In der Jugend liegt die Zukunft. Das hat Nadia Boltes erkannt und zum Leitfaden ihrer beruflichen Motivation gemacht. Seit ihrem Studium arbeitet sie bei der Landesvereinigung für kulturelle Kinder- und Jugendbildung e.V. (lkj.) in Magdeburg. Sie organisiert Seminare für Teilnehmende des Freiwilligendienstes, arbeitet nebenbei an dem Eventkalender Magdeboogie Events und engagiert sich für ein antirassistisches Zusammenleben in der Landeshauptstadt. Inter.Vista erzählt sie, was sie macht, wenn sie mal nicht arbeitet und wie sie zur Jugendarbeit gekommen ist.
Interview und Fotos: Friederike Franke
Du warst mit einer Seminargruppe vom Freiwilligendienst auf Seminarfahrt. Wo ward ihr? Hast Du Dich über das Wochenende gut erholt?
Ich war gerade bei einem weltwärts-Seminar mit Freiwilligen, die jetzt wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Sie haben ein Jahr in Ghana, Togo, Südafrika, Bolivien und Laos verbracht und haben sich mit uns in der Villa jühling in Halle getroffen. Es war eine sehr intensive Woche, da die Jugendlichen viele Geschichten zu erzählen hatten. Ich glaube ich brauche noch ein bisschen Zeit bis ich mich komplett erholt habe. Viele Themen wurden angesprochen, die ich nochmal für mich reflektieren möchte.
Waren die Jugendlichen froh wieder hier zu sein?
Wir haben die Frage gestellt, ob sie morgen wieder zurückfliegen würden, wenn sie könnten. Ungefähr die Hälfte der Teilnehmenden hat das bejaht. Der Rest war froh wieder hier zu sein.
Was ist die Aufgabe der lkj.) und welchen Beitrag leistest Du mit Deiner Arbeit?
Die lkj.) ist die Landesvereinigung für kulturelle Kinder-und Jugendbildung, landesweit anerkannter Träger der Jugendhilfe in Sachsen-Anhalt und Dachverband für Vereine und Verbände der Kinder-und Jugendkulturarbeit im Land. Wir realisieren viele verschiedene Projekte. Zum Beispiel gibt es das Projekt Kiezrebellion, wo mit Jugendlichen in Magdeburgs Stadtteilen, verschiedene Kreativangebote ins Leben gerufen werden, beispielsweise Graffiti-Workshops. Des Weiteren ist die lkj.) noch für ihre Freiwilligendienste bekannt. Da gibt es zum Beispiel das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) im Bereich Kultur, wo Jugendliche für ein Jahr in Kultureinrichtungen in Sachsen-Anhalt tätig sind. Dann gibt es den Bundesfreiwilligendienst für Menschen über 27 und den Auslandsfreiwilligendienst, aber das ist nur eine kleine Auswahl unserer Angebote. Ich bin Koordinatorin vom FSJ Kultur und vom Weltwärts–Freiwilligendienst. Dabei liegt mein Aufgabenbereich in der Kommunikation zwischen der Einsatzstelle und dem Freiwilligen und in der Organisation der Seminare. Eine Arbeit mit viel Freiraum und Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch mit viel Verantwortung.
Wie bist Du zur lkj.) gekommen?
Ich habe nach meiner Schulzeit ein Jahr lang einen Weltwärts-Freiwilligendienst in Südafrika absolviert. Danach habe ich angefangen, in Magdeburg zu studieren und bin irgendwann über eine Ausschreibung auf die lkj.) gestoßen, weil sie eine studentische Mitarbeiterin gesucht haben. Mit meinem Studienabschluss ist meine Kollegin in Elternzeit gegangen und das war mein Einstieg in den richtigen Arbeitsalltag. Mit ihrer Wiederkehr dufte ich trotzdem bleiben. Das war ein Jackpot für mich.
Was hast Du vor Deiner Arbeit bei der lkj.) gemacht?
Ich habe in Magdeburg Kulturwissenschaften mit den Fächern Europäische Geschichte und Deutsch als Fremdsprache studiert. Ich habe mir unter dem Studium erst etwas anderes vorgestellt, aber ich bin eine Person, die sich schnell mit ihrer Umgebung arrangieren kann. Es hat mir Spaß gemacht und ich konnte mich ausprobieren.
»In meiner Jugendlichkeit habe ich viel Verantwortung übernehmen können.«
Was gefällt Dir an Deinem Beruf besonders gut?
Am meisten Spaß machen mir die Seminare, weil es der direkte Kontakt mit den Jugendlichen ist. Innerhalb eines Jahres nehme ich bei den Teilnehmern oftmals eine enorme geistige Entwicklung wahr. Erstmal sind alle sehr unsicher, aber sie gewöhnen sich schnell an die Abläufe und finden Spaß daran.
Gibt es auch negative Seiten?
Der Freiwilligendienst im Bereich Kultur spricht meist nur Jugendliche an, die schon sehr privilegiert sind. Sie kommen aus einem guten Elternhaus und haben meist ihr Abitur vor dem Freiwilligendienst absolviert. Sie sind bereits mit der Kultur verknüpft und wir versuchen das gerade etwas umzugestalten. Wir wollen dieses Format auch für Menschen mit Beeinträchtigung möglich machen, Menschen die fliehen mussten und einen schwierigen Hintergrund haben. Denen wollen wir die Chance auf ein Jahr der Freiheit und Entwicklung geben. Wir sind gerade dabei, die Einsatzstellen dahingehend zu sensibilisieren.
Wie bist Du zur Jugendarbeit gekommen? Was hat Dich besonders geprägt?
Hätte man mich zu Beginn meines Studium gefragt, was ich mal machen möchte, wäre ich nicht drauf gekommen, dass ich hier arbeiten würde. Aber wenn ich so auf meine Vergangenheit zurückblicke, gibt es schon einige Erfahrungen, die auf eine zukünftige Arbeit mit jungen Menschen hingedeutet haben. Ich war mit vielen Jugendlichen jeden Sommer wandern und es hat mir schon immer Spaß gemacht, dabei eine leitende Position zu übernehmen. In meiner Jugendlichkeit habe ich auch viel Verantwortung übernehmen können.
Was hält Dich in Magdeburg? Hast Du Dir jemals überlegt Dein Leben woanders zu verbringen?
Diese Frage stelle ich mir tatsächlich sehr häufig, weil viele Menschen die Stadt verlassen, die mir sehr wichtig sind, aber hier nicht ihre Zukunft sehen. Was mich hält, ist mein Mitwirken bei Magdeboogie Events. Diese Arbeit gibt mir persönlich sehr viel. Ich bin in Magdeburg auch politisch aktiv und setze mich für ein anti-rassistisches Zusammenleben ein. Für die Menschen, die glauben, dass Magdeburg noch nicht fertig ist, ist das eine große Chance. Sie können selbst anpacken und die Initiative ergreifen. Ich habe schnell gemerkt, wie cool es ist, hier Veranstaltungen zu organisieren und wenn ich weggehe, würde ich etwas Großes zurücklassen: mein persönliches Netzwerk und die Freunde, die ich hier gefunden habe.
»Es gibt viel, was sich noch verbessern ließe.«
Du hast ja bereits Magdeboogie erwähnt. Worum geht es?
Magdeboogie Events ist vor zweieinhalb Jahren aus der Initiative von zwei Freunden von mir entstanden. Wir brauchten unbedingt wieder einen Kalender der die Kleinkunst und die unterschiedlichsten Kulturangebote in Magdeburg bewirbt. Wir haben klein angefangen, aber mittlerweile ist das ganze gewachsen. Wir sind sechs Personen in der Redaktion und setzen uns kritisch mit Themen auseinander, die gerade in Magdeburg aktuell sind. Hier passiert einfach unheimlich viel. Viele Partys, Konzerte und Lesungen, die von kleinen Gruppen organisiert und bei Magdeboogie beworben werden.
Wie beurteilst Du das Kulturangebot hier in Magdeburg, auch in Bezug auf die Flüchtlingskrise?
Es gibt viel was sich noch verbessern ließe. Beispielsweise Formate zu finden, die alle ansprechen. Es muss verstanden werden, dass Menschen die hier ankommen, erstmal andere Sorgen haben, als sich auf Magdeburgs Kulturangebote zu stürzen. Sie brauchen zunächst einmal Unterstützung. Ich mag das Wort Willkommenskultur nicht, aber es ein lebendiges Zusammenleben sein und das sehe ich momentan noch nicht. Dazu müssen sich beispielsweise viele Organisatoren fragen: „Kann ich vielleicht meine Veranstaltung dolmetschen oder kann ich jemanden sprechen lassen, der eine andere Hautfarbe hat oder einen anderen kulturellen Hintergrund“, um eben auch Identifikationsmöglichkeiten mit dem Kulturangebot in Magdeburg zu schaffen.
»Es muss verstanden werden, dass Menschen die hier ankommen, erstmal andere Sorgen haben, als sich auf Magdeburgs Kulturangebote zu stürzen.«
Was gefällt Dir an dem Wort Willkommenskultur nicht?
Das Wort hat einen Stempel aufgedrückt bekommen. Klar ist es toll ein Fest zu gestalten und Leute einzuladen, die geflüchtet sind. Aber möchte ich feiern, wenn ich weiß, dass die Hälfte meiner Familie noch auf der Flucht ist? Möchte ich auf jedes Foto, wenn ich Angst vor Repression aus meinem Heimatland habe? Ganz viele Fragen, die sich viele nicht stellen, sich aber beschweren, dass ihre bunte Tafel nicht leergegessen wird. Dieses Thema bedarf vor allem Sensibilität und ich glaube wir müssen noch viel dazulernen.
Wie sollten junge Menschen gerade auf politischer Ebene Deiner Meinung nach sensibilisiert werden?
Es ist viel eingestaubt und seit Jahren immer gleich. Ich hoffe auf eine ganz starke Veränderung und hab Sorge, vor der Entwicklung der derzeitigen Situation. Die Jugendlichen sollten sich mit dem politischen Geschehen auseinandersetzen, da sie in naher Zukunft die Konsequenzen der getroffenen Entscheidungen tragen werden. Meiner Meinung nach sollte ein Auslandsjahr beispielsweise verpflichtend sein, damit man merkt wie sich Verantwortung anfühlt. Um dann zurückzukommen, sich zu öffnen und zu sagen: Ich habe Lust mich zu engagieren, etwas zu verändern und nicht immer passiv zu sein. Ich nehme Magdeburg gerade auf politischer Ebene so wahr, dass viele sich auf ihre Couch zurückziehen und nicht laut sagen, was für Veränderungen sie sich wünschen und dass wir eine offene Stadt sein wollen.
Womit verbringst Du Deine Zeit wenn du mal nicht arbeitest?
Da hast du mich erwischt! Ich erlerne gerade wieder, mir mal etwas Zeit für mich und meine Freunde zu nehmen und auch mal Sachen liegen zu lassen, mich also nicht ständig mit der Arbeit zu beschäftigen. Die vielen Projekte die ich bearbeite sind alle Zeitfresser, aber wenn ich mal nichts zu tun habe, besuche ich Veranstaltungen von Freunden oder fahre mal weg und lasse mich treiben. Es tut auch mal gut hier raus zu kommen und Magdeburg mal aus der Distanz zu betrachten.
»Ständig frage ich mich, wie ich mich verbessern kann und merke, dass ich noch nicht fertig bin.«
Gibt es einen Ort an den Du besonders gerne reisen würdest?
2015 war ich in Kolumbien und das Land hat mich wahnsinnig fasziniert. Da will ich unbedingt nochmal hin. Dort gibt es alle Klimazonen: Wüste, karibische Küste, die Amazonas, Berge und diese natürliche Vielfalt hat mich gefesselt. Ich bin vielen interessanten Menschen begegnet und Kolumbiens Hauptstadt ist eine einzige große Graffiti-Galerie. Man spürt diese künstlerische Freiheit überall. Dort herrscht ja immer noch ein Bürgerkrieg und davon bekommt man hier überhaupt nichts mit, daher war es umso spannender das Land aus erster Hand kennenlernen zu können.
Möchtest Du irgendwann nochmal eine andere berufliche Richtung einschlagen?
Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch. Ständig frage ich mich, wie ich mich verbessern kann und merke, dass ich noch nicht fertig bin. Ich entwickle mich gerne weiter und hoffe, dass mein beruflicher Werdegang noch nicht an der Endstation angelangt ist.
Was steht bei der lkj.) als nächstes an?
Mein nächstes Projekt wird das Zwischenseminar in Laos sein, Anfang des Jahres 2017. Da freue ich mich schon sehr drauf, denn auch dieses Land ist faszinierend und die Jugendlichen entwickeln sich dort unheimlich schnell weiter.
Dezember 2016
Vista schon?
Nadia Boltes wurde 1989 in Hannover geboren und hat nach ihrer schulischen Laufbahn Kulturwissenschaften mit den Fächern Europäische Geschichte und Deutsch als Fremdsprache studiert. In Magdeburg ist sie derzeit als Projektkoordinatorin bei der Landevereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen-Anhalt e.V. tätig und fühlt sich in ihrem derzeitigen Zuhause wohl. Einen speziellen Lieblingsort in Magdeburg hat sie nicht. In ihrer Freizeit besucht Nadia Boltes Konzerte, ist gerne an der Elbe unterwegs und freut sich über die neuen Veranstaltungsräume, die momentan in der Landeshauptstadt entstehen.
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