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Jacqueline Görke

Sie hasst die Wegwerfgesellschaft. Mit ihrem Upcycling-Unternehmen liebeswert.design will die Magdeburgerin Jacqueline Görke dem Wegwerftrend etwas entgegensetzen. Alte ausrangierte Klamotten verwandelt sie in neue Herzstücke. Warum sie Berlin meidet und weshalb die Rentenversicherung ihren Laden farbiger machte, erzählt sie Inter.Vista. 

Interview und Fotos: Antonia Baewert 

Was ist an Deinen Klamotten gerade selbstgemacht?
Der Rock. Den Stoff habe ich aus einem Maskentheater in Hannover, das sich aufgelöst hat. Dort stieg ich über Stoffberge und habe mir davon viele mitgenommen. 

Wie lange brauchst Du für ein Stück?
Das ist ganz unterschiedlich. Bei einem Stoff vom Ballen ist das Stück ruck-zuck zugeschnitten. Wenn ich ein Designstück aus einer alten Klamotte mache, dann muss ich den Stoff stückeln und zusammennähen, das dauert natürlich länger. 

Dein Laden wird beschrieben als ein Kreativladen mit handgemachter Upcycling-Mode und Accessoires. Was bedeutet denn Upcycling?
Upcycling bedeutet soviel wie aufwerten. Viele Klamotten, die man noch tragen könnte, werden weggeworfen. Ich nutze Stoffe, die ein Vorleben hatten. Ich hasse die Wegwerfgesellschaft und es liegt mir am Herzen, alte Klamotten aufzuwerten. Ich bin ein Mensch, der an gewissen Werten hängt. Deswegen auch liebeswert.design: meine Liebe zu Werten. 

Inter.Vista, Jacqueline Görke, Foto: Antonia Baewert

Inter.Vista, Jacqueline Görke, Foto: Antonia Baewert

Wie bist Du dazu gekommen, einen eigenen Laden aufzumachen?
Ich war Wissenschaftlerin am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF und leitete Logistikprojekte. An einem wunderschönen Sommertag saß ich an der Elbe und häkelte Handytaschen. Und im Advent verkaufte ich diese auf dem Moritzhof, was gut bei den Magdeburgern ankam. So fing meine Selbstständigkeit an. Es war einfach Schicksal. Dann habe ich mich mit einer Designerin zusammengetan und im September 2013 den Laden eröffnet. 

Führst Du Deinen Laden allein?
Liebeswert.design mache ich ganz allein, aber im Moment habe ich großes Interesse daran, geflüchtete Frauen als Praktikantinnen aufzunehmen. Die Frauen haben ganz andere Fertigkeiten als ich und so können wir uns austauschen.  

Was entwirfst Du in Deinem Atelier? Welche Stücke verkaufen sich am besten?
Ich habe mittlerweile ein kleines Sortiment. Angefangen habe ich mit Kissenhüllen und Taschen und mittlerweile mache ich unter anderem Jacken, Capes, Ponchos, Röcke und Kleider. Man kann aus einem persönlichen Stück, einem Hemd von Papa oder vom Freund, schöne Kleider kreieren. Ein Herzstück. Wenn die Leute mit so einem Teil zu mir kommen, mache ich daraus etwas Neues. Das ist wunderbar. Jedes Stück ist ein Unikat. 

Dein ungewöhnlichster Auftrag war…?
Ich musste einmal ein Last-Minute-Brautkleid entwerfen und schneidern. Zwei Monate vor dem Hochzeitstermin bekam ich den Auftrag von der Braut. Dann haben wir das Brautkleid um eine wunderschöne Klöppelspitze gebaut, im Vintage-Stil. Das Kleid ist zum Glück rechtzeitig fertig geworden. 

»Ein Designerstück ist nicht mit einem Stück von H&M zu vergleichen.«

Warum im Stadtfeld?
Ich bin ein Stadtfeldkind. Stadtfeld erinnert mich an das Dorf, an mein Zuhause. Ich grüße ständig die Leute in der Nachbarschaft. Egal, wer hier vorbeigeht. Ich wohne auch hier und fühle mich wohl. In Stadtfeld bin ich angekommen. Hier habe ich meine Freunde, hier kenne ich mich aus. Anfang März wird mein Laden in Stadtfeld Ost zu finden sein. Das Atelier wird ein größeres privates Shoppingambiente für meine Kundschaft bieten.  

Wann hast Du mit dem Nähen begonnen?
Mit sechs Jahren nähte ich das erste Mal mit meiner Oma an einem Faschingskostüm. Nach der Schule war ich oft bei meinen Großeltern. Wenn ich nicht draußen im Garten war, dann nähte ich. Meine Oma hat mir Nähen beigebracht, und auch Häkeln und Stricken. Sie zeigte mir alles, was ich heute an Handwerksarbeit kann. Später eignete ich mir noch mehr Techniken an.

Woher kommt Dein Know-how in Sachen Unternehmenstätigkeit und Design?
Im ersten Jahr nahm ich an drei Existenzgründungsprojekten teil. Dort lernte ich, wie man seine Unternehmenspersönlichkeit fördert. Ansonsten habe ich einen Nähkurs in einem Stoffladen in Magdeburg gemacht, Bücher gelesen und Zeitschriften angeschaut. Oft ist man bei einem Schnittmuster mit einer neuen Technik konfrontiert, mit der man sich auseinandersetzen muss.  

Nimmst Du mit Deinen Designs an Fashion Shows teil?
Ich nehme gern an Fashion Shows teil. Letztes Jahr war ich bei der Modavision. Dort sind die ehemalige Miss Germany und ein anderes wunderschönes Model in einem Hemdkleid aus Jeansstoff, einem Hemdrock und Rollkragenpullover für mich gelaufen. Des Weiteren habe ich das Ziel, für unsere Landesvertretung auf die Fashion Week nach Berlin zu fahren. Ich muss nicht unbedingt eine Fashion Show auf die Beine stellen. Ich bin kein öffentlichkeitsliebender Mensch. Eher ein schüchterner Typ. 

Hast Du ein Vorbild in der Kunstszene? 
Ich beschäftige mich viel mit Haute Couture, mit den Designern und Kollektionen. Ich orientiere mich aber daran, was ich gerne sehen würde. Mein Geschmack. Ich liebe das Außergewöhnliche und entwerfe Sachen, die nicht jeder tragen würde. Meine Hemdröcke sind ein Beispiel dafür. Vorn kurz, hinten lang. Spezieller Stoff, spezieller Look. 

Welche Kundschaft kommt in Deinen Laden?
Es kommen eher Familien, die nachhaltig leben wollen, die Bio-Produkte einkaufen und nicht so sehr auf ihr Geld achten müssen. Ein Designerstück ist nicht mit einem Stück von H&M zu vergleichen. Trotzdem kommen auch immer mehr Studenten in meinen Laden. 

Kommt Dein Konzept bei den Magdeburgern an?
Ja, es kommt bei den Magdeburgern an. Es zählen immer mehr Magdeburger zu meinen Kunden. Trotzdem sind Städte wie Leipzig und Dresden noch nachhaltiger und die Resonanz auf den Märkten ist dort größer. 

»Ich bin ein Strom- und Wassersparer, ein Wiederverwender, Sammler und Mundräuber.«

Sieht man Deine Mode auch außerhalb von Magdeburg?
Ich lebte zwei Jahre in Schweden und weiß, wie kreatives Handwerk dort funktioniert. Mittlerweile bin ich deutschlandweit auf Märkten unterwegs. Mal in Dresden, Braunschweig, Leipzig, Magdeburg. Als Nächstes wird sich das nach Potsdam und Hannover ausdehnen. 

Für Kreative bietet Berlin eine große Plattform, um sich zu entfalten. Warum lieber Potsdam?
In Potsdam sind die, die richtig Wert auf Qualität legen. Berlin hat schon eine große Upcycling-Szene, in der ich mich noch zu klein fühle.  

Könntest Du Dir vorstellen, Magdeburg zu verlassen?
Leipzig ist eine spannende Stadt, aber ich bin Magdeburger. Ich habe mein ganzes Leben nach Magdeburg verlagert. Momentan überlege ich nicht, umzuziehen. 

Inter.Vista, Jacqueline Görke, Foto: Antonia Baewert

Inter.Vista, Jacqueline Görke, Foto: Antonia Baewert

Wie wichtig ist Dir Nachhaltigkeit?
Sehr wichtig. Ich kann es natürlich nicht in jeder Lebenssituation umsetzen und jeden Tag Bio- oder nur regionale Produkte einkaufen. Aber ich würde das gerne tun, weil es für mich zur Nachhaltigkeit gehört. Im Rahmen meiner Möglichkeiten bin ich aber sehr nachhaltig. Ich bin ein Strom- und Wassersparer, ein Wiederverwender, Sammler und Mundräuber. Wenn die Bäume anfangen, Früchte zu tragen, pflücke ich das Obst und koche es ein. Mir liegt es am Herzen, dass die Menschen nachdenken, wenn sie ein Stück bei mir kaufen. Das Stück trug schon mal jemand. 

Gehst du gerne im Allee-Center Klamotten shoppen?
Das Allee-Center ist für mich tabu. Ich könnte nachts nicht schlafen, wenn ich mir dort ein Shirt von H&M kaufen würde. Ich trage nur noch Secondhand-Klamotten und gebe kein Geld mehr für Klamotten aus. Ansonsten tausche ich nur. 

Wann hast Du damit angefangen, nicht mehr in Läden wie H&M zu gehen?
Mit Beginn meiner Selbstständigkeit. Ich stehe durch das KlamottenKarussell und mein Label im öffentlichen Leben. Das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dort Klamotten zu kaufen. Obwohl es mich manchmal in den Fingern juckt, wenn ich ein schönes, günstiges Kleid sehe.  

Was steckt hinter dem KlamottenKarussell?
Das ist eine Veranstaltung, bei der Leute ihre Klamotten tauschen können. Dabei muss man nicht unbedingt eigene Sachen mitbringen. Das Klamotten-Karussell lebt davon, dass Leute ihre Sachen ausrangieren und sich andere Teile mitnehmen. So zirkuliert das Karussell. Bei der Veranstaltung wird auch ein kleiner Unkostenbeitrag verlangt. 

Wie seid Ihr auf das KlamottenKarussell gekommen?
Das KlamottenKarussell ist eine Kooperation von liebeswert.design und der BUNDjugend. Die Industriedesignerin Marie Strübe hat sich das Konzept überlegt und zusammen haben wir es ausgefeilt. Aus einer kleinen Testveranstaltung wurde eine sehr bekannte und beliebte Veranstaltung in Magdeburg. Ohne das KlamottenKarussell oder private Sachenspender könnte ich mein Unternehmen nicht führen. Das ist der Kreislauf meines Unternehmens.  

»Um Farbe für meinen Laden zu kaufen musste ich meine Rentenversicherung kündigen.«

Wie stehen die Magdeburger zum Thema Nachhaltigkeit?
Die Anzahl der Leute, die sich für Nachhaltigkeitsthemen interessieren, wird größer. Bei dem JVA-Kunstprojekt im Sommer 2015 war es bemerkbar. Wir organisieren jedes Jahr mehrmals unser KlamottenKarussell. Wir fingen mit zehn Frauen an und mittlerweile sind es über 220 Leute, die pro Veranstaltung kommen. Das zeigt mir, dass es ein Interesse an Nachhaltigkeit gibt. Stadtteilgärten schießen überall hoch, an vielen Ecken findet man Foodsharing-Kühlschränke. Das Angebot wird größer. 

Ist es schwierig, sich als Start-Up-Unternehmen in der Kunstszene Magdeburgs zu etablieren?
Es ist schwierig, sich hier bekannt zu machen, weil die Kultur- und Kreativszene sehr klein und schmal besetzt ist. Mittlerweile gibt es auch nicht mehr so viele Projekte für Gründer in der Kreativszene.Generell ist Magdeburg sehr vorsichtig, denn die Stadt beschäftigt sich mit anderen Themen als Design. Ich bin jetzt im dritten Jahr meiner Selbstständigkeit und kann davon noch nicht komplett leben.

Hattest Du Existenzängste?
Ich bin eine Existenzgründerin, die aus dem Nichts kam. Ich hatte kein Geld. Um Farbe für meinen Laden zu kaufen, musste ich meine Rentenversicherung kündigen. Ja, natürlich habe ich immer wieder Existenzängste. Aber ich wäre keine Unternehmerin, wenn ich dem nichts entgegensetzen würde. Wenn es weh tut, dann muss ich da durch oder aufhören.

Haben sich die letzten drei Jahre für Dich gelohnt? Würdest Du diesen Schritt nochmal wagen?
Jederzeit! Es gab Zeiten, da wusste ich nicht, wovon ich mir mein Brot kaufen soll. Gerade in den ersten Monaten war es schwer, da es noch keine Förderung gab. Aber ich würde es jederzeit nochmal wagen. Ich bin meine eigene Chefin, ich bin jeden Tag kreativ und wenn dann noch jemand ein Teil kauft, dann ist das ein wunderbares Kompliment für mich. Deswegen halte ich durch, obwohl ich noch nicht davon leben kann.

Deine Projekte für die Zukunft?
In meinem nächsten Laden in der Olvenstedter Straße werde ich einen permanenten Tauschschrank einrichten. Einen schönen großen alten Kleiderschrank, in den ich meine Sachen reinhänge. Die Leute können jederzeit vorbeikommen, den Schrank durchwühlen, selbst etwas reinhängen oder ein Teil mitnehmen, ohne einen Cent dafür zu bezahlen. 

Interview aus INTER.VISTA 1

 

Vista.schon?
Jacqueline Görke, Jahrgang 1981 und Stadtfelderin, absolvierte nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau ein Studium der Anglistik und Berufs- und Betriebspädagogik in Magdeburg und war anschließend im Fraunhofer-Institutfür Fabrikbetrieb- und automatisierung IFF als Wissenschaftlerin tätig. Mit der Eröffnung ihres Kreativladens liebeswert.design, in dem sie handgemachte Upcycling-Mode und Accessoires verkauft, erfüllte sie sich einen Traum. Ab März 2016 befindet sich ihr Atelier in der Olvenstedter Straße 10 in Stadtfeld Ost.

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