Marco Rotte ist, wie er selbst sagt, Magdeburger durch und durch. 1971 in Magdeburg geboren, lebt er auch heute noch mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen im Stadtteil Neustadt. Nach seiner Ausbildung zum Kfz-Elektromechaniker machte er sich als freischaffender Bestattungsorganist selbständig und übernahm Bereitschaftsdienste für Bestattungsinstitute. 1997 gab Marco Rotte seine Selbstständigkeit auf und fing an, bei Helmut Schmidt Bestattungen zu arbeiten. Mittlerweile ist er seit neun Jahren Filialleiter dieser Firma. Magdeburg in drei Worten beschreibt er als grün, schön und seine Heimat. Sein Lieblingsort in Magdeburg ist die Elbe.
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